GSG 9: Die "Djangos" vom Bundesgrenzschutz

Shownotes

Im zweiten Teil der GSG-9-Geschichte beleuchten Marko Rösseler und Martin Herzog die ersten Jahre der Spezialeinheit - Jahre, in denen die Beamten viel üben, aber kaum Einsätze haben. Als "Trainingsweltmeister" werden sie deshalb geschmäht, und als "Djangos", wegen ihres oft cowboyhaften Auftretens. Die Feuerprobe steht noch aus.

Nach den blutigen Olympischen Spielen 1972 in München mit 17 Toten boxt Innenminister Genscher innerhalb weniger Wochen die Gründung einer Polizei-Spezialeinheit durch: Die Grenzschutzgruppe 9 soll Terror bekämpfen und dafür nicht nur hervorragend trainiert sondern auch ausgerüstet sein. Aber was heißt das? Und warum geht Terror-Bekämpfung nicht mit Krawatte und besser mit Barett als mit Schirmmütze?

All dies weiß Martin Herzog, denn er hat nicht nur mehrere WDR-Zeitzeichen zur GSG 9 produziert, sondern ein ganzes Buch: "GSG 9 - Ein Deutscher Mythos". Natürlich könnt ihr ihm auch zuhören, denn das Oeuvre gibt es auch als Hörbuch.

In dieser Folge kommen außerdem zwei GSG-9-Beamte der ersten Stunde zu Wort, Dieter Fox und Dieter Tutter, sowie der Gründer einer israelischen Spezialeinheit, Reuven Caspy, und schließlich postum der einstige Innenminister Hans-Dietrich Genscher, der die Gründung der ersten deutschen Spezialeinheit zur Terrorismusbekämpfung maßgeblich vorangetrieben hat.

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Weitere Links zur Geschichte der GSG 9:

Martin Herzog: GSG 9 - Ein Deutscher Mythos, erschienen beim Ch. Links Verlag, Berlin 2022

Hörbuch Martin Herzog: GSG 9 - Ein Deutscher Mythos Auszug auf Youtube:

Martin Herzog in der Hörfunk-Sendung Redezeit auf WDR 5: Was bleibt vom Mythos GSG 9?

Transkript anzeigen

GM GSG 9 - Teil 2 (gekürzt).mp3

00:00:01: Django Sehr unklug von euch, so albern zu lachen. (Schießerei)

00:00:08: Martin Ja, das geht ganz schnell. Weißt du, wer das war?

00:00:10: Marko Das war Djangooooo....

00:00:14: Martin Western-Held der 60er Jahre.

00:00:16: Marko Und was hat das mit dem heutigen Thema zu tun?

00:00:18: Martin Das hat mit dem heutigen Thema schlicht und ergreifend zu tun, dass diese Truppe, diese GSG9, die damals gegründet worden ist, Anfang der 70er Jahre als Djangos verschrien waren, und zwar beim Bundesgrenzschutz, also bei ihren eigenen Leuten, hatten die so einen Ruf.

00:00:32: Marko Dass die immer so einen Sarg hinter sich her ziehen... Mit Maschinenpistole...

00:00:36: Martin Das nicht. Aber eher, dass sie den Colt eben sehr tief hängen haben und sehr schnell damit bei der Sache sind? Da hatten sie einen entsprechenden Ruf und der war nicht ganz unbegründet, wie wir heute herausfinden werden.

00:00:54: Intro Die Geschichtsmacher. Von den Autorinnen und Autoren des Zeitzeichens.

00:01:11: Marko Herzlich willkommen bei die Geschichtsmacher.

00:01:14: Martin Mit Marko Rösseler.

00:01:15: Marko Und Martin Herzog, der ein Buch geschrieben hat über die GSG9 mit dem wunderbaren Titel Ein deutscher Mythos. Wenn ihr bis zum Ende durchhaltet, könnt ihr wieder mal ein Exemplar gewinnen, wenn ihr uns - das ist die Voraussetzung - auf Steady unterstützt.

00:01:30: Martin Und das könnt ihr tun unter der Adresse www.diegeschichtsmacher.de Da freuen wir uns, wenn ihr erstens vorbeischaut, zweitens einen Kommentar hinterlasst und drittens am besten eine Mitgliedschaft abschließt, die uns dann unterstützt und uns ermöglicht, diese wunderbare Serie weiterhin fortzusetzen.

00:01:49: Marko So aber jetzt ins Thema Heute GSG9, die Gründung und die ersten Jahre des Aufbaus. Darüber reden wir heute, nachdem wir beim vorigen Mal über 1972 und die Olympischen Spiele in München gesprochen haben, die in einem Desaster endeten...

00:02:04: Martin Mit 17 Toten...

00:02:07: Marko Mit 17 Toten und dem Entschluss: So kann es nicht weitergehen. Deutschland braucht eine Spezialeinheit gegen terroristische Angriffe und gegen Geiselnahmen.

00:02:16: Martin So ist es. Hans Dietrich Genscher ist damals ziemlich traumatisiert zurückgekommen nach Bonn.

00:02:21: Marko ...der damalige Innenminister, muss man sagen...

00:02:23: Martin Der war damals Innenminister, ja, genau, man vergisst das immer. Der war natürlich lange, lange Zeit Außenminister. Aber davor war er eben auch vier Jahre lang Innenminister und hat dieses Drama in München hautnah erlebt.

00:02:36: Marko Die Kugeln sind rechts und links neben ihm eingeschlagen.

00:02:38: Martin Und er hatte sich vorher als Geisel angeboten, mit den Geiselnehmern verhandelt. Also viel näher konnte man nicht dran sein. Und er war wirklich erschüttert, als er nach Bonn zurückgekommen ist, und hat dann mit seinem Sicherheitsberater Ulrich Wegener überlegt.

00:02:54: Marko Der auch dabei war...

00:02:55: Martin Was machen wir denn da? Ulrich Wegener hat neben Genscher im Tower in Fürstenfeldbruck gelegen und musste hilflos mitansehen, wie die israelischen Geiseln ermordet worden sind. Und anschließend haben die beiden sich darauf verständigt, dass etwas passieren musste und dass es eine solche Spezialeinheit braucht, damit Deutschland in Zukunft mit solchen Situationen umgehen kann, dass man mit solchen Lagen fertig wird. Und so sind die beiden nach Bonn zurückgekehrt und haben dann überlegt: Okay, wie setzen wir das ins Werk? Eine Woche später, am 13. September 72, gab es eine Innenministerkonferenz von Bund und Ländern. Polizei, das wissen wir, ist Ländersache. Da haben die Länder ihren Daumen drauf und bestehen darauf, dass das ihr Beritt ist und ihr Hoheitsrecht. Und deswegen war das natürlich eine etwas schwierige Sache. Als Genscher dann in diese Konferenz reingegangen ist und hat gesagt, wir werden eine Polizeitruppe des Bundes gründen, die mit solchen Attentaten dann umgeht, und...

00:04:01: Marko Damals in München waren ja Leute vom Bundesgrenzschutz dabei. Das ist ja auch letztendlich eine Polizei Einheit die bundesweit an den Grenzen agiert.

00:04:10: Martin Richtig.

00:04:11: Marko Da sollten die Leute für diesen - wie auch immer zu nennenden Verband - da sollten die herkommen.

00:04:16: Martin Ja, es nannte sich damals eben Bundesgrenzschutz und es war deklariert als eine Polizei des Bundes. Dazu muss man aber sagen, das war so eine paramilitärische Truppe, also die waren so halb Militär, halb Polizei.

00:04:33: Marko Eher Vorläufer der Bundeswehr.

00:04:35: Martin Sie waren ganz ursprünglich der Vorläufer der Bundeswehr. Da sind dann, als die Bundeswehr gegründet worden ist, sind auch sehr, sehr viele Offiziere dann zur Bundeswehr gewechselt. Und der Bundesgrenzschutz hatte dann eben, so sagt es der Name, die Aufgabe, an der Grenze dafür zu sorgen, dass die Grenze gesichert ist. Und die hatten eben auch schweres Gerät, die hatten Panzerwagen, die hatten Mörser, die hatten Maschinengewehre und waren auch - und das ging übrigens bis in die 90er Jahre - im Kriegsfall als Kombattanten eingestuft. Also insofern hatten die da so eine Zwitter-Stellung. Da sollte diese Truppe angesiedelt werden. Das ist von den Innenministern der Länder dann tatsächlich abgenickt worden bei dieser Konferenz.

00:05:15: Marko Wahrscheinlich vor dem Hintergrund dieser schrecklichen Ereignisse in München.

00:05:19: Martin Ja, davon ist auszugehen. Das war ja nun wirklich erst ein paar Tage her und dann hat er diese Einheit innerhalb von zwei weiteren Wochen ins Werk gesetzt, finanziell ausgestattet. Das ist dann durch den Bundestag noch gegangen, durch die entsprechenden Ausschüsse. Und Ende September 1972 hat er dann diesen Verband ins Leben gerufen.

00:05:39: Hans-Dietrich Genscher Für mich ging es immer darum, die innere Sicherheit sicherzustellen, ohne die Freiheit einschränkende Gesetze zu machen. Und deshalb der Entschluss, unterstützt übrigens von allen Parteien, Regierungs- und Oppositionsparteien, eine Spezialeinheit des Bundesgrenzschutzes zu bilden, die mit allen rechtsstaatlichen Mitteln in der Lage war, auch solchen Herausforderungen zu begegnen.

00:06:01: Marko Also offenbar gab es gar keine Widerstände.

00:06:03: Martin Nein, das ist komplett so durchgewunken worden. Genscher hat dann noch die Länderkollegen dazu ermuntert, selbst solche Spezialeinheiten auch aufzustellen. Das haben die dann auch gemacht. Erste Ansätze waren da. Und daraus sind dann die heute bekannten Spezialeinsatzkommandos der Länder geworden. SEK, MEK, Mobiles Einsatzkommando, und so weiter. Die sind alle da entstanden. Das hat aber relativ lange gedauert, während Genscher wirklich vorgeprescht ist und da wirklich Druck gemacht hat, dass diese Bundes-Spezialeinheit schnell aufgestellt wird.

00:06:38: Marko Nun sind wir beide ja im selben Jahr geboren, nämlich 1972. Wir haben die Polizei als freundliche Menschen kennengelernt, die einem über die Straße helfen, die nett zu einem sind. Wir hatten so ein Verkehrspolizist.

00:06:51: Martin In der Grundschule.

00:06:53: Marko Der war eigentlich netter Mann, der war eigentlich eher so der Sozialarbeiter. Das würde ich jetzt mal so nennen. Aber das ist sozusagen die andere Seite der Polizei, die wird jetzt auch etabliert.

00:07:02: Martin Ja, und das ist tatsächlich auch gegen den Trend der Zeit gewesen. Also du hast das völlig richtig gesagt. Eigentlich war zu der Zeit, Anfang oder Mitte der 70er Jahre, Ende der 70er Jahre ging es eigentlich darum, den Polizisten als ich sage mal, bewaffneten Sozialarbeiter zu etablieren. Das ist jetzt ein bisschen zugespitzt, aber so ungefähr stimmt das schon. Man wollte weg von diesem obrigkeitsstaatlichen Polizisten, und man wollte einen Polizisten auf Augenhöhe haben, möglichst auch ohne Bewaffnung. Da war das Vorbild der Bobby in England, der ja auch ohne Bewaffnung auskommt. Der hat also maximal einen Schlagstock.

00:07:42: Marko Ach, der hat gar keine Pistole?

00:07:43: Martin Der hat - heute sieht das auch wieder anders aus - aber damals war das eben so, das war eine uniformierte Autoritätsperson, aber es war eben der freundliche Bobby an der Ecke und das war so das Vorbild auch für die deutsche Polizei. Man wollte Leute haben, vor denen der Bürger keine Angst mehr haben muss.

00:08:01: Marko Und jetzt kommt so eine martialische Truppe.

00:08:03: Martin Und jetzt kommt so eine Truppe, genau eine Spezialeinheit, die mit Terroristen umgehen muss. So eine wirklich robuste Truppe, die passte nicht wirklich in den Zeitgeist.

00:08:12: Marko Die brauchte auch mehr als einen Schlagstock.

00:08:14: Martin Genau richtig. Ja. Drei Wochen nach diesem Olympia Attentat gab es einen Schnell-Brief von Innenminister Genscher an die Standorte des Bundesgrenzschutzes. Und da wurde aufgerufen dazu, dass Freiwillige sich melden sollten. Das war am 26.09.1972 und das ist im Prinzip das inoffizielle Gründungsdatum der GSG9. Und wenn du magst, Marko, dann kannst du mal diesen Schnell-Brief oder sagen wir mal Auszüge daraus mal vorlesen.

00:08:47: Marko Das fängt ja schon an, das verstehe ich ja schon gar nicht. VS Ja.

00:08:50: Martin Verschlusssache.

00:08:52: Marko Verschlusssache nur für den Dienstgebrauch. Betrifft: Aufstellung einer Bundesgrenzschutz- Einheit für besondere polizeiliche Einsätze GSG9. Warum heißt es GSG9?

00:09:05: Martin Es gab Grenzschutz-Gruppen 1 bis 7 und die 8, das war die Helikopter Truppe, also der Hubschrauber-Verband. Und die 9 war die nächste in der Reihe.

00:09:18: Marko War noch frei.

00:09:19: Martin Grenzschutz-Gruppe 9.

00:09:20: Marko Okay also Aufstellung einer Bundesgrenzschutz-Einheit für besondere polizeiliche Einsätze GSG9 zur Bekämpfung bandenmäßig begangene Verbrechen zum Beispiel Flugzeugentführung, Sprengstoffanschlägen, Verbrechen unter Geiselnahme usw wird aus allen Kommando-Bereichen die GSG9 aufgestellt. Mit der Aufstellung und Führung der GSG9 ist OTL Wegener.

00:09:43: Martin Ja Oberstleutnant.

00:09:45: Marko Ahh. BMI beauftragt worden.

00:09:49: Martin BMI Bundesministerium des Inneren. Also wenn man schon bei so einer Behörde arbeitet, dann muss man sich mit den Abkürzungen auskennen.

00:09:56: Marko Was hast du gemacht? Hast Dich eingearbeitet.

00:09:58: Martin Ja nur. Gehört dazu.

00:09:59: Marko OTL, BMI, GSG - toll. Die vorgenannte Einheit soll sich ausschließlich aus freiwilligen Polizei- Vollzugsbeamten zusammensetzen. Aufgrund freiwilliger Meldungen wählen die Kommandeure diejenigen Polizei-Vollzugsbeamten im BGS aus, die einsatzbereit, charakterfest, berufserfahren, besonnen, zu selbständigem Handeln befähigt, jedoch einordnungsbereit sind sowie überdurchschnittliche geistige Voraussetzungen und körperliche Leistungsfähigkeit erbringen.

00:10:36: Martin Oh ja, schon ganz schöne Anforderungen.

00:10:38: Marko Allerdings. Na gut. Der Kommandeur der GSG9 wird die Auswahl aus den gemeldeten Beamten in dem jeweiligen Kommando-Bereich unmittelbar vornehmen.

00:10:47: Martin So sieht es aus.

00:10:48: Marko Mit freundlichen Grüßen steht hier nicht. Aber das heißt die machen sich jetzt erst mal auf auf Anwärter-Suche. Wer kommt denn da in Frage? Die schnellsten, tollsten, besten, intelligentesten, durchtriebensten, ja, alle Haudegen der Nation.

00:11:03: Martin Also zunächst mal die, die sich freiwillig melden. Dieser Schnell-Brief ist an alle Standorte verschickt worden und an alle Grenzschutz-Einheiten und unter anderem auch an den Standort Kassel. Und da hat ein gewisser Dieter Tutter Dienst versehen. Den kennen wir auch aus der letzten Folge. Da war er im Ordnungsdienst eingesetzt in München...

00:11:24: Marko ...hatte eine lächerliche Uniform an...

00:11:28: Martin Genau, richtig. Und der war jetzt wieder zurück in Kassel und hat eben auch diesen Brief gesehen.

00:11:32: Dieter Tutter Als ich das gelesen habe. Ich hab mich sofort gemeldet. Bin rein zu meinem Oberst, habe mich gemeldet, habe ihm das gesagt und dann ging es los. Sie sind verrückt, total. Ich habe sie doch gerade zum Hauptmann eingereicht. Und das ist ein Quatsch. Das wird nichts. Ich kenne diesen Wegener. Das ist ein Spinner. Ich kannte diesen Wegener nicht, aber für mich war das ne Idee. Das muss. Da muss was geschehen. Und deswegen bin ich da hingegangen und er hat mich nicht halten können. Ich habe mich abgemeldet und bin dann nach Sankt Augustin, das ich nicht kannte, in die Pionier-Kaserne rüber. Da habe ich den Herrn Wegener vorgefunden, habe mich dort gemeldet, vorgestellt und einen Lehrgangs-Kameraden von mir, den inzwischen auch verstorbenen Hauptkommissar Baum.

00:12:19: Martin Ja, und dann waren die da erst mal zu dritt. Dann gab es noch jemanden, der den Innendienst geleitet hat, also waren sie zu viert.

00:12:25: Marko Also so viele Bewerber gab es offensichtlich nicht.

00:12:27: Martin Das war ein paar Tage danach. Das war wirklich - der Tutter hat sich abgemeldet, ist da hingefahren und war dann mehr oder weniger der erste, der in Sankt Augustin in diese leere Kaserne gekommen ist. Und dann haben die zu dritt, zu viert angefangen, diese GSG9 aufzubauen.

00:12:44: Marko Mit einem von seinem Vorgesetzten zuvor als Spinner titulierten Wegener. War der ein Spinner, oder?

00:12:52: Martin Also ich glaube man muss sich diesen BGS halt als einen sehr... als einen Beamtenapparat vorstellen, wo sehr, sehr stark auf Hierarchie geachtet wird und wo Leute, die unkonventionell denken, eben als Spinner gelten. Und Wegener hat unkonventionell gedacht. Allein diese Idee einer Spezialeinheit war damals beim Bundesgrenzschutz, war damals schon extrem exotisch und deswegen galt er als bunter Vogel. Dann war der auch noch direkt mit Genscher verbandelt, in dem er da der Verbindungsoffizier war und direkt immer am Ohr des Innenministers hing und das machte den auch schon verdächtig.

00:13:34: Marko Dann waren die neidisch.

00:13:36: Martin Ja, also da ist eine Menge Neid mit im Spiel gewesen. Und dann kam noch dazu, dass eben die Grenzschutz-Gruppe 9 letztendlich organisatorisch auf der gleichen Ebene sich abspielte wie andere Grenzschutz-Gruppen. Und für diese Grenzschutz-Gruppe 9, für diese Spezialeinheit waren 170, 180 Mann vorgesehen. Die anderen, da dienten dann teilweise 2000, teilweise 3000 Polizisten. Und jetzt hatte Wegener mit dieser kleinen Truppe, mit dieser Kommando Einheit, die da aufgestellt werden sollte, im Prinzip gleiche Rechte und gleiche Pflichten wie Leute, die viel größere Einheiten kommandiert haben.

00:14:16: Marko Bekamen auch dasselbe Geld?

00:14:17: Martin Bekamen halt: gleicher Status, gleiches Geld, direkter Zugang zu Genschers Ohr. Also da war eine Menge Platz für Neid. Und dann gab es ja auch noch sehr viel Aufmerksamkeit für diese Truppe und viel Geld, denn es wurden erst mal 6 Millionen zum Aufbau dieser 6 Millionen DM Mark damals, zum Aufbau dieser.

00:14:37: Marko Was ein Verbmögen war...

00:14:38: Martin Das war viel Geld und es hat ganz schnell nicht gereicht. Weswegen am Ende dann, ein Jahr später schon, von 16 Millionen D-Mark die Rede war und...

00:14:48: Marko Das heißt teuer eingekauft?

00:14:51: Martin Die haben teuer eingekauft, und zwar nur vom Besten, was es so.

00:14:53: Marko Was haben die sich denn so geholt?

00:14:56: Martin Am Anfang wussten die noch gar nicht, was sie genau brauchen würden. Also sie wußten, dass sie spezielle Ausrüstung brauchen würden, spezielle Waffen brauchen würden. Aber was so genau? Das mußten die sich erst mal überlegen. Und die Anfänge waren auch sehr spartanisch und ich würde mal sagen sehr hemdsärmelig haben diese vier angefangen, ja vor sich hin zu doktern und zu schauen, was sie denn jetzt eigentlich machen müssen.

00:15:24: Dieter Tutter Wir haben zunächst einmal einen kleinen ausgeräumten Block mit dem Notwendigsten versehen, Schreibtische rein geschleppt, alle möglichen Schreibgeräte besorgt und fingen an zu planen und haben uns überlegt, was wir alles machen. Es gab für uns im BGS kein Vorbild. Es gab keine vernünftige Einstellungs-Prüfung. Wir wußten nicht genau, was wir von den verlangen dürfen oder müssen oder so. Alles das haben wir uns selbst geschaffen. Wir haben nichts, was der BGS hat, was wir gelernt haben, was wir als Ausrüstung und Bekleidung bekommen haben, auf einen Prüfstand gesetzt und haben gesagt: Ist es das, was wir brauchen? Und kamen zur Erkenntnis: Eigentlich brauchen wir von dem allen nichts. Das fing schon an bei dem, was wir tragen. Schirmmütze - unmöglich, weg. Krawatte? Da würgen sie dich damit? Wozu überhaupt ein Hemdkragen? Kann man da nicht einen Pulli haben im Winter und im Sommer ein T-Shirt? Und die Stiefel? Doch keine Knobelbecher. Knobelbecher, Halbschuhe, lange Hose. Alles weg. Wir haben das komplett auf den Kopf gestellt und haben die gesamte. Das fing bei den Socken an und hörte beim Barett auf.

00:16:38: Marko Na toll, jetzt stehen die alle nackt da.

00:16:41: Martin Nicht ganz. Sie haben ja dann sich was anderes überlegt. Also von den Socken eben bis zum Barett hoch. Und das war für den doch sehr konventionell eingestellten Bundesgrenzschutz also fast schon eine Revolution, dass die jetzt plötzlich da ankamen und wollten Barette auf dem Kopf tragen, das hat man nämlich damals nicht gemacht.

00:17:01: Marko Barett - das muss man vielleicht nochn mal erklären, das ist wie so ein Schirmmützenchen, ne.

00:17:06: Martin Ne, keine Schirmmütze, sondern das ist so eine wie diese Franzosen-Mütze. Wie heißt die denn? Das, was man dem typischen Franzosen zuschreibt.

00:17:13: Marko Ah, ja, so eine Baskenmütze, so.

00:17:14: Martin Eine Baskenmütze, ein bisschen anders geformt, aber eben keinen Schirm dran. Und das war eine Revolution, die die GSG9 da eingeführt hat. Man glaubt es nicht, dass solche, ich sage mal eher modischen Fragen dann so eine große Rolle spielen. Hat es aber...

00:17:32: Marko Was ist denn besser an einer Baskenmütze als einer Schirmmütze?

00:17:34: Martin Ja, da ist ein Barett. So ein Barett hält auf dem Kopf. Also die hatten Berg-Mützen, das waren Dinger, die kannst du auf den Kopf setzen. Und wenn du dich damit aber bewegst und anfängst zu rennen oder muss dich irgendwo hin werfen, dann fällt dir das vom Kopf runter. Und dieses und dieses Barett: Man kann damit einen Handstand machen oder ein Überschlag, Flicflac und das Ding bleibt trotzdem auf dem Kopf. Und deswegen wollten die das unbedingt haben. Der Wegener ist auf die Idee gekommen, weil er das in Israel gesehen hat. Dieses Barett hat er aus Israel mitgebracht. Dahin ist er nämlich gereist, nachdem er von Genscher den Auftrag bekommen hat, eine solche Einheit zu bilden.

00:18:12: Marko Und wir erinnern uns: In Folge eins ging es auch darum, eine Spezialeinheit aus Israel zur Befreiung der Geiseln 1972 im Olympiastadion, im Olympiapark zu rufen. Die ist aber nicht angekommen. Aber diese berühmte Gruppe besucht der jetzt?

00:18:28: Martin Richtig, das war das Sajeret Matkal, eine berühmt und - muss man sagen - auch berüchtigte Spezialeinheit der Israelis.

00:18:36: Marko Sajeret Matkal?

00:18:37: Marko Richtig.

00:18:37: Marko Was heißt denn das?

00:18:38: Martin Das sind die Kundschafter der Generalität, wenn ich das richtig im Kopf habe. Das ist die Übersetzung. Kundschafter der Generalität, also eine Militäreinheit und eine der ganz wenigen Spezialeinheiten, die es überhaupt damals gab, die spezialisiert waren auf Geiselbefreiung. Und da ist Wegner hingefahren. Er hatte dann eben durch diese Geschichte in München Kontakte zu den Geheimdiensten geknüpft und eben zu dieser Spezialgruppe und hat dann von Genscher die Erlaubnis bekommen, nach Israel zu fliegen, um zu schauen, wie die Israelis das machen und worauf es ankommt, wenn man eine solche Spezial-Einsatzgruppe gründen will. Die Beziehungen zu Israel waren damals extrem heikel. Nach dieser Geschichte von München bei den Olympischen Spielen waren die diplomatischen Beziehungen sehr, sehr fragil. Und es kam noch hinzu, dass am Tag als Wegener nach Israel geflogen ist, eine Maschine entführt worden ist von palästinensischen Terroristen. Und die haben dann durchgesetzt, dass Deutschland die beiden überlebenden Attentäter von München freigelassen und ausgeflogen werden, ohne Rücksprache mit Israel. Und da waren die Israelis überhaupt nicht begeistert davon natürlich, dass Deutschland sofort gesagt hat okay, okay, okay, die beiden Terroristen, die überlebt haben, die fliegen wir aus.

00:20:02: Marko Die sind dann freigekommen?

00:20:03: Martin Die sind freigekommen. Und zwar an dem Tag, an dem Wegener nach Israel geflogen ist. Entsprechend unterkühlt war da auch erst mal der Empfang für Wegener. Aber offensichtlich hat er da so viel Eindruck gemacht bei den Leuten, die mit ihm dort zu tun hatten, dass er sehr, sehr viel gezeigt bekommen hat, dass er auch Freundschaften geschlossen hat über diese zwei Wochen, die er da gewesen ist mit vielen Leuten, unter anderem eben auch mit Ehud Barak, dem Leiter dieser Spezialeinheit der israelischen und späteren Ministerpräsidenten, und auch mit Reuven Caspy. Das ist ein Mann, der in den 70er Jahren ebenfalls eine Spezialeinheit in Israel aufgebaut hat. Mit dem ist er im engen Kontakt gewesen und bis zu seinem Tod befreundet gewesen.

00:20:51: Marko Ein Israeli.

00:20:52: Martin Und mit dem hatte ich auch Gelegenheit zu sprechen.

00:20:55: Reuven Caspy Bevore Wegener come, I get the order from the chief of staff to open everything for the German unit to build up. Because we remember what happened in the Olympic Games, and we understand Gemran government has a problem and we have the same enemy. So the first time I meet him in Israel, he came, he want to learn everything, he want to see everything. And I show him how to take over a high-level-building and how to take over a hotel, theatres, movie-hall and trains and ship, everything. We open alles, alles. I´m also build-up in a few, in a few countries, some unit. But the Israeli government in this time don´t open like to the German government, everything. With basic training, that´s all. Basic training. But not more. Not like GSG9. We gave him alles.

00:22:02: Marko Die haben ihm alles gegeben.

00:22:04: Martin Das betont er, hat er immer wieder gesagt. Alles - auf Deutsch. Ja, ja.

00:22:09: Marko Offenbar hatte der Wegener - war ein kleiner Menschenfänger.

00:22:13: Martin Das ist etwas, was mir alle Leute gesagt haben, die ihn kennengelernt haben, mit denen ich gesprochen habe. Er hat eben dieses berühmte - man weiß nicht genau, was es ist - aber dieses Charisma offensichtlich gehabt. Und er war in der Lage, mit jedem direkt auf Augenhöhe zu sprechen, sodass sie ihm eben alles gegeben haben.

00:22:31: Reuven Caspy He is a German - but Israeli charakter. It was easy to contact with him. I am Israeli, but I have a German character. I am on the time all the time. Wegener, when he came to Israel, he understands the Israelis: You can take the way to the right, than to the left, not must go straigth. You know, it´s good, because You learn to move around everything, you know, not blocked.

00:23:02: Martin Also, das hat ihn offensichtlich besonders beeindruckt, eben dieser offene Geist. Und mit Reuven Caspy verband Wegner eine lebenslange Freundschaft. Und irgendwie hat das geklickt zwischen den beiden. Ebenso auch mit Ehud Barak. Und der wiederum beschreibt sehr schön, was es auf sich hat mit diesem flexiblen Charakter, von dem Caspy gerade gesprochen hat. Vielleicht magst du das mal vorlesen, Marko.

00:23:25: Marko Ich bin jetzt Ehud Barak. Ehud Barak, der spätere Ministerpräsident des Staates Israel, damals aber noch Leiter dieser Spezialeinheit...

00:23:34: Martin Richtig?

00:23:36: Marko Okay. Eine Spezialeinheit im Einsatz arbeitet mit offenem Geist. Das hat, glaube ich, Kommandeur Wegener auf den ersten Blick verstanden. Als er die israelische Vorgehensweise sah, verstand er sofort, dass das keine Kleinigkeit ist. Das kann man nicht von einer Kultur auf die andere übertragen. In Israel ist man allgemein sehr viel weniger organisiert als in Deutschland. Sogar in der deutschen Spezialeinheit läuft alles deutlich formalistischer ab als hier. Aber Wegener verstand, ohne dass man ihn darauf hinweisen musste, die Bedeutung von freiem Verstand und unabhängigem Geist. Man kann nicht diktieren, wie man etwas zu tun hat. Niemals. Jeder Einsatz einer Spezialeinheit verläuft ab der ersten Minute nicht mehr nach Plan. Aha. Interessant. Der Plan. Es gibt keinen Plan.

00:24:28: Martin Nein, nein. Das heißt nicht, keinen Plan zu haben, sondern sich flexibel zu zeigen und nicht mit dem Kopf durch die Wand zu wollen und unbedingt den Plan, so wie er vorgeschrieben ist, umzusetzen, sondern je nach Situation sich anzupassen. Und das ist das, was Barack hier sagt. Es ist immer so, dass es irgendwie anders kommt und dann muss man sich anpassen und diese Fähigkeit muss man haben.

00:24:55: Marko Also Sie müssen jetzt irgendwie umdenken. Nicht Befehl ist Befehl, sondern Befehl ist - Ja, was denn jetzt eigentlich?

00:25:01: Martin Auftrag. Das ist die sogenannte Auftragstaktik. Also es gibt im Prinzip diese zwei Welten. Das eine ist die Befehlstaktik. Das heißt, du kriegst einen Befehl: Da ist die Mauer. Du musst auf die andere Seite. Geh mit dem Kopf durch die Mauer und dann machst du das. Und das andere ist die Auftragstaktik. Da ist die Mauer. Wir sehen uns auf der anderen Seite. Wie du da rüber kommst oder außen rum oder ob du ein loch gräbst oder was auch immer ist deine Sache. Das heißt du kriegst einen Auftrag und kriegst Ressourcen zur Verfügung gestellt, um diesen Auftrag zu erledigen. Und wie du ihn erledigst, ist deine Sache.

00:25:39: Marko Klingt erst mal so ganz vernünftig.

00:25:42: Martin Das klingt ganz vernünftig, war aber damals sehr, sehr ungewöhnlich. Man kann fast sagen revolutionär, zumindest im deutschen Bereich. Und dann kam es ja noch dazu, dass das, was Wegner da so gesehen und gelernt hat, bei den Israelis und dann gab es auch noch Kontakte zu den zu den Engländern, dass das alles natürlich Dinge waren, die aus dem militärischen Bereich stammten. Nun wollte man aber natürlich eine Polizeitruppe aufbauen, die nach Polizeirecht auch vorgeht. Das heißt, alles, was er da gesehen hatte, musste natürlich erst einmal angepasst werden.

00:26:16: Marko Das heißt, als Militär würde ich sagen, um über die Mauer zu kommen, erschieße ich alle, die davor vor sind und kletter über den Leichenberg drüber. Das darf er nicht, weil er ist Polizist.

00:26:24: Martin Ja, also zugespitzt ja, um es ganz platt zu sagen, genau, richtig. Da muss es eben darum gehen, dass nach Recht und Gesetz vorgegangen wird. Das war anfangs recht mühsam. Das hat mir Dieter Fox erzählt, der auch zu den ersten gehört, die damals zur GSG9 gestoßen sind, ungefähr einen Monat, nachdem Dieter Tutter da angekommen ist und der sich dann auch mit den anderen zusammen überlegt hat Wie machen wir das denn jetzt? Wie kriegen wir das auf deutsche Verhältnisse angepasst?

00:26:55: Dieter Fox Und haben wir gesagt, wie kriegen wir das hin? Wir sind Deutsche, wir denken anders. Unser Staat ist anders, unser, unser demokratische Verständnis ist anders. Unsere Rechtsstaatlichkeit ist anders. Also wie können wir das miteinander vereinbaren: auf der einen Seite knallhart zu sein und auch "es" zu tun und auf der anderen Seite unser demokratisches Verständnis von Rechtsstaatlichkeit und Polizeidenken nicht zu verlieren. Da die eine andere Gesetzbarkeit hatten, ist das für uns fast überhaupt nicht umsetzbar gewesen. Das heißt, wir haben uns eigentlich nur Auszüge rausgezogen für uns selbst. Was können wir von dem, was die hatten, anwenden? Auf uns münzen, auf unser Recht? Das war unglaublich schwer, weil unsere Taktiken, die wir hatten, klassische Polizei-Taktiken waren. Die hatten noch nichts mit Schwerkriminalität zu tun und nichts mit Terrorismus. Das war der Schutz-Polizist dort auf der Straße, der Schupo, das war der Kriminalbeamte. Und da haben wir gesagt, wir müssen etwas machen, was mit normalen polizeilichen Abläufen eigentlich wenig zu tun hat. Dann sind wir so ein Stück in den paramilitärischen Bereich gegangen und haben uns da wieder gefunden, insbesondere was die taktische Ausbildung betraf, in Häusern, in Räumen, im Gelände, was die Schießausbildung betraf, was das Abseilen oder das Bewegen aus der Luft betraf, also Abseilen und Ähnliches. Und da haben wir uns Stück für Stück haben wir diese Mosaiksteinchen genommen, zusammengebaut und haben dann unsere eigenen alten Erfahrungen aus den Vorschriften eingebaut und haben die ja mehr oder weniger so ein bisschen verändert, sonst hätte das nicht funktioniert.

00:28:25: Martin Ja, die haben sich im Prinzip bei allem bedient, was sie irgendwie finden konnten und haben geschaut, wie können wir das so zurecht modeln, dass wir damit arbeiten können. Also eine ganz kuriose Sache ist, dass die sich auch bei der Gegenseite schlau gemacht haben. Wie machen die denn das?

00:28:42: Marko Wer ist die Gegenseite?

00:28:43: Martin Das sind zum Beispiel Terroristen oder Freiheitskämpfer - also da gilt das alte Wort des einen Terroristen ist des anderen Freiheitskämpfer. Und da gab es auch theoretische Schriften, wie man sich organisiert, wie man zum Beispiel als Stadtguerilla gegen den Staat vorgeht, wie man Anschläge plant und wie man sich da in Gruppen organisiert, um dann möglichst schlagkräftig zu sein.

00:29:09: Marko Da ist doch Standart, habe ich zu Hause: Das Handbuch der Stadtguerrilleros!

00:29:12: Martin Ja. Hast du das bei dir im Regal?

00:29:13: Marko Natürlich, selbstverständlich. Ich handel danach - jeden Tag.

00:29:17: Martin Das war so ein so ein Ding. In den 1960 er Jahren ist das aufgekommen von Carlos Marighella, das war ein brasilianischer Revolutionär und Theoretiker, und das Ding ist in linksradikalen Kreisen kursiert. Dann darf ich annehmen, wenn das bei dir steht, dass du dich da auch in diesen Kreisen bewegt hast.

00:29:35: Marko Ich nehme es mal aus der Hosenttasche.

00:29:37: Martin Also das Mini-Handbuch des Stadt Guerrilleros. Beliebt bei Terrorgruppen weltweit, unter anderem auch der RAF. Und da stehen Dinge drin, wie zum Beispiel das hier. Lies das mal bitte vor, Marko.

00:29:51: Marko Um Aktionen durchführen zu können, muss der Stadt-Guerillero in kleinen Gruppen organisiert sein. Sie umfasst nicht mehr als vier oder fünf Männer und heißt Feuer Gruppe. Du siehst, Frauen kommen da nicht vor. Nein, das war noch nicht. Das war noch vor. Na ja.

00:30:07: Martin Wobei in der Zeit...

00:30:08: Marko Totaler Quatsch, weil bei der RAF haben ganz viele Frauen mitgemacht.

00:30:12: Martin Nicht nur bei der RAF. Das war international so, dass die allermeisten Terroristen weiblich waren. Es waren Terroristinnen, 60, 70 %, teilweise. Aber hier ist von Männern die Rede.

00:30:22: Marko Also vier oder fünf Männer, die heißen Feuer Gruppe. Zwischen den Mitgliedern einer Feuer- Gruppe muss unbedingtes Vertrauen herrschen. Die Eigenschaften des Stadtguilleros sind Initiative, Einfallsreichtum, Flexibilität, Vielseitigkeit und Geistesgegenwärtigkeit. Ich kenne das irgendwo her? Das habe ich doch eben schon gelesen, da gab es diesen Erlass...

00:30:39: Martin Richtig 1:1

00:30:45: Marko Da hat der Genscher schon abgeschrieben...

00:30:47: Martin Das glaube ich nicht, aber.

00:30:47: Marko Vor allem die Fähigkeit zur Initiative muss er in besonderem Maße besitzen. Es ist nicht möglich, alle Situationen vorauszusehen. Das kenne ich. Trotzdem darf es nicht vorkommen, dass der Statt-Guerillero nicht weiß, was zu tun ist, nur weil ihm entsprechende Anweisungen fehlen. Es ist seine Pflicht zu handeln, eine angemessene Lösung für jedes auftretende Problem zu finden und diesem nicht auszuweichen. Es ist besser zu handeln und Fehler zu machen als nicht zu handeln, um Fehler zu vermeiden. Ohne Initiative gibt es keine Stadtguerilla.

00:31:22: Martin So sieht es aus. Und diesen Text hat Ulrich Wegener, der Kommandeur der GSG9, seinen Leuten zu lesen gegeben. Die mussten also dieses Handbuch des Stadtguerilleros lesen. Und Wegener hat eben dann nicht nur, sagen wir mal die Ideen für das, wie man heute so neudeutsch sagt, Mindset da raus genommen. Wie muss jemand drauf sein, um in so einer Gruppe zu kämpfen? Sondern er hat auch eins zu eins diese Idee von Kleingruppen übernommen. Das ist dieses Prinzip: Da dürfen nur vier, fünf Leute sein, die zusammen eine Einheit bilden. Und die sind aufeinander eingeschworen und vertrauen sich blind untereinander und arbeiten immer miteinander. Und daraus sind die SETs geworden, die Spezial Einsatz Trupps. Die bestehen nämlich zu Anfang der GSG9 aus fünf Leuten, die eben genau so aufeinander eingeschworen sind. Und das ist die kleinste taktische Einheit bei so einer Spezialeinheit. Und das ist im Prinzip bis heute so geblieben.

00:32:25: Marko Fünf Freunde, das sind wir...

00:32:28: Martin Ja, aber ohne Hund.

00:32:29: Marko Es ist dieselbe Zeit. Dieselbe Zeit...

00:32:31: Martin Ja, richtig. Genau. Heute sind es sechs oder sieben. Das sagt die GSG9 nicht genau, wie viele es jetzt heute sind. Aber in der Größenordnung spielt sich das ab - ebein Kleingruppen. Und das hat Wegener eins zu eins aus diesem Mini Handbuch übernommen.

00:32:46: Martin Jetzt stelle ich mir natürlich bei so GSG9 Beamten stell ich mir Typen vor: groß, durchtrainiert, muskulös, ein Kreuz wie ein T-Träger. So müssen die alle aussehen und dabei noch geistig fit.

00:32:56: Martin So, so denkt man. Ja, und die gibt es natürlich auch. Aber bei der GSG9 sind längst nicht alle solche Kanten, wie man sich das vielleicht vorstellt. Ich habe ja eine ganze Reihe von den Leuten getroffen und da ist alles dabei: groß, klein, breit, schmal. Die sind alle durchtrainiert und sind alle sportlich. Müssen die auch sein. Aber wenn man denen so auf der Straße begegnet, wird man nicht sofort denken: Oh, das ist aber jetzt einer, der bei einer Spezialeinheit arbeitet. Ganz bestimmt nicht?

00:33:24: Marko Und was sie können müssen ist schießen?

00:33:26: Martin Ja, schießen auf jeden Fall. Soweit ich weiß, wurde fünfmal in der Woche geschossen und sie hatten keine Begrenzung für die Munition, wie normale Polizisten das haben.

00:33:38: Marko Das heißt, die konnten ballern, so viel sie wollten.

00:33:40: Martin So lange, bis sie getroffen haben, könnte man sagen. Und die Schießausbildung war sehr, sehr intensiv. Und warum da so großer Wert drauf gelegt worden ist, das habe ich auch Dieter Fox und Dieter Tutter gefragt.

00:33:51: Dieter Fox Die Schießausbildung in der GSG neun stand ganz, ganz, ganz, ganz oben. Nicht um zu werden wie Django oder wie irgendwelche Revolverhelden, sondern um mit der Schusswaffe schlafwandlerisch traumhaft mit geschlossenen Augen umgehen zu können. Die Waffe verzeiht nichts, wenn man Fehler macht. Also muss ich mich mit dem Ding anfreunden. In und auswendig. Das heißt, ich muss sie auseinandernehmen. Ich muss sie wieder zusammenbauen. Ich muss die Augen zumachen. Ich muss im dunklen Raum mit dem Ding arbeiten können. Das muss alles passen. Und das hat lange gedauert.

00:34:23: Dieter Tutter Wir haben geschossen, bis die Hülsen bis zum Knöchel waren. Und dann muss man mit denen natürlich eine neue Art des Schießens aufbauen, weil wir ja auch zum Teil Lage-Schießen gemacht haben auf bewegliche Ziele vorne, so Scheiben die dann rum tanzen, eine war Geisel und die andere mal davor. Und so weiter und dann mussten die alle zur gleichen Zeit schießen bei der Scharfschützen-Ausbildung und dann musste Funkverkehr sauber sein und alles musste wirklich hundertprozentig klappen. Und wenn dann einer aus Versehen an den Abzug gekommen ist und es knallt bevor ich Feuer gegeben hab, dann muss er sich was anhören. Und dann hab ich dann auch vor den anderen gesagt, dass kann den Geiseln jetzt das Leben gekostet haben. Ja, ich habe eine Geisellage ausgegeben. Und wenn jetzt einer anfängt zu ballern, was ist dann? Das ist unmöglich. Ihr müsst euch jetzt komplett unter Kontrolle haben.

00:35:17: Martin Tja, dieses unter Kontrolle haben, das war halt bisweilen ziemlich schwierig. Die haben geübt und trainiert und haben noch mal trainiert und hatten alle möglichen Ausbildungsvorhaben, sind durch die Welt gereist, nach England und nach Israel. Und weiß der liebe Himmel...

00:35:36: Marko Um sich da Dinge anzugucken.

00:35:37: Martin Um sich Dinge anzugucken, um von anderen Einheiten zu lernen und zu trainieren. Aber was fehlte waren die Einsätze und sie sind einfach nicht angefordert worden für nichts.

00:35:48: Marko Was ja erst mal gar nicht schlecht. Es ist ja schön, wenn es keine Geiselnahmen gibt.

00:35:52: Martin Ja, das ist richtig. Im Grunde muss man froh sein darum. Aber wenn das dann eben zwei Jahre, drei Jahre, vier Jahre dauert, dann kommt irgendwann der Punkt, wo man von einem Fuß auf den anderen tritt und natürlich ganz gerne mal testen möchte, was man denn so gelernt hat in dieser ganzen Zeit. Und das hat für die Leute bei der GSG9, vor allen Dingen auch für Ausbilder wie Dieter Tutter ziemliche Probleme gebracht.

00:36:21: Dieter Tutter Die Rambo Mentalität ist das Schlimmste was passieren kann. Diese Leute waren, als wir nicht so gute Auswahlkriterien hatten, in der Ausbildung immer top und nach der Ausbildung, weil kein großer Einsatz kam, konnten sie niemand zeigen wie gut sie sind. Und dann haben sie vielleicht irgendwann mal Blödsinn gemacht und haben eine Diskothek zerlegt oder sonst irgendetwas. Was für uns natürlich hieß: Schick ihn nach Hause. Der darf nicht ausrasten. Der muss sich selbst kontrollieren können, wenn er das nicht kann. Ist eigentlich auch gar nicht für einen schwierigen Einsatz zu gebrauchen. Unter Umständen legt er los, wenn die anderen noch gar nicht so weit sind. Oder was? Nein, nein, nein, nein, nee, nee.

00:36:59: Marko Nee, nee, nee, nee, nee, okay, okay. Also das heißt, am Anfang war es offenbar so, dass die Schwierigkeiten hatten, die richtigen Leute zu finden, weil das, was er da beschreibt, das spricht natürlich genau die Leute an, die man eigentlich nicht haben will.

00:37:17: Martin Ja, und das ist ein ziemliches Problem gewesen. Ganz am Anfang war es so, da gab es noch gar kein Auswahlverfahren. Und dann, so nach einem halben, dreiviertel Jahr fing es dann an, dass es Auswahlverfahren gab, aber die waren auch noch nicht so richtig ausgefeilt. Das war das eine. Und das andere war aber auch, dass man ganz bewusst am Anfang so auf coole Jungs gemacht hat. Hatten da halt ihre schicke Uniform. Die war eben nicht so steif wie die beim BGS, sondern die hatten da eben den Kampfanzug und dann hatten die ihre schicken Barette auf dem Kopf. Und dann - und jetzt kommen wir zum Anfang zurück - hatten die Pistolen Gürtel a la Django, das heißt die hatten so Holster, die ganz tief am Oberschenkel hingen und mit so einem Leder Bändchen befestigt wurden und da hing dann der Colt drin und so sind die dann aufgetreten und sind unter anderem durch die Grenzschutz Standorte getingelt und haben versucht Nachwuchs zu rekrutieren.

00:38:14: Dieter Tutter Wenn wir auf Werbetour waren und wir traten da auf wie die Elefanten im Porzellanladen, machte natürlich Eindruck, wenn wir da ankamen, mit großen, dicken, starken Mercedes und vor und in die Eisen gestiegen und raus und bumm. Türen zu, rein, Vortrag gehalten, GSG9 klack, klack und dann wieder ab. Das hat sich aber sehr schnell gegeben, weil wir haben das gemerkt und unser Psychologe, der hat uns das sehr schnell abgeschminkt. Der sagt: Leute, ihr werbt die Falschen mit dem Auftreten, die wollt ihr doch gar nicht. Das sind die, die ich dann in der Prüfung, wenn es darum geht, hier die mentale und und geistige Eignung für so einen Beruf, so eine Aufgabe zu haben. Das sind die, die ich sind, die ich dann entfernen muss. Muss sagen, der ist nicht geeignet. Leute. Leute. Vorsichtig, der ist top Mann im Sport. In allem. Aber nehmt den nicht in die Einheit. Er hat Recht gehabt.

00:39:15: Marko Das heißt, das mit den falschen Leuten, das mussten die erst lernen.

00:39:19: Martin Das mussten die erst lernen. In der Tat. Das hat sich dann irgendwann in den ersten 3, 4. 5 Jahren zurecht gerappelt. Da gab es dann eben einen Psychologen oder ein ganzes psychologisches Institut in München, was die sich herangeholt haben, und wo dann eben spezielle psychologische Tests durchgeführt worden sind, um genau diese Typen herauszufiltern, die man in so einer Einheit nicht haben wollte. Leute, die sich profilieren wollen, die Einzelkämpfer sind, sich nicht in die Gruppe - wir haben eben davon gesprochen, das sind fünfer Teams, die sich nicht in so eine Gruppe einfügen. All diese Leute sind da ausgesiebt worden und werden bis heute ausgesiebt, denn diese Tests gibt es eben auch bis heute.

00:40:02: Marko Das heißt, diese Auswahlverfahren, da hat sich dann seit den Siebzigern nichts mehr geändert. Ja.

00:40:08: Martin Schon, doch. Na ja, also die sind natürlich deutlich verfeinert worden und auch erweitert worden.

00:40:14: Marko Also wenn ich, wenn ich jetzt zur GSG9 will, und es gibt ja viele junge Leute, die wollen vielleicht zur Polizei oder zur GSG9, was müssen die denn mitbringen? Also erst mal am Anfang habe ich das Gefühl gehabt, 70er Jahre, das sind nur Kerle, richtig?

00:40:27: Martin Also das auf jeden Fall. Und es sind nur Kerle bis heute. Zumindest in den Einsatz Einheiten. Es gibt Frauen bei der GSG9, aber die sind nicht in den Einsatz-Einheiten.

00:40:36: Marko Das ist ja diskriminierend.

00:40:38: Martin Ja, die GSG9 sagt nein. Bei uns können sich natürlich, selbstverständlich auch Frauen bewerben. Nur die Anforderungen - und da reden wir jetzt vor allen Dingen über die physischen Anforderungen - sind dieselben wie bei den Männern. Und da machen wir keine Abstriche.

00:40:54: Marko Und da steht drin: Muss im Stehen pinkeln können oder was?

00:40:56: Martin Nee, aber da steht drin, du musst zum Beispiel eine 80 oder 90 Kilogramm schwere Puppe über ein entsprechendes Hindernis hieven können. Und dazu sind einfach die allermeisten Frauen physisch, physiologisch nicht in der Lage und dementsprechend bei den Anforderungen, wenn da nicht runtergegangen wird, dann haben eben nur ganz, ganz wenige Frauen überhaupt eine Chance, so einen Test zu bestehen. Es heißt, eine Frau soll es einmal geschafft haben und die hätte wohl auch anfangen können. Das muss in den 80er Jahren gewesen sein.

00:41:29: Marko Hat dann aber den Wegener über die Mauer geschmissen und ist gegangen oder was?

00:41:33: Martin Das nicht. Aber sie hat dann aus irgendwelchen Gründen ihre Bewerbung zurückgezogen und ist dann eben nicht gekommen. Und das war wohl die einzige, die es jemals geschafft hat. Und es gibt auch nur sehr wenige, die es auch wirklich wohl versuchen.

00:41:46: Marko Also wenn heute junge Leute zur GSG9 wollen, was müssen die so mitbringen? Turnschuhe? Nee, also sportlich sollten sie schon sein.

00:41:58: Martin Ja, natürlich. Also das ist heute nicht anders als damals auch. Natürlich muss man sportlich sein. Und dann gibt es Tests, die gemacht werden müssen. Ganz am Anfang waren das die die klassischen fünf Disziplinen fürs Sportabzeichen, also 5000 Meter Lauf, 100 Meter Lauf, Weitsprung, Hochsprung, Kugelstoßen musste man machen, man musste schwimmen. Dann gab es noch den den Cooper-Test. Den gibt es bis heute.

00:42:22: Marko Den Cooper-Test?

00:42:24: Martin Den Cooper-Test - das ist ein zwölf Minuten-Lauf, in dem man mindestens 2400 Meter laufen muss, möglichst aber natürlich weiter. Und da kommt es dann darauf an, wie du deine Kräfte einteilt, sodass du dann möglichst über die zweieinhalb Kilometer hinaus noch möglichst viele Meter machst in dieser Zeit. Und dann gab es und gibt es auch heute noch Sonderübungen, also das ist ein mehrtägiger Test, wo man dann mitten in der Nacht geweckt wird und muss dann einen Waldlauf machen oder über den Sportplatz laufen und unter Stress bestimmte Aufgaben lösen. Das gehört dann alles mit zu diesem Einstellungstest dazu. Das ist so die körperliche Seite, wo alle sagen: Naja, darauf kann man sich ganz gut vorbereiten. Dann gibt es einen Allgemeinwissenstest. Das ist so das Übliche, wie es das bei anderen.

00:43:11: Marko Die Hauptstadt der Bundesrepublik?

00:43:12: Martin So ungefähr oder...

00:43:13: Marko Wie heißen die Heiligen Drei Könige?

00:43:17: Martin Kaspar, Melchior, Balthasar. Das weiß selbst ich noch.

00:43:19: Marko Ja, aber so was, so was.

00:43:21: Martin Ja, natürlich. Genau richtig, oder? Wer gewann letztes Jahr den European Song Contest? Solche Fragen.

00:43:26: Marko Also wäre ich schon durchgefallen.

00:43:28: Martin Guck mal, also.

00:43:30: Marko ist das wirklich eine Frage?

00:43:31: Martin Da weiß ich nicht. Keine Ahnung, aber es ist einfach ein Allgemeinwissenstest. Und dann gab es auch damals schon einen psychologischen Test mit 500 Fragen, wo man im Prinzip auf einen bestimmten Persönlichkeitstypus getestet worden ist. Und schließlich und endlich gab es ein Gespräch mit dem Psychologen. Und das ist etwas, wo alle vor zittern. Bis heute.

00:43:54: Marko Weil der so fiese Fragen stellt - oder?

00:43:56: Martin Ja, weil man sich da nicht so richtig drauf vorbereiten kann. Ich habe mich letztens mit einer jungen Dame unterhalten, die Rettungssanitäterin ist und die sich jetzt bei der Bundespolizei beworben hat und die unbedingt zur GSG9 möchte. Also in den Sanitätsdienst, nicht in die Einsatz-Einheit, sondern die möchte in den Sanitätsdienst.

00:44:13: Marko Weil sie keine 80 Kilo schwere Puppe über eine Mauer hiefen kann.

00:44:17: Martin Richtig.

00:44:17: Marko Das braucht man als Sanitäterin nicht.

00:44:19: Martin Ja, da gibt es auch Einstellungstests und auch psychologische Tests. Und sie sagte mir: Das ist halt der Knackpunkt. Man kann sich darauf nicht vorbereiten. Die ist auch sehr sportlich und sagt, man kennt die Tests, man weiß, was da gefordert wird und da kann man sich darauf vorbereiten. Aber auf dieses Gespräch nicht, weil diese Psychologen so clever sind, dass sie auch erkennen, wenn man ihnen das erzählt, von dem man denkt, dass sie das gerne hören möchten. Und das ist etwas, was eben schwierig ist und wo man sich dann eben nicht darauf vorbereiten kann. Man kann sich denken okay, was will dieser Psycho-Mensch da von mir jetzt wissen? Und dann erzähle ich ihm das. Aber so clever sind die dann offensichtlich, dass sie das erkennen und da nicht drauf anspringen.

00:45:02: Marko Wenn man das alles geschafft hat, dann kommt man in die GSG9 und dann wird man super bezahlt, hat ein tolles Leben und wenn man irgendwie 40 ist, wird man wieder raus befördert oder was was passiert.

00:45:14: Martin Ja, so stellt man sich das vor. Aber es ist dann doch ein bisschen anders. Von den Bewerbern, die zur GSG9 möchten und da diesen mehrtägigen Test mitmachen, kommen ungefähr 30 % durch. Der Rest wird wieder in die Einheiten zurückgeschickt. Und 30 % sind erst mal die, die in das Ausbildungsprogramm gesteckt werden.

00:45:35: Marko Werden in die Einheiten zurückgeschickt. Das heißt, du musst vorher auch schon Polizist.

00:45:39: Martin Bundespolizist.

00:45:40: Marko Oder Bundespolizist gewesen sein, um da überhaupt reinzukommen?

00:45:44: Martin Richtig. Genau.

00:45:44: Marko Man kann sich nicht von außen da bewerben?

00:45:46: Martin Nein, du kannst nicht direkt zur GSG9 gehen, du musst vorher Bundespolizist werden. Das heißt, da gibt es ja auch schon mal ein Auswahlverfahren, auch schon mal eine Ausbildung. Und früher war es auch noch so, dass du einige Jahre auch Dienst gemacht haben musstest, um dich bei der GSG9 bewerben zu können. Das ist mittlerweile anders. Du kannst also direkt sagen: Ich bin jetzt gerade bei der Bundespolizei eingestellt worden und bewerbe mich direkt nach meiner Ausbildung bei der GSG9.

00:46:10: Marko Weil die dringend Leute brauchen?

00:46:11: Martin Ja, auch deswegen. Also es gab von Anfang an immer Nachwuchsprobleme bei der GSG9 und das hat sich im Prinzip durch die 50-jährige Geschichte durchgezogen. Die gibt es immer noch, der Nachwuchs bewirbt sich, es gibt nicht zu wenig Bewerber, aber zu wenig Leute, die dann durchkommen. Und das ist dann auch nur die erste Hürde, denn anschließend geht es in die Ausbildung. Das sind zwei Teile, eine Grundausbildung und eine Spezialausbildung über 18 Monate. Und da wiederum bleibt wieder nur jeder Dritte hängen. Das heißt, von 100 Leuten, die sich beworben haben, am Anfang, nach Einstellungstest und nach Ausbildungsprogramm bleiben noch so ungefähr zehn Leute übrig und die kommen dann in die Einsatz Einheiten und werden dann einige Jahre lang bis sie eben das Alter erreicht haben - 40, 45, ich weiß nicht ganz genau was was das Alter ist, aber so ungefähr, länger können die nicht in den Einsatz- Einheiten bleiben, dann sind sie zu alt und erfüllen die körperlichen Voraussetzungen einfach nicht mehr für den Job.

00:47:09: Marko So, aber wir sind immer noch nicht - Wir denken noch nicht an die Rente. Wir sind ganz am Anfang der Geschichte der GSG9, wir sind Anfang der 70er Jahre, 1973, die trainieren jetzt alle ganz fürchterlich und ganz lange. Aber es gibt keinen Terroranschlag, trotz alledem. Die langweilen sich nicht?

00:47:24: Martin Nein, gelangweilt haben die sich sicherlich nicht. Die haben genug zu tun. Und sie haben auch viele Kontakte ins Ausland geknüpft, zu den Israelis natürlich, zu den Engländern, auch zu den Amerikanern und auch zu den Niederländern. Und einer der ganz frühen Kontakte war ein gewisser Leon Borer. Das war ein Schweizer Polizist, der ganz am Anfang 1973 nach Deutschland gekommen ist, um sich anzuschauen, wie die Deutschen das so machen mit so einer Spezialeinheit. Denn der hatte auch so etwas vor, der hat diese diese Einsatzgruppe Enzian gegründet, heute auch eine sehr bekannte Spezialeinheit, und der hat über seinen Besuch einen vertraulichen Abschlussbericht geschrieben. Den habe ich in den Akten beim Bundesarchiv gefunden.

00:48:14: Marko Streng geheim.

00:48:16: Martin Streng geheim. Natürlich. Und da beschreibt er das Training und die Ausbildung bei der GSG9. Vielleicht magst du das mal gerade vorlesen.

00:48:23: Marko Okay. Zitat Leon Borer: Wird ein Täter getroffen, so ist die sofortige Betreuung des bzw der Schützen durch eine hochgestellte Persönlichkeit von größter Bedeutung. Klammer auf: Lob, Gratulation, in Aussicht stellen einer Beförderung, Zureichung von Alkohol und so weiter, damit den Schützen nicht Schuldgefühle übermannen.

00:48:45: Martin Ja, das ist großartig, nicht.

00:48:46: Marko Also es wird sich der Tod schön gesoffen. Herrlich. Also eigentlich auch schon wieder nicht mehr lustig. Muss man ja sagen.

00:48:52: Martin Das war natürlich während des Schießtrainings. Und so steht es im Bericht drin. Ich habe natürlich die ganzen alten Veteranen gefragt, ob das tatsächlich so war. Also dass man das so geübt hat, dass, wenn da jemand tatsächlich einen erschießt, dass man dann erst sagt, okay, dann komm mal wieder runter, Beförderung und einen Schnaps drauf. Und das wurde natürlich alles höchst empört zurückgewiesen, dass es so etwas gegeben habe.

00:49:18: Marko Aber, aber die Schweizer sind gute, neutrale Beobachter. Nicht wahr?

00:49:25: Martin Genau.

00:49:25: Marko Aber abgesehen davon gab es ja noch lange, lange, lange gar keine Scharfschützen-Einsätze der GSG9. Die haben ja immer nur trainiert. Haben wir ja eben gelernt.

00:49:32: Martin So ist es. Es gab keine Scharfschützen-Einsätze, es gab eigentlich kaum überhaupt irgendwelche Einsätze. Es gab da mal so ein paar kleinere Sachen, da hat man dann Gefangene überstellt oder der RAF Prozess in Stuttgart zum Beispiel, der ist gesichert worden von GSG9 Leuten, aber es gab keine Geiselnahmen, nichts, wofür die GSG9 denn nun jetzt eigentlich nun wirklich trainiert hat. Und das ist denen furchtbar gegen den Strich gegangen. Und das Problem war, dass sie eben auch nicht gerufen worden sind, wenn es Einsätze gegeben hätte. Die Länder, das haben wir am Anfang gesagt, die haben dann auch irgendwann ihre SEKs aufgebaut. Das hat lange gedauert. Aber als die dann mal so weit waren, dann haben die ihre SEKs gerufen und nicht die GSG9.

00:50:21: Marko Das heißt: Eigentlich hat die keiner mehr gebraucht.

00:50:23: Martin Also man glaubte zumindest, dass man sie nicht brauchen würde. Und vor allen Dingen hatte man auch Angst, weil eben dieser Ruf der GSG9, den sie sich auch selber erarbeitet haben, ihnen auch vorausgeeilt ist. Da gab es einen Innenminister von Rheinland Pfalz, der mal in einer Innenministerkonferenz gesagt hat: Um Gottes Willen, wir rufen doch nicht die GSG9, wenn die kommen, dann gibt es eine Furche von verbrannter Erde von Flensburg bis nach Passau. Und deswegen hat man darauf verzichtet, die GSG9 zu rufen, weil man geglaubt hat, die schlagen alles kurz und klein.

00:50:58: Marko Und statt das zu tun, drehten sie Däumchen in Sankt Augustin.

00:51:02: Martin Däumchen drehen jetzt nicht gerade. Die hatten schon viel zu tun.

00:51:06: Marko Aber einen Lagerkoller.

00:51:07: Martin Viel in der Ausbildung, aber Lagerkoller und keine Einsätze. So hat es mir Dieter Fox erzählt.

00:51:13: Dieter Fox Der Dienstplan war proppevoll die Woche, die Ausbildungsvorhaben von morgens bis abends waren die ersten zwei, drei Jahre unglaublich viel, unglaublich viel Abwechslung, was natürlich toll war, aber unglaublich viel an körperlicher Belastung, weil wir eigentlich nur unterwegs waren. Wir haben nur Training gehabt. Die GSG9 ist von 72 bis 75 Trainings-Weltmeister geworden. So hat man uns auch geschimpft in Deutschland, weil wir keine Einsätze hatten bis auf einige wenige Observations-Einsätze. Aber ansonsten bis zum Oktober 77 haben wir keine Einsätze gehabt, keine solchen Einsätze gehabt mit Waffe.

00:51:49: Martin Ja, und mit diesem Einsatz im Oktober 1977 im Deutschen Herbst, da werden wir uns dann in der nächsten Folge der Geschichtsmacher mit beschäftigen.

00:52:00: Marko Bis dahin könnt ihr das Buch vom Martin lesen. GSG9 Ein deutscher Mythos. Wir haben es hier oder ihr könnt es bei uns nicht nur lesen, ihr könnt auch gewinnen. Und zwar der oder diejenige, die sowohl bei uns eine Steady Mitgliedschaft unterschrieben hat, also uns unterstützt, und uns schreibt. Hey, ich will das Buch von Martin haben.

00:52:19: Martin Dem schicken wir gerne ein Exemplar.

00:52:21: Marko Der oder der auch.

00:52:22: Martin Ja, natürlich. Es soll ja Frauen geben, die sich für das Thema interessieren.

00:52:25: Marko Oder auch grüne Männchen. Egal, egal wer schreibt. Wir freuen uns über jeden, der schreibt. Und jede.

00:52:32: Martin Und zwar unter www.diegeschichtsmacher.de - Da gibt es alle Informationen zu dieser Folge, zu den nächsten Folgen, zu den Steady Mitgliedschaften und wir würden uns freuen, wenn ihr uns unterstützt, denn dann können wir noch viele, viele weitere Folgen dieses wunderbaren Podcasts machen.

00:52:49: Marko Wenn es euch gefallen hat, dann sagt es weiter Euren Freunden, Bekannten, der Familie und allen, die ihr kennt.

00:52:54: Martin Und wenn es euch nicht gefallen hat, dann lasst auch von euch hören und sagt es bitte uns.

00:53:00: Marko Aber nur uns.

00:53:01: Martin Jawoll! Und wir hören uns dann wieder in zwei Wochen mit der nächsten Folge von Die Geschichtsmacher mit Marko Rösseler...

00:53:12: Marko ...und dem Martin Herzog, diesem Buchautor, der das wunderbare Buch GSG neun Ein deutscher Mythos geschrieben hat. Tschüss!

00:53:19: Martin Genug der Werbung. Tschüss!

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