Markus Wolf - Der DDR-James Bond

Shownotes

Er hätte Schauspieler, Journalist oder irgendwas Anständiges werden können - vielleicht sogar Schriftsteller oder Koch. Zumindest hat er ein Kochbuch geschrieben. Stattdessen wurde Markus Wolf der Chef der Auslandsspionage in der DDR. Er rettete Kanzler Willy Brandt erst den Hintern - und sorgte dann unfreiwillig für dessen Rücktritt. Unser Kollege Thomas Klug hat ein Zeitzeichen zum Todestag dieses ungewöhnlichen Mannes gemacht. Und er hat Wolf zwei Mal getroffen. Ob die Rezepte aus dem Kochbuch des Geheimdienstchefs schmecken, auch das hat er herausgefunden und hat mit Jens Gieseke vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung gesprochen, der sich mit Wolf und seinen geheimen Umtrieben beschäftigt hat.

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00:00:08: Intro: Die Geschichtsmacher. Von den Autorinnen und Autoren des Zeit Zeichens.

00:00:30: Marko: Es brodelt, es köchelt. Herzlich willkommen bei die Geschichtsmacher. Aber diesmal könnten wir uns auch nennen "Gerichte aus der Geschichte".

00:00:38: Martin: Also die Gerichtsmacher, könnte man sagen. Marko hat schon seine Schürze umgebunden und schwingt den Kochlöffel. Für welches Rezept? Ich weiß es nicht. Ich habe keine Ahnung. Aber wir haben jemanden eingeladen. Der hat sich heute darüber Gedanken gemacht, was wir kochen. Das ist Thomas Klug aus Berlin.

00:00:55: Thomas: Hallo. Guten Tag. Es gibt Schaschlik. Kennt ihr so was?

00:00:58: Marko: Natürlich kennen wir Schaschlik.

00:00:59: Martin: Klar. Von der Pommesbude um die Ecke. Natürlich.

00:01:01: Marko: Schaschlik. So. Was kommt da rein? Du hast was vorbereitet.

00:01:05: Thomas: Wir brauchen anderthalb Tonnen. Nein, eineinhalb Kilo Fleisch, dem Grillgerät angepasst, steht hier. Das wird in drei Zentimeter dicke Stücke geschnitten. Dann brauchen wir 100 Gramm Speck, drei große Zwiebeln, 4 Zehen Knoblauch, fünf mittelgroße Gewürzgurken, Öl, schwarzer Pfeffer, Granatapfel-Sirup, Tomaten und Frühlings-Zwiebeln. Das Ganze wird dann Schaschlik.

00:01:30: Marko: Wir haben alles da. Wir können also loslegen. Fragt sich nur, warum kochen wir heute?

00:01:36: Martin: Schaschlik auch noch? Zu allem Überfluss?

00:01:38: Thomas: Weil der Lieferdienst nicht kann. Nein, wir kochen heute, weil das ein Rezept ist. Und das hat mit dem Menschen zu tun, über den wir heute reden wollen. Das Rezept ist aus dem Buch "Geheimnisse der russischen Küche". Geschrieben hat dieses Buch Markus Wolf, und es ist, glaube ich, der einzige Geheimdienstchef der Welt, der mal ein Kochbuch geschrieben hat.

00:02:00: Martin: Geheimnisse der russischen Küche und Schaschlik gehört dazu. Ich dachte immer, Schaschlik wäre irgendwas Orientalisches oder so gut.

00:02:07: Marko: Es sind viele Geheimnisse, die wir heute offenbar lüften rund um diesen Geheimdienstchef der DDR. Du hast ein inniges Verhältnis mit dem. Du hast ihn sogar mal interviewt.

00:02:18: Thomas: Das klingt jetzt ein bisschen sehr seltsam. Ich habe ihn zweimal getroffen und das ist schon Jahre her, da lebte er noch...

00:02:23: Marko: Ist Dir unangenehm, oder warum...

00:02:25: Thomas: Nein. Es klingt ein bisschen merkwürdig, weil der war der Geheimdienstchef. Also er gehörte zu diesem Apparat, in dem ja auch diese vielen inoffiziellen Mitarbeiter und offiziellen Mitarbeiter beschäftigt wurden. Und da im Zusammenhang, das könnte schwierig werden, wenn sich da irgendwas verbreitet. Dem würde ich gerne vorbeugen.

00:02:43: Marko: Das verstehe ich. Wir beide, wir sind ja eingefleischte Wessis. Ja, wir sind beide im Westen geboren. Du bist ost-sozialisiert. So ist es.

00:02:50: Thomas: Das habe ich bislang eigentlich immer vermieden, so offenkundig kundzutun. Aber es lässt sich wohl nicht vermeiden heute. Ja, ich bin da geboren und habe da ein paar Jahre gelebt.

00:03:00: Marko: Aber ich glaube, was jedenfalls die Geheimdienstaktivitäten betrifft, da waren Osten und Westen nicht so wahnsinnig unterschiedlich. Also wer hier als Normalo aufgewachsen ist, ich glaube, das war im Osten auch nicht anders, der wusste von dem Herrn Wolf nichts.

00:03:14: Thomas: Das weiß ich nicht. Ich glaube, er wurde in der späten DDR sehr berühmt und im Westen hat er es ja immerhin mal geschafft, auf ein Titelbild des Spiegel zu kommen. Das schafft man ja als kleiner Normalo, glaube ich, eher nicht.

00:03:29: Marko: Titelbild des Spiegels Ist ja nichts, wenn man weiß, dass du ein Zeitzeichen über ihn gemacht hast. Das ist das Konzept dieser Sendung, nämlich die Geschichtsmacher. Wir laden alle zwei Wochen einen Autoren, eine Autorin aus dem Zeitzeichen, das ist eine WDR-Hörfunk-Sendung ein, und die berichten uns über ihre Recherchen und die berichten uns darüber, wie ihr Zeitzeichen entstanden ist. Und heute soll es halt um Markus Wolf und dein Markus Wolf Zeitzeichen gehen. Das war der Todestag, wenn ich mich recht entsinne.

00:04:00: Thomas: Das war der Todestag. Ich glaube, der 15. Markus Wolf ist 2006 im November gestorben. Am neunten November, muss man erst mal schaffen. Also was wir jetzt hier machen können, ist eigentlich eine ganz aufregend Sendung mit Markus Wolf. Also wir schicken da einen Agenten mal in Richtung Westen aus dem Osten, der dann bis ins Kanzleramt kommt und gucken heute vielleicht auch beim Sturz von Willy Brandt zu. Dann schicken wir mal einen großen Unbekannten nach Stockholm, lassen ihn dort dann bekannt werden. Was dann zu dieser Spiegel Titelgeschichte führt. Und diesen großen Unbekannten, den machen wir dann auch noch zu einem Hoffnungsträger in der DDR. Wir lassen ihn auf den Alexanderplatz auspfeifen, wir treffen ihn dann auch mal persönlich, plaudern mit ihm über alles Mögliche und erfahren in dieser Stunde dann vielleicht auch, dass er eigentlich nicht Geheimdienstchef hätte werden können, sondern er hätte auch Schauspieler werden können. Er hätte Hörfunk-Reporter bleiben können und er ist dann aber halt Geheimdienstchef geworden und dann könnten wir vielleicht noch überlegen, warum man Geheimdienste braucht und wie sinnvoll die eigentlich sind.

00:05:09: Martin: Also eine ganz wilde Zutaten Mischung, die wir da haben, um in unserer Geschichts-Gerüchte-Gerichteküche heute ein Gericht mit Markus Wolf zusammen zu rühren.

00:05:20: Marko: Lecker, lecker. Und wir könnten so anfangen. Wo könnten wir es zu uns nehmen. Vielleicht in Berlin, vielleicht auf dem Alexanderplatz.

00:05:29: Martin: An der Schaschlik Bude auf dem Alexanderplatz.

00:05:30: Marko: Im Jahre 1989.

00:05:32: O-Ton (Moderator auf dem Alex) Es spricht zu Ihnen, Markus Wolf.

00:05:39: Markus Wolf: Nicht ohne zu zögern nutze ich die Möglichkeit, an dieses Mikrofon zu treten. Aus mehreren Gründen. Trotz zunehmend mahnender Stimmen in unseren eigenen Reihen konnten wir nicht verhindern, dass unsere Führung in einer Scheinwelt lebte und selbst dann noch versagte, als die Menschen anfingen, mit den Füßen abzustimmen. Das war bitter für uns Kommunisten.

00:06:19: Thomas: Das war am 4. November 89 Berlin Alexanderplatz, übrigens ohne Schaschlik- Bude. Da war eine große, manche sagen die größte Demonstration der DDR, die vorher nicht von der Staatsmacht organisiert war. Da haben sich Künstler und Kulturschaffende getroffen und gemeint, dass das mit der DDR so nicht weiter gehen kann, diese bleischwere Zeit. Und da haben viele Schauspieler, Prominente, Schriftsteller gesprochen und eben auch Markus Wolf.

00:06:51: Martin: Aber warum Markus Wolf, ehemaliger Geheimdienstchef. Der war zu dem Zeitpunkt, glaube ich, schon pensioniert. Was hat er denn da gemacht? Ich meine, das war doch ein Systemling.

00:07:03: Thomas: Das war ein Systemling. 89 war die Stasi wenig wohlgelitten in der öffentlichen Wahrnehmung, weil allmählich auch öffentlich bekannt wurde, welche Verbrechen sie so begangen hat. Und Markus Wolf, obwohl im Ruhestand, galt natürlich trotzdem noch als ein großer und wichtiger Vertreter dieses riesigen krakenhaften Ministeriums. Und deswegen gibt es dann auch diese Pfiffe und deswegen wurde er damals auch ausgebuht.

00:07:28: Marko: Du warst damals dabei.

00:07:30: Thomas: Ich bin da auch mal über Alexanderplatz gelaufen, aber ich war noch sehr, sehr jung damals.

00:07:34: Marko: Wie war die Stimmung denn da?

00:07:35: Thomas: Es war sehr voll. So voll habe ich den Alex noch nie erlebt. Und es war einfach - keine gereizte, keine, keine angespannte Stimmung, von den Pfiffen mal abgesehen, sondern es gab da viele Plakate, die für DDR Verhältnisse völlig ungewohnt, sehr witzig waren, sehr spritzig. Es gab eine große Hoffnung, aber es gab auch eine richtige Aufbruchstimmung und das hatte man in der DDR so vorher noch nie erlebt.

00:08:03: Martin Und auch gegenüber jemanden wie Markus Wolf, der eben für die Auslands- Abteilung des Ministeriums Lausch und Horch glaube ich war der damalige Spitzname...

00:08:13: Thomas: Horch und Guck.

00:08:15: Martin: ...gearbeitet hat. Wie war das?

00:08:15: Thomas: Horch und Guck.

00:08:16: Martin: Horch und guck. Genau richtig gearbeitet. Also da gab es also auch gegenüber so jemandem - Büttel des Staates, des Systems - keine Lynchstimmung, nichts.

00:08:24: Thomas: Nee, Lynch-Stimmung gab es nicht. Er wurde ausgepfiffen. Es war eine gereizte Stimmung, aber eine Lynch-Stimmung, nee, das kann man wirklich nicht sagen. Dieser 4. November, diese Demo in Berlin, machte deutlich, dass die Veränderungen, die da in der DDR begannen, zu dieser Zeit, dass die unwiderruflich sind, weil das hatte so eine riesige Außenwirkung, weil auch so viele wichtige Leute daran teilgenommen haben. Und da wusste man, nach dieser Demo gibt es kein Zurück mehr. Das war das Besondere an diesem Tag. Und das andere, Besondere, dass da nun Markus Wolf da ist in der Öffentlichkeit, war damals schon kein Unbekannter. Was aber eigentlich auch ungewöhnlich ist für einen Geheimdienstchef, der eher im Verborgenen agiert hat. Und das hat er ja viele Jahrzehnte gemacht.

00:09:08: Martin: So, da stand er also auf dem Alexanderplatz, ließ sich auspfeifen, der Geheimdienstchef, der Kommunist und spätere Kochbuchautor. Wie ist der denn dazu gekommen, dann dazustehen als derjenige, der dann auch sich zaghaft an Kritik an seinem eigenen System versucht hat?

00:09:27: Thomas: Das ist eine große Frage, das ist eine schwere Frage. Mein Lieblingssatz dazu würde lauten: Bei seiner Geburt ahnte es noch keiner, dass er auf dem Alexanderplatz ausgepfiffen wurde.

00:09:37: Martin: Dann fangen wir doch mal bei seiner Geburt an :Wo kommt Markus Wolf her?

00:09:41: Thomas: Wir fangen an mit Friedrich Wolf und seiner Frau. Das sind beides Rheinländer. Die sind irgendwann nach Stuttgart gegangen und haben dort zwei Jungs bekommen: Markus und Konrad. Der Friedrich Wolf war Frauenversteher, oder? Na ja, er hatte ein Konzept von einer Ehe, was, glaube ich, nicht auf Treue beruht. Er hat viele weitere Kinder, aber Markus ist der, über den wir heute hauptsächlich sprechen. Konrad ist der Bruder, der dann später als Filmemacher und Chef der Akademie der Künste berühmt wurde.

00:10:14: Marko: Also beide Söhne bringen es offenbar zu was.

00:10:18: Thomas: Wenn Prominenz der Ausdruck davon ist, es zu etwas zu bringen? Ja, ja, das kann man so sagen. Aber auch Friedrich Wolf, der Vater, hat es zu etwas gebracht. Der war also Arzt und der war auch Dramatiker und Autor. Er hat zum Beispiel ein sehr berühmtes Buch geschrieben mit dem schönen Titel - das passt wieder zum Kochen heute - die Weihnachtsgans Auguste. Das war ein sehr beliebtes Kinderbuch, das wurde in der DDR auch verfilmt.

00:10:43: Marko: Das war also der Papa, ein Schwerenöter, aber auch erfolgreicher Schriftsteller.

00:10:48: Thomas: Schwerenöter, Schriftsteller und offenbar jemand, der auch für Frauenrechte sich engagiert hat. Und dann hat er noch geschrieben: ein anderes Drama, Professor Mamlock. Das ist interessanterweise das erste Drama, das sich mit dem Antisemitismus der Nazis befasst hat. Das wurde uraufgeführt 1934 in Warschau, hieß damals noch "Der gelbe Fleck" und dann gab es noch eine Premiere in der Schweiz, und die wollte ein deutscher Diplomat verhindert, dessen Name Ernst von Weizsäcker - also der Vater des späteren Bundespräsidenten.

00:11:22: Marko: Mein Gott, ist die Welt klein.

00:11:24: Thomas: Das wundert mich bei Geschichte dann auch immer. Und das, finde ich, ist das Faszinierende. Wir reden jetzt inzwischen von dem Ende der Weimarer Republik und dem Beginn der Nazizeit. Deswegen kam Friedrich Wolf auf eine Feindes- Liste.

00:11:37: Marko: Also der Vater.

00:11:38: Thomas: Und da Sippenhaft damals eine große Rolle spielte, kamen seine Söhne und seine Frau auch gleich mit. Also Friedrich Wolff hatte Weitblick genug, um zu erkennen, dass nicht nur er, sondern seine Familie bedroht war. Und die Wolfs gingen dann ins Exil, zunächst nach Österreich, später in die Schweiz, nach Frankreich und zuletzt in die Sowjetunion.

00:11:57: Martin Und das hieß dann was? Die Söhne mussten dann auf sowjetische Schulen und erst mal Russisch lernen, nehme ich mal an?

00:12:05: Thomas: Genau. Also wenn ich jetzt richtig rechne, war Markus Wolf, über den wir hier sprechen, damals zehn Jahre alt. Er reiste mit seiner Familie zuletzt in Richtung Moskau. Im Zug hat er Karl May Hefte gelesen, und in Moskau erwartete ihn ein Leben, das deutlich ärmer war, als er es kannte. Also er sprach noch kein Russisch damals. Am Anfang hat er sich auch schwergetan mit der Sprache. Und wir sind jetzt in einer Zeit, die man im Nachhinein als die Jahre des Großen Terrors in der Sowjetunion bezeichnet hat.

00:12:37: Marko: Wo sind wir ungefähr so Jahrestechnisch?

00:12:39: Thomas: Wir sind so Mitte der dreißiger Jahre, Mitte der dreißiger Jahre. Der große Diktator in der Sowjetunion hieß damals Stalin, machtbesessen und paranoid. Er hat den Terror in dem Land begründet, und das ist ja das sehr Merkwürdige für viele Kommunisten, die Zuflucht suchten in dieser Sowjetunion, wurde die Ankunft in der Sowjetunion und ihr Leben in der Sowjetunion zu ihrem Tod. Die Stimmung war entsprechend, und Friedrich Wolf, der Vater, wollte deswegen dann auch freiwillig nach Spanien, in den Bürgerkrieg, weil er keine Lust hatte, in der Sowjetunion zu warten, dass er dann vielleicht eines Tages von der sowjetischen Polizei verhaftet wurde.

00:13:22: Martin: Das waren diese berühmten stalinistischen Säuberungen, die völlig willkürlich waren, wo kein Mensch wusste, ob nicht vielleicht er oder sie am nächsten Tag dran sein würde.

00:13:31: Thomas: Ganz, ganz genauso ist es. Und Markus Wolf hat diese Zeit als Kind, als Jugendlicher erlebt. Er ging dort zur Schule. Später ging er dann zu einer Hochschule für Flugzeugbau und auf eine Parteischule. Und das kann man sagen, es war eine Kaderschmiede. Er hat den Überfall der Nazis auf die Sowjetunion dort erlebt. Er wurde dann auch als Partisan ausgebildet, hat aber vielleicht Glück gehabt, dass er nicht mehr zum Einsatz kam. Später arbeitete er dann beim deutschen Volkssender. Das war so ein Sender, der sich an die deutschen Soldaten und überhaupt an die Deutschen richtete und natürlich von...

00:14:07: Marko: Aber von der Sowjetunion organisiert, so eine Art Gegen-Sender

00:14:11: Thomas: Gegen gegen die Nazis.

00:14:13: Marko: Jetzt muss man sich ja vorstellen Ich habe das Leben in der Sowjetunion. Damals war auch für diejenigen, die relativ privilegiert waren, kein einfaches. Wie war das Leben dieser Familie vorher? Was waren die Wolfs für Leute? Waren die relativ wohlhabend oder was waren die Wolfs für Leute?

00:14:27: Thomas: Na ja, der Vater war Buchautor, er war Arzt und er war relativ prominent. Also man hat.

00:14:34: Marko: Also denen ging es gut.

00:14:35: Thomas: Denen ging es richtig gut, die hatten, glaube ich, auch Hausangestellte. Und als die dann in der Sowjetunion ankamen, war das natürlich für alle ein viel ärmeres Leben. Sie wohnten wesentlich beengt da als da in diesem schönen Ort bei Stuttgart. Und wie das so ist, man ist auf der Flucht. Das darf man sich ja, glaube ich, nicht so als als etwas sehr Schönes vorstellen.

00:14:55: Marko: Also wenn man Kommunist ist, würde man ja denken, wenn man in die Sowjetunion flieht, dann ist man sozusagen im gelobten Land angekommen. Aber so war es nicht.

00:15:04: Thomas: Wenn man dann merkt, dass es nicht das gelobte Land ist, aber weiß, dass der andere Feind, nämlich dieses Hitlerdeutschland, auch ein ziemlich großer Feind ist, ist es glaube ich eine gute Möglichkeit, um irgendeine Art von Paranoia auch auszubilden oder sich zu entscheiden, jetzt am Klassenkampf teilzunehmen und die Realitäten ein bisschen zu schönen, wenn man sagt Der Feind, das ist nur Deutschland. Und das, was in der Sowjetunion passiert, sind halt Anfangsschwierigkeiten eines neuen Systems. Man kann sich das ja immer auch ein bisschen schönreden.

00:15:33: Martin: Jetzt hast du eben gesagt, Sohnemann Markus ging auf eine Kaderschmiede. Das heißt, der ist ja dann wahrscheinlich auch im zarten Alter von Was hast du eben gesagt zehn Jahren. Der ist dann natürlich auch ideologisch indoktriniert worden. Hat er dann daran geglaubt? War er überzeugt?

00:15:50: Thomas: Ich denke, er war überzeugt, die Kaderschmiede Schule kam nicht jetzt gleich mit zehn, es gab ein bisschen später, aber natürlich war er erst mal überzeugt. Er hatte aber auch natürlich gesehen, was oder geahnt, was im Lande so vor sich ging. Und er hatte Karl May gelesen, und das schult ja auch ein bisschen den Blick auf die Welt.

00:16:10: Marko: Damit war das abenteuerliche Leben des Markus Wolf in Karl May schon angelegt.

00:16:16: Martin: Der Kara Ben Nemsi der DDR, könnte man sagen.

00:16:20: Marko: Irgendwann ist 45 der Krieg für Deutschland verloren. Die Sowjetunion hat es bis Berlin mit der Armee geschafft, mit der Roten Armee. Es war ein illustrer Kreis, auch an Deutschen, die dorthin geflohen waren.

00:16:32: Thomas: Richtig. Marko, hast du jetzt wirklich Sowjetunion gesagt?

00:16:36: Marko: Habe ich? Sowjetunion, Sowjet, Sowjetunion.

00:16:41: Thomas: Wie Herr Adenauer damals.

00:16:42: Marko: Ja, ich bin ja Rheinländer. Das liegt uns im Blut - die Sowjetunion. Natürlich: Die Sowjetunion,.

00:16:49: Martin: Die bekanntlich rechts des Rheines beginnt. Ja, genau.

00:16:52: Marko: Die Sowjetunion.

00:16:52: Martin: Nee, die Sowjetunion, die Sowjet..,.,

00:16:55: Marko: Ja. Jetzt reicht es aber! So, also, wir sind in der Sowjetunion, und wir sind als Deutsche dort nicht alleine. Das wollte ich wissen.

00:17:02: Thomas: Genau. Also, da gab es zum Beispiel einen Herrn, der später auch noch eine gewisse Berühmtheit erlangte. Der hieß Walter Ulbricht. Der war ja da auch schon dabei.

00:17:11: Marko: Wer ist das? Wer ist das? Wer ist Walter Ulbricht?

00:17:14: Thomas: Der wurde später der Chef der SED und Chef des. Und. Und Chef des - wie hieß das in der DDR?

00:17:21: Marko: Also des Nicht-Bauamtes, glaube ich. Niemand hat die Absicht.

00:17:27: Thomas: Genau das ist der Baumeister...

00:17:31: Marko: Der war auch da.

00:17:31: Thomas: Der wurde dann Staatsratsvorsitzender. Aber das ist alles sehr viel später. Er war da und hatte es dort geschafft, sich bei den richtigen Leuten schon beliebt zu machen. Also er hat nicht widersprochen, wenn manche seiner Mit-Genossen dann vielleicht plötzlich verhaftet wurden. Und Ulbricht war einer derjenigen, die in die DDR zurückgeschickt, nein, nicht in die DDR, sondern in das zerstörte Deutschland zurückgeschickt wurden. Wir reden von 1945.

00:17:57: Marko In die sowjetisch besetzte Zone.

00:17:58: Thomas: Genau. Und das Ganze war.

00:18:01: Marko: Und und, und: Jetzt mal Frage. Also Ulbricht und Wolf, die kannten sich.

00:18:06: Marko: Die kannten sich.

00:18:06: Marko: Ach, so klein ist die Welt - wieder einmal.

00:18:09: Thomas: Was mich immer wieder zum Erstaunen bringt. Aber gut, das waren deutsche Kommunisten in Moskau.

00:18:14: Marko: Aber Russland ist ein großes Land, die Sowjetunion noch viel größer. Selbst Moskau ist sehr groß. Aber gut.

00:18:19: Thomas: Man läuft sich dann doch mal übern Weg.

00:18:22: Marko: Na, natürlich. Okay. Und dann gehen die gemeinsam zurück?

00:18:27: Thomas:  Ne, die Deutschen waren, glaube ich, dann auch in diesem einen Hotel Lux einquartiert. Es war ja nicht so, dass die alle im ganzen Land verstreut waren.

00:18:35: Marko: Man hockte aufeinander.

00:18:36: Thomas: Man hockte aufeinander. Und dann kam er in Berlin an und guckte: Was machen wir denn jetzt mit diesem Teil, der sowjetisch besetzt ist?

00:18:44: Martin: Da war er Anfang 20, so was um den Dreh. Was waren denn da so seine Eindrücke? Wie hat er sich gefühlt, als er zurückkam nach Deutschland, weil er hat ja dann ja quasi die Hälfte seines Lebens in der Sowjetunion gelebt. Bis dahin?

00:18:56: Thomas: Genau. Er war Anfang 20 und genau diese Frage habe ich ihn auch gestellt. Und geantwortet hat er das hier.

00:19:01: O-Ton Markus Wolf: Wir fühlten uns ja doch schon sehr stark als Sowjetbürger. Wir fühlten uns auf der anderen Seite eben mit Deutschland als antifaschistischem Deutschland, wie wir uns das vorgestellt hatten, wieder verbunden, wollten unseren Beitrag dazu leisten.

00:19:17: Marko: Das war bei eurem Treffen. Wann hast du ihn getroffen?

00:19:19: Thomas: Ich habe ihn zweimal getroffen. Einmal 2002. Das war für eine bekannte Schweizer Tageszeitung. Da gibt es dann leider keine Tonaufnahme, die irgendwie Sende fähig war. Und dann habe ich ihn 2004 noch mal getroffen für einen befreundeten überregionalen Radiosender.

00:19:35: Martin: Wie ist er dir da begegnet? Wie hast du ihn erlebt?

00:19:39: Thomas: Das erste Mal. Da ging es ja um seine Arbeit. Da habe ich ihn sehr konzentriert erlebt, vielleicht auch ein bisschen misstrauisch. Ich erinnere mich, hatte da natürlich mir ein paar Fragen notiert, ein paar Stichworte aufgeschrieben, hat dann immer so versucht, meine Notizen schon vorab zu lesen, bevor ich die Fragen stellen konnte. Aber wenn man.

00:20:02: Martin: Der hat gespinxt?

00:20:04: Marko: Da war der Geheimdienstchef noch in ihm drin...

00:20:08: Thomas: Ja. Und bei diesen Antworten war er sichtlich bemüht, nun jetzt überhaupt nichts zu verraten. Aber er hatte damals sehr viele Interviews gegeben und das war für ihn eine ganz leichte Übung und ich bin mit ein bisschen Respekt hin. Und ich habe dann auch überlegt Huch, was weiß er über mich, was ich vielleicht selber nicht über mich weiß. Und das zweite Gespräch war wesentlich anders. Ich habe ihn da von seiner Wohnung abgeholt. Er wohnte damals hier im Berliner Nicolai- Viertel und da ging es auch bei dem Gespräch aber nicht um seine Arbeit, sondern es ging um seine Familie und hauptsächlich ging es um seinen Bruder Konrad. Konrad Wolf, das war der Regisseur und spätere Präsident der Akademie der Künste. Der hat ein paar wichtige Filme gemacht in der DDR, und über seiner Familie sprach Markus Wolf einfach richtig gerne, weil er für sich das Ziel gesetzt hatte, die Deutungshoheit zu behalten. Oder einfach, weil er das Erbe seiner Familie weiterleben lassen wollte.

00:21:03: Marko: Wie hat er denn auf sein Leben geblickt? Er war Geheimdienstchef, über viele Jahre, sicherlich nicht unumstritten, hat er sich doch irgendwie an die Zeit von 1945 zurückerinnert. Oder war das gar nicht Thema?

00:21:13: Thomas: Na ja, das war schon Thema, weil ich ihn ja auch da gefragt hatte, wie es denn war, als man dann als 20-jährige wieder in diesem Berlin ankommt, das dann von den Nazis befreit war. Das ist in der Tat ein großes Thema. War vielleicht auch so sein Lebensthema, diese Fremdheit. Er als einer derjenigen, der quasi als Befreier mit hierher kam, auf die ehemaligen Täter zu treffen. Denn er kennt dieses Deutschland ja erst als das Land der Täter damals.

00:21:45: Martin: Und in dem Interview, in dem O-Ton, den wir eben gehört haben, da sagt er Markus Wolf, also dass er einen Beitrag leisten wollte in diesem kaputten kaputt gebombten Deutschland und auch sonst ziemlich kaputten Deutschland. Wie sah dieser Beitrag aus? Was wollte er machen?

00:21:59: Thomas: Er hätte vieles machen können. Also er hätte seine Radio-Karriere fortsetzen können. Er begann ja da beim Radio, aber hätte er das gemacht, würden wir heute wahrscheinlich nicht über ihn reden. Er war dann ja auch, als er wieder hier war in Berlin, war er der jüngste Berichterstatter von den Nürnberger Prozessen.

00:22:18: Marko: Beim Radio.

00:22:19: Thomas: Beim Radio, die begannen ja 1945. Und damals, das ist ja auch wieder - die Welt ist klein, wird Marko gleich wieder sagen können. Damals war nämlich noch ein andere in Nürnberg, ein gewisser Willy Brandt. Der war auch als Berichterstatter von den Nürnberger Prozessen dort. Er hat für Norwegen berichtet. Also, falls Sie sich damals begegneten, hätten sich beide noch nicht gekannt. Denn wer kannte damals schon Willy Brandt oder Markus Wolf? Und später haben sich ihre Biografien ja noch mal gekreuzt. Aber Markus Wolf, der blieb ja nicht beim Radio. Denn Schauspieler hätte er übrigens auch werden können. Das wissen jetzt nicht ganz so viele. In Moskau stand er nämlich schon mal vor der Kamera. Damals war er zehn Jahre alt, und im Nachkriegs Berlin hatte er noch ein Angebot vom Deutschen Theater, nämlich von Gustav von Wangenheim. Der kannte Markus Wolf aus der Sowjetunion, und nach 45 war er kurzzeitig mal Intendant des Deutschen Theaters und wollte dort Lessings Nathan der Weise inszenieren. Und da hatte er eine Rolle für Markus Wolf.

00:23:24: Marko: Und Markus Wolf wollte nicht mitspielen.

00:23:27: Thomas: Er wollte schon mitspielen, glaube ich, denn er hat einen gewissen Walter Ulbricht befragt. Das war damals schon der Mensch, der über Biografien anderer entschied. Und Ulbricht war aber der Meinung, dass andere vielleicht besser spielen. Bzw. dass er den Markus Wolf für was anderes braucht.

00:23:46: Marko: Das war ihm schon klar.

00:23:47: Thomas: Offenbar ja. Ulbricht war ja damals diese graue Eminenz im Hintergrund, war noch nicht mal SED-Vorsitzender interessanterweise. Aber er war schon mächtig. Und er wollte eben, dass dieser Wolf beim Geheimdienst ist.

00:24:01: Martin: Und diesen Geheimdienst, den gab es aber damals schon zu diesem Zeitpunkt. Wir reden ja immer noch Mitte der 40er Jahre.

00:24:07: Martin: Den gab es schon, aber der hieß natürlich nicht Geheimdienst. Das wäre ja auch albern, einen Geheimdienst Geheimdienst zu nennen. So einfach macht man es sich nicht. Der entstand nämlich gerade. Und da gab es einen schönen Tarnnamen. Der Geheimdienst hieß Institut für wirtschaftswissenschaftliche Forschung.

00:24:21: Martin: Und das klingt doch gut.

00:24:22: Marko: Das sollte der Geheimdienst der späteren DDR werden?

00:24:26: Thomas: Das wurde er dann auch. Frag mich nicht, wer sich diesen Namen ausgedacht hat. Das wurde der Auslandsnachrichtendienst und das war die Vorstufe zum HVA, also dieser berühmten Hauptabteilung Aufklärung, die später dann eben in das MfS eingegliedert wurde.

00:24:44: Marko: HVA eingegliedert in das MfS.

00:24:47: Thomas: Das Ministerium für Staatssicherheit.

00:24:49: Marko: Du bist in der DDR groß geworden, das merkt man schon. Diese Abkürzung...

00:24:52: Thomas: Das geht leicht von der Zunge. Ja. MfS nee, das weiß ich aber auch Ministerium für Staatssicherheit. Aber das war dann eben das, was Geheimdienst in der DDR war, also Ministerium für Staatssicherheit und dann eben dieser Hauptabteilung Haupt- und Haupt. Das ist ja jetzt komme ich auch schon wieder ins Stolpern. HVA Hauptabteilung Hauptversammlung, Hauptsitz Verein Verein.

00:25:17: Thomas: Hauptverwaltung.

00:25:19: Marko: Verwaltung, ja nartürlich: Verwaltung, Hauptverwaltung Ausland.

00:25:23: Thomas: Ich musste auch erst kurz nachgucken. Weil ich habe mir Gott sei Dank, weil mit diesen Abkürzungen - man braucht sie ja nicht mehr ganz so oft wie früher - und dann Hauptverwaltung, also nicht Hausverwaltung.

00:25:33: Marko: Aber halt. Man muss sich mal vorstellen, es gibt die DDR noch nicht, aber alle denken schon darüber nach, dass man einen Geheimdienst brauchen wird.

00:25:39: Thomas: Ich glaube: Deutschland 1945 - 4 Besatzungszonen. Ja, ja, da denkt glaube ich jeder daran, dass man irgendwas mit Geheimdienst machen muss.

00:25:49: Martin: Also, Walter Ulbricht hat sich Markus Wolf ausgeguckt, dass der eben was in dieser HVA werden sollte. Aber warum gleich Chef? Also hat er da bestimmte Qualitäten gehabt, wo er gesagt hat, die braucht man.

00:26:05: Thomas: Das ist eine sehr gute Frage. Keine Ahnung, was ihn da geritten hat. Er wollte wahrscheinlich einen jungen Mann haben, einen mit Auslandserfahrung, einen, dem er vertrauen konnte. Das ist, glaube ich, das Entscheidungskriterium damals gewesen. Er kannte.

00:26:19: Marko: Aber dieser Mann, dieser Markus Wolf, muss ein außergewöhnlicher Mensch gewesen sein. Wenn man sich das anguckt: Da studiert jemand in Moskau Flugzeugbau. Da wird jemand gefragt, ob er nicht bei Nathan der Weise in Berlin auf die Theaterbühne soll. Und da reißt sich ein anderer drum und sagt: Hey, der muss unbedingt der Chef meines Geheimdienstes werden. Das ist ein Mann mit vielen Talenten offenbar.

00:26:41: Thomas: Ich höre da ein bisschen Neid raus jetzt.

00:26:43: Marko: Ich finde ja. Ich meine, um den reißen sich die Leute um uns nicht. So ist es doch.

00:26:50: Thomas: Offenbar hat er wirklich eine Menge Talente und das blieb nicht so ganz verborgen. Aber das ist ja nun wirklich was Interessantes. Warum er? Und ich bin deswegen ja auch auf die Suche gegangen und bin von Berlin bis nach Potsdam gefahren, was ja doch mindestens 25 Kilometer sind.

00:27:09: Martin: Immerhin.

00:27:10: Thomas: Was macht man nicht alles für die Kollegen. Und dort gibt es das Leibniz Zentrum für Zeithistorische Forschung und dort arbeitet ein Experte in Sachen DDR Geschichte und Geschichte des Ministeriums für Staatssicherheit und auch in Sachen Markus Wolf. Das ist Jens Gieseke. Er leitet die Abteilung Kommunismus und Gesellschaft, und der hat mir über Markus Wolf folgendes erzählt.

00:27:34: O-Ton Jens Gieseke: Er war eben nicht nur Sohn aus einer Künstlerfamilie, sondern er war eben auch Kommunist, Emigrant mit seiner Familie in den 30er Jahren, in den 40er Jahren und ist insofern in eine Rolle hineingewachsen, die für Kommunisten nicht untypisch ist. Nämlich zunächst mal: Ich arbeite dort, wo die Partei mich hinstellt. Die Partei hat ihn in den 40er Jahren, als sein eigenes Berufsleben, sein Berufsweg begann, eben in ganz andere Gefilde als die Kunst und Kultur gestellt. Und diese Rolle hat er dann eben auch angenommen. Und offenkundig hat er auch dafür ein Talent.

00:28:08: Thomas: Eines ist klar Markus Wolf ist schon einerseits so eine Art schillernde und andererseits aber auch so eine sehr verschwiegene Persönlichkeit in dieser Welt der Geheimdienste. Und Jens Gieseke hat dann noch Folgendes gesagt.

00:28:21: O-Ton Jens Gieseke: Ja, Markus Wolf hat Wert darauf gelegt, bei prominenten oder wichtigen Spionen auch die persönliche Verbindung zu halten. Darüber gibt es viele Berichte von später enttarnten Spionen, dass es für sie selbst wichtig war, tatsächlich mit dem Chef des Geheimdienstes ins Gespräch zu kommen, von ihm auch in gewisser Hinsicht geführt zu werden, obwohl er sicherlich nicht die alltägliche Spionage- Arbeit mit ihnen koordiniert hat. Aber das war ein wichtiger Punkt. Markus Wolf war ja zu diesem Zeitpunkt in den 70er Jahren eine, wenn auch geheime, aber eine Art von Berühmtheit, wenn Sie so wollen und jeder, der sich im Westen entschlossen hat, für die DDR zu spionieren, hatte irgendein Bild, wenn auch kein physisches Bild von ihm vor Augen. Und da war es halt von beiden Seiten wichtig, auch direkt miteinander zu sprechen.

00:29:08: Marko: Markus Wolf, der Mann ohne Gesicht, aber durchaus mit Konturen. So kann man es sagen.

00:29:13: Thomas: Man könnte irgendwie auch an James Bond denken.

00:29:15: Marko: Ja. Nun ist natürlich die Frage Ist das Leben eines Geheimdienstchefs in der DDR James Bond like?

00:29:23: Thomas: Es ist schön. James Bond hat ein britischer Geheimdienstmitarbeiter erfunden. Wenn mich nicht alles täuscht.

00:29:30: Martin: Ian Fleming Ja, genau.

00:29:32: Marko: Ach, war der Geheimdienstler?

00:29:33: Martin: Der war Geheimdienstler, ja klar.

00:29:34: Thomas: Geheimdienst und Kreativität. Irgendwie scheint es eine gewisse Schnittmenge zu geben. Und die DDR wurde übrigens auch so ein gutes Image für ihre Kundschafter. Also man sagt ja nicht Agent, es war ein Kundschafter, Kundschafter für den Frieden natürlich. Und deswegen hat die DDR auch mal angefangen, eine eigene Filmreihe zu etablieren, die hieß Das unsichtbare Visier.

00:30:01: Das unsichtbare Visier: Werner Wrede Busch erfüllt einen schweren Auftrag.

00:30:04: Das unsichtbare Visier: Als Kundschafter verfolgt er die Spur faschistischer Wölfe, die nach 1945.

00:30:09: Das unsichtbare Visier: von geheimen Schlupfwinkeln aus die Fortsetzung ihrer

00:30:13: Das unsichtbare Visier: aggressiven Politik betreiben.

00:30:14: Marko: Also was wir sehen, ist der Trailer zu Das unsichtbare Visier.

00:30:18: Das unsichtbare Visier Die Frankfurter Fotografin.

00:30:20: Das unsichtbare Visier Winnie Winkelmann steht ihm als ständige Helferin zur Seite.

00:30:23: Marko: Armin Müller Stahl. Damals noch in der DDR - wusste ich gar nicht, dass der DDR Schauspieler war - mit schönen Frauen im Aufzug.

00:30:32: Thomas: Der hat immer die Guten gespielt, immer die Helden.

00:30:34: Marko: Und das ist so eine Serie aus den Jahren, irgendwie frühe 70er.

00:30:38: Thomas: 60er, 70er Jahre, ungefähr genau.

00:30:41: Das unsichtbare Visier Zimmer, hübsch eingerichtet wie dieses - für mich allein. Und Mädchen.

00:30:45: Marko: Und was sehe ich da? Nackte Frauen.

00:30:52: Martin: Das musst du beschreiben, Marko. Ein Agent, der von lauter, nicht mal leicht bekleideten Damen umringt.

00:30:58: Marko: Sie sind nackt. Alle splitternackt. Armin Müller Stahl trägt eine Schweißer-Brille. Ein Flugzeug explodiert. Autos überschlagen sich. Also eigentlich genauso wild wie bei uns im Westen, nur besser.

00:31:23: Martin: Ja, sensationell.

00:31:24: Marko: Und so muss ich mir jetzt das Geheimdienst Leben des Markus Wolf vorstellen.

00:31:30: Thomas: Ihr Spötter, ihr Spötter man hat es eben auch in der DDR versucht, ein bisschen an ein James Bond Feeling zu kommen. Man wollte einfach die eigenen Agenten gut aussehen lassen und das ging eben offenbar nur oben ohne. Also bei den Frauen irgendwie. Was weiß denn ich?

00:31:46: Marko: Es ist halt kein Aston Martin, es ist halt ein Trabant.

00:31:49: Thomas: Nein, nicht wenn unsere Agenten, ich sag unsere Agenten nicht, wenn die Agenten im Westen unterwegs waren.

00:31:54: Marko: Und da haben wir ihn da, wo wir ihn haben wollten.

00:31:59: Martin: Erwischt, erwischt.

00:32:00: Marko: Nein, ist ja alles gut. Nein, aber es hat natürlich so das Flair der großen, weiten Welt.

00:32:04: Thomas: Das ist erstaunlich, weil es gab auch Kundschafter-Lieder.

00:32:05: Marko: Kundschafter-Lieder? Spionage-, Spion-Lieder.

00:32:12: Thomas: Genau. Und wenn man die hört, dann merkt man, das ist jetzt nicht so vom Esprit der großen weiten Welt geprägt, sondern eher Propaganda. Relativ plump sogar. Das gab es nicht, wenn ich das noch erwähnen darf, nicht nur dieses unsichtbare Visier, diese Filmreihe. Es gab noch einen anderen Film, der hieß 4 Eyes Only...

00:32:34: Martin: Das ist ein englischer Film gewesen, ein amerikanischer.

00:32:36: Thomas: Nein DDR-Film. Normalerweise mochte man ja diese englischen Titel in der DDR nicht. Das war ja der Klassenfeind, die Sprache des Klassenfeindes. Aber in dem hat man das mal gemacht. Das ist eine ganz verrückte Geschichte, die ich jetzt vielleicht gar nicht erzählen muss. Aber da gibt es zumindest als Held einen Herrn Hansen.

00:32:53: Thomas: Herr Hansen, Herr Hansen.

00:32:54: Thomas: Namen haben alle schon mal gehört. Und diesen Herrn Hansen im Film, den gab es auch im richtigen Leben. Nämlich Herr Hansen und seine Frau. Die machen sich 1956 auf den Weg von Ostberlin in die Bundesrepublik.

00:33:08: Marko: Jetzt im Film meinst du oder oder Wo sind wir.

00:33:10: Thomas: Im richtigen Leben.

00:33:11: Marko: Im richtigen Leben? Also Herrn Hansen, dessen Leben da verfilmt worden ist, den gab es.

00:33:14: Thomas: Nur eine Namens-Dopplung, aber die wird gleich, wird gleich spannend, wenn ... die Pointe ist gut. Ein Ehepaar Hansen machte sich Richtung Westen auf. Das machten damals viele. Und diese Familie Hansen, von der ich jetzt rede, die gelangte auf ihrem Weg sogar bis ins Kanzleramt. Nämlich der Herr Hansen wurde persönlicher Referent von Willy Brandt. Der echte Hansen! In dem Film hieß der Agent zufällig - der Kundschaft - auch zufällig Hansen. Und hätte man das damals richtig gesehen, diesen Film, hätte man das natürlich schon viel eher erkennen können, behaupte ich im Nachhinein.

00:33:47: Marko: Der Maulwurf im Büro von Willy Brandt trägt denselben Namen wie ein Filmheld.

00:33:53: Thomas: Richtig.

00:33:54: Marko: Wer war zuerst da? Der Filmheld oder der Maulwurf?

00:33:58: Thomas: Der Filmheld. Aber wahrscheinlich hat sich niemand irgendwas dabei gedacht damals. Oder man ging davon aus, dass Geheimdienstmitarbeiter keine Zeit haben, sich Geheimdienst-Filme anzugucken. Aber als ich mit Markus Wolf darüber geredet habe, hat er sich sofort - und das fand ich schon phänomenal - hat sich sofort an diesen Film erinnert und konnte sich auch 40 Jahre später noch an den Inhalt erinnern.

00:34:20: Marko: Ist ja ganz spannend. Es gibt also einen Herrn Hansen im DDR Film, der ist ein Spion und es gibt einen realen Herrn Hansen. Und dieser reale Herr Hansen ist auch ein Spion, aber er ist noch nicht enttarnt und er sitzt im Büro des späteren Bundeskanzlers Willy Brandt. Richtig zusammengefasst?

00:34:39: Thomas: Das hast du sehr gut zusammengefasst. Und dieser Herr Hansen, der im Kanzleramt als Herr Hansen bekannt war, heißt im richtigen Leben Günter Guillaume.

00:34:50: Marko: Den kennen wir ja auch, also der wird noch eine wichtige Rolle spielen im Leben von Willy Brandt.

00:34:56: Thomas: So ist es. So ist es: Also zumindest im politischen Leben von Willy Brandt. Nämlich, als dann Herr Guillaume enttarnt wird als Mitarbeiter von Markus Wolf. In dem Moment dauert es nicht mehr lange, dass Herr Brandt dann zurücktritt als Kanzler.

00:35:12: Marko: Das wirft natürlich ein Licht auf die Arbeitsweise von einem Herrn Wolf. Dieser Herr Hansen muss ja mit einer unglaublich langen Vorgeschichte in dieses Kanzleramts Büro eingeschleust worden sein. Der kannte Willy Brandt offenbar ja schon, bevor Willy Brandt Bundeskanzler war.

00:35:30: Thomas: Ja, also man hat wahrscheinlich ... Es gibt da in diesem Geheimdienstkreisen den Begriff Perspektiv-Agent, das heißt, man schickt Leute ins Land und hofft, dass die sich Positionen erarbeiten, in denen sie dann zu wichtigen Informationen gelangen.

00:35:47: Martin: Also das war jetzt nicht so geplant, nach dem Motto: Ah, da ist der Willy Brandt, dem setzt man jetzt mal hier einen rein, weil wir wissen, dass der in drei, vier, fünf, sechs Jahren im Bundeskanzleramt sitzen wird oder zumindest Minister ist oder sonst irgendwie so, sondern das ist mehr so Versuch und Irrtum.

00:36:01: Thomas: Ich glaube, das kann man auch gar nicht planen. Das ist eher so eine Art Lottospiel und man führt halt viele Tipps Scheine aus und man hofft, dass einer irgendwie der Hauptgewinn wird.

00:36:09: Thomas: Ja, unter denen haben sie ja dann gehabt den Hauptgewinn.

00:36:11: Thomas: Das weiß man ja gar nicht, weil letzten Endes hat das ja zum Rücktritt von Willy Brandt geführt und das war ja nicht mal beabsichtigt.

00:36:18: Marko: Es war nicht im Interesse der DDR. Nein, das war so eine Art Kollateralschaden. Willy Brandt hat ja eigentlich die Annäherung an den Osten und die Ostverträge vorangebracht. Wollte man ja doch wahrscheinlich nicht, oder.

00:36:29: Thomas: Das war mit Sicherheit nicht Absicht. Man wollte den Brandt ja sogar halten. Das hat man ja sich kurze Zeit vorher sogar darum bemüht. Es gab ja mal, das ist ja eher West Geschichte, das Misstrauensvotum sogar. Und da wollte oder hat sich die DDR oder hat sich Markus Wolf ja quasi bemüht, Willy Brandt im Amt zu halten...

00:36:50: Thomas: 1972 war das - Misstrauensvotum gegen Willy Brandt.

00:36:53: Thomas: 1972 richtig, das weißt du so aus dem Effeff. Ich staune immer wieder, aber es ist richtig. Es gab ja damals konservative Abgeordnete, die eigentlich ja theoretisch Herrn Brandt stürzen sollten. Aber Markus Wolf hat es da geschafft, diejenigen herauszufiltern, die vielleicht knapp bei Kasse waren und durch eine kleine Geldspende haben die dann anders abgestimmt als die konservativen Parteien das wollten. Also es gab zwei Abgeordnete, einen von der CDU und einen von der CSU, wenn ich mich recht entsinne, die dann gegen das Misstrauensvotum gestimmt haben.

00:37:30: Marko: Da hat die DDR alle Devisen zusammengekratzt und hat sich ein paar CDU und CSUler da gekauft. Dreckige Nummer.

00:37:37: Martin: Also auf der einen Seite wollte man Willy Brandt im Amt halten und hat da auch einiges für unternommen. 50.000 Mark war damals ja viel Geld und. Und auf der anderen Seite wollte man aber genau wissen: Was geht denn im Kanzleramt vor? Und dann passierte diese Geschichte Upps, mit mit Günter Guillaume.

00:37:56: Thomas: Vielleicht kann man auch noch sagen, dass nach der friedlichen Revolution Markus Wolf auch einen Brief an Willy Brandt geschrieben hat. So hat er es erzählt, und er hat sich da entschuldigt.

00:38:05: Marko: Ja, ich meine, eigentlich würde man ja sagen, Willy Brandt muss zurücktreten, weil eben genau der Spion auffliegt, den die DDR da hingeschickt hat, nachdem die DDR zuvor versucht hat, mit viel viel viel Devisen CDUler und CSUler zu kaufen, damit Willy Brandt im Amt bleibt. Ein riesen Durcheinander. Aber man merkt, die sind ziemlich nah dran an der deutschen Politik und an der politischen Spitze.

00:38:30: Martin: Gab es da noch andere bei denen die auch so nah dran waren? Oder war Guillaume wirklich der Einzige?

00:38:35: Marko: Oder wissen wir das vielleicht gar nicht?

00:38:37: Thomas: Wie viel? Das wird man wahrscheinlich so ganz genau nie erfahren. Aber der einzige war es auf alle Fälle nicht. Denn Jens Gieseke aus Potsdam hat mir da nämlich noch folgendes Beispiel erzählt.

00:38:48: O-Ton Jens Gieseke: Ein ähnliches Beispiel ist Rainer Rupp, der wohl wichtigste Spion der DDR. Der war dann im NATO Hauptquartier, der ungefähr 1968 angesprochen wurde und dann über acht Jahre nur bis 1976 zunächst als Student aufgebaut wurde, um dann tatsächlich in die NATO Zentrale in Brüssel einzudringen und von dort aus dann seine Spionagetätigkeit zu beginnen. Also das ist etwas, was die DDR Spionage sehr professionell gemacht hat und sie hatte dabei, das ist die Kehrseite, natürlich auch leichte Bedingungen, also leichtere jedenfalls als in die umgekehrte Richtung, weil die offene Gesellschaft der Bundesrepublik und anderer westlicher Gesellschaften es eben leichter machten, dort Wege einzuschlagen, die dann in geheimdienstliche interessante Positionen führten. Das war umgekehrt in der DDR kaum möglich. Die gesamte DDR war als Staat darauf ausgerichtet, Spione, also scheinbare Spione, aber eben auch wirkliche Spione abzuwehren und zu finden. Und das hat sich im Endeffekt auch ausgezahlt.

00:39:49: Martin: Also trotz dieses Hin und Her und dieser Pleite mit Guillaume klingt das schon so, als wäre diese HVA, diese Hauptverwaltung Aufklärung so im Großen und Ganzen schon relativ erfolgreich gewesen, weil, wie du gerade gesagt hast, es auch einfach leichter hatte.

00:40:03: Thomas: Ja, das ist das kann man so sagen und daher kommt auch dieses Image des erfolgreichen Auslandsspionage-Dienstes und dazu würde ich jetzt gerne noch mal Jens Gieseke zitieren - haben wir die Zeit: ja?

00:40:14: O-Ton Jens Gieseke: Also grundsätzlich ist es ja immer sehr schwer, auch selbst im Nachhinein heute mit unserer Akten-Kenntnis die Qualität oder nichtvorhandene Qualität eines Geheimdienstes zu beurteilen. Wenn wir über den Bundesnachrichtendienst der 70er 80er Jahre, also den direkten Konterpart der Staatssicherheit, sprechen, ist es bis heute sehr schwer, sich ein Gesamtbild zu machen. Aber zumindest für die östliche Seite, für das Ministerium für Staatssicherheit und die Hauptverwaltung A, also die Auslandsspionage, können wir uns natürlich heute aufgrund der Akten-Öffnung, bei aller Vernichtungen, die es da gegeben hat, können wir uns ein relativ genaues Bild machen. Und da sehen wir einen Geheimdienst, der extrem ressourcenstark war, also sozusagen aus dem Vollen schöpfen konnte bei dem was er tat, der personalstark war und der ein paar Techniken der geheimdienstlichen Tätigkeit zu nutzen verstand, die sich eben im Gesamtergebnis als doch ziemlich erfolgreich darstellen.

00:41:14: Marko: War das denn, ich sag jetzt mal zu DDR Zeiten, eine riesen Auszeichnung für diesen Geheimdienst zu arbeiten? Bei uns im Westen spricht man da nicht drüber. Also man kann sich auch kaum vorstellen, wie so ein bundesdeutscher Spion ausgesehen hat. Man stellt sich ihn eher langweilig vor, oder?

00:41:30: Martin: Eher so Beamten Typ. Man sagt immer die Schlapphüte aus Pullach und so, um das so ein bisschen spannender zu machen. Aber wahrscheinlich war das meistens relativ öde. Wie war es denn in der DDR? Da kann man ja normalerweise eben nicht so einfach raus.

00:41:47: Thomas: Das ist sehr gut formuliert. Man kam nicht so einfach raus. Aber ich kann mir vorstellen, dass man dann diesen Beruf benutzt, um mal die DDR hinter sich zu lassen und im glitzernden Teil der Welt ein bisschen zu arbeiten.

00:42:03: Marko: Das wäre so eine Motivation gewesen. Genau, man kommt ja in den Westen,.

00:42:05: Thomas: Klar, vom Schreibtisch weg. Das war übrigens bei Markus Wolf auch der Fall. Er wurde ja auch mal vom Schreibtisch weg. Wie das so ist, wenn man so ein großer Spion ist, dann will man auch mal ein bisschen in die große, weite Welt. Und deswegen ist er ja auch mal nach Schweden gefahren. Und das war dann auch irgendwann sein Verhängnis. Ich habe mit Jens Giesecke über diesen Beruf des Geheimdienstes in der DDR gesprochen. Da hat er mir Folgendes noch gesagt:

00:42:26: O-Ton Jens Gieseke: Im Beruf des Geheimdienstlers, insbesondere des Geheimdienstchefs, ist das natürlich angelegt. Also ein Geheimdienst arbeitet so wie die Spionage der DDR natürlich nach außen. Es ging darum, in der Bundesrepublik Spione zu platzieren oder zu gewinnen. Und die sind, wenn man so will, an der Front. Das heißt ja auch in der in der Propaganda Sprache der SED "die unsichtbare Front". Und das ist natürlich ein Leben, was auch propagandistisch oft sozusagen mit James Bond Romantik in Verbindung gebracht wird. Auf jeden Fall mit Abenteuer, mit Gefahr. Und das ist etwas, wo die Führungsoffiziere, die in Ostberlin saßen, natürlich immer in erster Linie aus der Ferne drauf geschaut haben. Nicht immer. Auch Markus Wolf ist, das wissen wir ja, gelegentlich außerhalb der DDR gereist, nach Stockholm zum Beispiel, wo das berühmte Foto entstand, das ihn später mit einem Gesicht versehen hat, wenn man so will. Das ist etwas, sich zwischen der sehr geschlossenen Welt der DDR zu bewegen und gleichzeitig über die Fähigkeiten zu verfügen, als Spion außerhalb der DDR zu agieren, ist sozusagen ein Reiz innerhalb eines solchen Berufes, der natürlich immer wieder eine Rolle spielt.

00:43:36: Martin: Das berühmte Foto, von dem Herr Gieseke da spricht, das ist offensichtlich dieses Foto, was 1979 entstanden ist und was dann die Titelseite des Spiegel zierte...

00:43:48: Marko: DDR Geheimdienstchef enttarnt. Die Spione des Markus Wolf. Und zu sehen ist ein Mann im eleganten Anzug, natürlich mit einer Sonnenbrille bekleidet. Sieht schon cool aus.

00:44:02: Thomas: Also er wollte halt auch mal ein bisschen die große weite Welt sehen und man munkelt, er war ja ein bisschen wie sein Vater, war auch dem weiblichen Geschlecht wohl intensiver zugetan, als man das als Ehemann sein soll, hörte ich. Und da hatte er eine neue Freundin, und der wollte er möglicherweise, so munkelte man, auch ein bisschen was von dem Westen zeigen.

00:44:22: Marko: Die hat er aus dem Osten mitgebracht. Das war keine Schwedin.

00:44:25: Thomas: Die hat er mitgebracht. Nee, so weit ging es dann doch nicht. Die kannte er wohl von hier und da ist er wohl in eine Falle getappt und wurde fotografiert. Und als man dieses Foto einem anderen Menschen vorgelegt hat, den Werner Stiller, der vorher aus der DDR geflohen ist, wusste Werner Stiller natürlich Ach, das ist doch mein Ex Chef.

00:44:45: Marko: Schön blöd. Wir haben jetzt also einen DDR Geheimdienstchef, den alle kennen.

00:44:53: Martin: Der Mann ohne Gesicht bekommt ein Gesicht...

00:44:56: Marko: Wenn auch mit Sonnenbrille und er sieht dabei gut aus.

00:44:58: Thomas: Ja, man wusste das alles über ihn: 1 Meter 90 groß, ist Linkshänder. Damals wohnte er übrigens auf der Berliner Fischerinsel. Mitten im Zentrum, in einem Plattenbau. Und das ist deswegen interessant, weil vielleicht 200 Meter entfernt Luftlinie in der Hausnummer neun wohnte damals Sarah Kirsch. Das war eine recht bekannte Lyrikerin, die aber eher kritisch zur DDR stand und von der Stasi überwacht wurde. Und die hat sich auch gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann engagiert und der Stellvertreter von Erich Mielke, also Markus Wolf, der wohnte dann Luftlinie 200 Mitarbeiter in einem anderen Plattenbau.

00:45:40: Marko: Und wieder können wir nur sagen: Die Welt ist so unglaublich klein.

00:45:44: Thomas: Richtig. Und in der DDR, besonders.

00:45:46: Martin: Wand an Wand, lebten da offensichtlich die Spione und die, die ausspioniert worden sind.

00:45:52: Marko: Wenn ich so auf diesen Markus Wolf gucke, dann sehe ich eigentlich einen recht eleganten Mann. Sein Chef aber, das ist ja dann in der Zeit Erich Mielke. Den kennen wir ja eher so, als würde man ihn beschreiben. Ja, so bürokratischen Langeweiler.

00:46:09: Martin: Ja, und vom Äußeren her auch eher grobschlächtig, würde ich sagen.

00:46:13: Thomas: Nicht nur vom Äußeren her grobschlächtig, auch vom Charakter her. Und Mielke wurde ja auch wegen Mordes verurteilt. Da liegen eigentlich Welten dazwischen. Und das ist, glaube ich, das große Rätsel, wie diese beiden Menschen so lange zusammenarbeiten konnten. Wolf, der große, schlanke, Mielke, der kleine Dicke, der Prolet, der ganz furchtbare Mensch eigentlich. Und die beide sehr, sehr gegenteilig sind. Also Mike, im schlechten Sinne, herrschsüchtig und misstrauisch. Und Wolf, der Intellektuelle.

00:46:48: Martin Was hat denn Wolf von seinem Vorgesetzten gehalten?

00:46:50: Thomas: Nicht so sehr viel. Es gibt ein paar schöne, schöne Sätze. Ihr könnt so schön vorlesen. Wollt ihr das mal machen? Wer kann wer von euch beiden an diesen ewig?

00:46:59: Marko: Wer bin ich es? Wolf oder Mielke?

00:47:01: Martin: Zitat Wolf über Mielke.

00:47:02: Marko: Aha, ich bin Wolf über Mielke. Okay. Er hielt praktisch jeden, der in der Nazizeit in Haft im KZ war und das überlebte, für einen Verräter. Er war höllisch vom Misstrauen zersetzt. Es gab Dossiers gegen Politbüro-Mitglieder, auch gegen Honecker selbst. Ihn akzeptierte er. Mehr allerdings nicht. Honeckers Frau Margot dagegen hasste er. Mielke hatte keinen Geist, der sich in etwas versenken konnte. Er ging voll auf Aktivität, auf Aktionismus. Er verbreitete Hektik und hielt das für Arbeit. Mit dieser lauten Art kaschierte er perfekt, dass er überfordert war. Er war als Leiter ein Schrecknis.

00:47:46: Martin: Da ist ein Zeugnis, was man nicht gerne über sich lesen möchte.

00:47:54: Thomas: Klingt nicht nach enger Freundschaft, würde ich mal so sagen. Und das sind jetzt so diese Unterschiede, die man da schon ahnen kann zwischen Wolf und Mielke. Aber da gibt es ja noch ganz andere Differenzen, und die hat Jens Gieseke so beschrieben.

00:48:09: O-TOn Jens Gieseke: Mielke war Stalinist. Er war einfach überzeugt davon, dass überall Feinde drohten, auch innerhalb der DDR und gerade innerhalb der DDR, und dass die mit härtesten Methoden zu verfolgen sein würden. Wolf war Kommunist, und das macht an diesem Punkt zumindest einen graduellen Unterschied. Wolf hat sich niemals gegen das gestellt, was Mielke getan hat, nach allem, was wir wissen. Es gibt einige sehr zaghafte Protokoll Bemerkungen, etwa 1956, 57, als es um die Entstalinisierung ging. Aber er hat niemals aufbegehrt. Dann wäre er auch vermutlich nicht mehr lange stellvertretender Minister gewesen, wäre seine Position los gewesen.

00:48:46: Thomas: Und im Gegensatz zu Mielke war Wolf natürlich auch kein Stalin Fan.

00:48:51: Marko: Er hat ja auch die Zeit in Russland erlebt unter Stalin.

00:48:53: Thomas: Genau, und ihm war schon klar, was das bedeutet hat. Aber es hat natürlich nicht gereicht, dass er sich so richtig auch öffentlich distanziert. Aber das ist natürlich in der DDR gar nicht so leicht gewesen. Aber er hat über Mielke noch was anderes gesagt im Zusammenhang mit Stalin. Vielleicht können wir das Zitat noch hören.

00:49:12: Marko: Ich lese noch mal: Mielke hat nie einen Hehl aus seinem Pathos für Stalin gemacht, selbst nach dem 20 Parteitag in der Sowjetunion nicht. Und schon gar nicht, als Breschnew wieder recht Stalin-freundliche Zeiten einläutete.

00:49:27: Martin: Breschnjew, das war der Chef der KPdSU in den 70er, 80er Jahren.

00:49:32: Marko: Das Zitat geht weiter: Da ließ er versammelte Mannschaften im Ministerium schallende Hoch und Hurra! Rufe auf Stalin schmettern. Er behandelte hochintelligente Leute wie Fußmatten. Ich habe solche Hurra Schreiereien zwar nie mitgemacht, nie, aber ich bin auch nicht aus dem Saal gerannt.

00:49:50: Marko: Mitläufer, würde man sagen.

00:49:52: Martin: Na ja, also als Geheimdienstchef glaube ich schon ein bisschen mehr als als Mitläufer. Aber er wusste ganz genau, glaube ich, was er sich leisten konnte und was nicht.

00:50:00: Thomas: Das glaube ich auch. Aber ist natürlich schon irgendwie traurig. Man würde dann lieber erzählen, dass er dann da raus ist. Aber das weiß ich nicht. Er hat, er hat mitgemacht, klar. Und ich habe dann auch noch mal mit Jens Gieseke über diese Unterschiede gesprochen und der bringt dann das schöne Bild vom stalinistischen Hausmeister Mielke. Wollen wir uns das noch anhören?

00:50:19: O-Ton Jens Gieseke: Auf der Ebene der Persönlichkeiten ist das ganz deutlich der, wenn Sie so wollen, stalinistische Hausmeister der kommunistischen Revolution. Auf der einen Seite ein gerade in den 80er Jahren auch sehr zur Senilität neigender Minister, der sich an seinen alten Jugenderinnerungen festhielt. wenn Sie so wollen, und den immer noch geistig beweglichen Markus Wolf, der sicherlich in seinem Innersten oft nur den Kopf schütteln konnte, was auch mancher andere Stasimitarbeiter der 80er Jahre vielleicht getan hat. Insofern wird es eigentlich interessanter, wenn man nach der Frage jenseits dieser persönlichen Charaktere und Temperamente fragt. Und da sind sie eben doch zwei Figuren gewesen, die in unterschiedlichen Rollen, aber doch sozusagen im gleichen Apparat, im gleichen System gedient haben.

00:51:06: Martin: Na ja, aber immerhin hat Wolf diesen Erich Mielke ja dann über Jahrzehnte ertragen als seinen Chef. Also wirklich aufgelehnt hat er sich ja nicht.

00:51:14: Thomas: Und genau das ist ja die Frage, die man sich dann stellen kann Warum hat er das über so einen langen Zeitraum ertragen? Es geht ja jetzt nicht um ein paar Wochen, Monate oder zwei, drei Jahre, sondern es geht ja um einen langen Zeitraum. Aber immerhin, es nagte ja an Wolf. Er hat ja im Laufe der Zeit ohnehin immer mehr Zweifel an seiner Arbeit gehabt und hat dann angefangen, sich anderen Projekten zu widmen. 1983 schon hat er seine Versetzung in den Ruhestand beantragt, musste aber drei Jahre lang warten, bis diesem Antrag entsprochen wurde. Und das war ja auch ein bisschen kurios. Mielke war ja 16 Jahre älter als Wolf, und für Mielke war klar, dass er natürlich nie in den Ruhestand geht, wie man das so als SED Funktionär machte. Also als Führungsfigur blieb man in der DDR so lange im Amt, bis man irgendwie gestorben ist in der Regel, Aufhören war keine sozialistische Tugend.

00:52:09: Marko: 86 geht er dann in Rente, auf eigenen Wunsch. Da bleiben ihm noch drei Jahre DDR.

00:52:16: Thomas: Genau. Und die nutzt er, um ein Buch zu schreiben. Eigentlich seine Familiengeschichte. Jetzt kommen wir mal ganz kurz zu Konrad Wolf. Das ist der Bruder, der jüngere Bruder, von dem schon die Rede war. Der war ja Regisseur und Vorsitzender der Akademie der Künste, hat einige Filme gedreht, die in der DDR wichtig waren. Einer davon hieß "Sonnensucher", war verboten, der beschäftigte sich mit dem Uran-Bergbau. Und Konrad Wolf, der jüngere Bruder, der starb 1982, aber er hatte noch ein großes Filmprojekt im Kopf: Die Troika.

00:52:51: Marko: Troika.

00:52:53: Marko: Er hatte Unterlagen gesammelt, die er immer bei sich hatte. Troika, das ist also die Freundschaft, die Geschichte einer Freundschaft zwischen drei jungen Männern in der Moskauer Zeit. Und diese Gedanken, Ideen und Entwürfe von diesem Film erbte jetzt halt Markus Wolf. Er hat überlegt: Was macht er? Einen Film drehen? Ging nicht. Einen Dokumentarfilm wollte er auch nicht. Und deswegen hat er sich für das Buch entschieden. Das Buch nannte er eben diese Troika und es ist die autobiografische Geschichte seines Bruders.

00:53:25: Martin: Das waren keine erfundenen Figuren, sondern es waren reale Figuren, auf die er sich da bezogen hat. Also erst sein Bruder und dann eben Markus Wolf.

00:53:33: Thomas: Ganz reale Figuren, drei Jungen in Moskau. Lothar, der Sohn eines deutschen Kommunisten, der Opfer der stalinistischen Verfolgung wird und im Gulag stirbt, der zieht 1939 zurück nach Deutschland aus Moskau, dem sogenannten Paradies der Arbeiterklasse. Und er kämpft dann als Soldat gegen die Sowjetunion. Dann nimmt George, das ist der Sohn eines amerikanischen Korrespondenten, der mit seinem Vater dann ebenfalls zurückgeht, und der George wird Offizier der amerikanischen Armee, die dann gegen Deutschland kämpft. Und Konrad, also der Bruder, der dann in der Sowjetunion eingebürgert wird und als Mitglied der Roten Armee gegen Deutschland kämpft. Also drei Freunde im echten Leben, die drei sehr unterschiedliche Lebenswege beschreiten, reale Figuren, reale Biografien und die eine ganze Menge über dieses 20. Jahrhundert aussagen.

00:54:31: Marko: Das klingt jetzt erst mal nicht so, als müsste man das unbedingt verbieten. Das Buch - aus DDR Sicht, oder?

00:54:37: Thomas: Für heute klingt das wirklich wenig aufregend, aber wir befinden uns ja Mitte der 80er Jahre oder Anfang 89 in der DDR. Wenn man nämlich diese Biographien erzählt, muss man auch über stalinistische Verbrechen reden und die wurden in der DDR ja wortwörtlich totgeschwiegen. Die Rolle der KPD in den dreißiger Jahren wurde auch immer als eine Heldengeschichte erzählt und Markus Wolf hat nun diese Themen aber ganz anders behandelt, nämlich kritischer als in der offiziellen Geschichtsschreibung. Und er hat eben Fakten erwähnt, die sonst verschwiegen wurden. Und das war das Besondere. Und das hat ihm in dieser Zeit eben auch zum Hoffnungsträger gemacht, weil man merkte, hier ist jetzt jemand, der die offizielle Geschichtsschreibung hinterfragt. Und das ist etwas, was die offizielle DDR gar nicht mochte, wenn ihre Thesen hinterfragt werden.

00:55:27: Martin: Dieses Buch ist dann tatsächlich erschienen. Das ist ja erstaunlich, weil wenn es da um den Stalinismus geht, der in der DDR immer glorifiziert worden ist, dann kann das ja nicht im Interesse der Staatspartei SED und des gesamten Staatsapparates gewesen sein. Also warum durfte er das veröffentlichen?

00:55:44: Thomas: Na ja, Mitte der Achtzigerjahre gab es schon so ein paar Risse und es gab immer mal so eine kleinen, frühlingshaften Phasen in der DDR. Und Markus Wolf als Autor war halt nicht irgendwie ein 0815 Autor, sondern das war halt jemand, den man vielleicht doch nicht so leicht verbieten konnte. Markus Wolf selber hat gesagt: Vielleicht lag es daran, dass sein Chef Erich Mielke das Buch vorher nicht gelesen hat, sonst hätte er es wahrscheinlich auch verboten.

00:56:11: Marko: Aber so wurde er dann zum Hoffnungsträger, weil er dieses kritische Buch geschrieben hat. Das heißt, 1989, als er sich auf den Alexanderplatz gestellt hat und eine Rede hielt, da glaubte er, man würde ihm vielleicht zujubeln, weil er sich so kritisch geäußert hatte, auch schon während der DDR Zeit?

00:56:26: Thomas: Also da muss ich ihn in Schutz nehmen. So naiv war wahrscheinlich nicht, weil er wusste ja, dass seine Biografie mit dem Namen Ministerium für Staatssicherheit verbunden ist. Und das war gerade in keinem guten Ruf 1989 zu Recht. Er war Hoffnungsträger, weil man in der DDR mit manchen Thesen ganz leicht Hoffnungsträger werden konnte. Man musste einfach ein paar Wahrheiten aussprechen, die sonst verschwiegen waren. Und verschwiegen wurden. Aber auf dem Alex spielte das dann schon keine Rolle mehr, weil man sich nicht mit der Geschichte auseinandersetzen wollte in dem Moment, sondern erst mal mit der Gegenwart. Da gab es ja genügend Arbeit und da hat er eben versucht, auch für seine ehemaligen Mitarbeiter etwas Gerechtigkeit einzufordern. Und das kam damals logischerweise überhaupt nicht gut an....

00:57:12: O-Ton Markus Wolf: Hunderttausende Kommunisten, die ehrlich und aktiv gearbeitet haben, erwarten einen klaren Kurs. Viele haben. Schon lange um Lösungen gekämpft. Haben auch weitreichende konzeptionelle Vorschläge für grundlegende Reformen eines erneuerten Sozialismus gemacht. Diese Vorschläge gehören jetzt in den Dialog und an die Öffentlichkeit.

00:58:02: Martin: Pfeifkonzert. Was ist da passiert? Was hat er gesagt, dass er da so ausgepfiffen wird?

00:58:06: Thomas: Na ja, er wusste ja, es ist eine Demo. Es geht um gegenwärtige Veränderungen. Und so eine große Demonstration ist, glaube ich, auch kein Ort der großen Differenzierung. Er wollte jetzt aber schon ein bisschen differenzieren, weil er, glaube ich, nicht alle seiner Mitarbeiter von damals als Verbrecher denunziert sehen wollte, sondern hat sich auch - guter Chef - ein bisschen schützend vor sie gestellt. Und das kam verständlicherweise erstmal nicht so gut an!

00:58:33: Marko: Mit ihm selbst. Wie ging es da weiter? Ich meine, immerhin war er ja mal der Chef all derer, die auch mal die Bundesrepublik ausspioniert haben. Das heißt, es hat ja so einer Siegerjustiz, kann man nicht sagen.

00:58:48: Martin: Aber Spionage ist schon strafbar. Ist Spionage.

00:58:52: Marko: Aber ich meine, wir sind zwei Staaten, wir wurden zusammengeführt, wir haben ja auch ausspioniert. So ist es ja nicht. Aber nicht so erfolgreich haben wir eben drüber gesprochen. Aber so oder so, ihm wurde wahrscheinlich der Prozess gemacht.

00:59:04: Thomas: Es lag ein Haftbefehl gegen ihn vor. Er ging erst mal nach Österreich. Also er ging wieder auf die Flucht, wie schon Anfang der dreißiger Jahre.

00:59:12: Marko: Wieder ins Exil sozusagen.

00:59:15: Thomas: Er hat sich dann aber den deutschen Behörden gestellt und es kam zu einem Prozess in Düsseldorf 1993, und er wurde zu einer 6-jährigen Haftstrafe wegen Landesverrats verurteilt. Das Urteil hatte aber erst mal keinen Bestand, weil das Bundesverfassungsgericht hat nämlich später geurteilt, dass man Spionage eher im Auftrag eines souveränen Staates schon machen kann. Und Wolf hat ja hauptsächlich von Ostberlin aus agiert.

00:59:40: Martin: Also im Prinzip das, was du gerade gesagt, Marko, haben ja alle spioniert und das war ein souveräner Staat, also nicht strafbar.

00:59:47: Thomas: Genau. Es gab dann aber später noch einen zweiten Versuch einer Verurteilung und da wurde er auf zwei Jahre Bewährung verurteilt, wegen Freiheitsberaubung, Nötigung und Körperverletzung.

00:59:57: Marko: Na ja, ich meine, er war immerhin in diesem Stasi Ding mit drin, wenn auch nur in einer Unterabteilung. Und wie viele dieser Stasimitarbeiter wurden später verurteilt?

01:00:05: Thomas: Völlig richtig. Also Wolf war einfach Teil dieses Repressionsapparat des MfS.

01:00:10: Martin: Also da ist er ja dann mit zwei Jahren auch noch auf Bewährung extrem gut weggekommen, denn ich meine, wenn er Chef der Auslandsspionage gewesen ist, es gab dann natürlich auch illegale Tötungen von ausländischen Agenten und ich weiß nicht was alles, davon hat er ja zumindest gewusst, wenn nicht gar es befohlen.

01:00:28: Thomas: Also befohlen wahrscheinlich nicht. Das hätte man ihm sonst vorgehalten, und man hat ihm in der Richtung nichts nachweisen können. Man kann sich da natürlich sehr vieles vorstellen, wovon er wusste. Als stellvertretender Minister weiß man ja, glaube ich, auch ein bisschen mehr, als wenn man da nur ein einfacher Mitarbeiter gewesen ist. Aber das ist jetzt im juristischen Sinne, glaube ich, erst mal wäre das jetzt Spekulation. Das, was man ihm vorwerfen konnte, hat man zur Anklage gebracht und das Urteil fiel halt relativ milde aus.

01:00:56: Marko: Wie hat er selbst auf seine Zeit zurückgeblickt? Hat er sich irgendwelche Vorwürfe selbst gemacht?

01:01:03: Thomas: Vorwürfe nicht. Er hat. Es gibt da so ein paar schöne Zitate, dass er seine Arbeit zuletzt sowieso nicht mehr so richtig gemocht hat.

01:01:11: Marko: Ich hielt unsere Arbeit mehr und mehr für sinnlos. Nicht vom Ansatz oder vom Ziel her. Aber wie die Politik mit den Resultaten unserer Tätigkeit, mit unseren mühsam oft unter Gefahr erarbeiteten Informationen umging, das war deprimierend. Wir sorgten uns um unsere äußere Sicherheit und die Führung ruinierte den Staat von innen her. Ich frage mich mehr und mehr nach dem Verhältnis von Aufwand und Nutzen. Ja, die hielten das für Indianer Spiele, aber es ging um Menschen. Ich nehme an, das schreibt er hinterher, ne.

01:01:48: Thomas: Natürlich, natürlich. Das Zitat stammt übrigens aus einem Interview-Buch, wo ihn ein Kollege interviewt hat und er das alles so nochmal erzählt hat. Und wenn man natürlich diese Zitate jetzt nimmt und an seinem Handeln misst, einerseits hält er seine Arbeit für sinnlos, andererseits machte sie weiter. Na ja.

01:02:07: Martin: Wenn wir jetzt zum Schluss dieser Geschichtsmacher-Folge, uns an einer Bewertung versuchen, der Person Markus Wolf, die ja nun wirklich sehr vielseitig und vielschichtig gewesen ist, wie würde diese Bewertung ausfallen?

01:02:21: Thomas Da gibt es doch ein Zitat Selbst von ihm wollen wir nicht selber zu Wort kommen lassen.

01:02:25: Marko: Da muss ich hier wieder ran.

01:02:27: Thomas: Du kannst es einfach am besten - Marko!

01:02:28: Marko: Marko Wolf: Zur Bilanz zählen gewiss die Teilnahme am Kampf gegen die Hitler- Barbarei und für die Erhaltung des Friedens in Europa nach dem Kriege. Dennoch bleibt der Rückblick bitter. Mit unserem gesellschaftlichen Anliegen sind wir gescheitert.

01:02:45: Martin: Ja, und damit zurück zum Schaschlik.

01:02:47: Marko: Der Rest ist Schaschlik.

01:02:52: Marko: Also wir haben immer noch nicht fertig gekocht. Hast du das, was du da an Ingredienzien da aufgezählt hast, am Anfang dieser Sendung? Hast du das mal auch gekocht?

01:03:02: Thomas: Nee, so verwegen war ich dann doch nicht. Ich. Ich scheitere schon an diesen anderthalb Tonnen oder Kilo Fleisch. Das wäre mir einfach viel zu viel. Aber ich habe das Rezept. Hier und da sind noch viele andere Rezepte enthalten. Und noch ein paar Geschichten und Spuren aus dem Leben von Markus Wolf...

01:03:21: Marko: Es ist das Kochbuch, was er selbst geschrieben hat.

01:03:21: Thomas: Genau: Geheimnisse der russischen Küche. Ich weiß gerade gar nicht, ob das im Moment so begehrenswert ist, aber ich habe es da, das ist schon in den 90er.

01:03:31: Marko: Warum soll das nicht begehrenswert sein? Ein gutes Schaschlik?

01:03:35: Thomas: Ja, russische Küche. Es hat, glaube ich, gerade keinen ganz so guten Ruf. Aber man kann es ja trotzdem mal probieren. Es gibt ja auch noch den russischen Käsekuchen. Das Rezept steht aber nicht hier drin.

01:03:45: Marko: Und ich finde, ein Schaschlik kann nichts für den Krieg in der Ukraine.

01:03:50: Martin: Und weil das so ist, werden wir dieses Buch von Markus Wolf geschrieben, von Thomas Klug gekauft und an uns weitergereicht wiederum weiterreichen an denjenigen, diejenige, der, die uns schreibt und dieses Buch einfordert.

01:04:08: Marko: Ja, man muss es einfordern. Man muss es wollen. Man muss es wollen. Man muss es wollen.

01:04:12: Martin: Dann schreibt Kochen mit Markus Wolf schreibt uns...

01:04:15: Marko: an: www die Geschichtsmacher.de

01:04:17: Thomas: Wir sollten aber sagen, es gibt nur ein Exemplar davon. Nicht, wenn da nicht diese Wäschekörbe mit Post kommen. Nur einer - also es wird verlost, würde ich vorschlagen.

01:04:25: Marko: Ja, natürlich. Aber nur einer kriegt dieses begehrenswerte Buch, das auch dir schon als Recherche Grundlage für dein Zeitzeichen diente.

01:04:33: Thomas: Das hast du sehr schön formuliert. Ja.

01:04:34: Marko: Genau - so ist Thomas Klug: Wie der Name schon sagt.

01:04:37: Martin: Jawohl. Herzlichen Dank an Thomas Klug in Berlin. Das waren die Geschichtsmacher für heute. Für uns gilt - wie immer: Wenn es euch gefallen hat, dann sagt es Freunden, Bekannten, Verwandten und allen, die ihr mögt.

01:04:51: Marko: Und wenn es euch nicht gefallen habt, dann sagt es uns. Aber bitte nur uns. Und wir haben es eben schon gesagt. www.DieGeschichtsmacher.de.

01:05:01: Martin: Bis zum nächsten Mal in 14 Tagen gibt es eine neue Geschichsmacher-Folge. Wir sagen Tschüss...

01:05:06: Marko: Und Danke noch mal nach Berlin. Tschüss, Thomas.

01:05:09: Thomas: Tschüss.

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