Margarete Steiff und der Bär mit dem Knopf im Ohr

Shownotes

In dieser Episode streifen Marko Rösseler und Martin Herzog mit ihrer WDR-ZeitZeichen-Kollegin Maren Gottschalk durch den Stofftier-, oder besser Steifftier-Zoo der Spielzeugproduzentin aus dem schwäbischen Ländle und ihren bemerkenswerten Lebenslauf.

Mit eineinhalb Jahren erkrankte Margarete Steiff an Kinderlähmung. Seitdem konnte sie die Arme nur eingeschränkt und die Beine gar nicht benutzen. Und doch gelang ihr eine Karriere wie sonst keiner Frau um die Wende zum 20. Jahrhundert in Deutschland: Sie gründete ein Unternehmen mit Weltruf! Den Grundstock dazu legte Sie mit ihrer Zähigkeit, ihrem Lebensmut und dem "Elefäntle". Als nettes Nadelkissen entworfen, machte es bald als Kuscheltier für Kinder Karriere. Weltruhm erlangten die "Teddy-Bären" der Firma Steiff - bekannt nach dem amerikanischen Präsidenten Theodore Roosevelt und nur echt mit einem Knopf im Ohr…

Autorin Melahat Simsek hat den Geburtstag der Unternehmerin Margarete Steiff in einem WDR-Zeitzeichen gefeiert. Und unsere Kollegin Maren Gottschalk hat ihr dazu ein Interview gegeben. Schließlich hat Maren das Leben der Margarethe Steiff in einem Roman verewigt, der gerade erschienen ist: "Fräulein Steiff".

Melahat, Maren und auch Margarete Steiff kommen in diesem Podcast zu Wort. Damit sind endlich mal die Frauen in der Überzahl - Martin und Marko freut's.

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Weitere Links zum Leben von Margarete Steiff:

WDR-Zeitzeichen Margarete Steiff, Unternehmerin (Geburtstag, 24.07.1847)

Maren Gottschalks Buch "Fräulein Steiff", erschienen im Goldmann Verlag

Transkript anzeigen

GM Margarethe Steiff (gekürzt-gemischt).mp3

00:00:00: Maren Die letzten Stiche sind die schwierigsten. Das Tier hat seine endgültige Form gefunden. Straff spannt sich die Filzhaut über den Körper aus weicher Scheerwolle, die sie durch eine kleine Öffnung am Rücken hineingeschoben hat. Aber schon quellen die ersten Fasern wieder hervor und nur mit Mühe gelingt es Margarete, sie nach innen zu stopfen und gleichzeitig die Naht mit einer Reihe winziger Stiche zu schließen. Sie vernäht den Faden, drückt das Tier dann fest zusammen und sticht die Nadel zuletzt noch einmal quer hindurch, bis sie am Bauch zum Vorschein kommt. Dort schneidet sie den Fadenrest so knapp wie möglich ab. Als sie das Tier freigibt dehnt sich der Bauch, so als müsse es einmal tief Luft holen. Dabei verschwindet das Ende des Fadens in dem prallen kleinen Körper.

00:00:48: Marko Tierquälerei. Wir fangen an mit Tierquälerei. Herzlich willkommen bei...

00:00:53: Intro Die Geschichtsmacher. Von Autorinnen und Autoren des Zeitzeichens.

00:01:10: Marko Zu Gast Maren Gottschalk mit einer Nadel, einem Faden, einer Schere. Und es tut weh, ne.

00:01:17: Maren Nein, es tut nicht weh. Es wird ja ein Tier entstehen dabei. Es ist ja der magische Moment, in dem ein Stofftier, ein Steiff-Tier entsteht. Das tut überhaupt nicht weh.

00:01:28: Martin Wer hat denn da Nadel und Faden in der Hand?

00:01:30: Maren Margarete Steiff. Sie hat das allererste Kuscheltier, sozusagen das erste Steiff-Tier, in diesem Moment genäht. Es sollte eigentlich ein Nadelkissen sein. Also wirklich dann - das hätte dem kleinen Elefäntle wehgetan. Dann wären natürlich Nadeln darein gepiekst worden. Aber das Elefäntle hat ihr gezeigt, in dem Moment als ihr kleiner Neffe das in die Hand genommen hat, dass es lebendig ist, sozusagen, dass es lebendig wird in der Hand eines Kindes. Und sie hat verstanden, dass sie etwas anderes genäht hat. Kein Nadelkissen, sondern ein Spieltier.

00:02:00: Martin Das war das Elefäntle. Und da wissen wir auch gleich schon, wo das stattgefunden hat, nämlich im Ländle.

00:02:05: Maren Genau, in Baden-Württemberg, Schwabenland sozusagen. Heute. Und in Giengen an der Brenz. Also das ist in der Nähe von Ulm.

00:02:15: Marko Okay, kleines Städtchen. Also machen wir heute eine Reise in den Süden. Bei den Geschichtsmachern kommen ja immer Menschen zu Wort, die ein Zeitzeichen machen. Du hast über dieses Thema gar kein Zeitzeichen gemacht. Nein, nein. Schlimmer noch: Du hast ein Buch drüber geschrieben.

00:02:31: Maren Ja, ich habe ein Buch darüber geschrieben und ich habe in einem Zeitzeichen aber Fragen beantwortet. Also insofern gibt es den Link zu dem Zeitzeichen natürlich.

00:02:38: Marko Du hast in einem Zeitzeichen Fragen beantwortet, obwohl du selbst sonst Zeitzeichen machst.

00:02:42: Maren Genau. Aber diesmal wollte ich das Zeitzeichen gar nicht selber machen. Das hat die wunderbare Kollegin Melahat Simsek gemacht. Und sie hat mich befragt zu Margarete Steiff.

00:02:51: Marko Und du hast sie auch befragt.

00:02:53: Maren Ich habe sie auch befragt. Ich habe sie für unsere Geschichtsmacher-Folge heute befragt. Genau deswegen kommt sie heute auch zu Wort. Wir haben dann sozusagen mal die Rollen getauscht.

00:03:00: Martin Das geht nach dem alten Böllschen Diktum: Verfeaturest du mich, verfeature ich dich. Und über all das wollen wir heute sprechen...

00:03:09: Marko Über Kuscheltiere.

00:03:11: Martin Kuscheltiere, über Elefanten und über Teddybären. Denn eigentlich ist ja das, was man von Steiff kennt, das sind ja die Teddybären. Frage Wer hat ein Teddybär gehabt hier?

00:03:24: Maren Ich.

00:03:24: Martin Du hattest nen Teddybär?

00:03:25: Maren Ich hatte den bis ich erwachsen war. Also noch als Studentin hatte ich einen Teddybär und der ist dann leider tatsächlich sehr tragisch verstorben. Ich weiß nicht, ob wir darüber reden wollen.

00:03:34: Marko Doch, doch, doch, doch. Das gehört mit zum Leben.

00:03:37: Maren Also ich hatte diesen Teddybär tatsächlich noch als Studentin dabei auf meinen Reisen, auch in Spanien, habe ihn dann in einer Pension liegen lassen, auf dem Weg übrigens nach Santiago de Compostela.

00:03:47: Marko Ach.

00:03:48: Maren Ja, ausgerechnet. Hab dann am nächsten Tag gemerkt: Oh, ich habe den Teddy vergessen, habe meinen Freund dazu gebracht, dass wir zurückgefahren sind.

00:03:56: Martin Wo wart ihr da schon?

00:03:57: Maren Wir waren schon ein paar Stunden weiter weg.

00:04:00: Marko Aber ihr seid gefahren nicht gelaufen?

00:04:01: Maren Wir sind tatsächlich mit dem Auto gefahren und in der Pension drückte man mir mein Nachthemd in die Hand. Das hatte ich nämlich auch vergessen.

00:04:10: Marko Das war ein stürmischer Aufbruch. Habt ihr die Zeche geprellt oder warum...

00:04:13: Maren Und dann habe ich gefragt: Was ist denn mit dem Teddybär? Und dann haben die mich ganz erschreckt angeguckt und haben gesagt: Ja aber der war doch kaputt. Der Teddybär hatte tatsächlich eine offene Stelle am Bauch und das Ohr war auch nur noch halb da. Und Augen hat er auch nicht mehr. Aber das wollte ich alles mal irgendwann reparieren. Aber dazu kam ich nicht. Es war mir ja auch egal, es war mein Teddy. Ja, und dann haben sie den leider...

00:04:35: Martin Dann hast du ihn nicht wiedergesehen...

00:04:39: Marko War ein Streiff...

00:04:39: Maren Nein, es war kein Steiff-Teddy. Ich habe dann tatsächlich den ganzen Rest des Tages geweint.

00:04:46: Martin Marko, du Teddybär?

00:04:48: Marko Hmm. Aber nicht von Steiff. So was Teures hatte ich nicht. Ne, ne, ne, ne. Aber ich hatte auch keinen Lieblings Bären. Ich hatte nen Hund.

00:04:58: Maren Oh schön.

00:04:59: Marko Lumpi. Lumpi ist auch...

00:05:00: Maren Schöner Name...

00:05:02: Marko ...sehr tragisch aus meinem Leben verschwunden.

00:05:05: Maren Nämlich wie?

00:05:06: Marko Ich hab ihn verloren - irgendwie draußen. Und da war ich vier, fünf Jahre. Und dann haben meine Eltern noch eine Suchanzeige aufgegeben in der Tageszeitung.

00:05:18: Maren Wie süß.

00:05:19: Marko Lumpi verschwunden, aber es hat nicht geholfen.

00:05:22: Maren Ja, das ist traurig.

00:05:22: Marko Und du siehst - während ich drüber rede, kommen mir die Tränen. So ist das.

00:05:23: Maren Das ist wirklich traurig.

00:05:27: Marko Lumpi hat schwer in mein Leben eingeschnitten und - ja, schmerzt bis heute.

00:05:33: Maren Man hat eine enge Beziehung zu diesen Tieren.

00:05:35: Martin Da muss ich sagen, da gehöre ich ja zu den Glücklichen. Ich habe Otto Bingo bis heute.

00:05:42: Maren Otto-Bingo!

00:05:43: Martin Ja, das ist nicht meine Erfindung der Namen, sondern der meiner Schwester. Die hat diesem Teddybären den Namen gegeben. Und Otto-Bingo, den gibt es bis heute. Der sitzt bei mir im Arbeitszimmer auf der Couch und guckt mir beim Arbeiten zu. Also der ist mittlerweile auch so ein bisschen abgewetzt, natürlich nach fast 50 Jahren, aber es gibt ihn noch. Und ja, er sitzt auf auf der Couch, ein treuer Begleiter. Und wir haben eben schon gesagt, Melahat Simsek hat das Zeitzeichen gemacht und die haben wir natürlich auch gefragt, ob sie ein Lieblingstier gehabt hat damals.

00:06:17: Melahat Ich habe als 4-jährige von meiner Erzieherin im Kindergarten, sie hieß Jutta Maurer und ich habe sie sehr gemocht, zum Abschied - sie heiratete und ging damals in den Siebzigern nach Frankreich - ein kleines graues Elefäntle von Steiff geschenkt bekommen. Das war mein einziges Steiff-Tier und ich hatte es eine lange Zeit immer bei mir getragen. Leider ging es, als wir nach Istanbul umzogen, da war ich 17 Jahre alt, im Umzugs Chaos verloren.

00:06:42: Martin Ja, beim Umzug verloren gegangen nach Istanbul. Auch eine tragische Geschichte. Ich merke so langsam, wie groß das Glück ist, dass ich meinen Teddybären immer noch habe.

00:06:52: Marko Er wird dich überleben.

00:06:53: Martin Wahrscheinlich ist es so, ja.

00:06:55: Maren Man wirft ja auch ein Kuscheltier nicht weg.

00:06:57: Martin Nein.

00:06:58: Maren Man kann das nicht in die Tonne drücken, das ist ja klar. Also die werden entweder weitergegeben, weiter vererbt oder aufgehoben. Und da sitzen bei vielen Leuten noch auf den Betten oder in den Schränken oder auf dem Regal.

00:07:08: Marko Es ist ganz erstaunlich, wenn man - Ich habe viel Berichterstattung über die Flut gemacht und wenn man diesen ganzen Schrott dann so sieht. Es geht einem nah, wenn dazwischen ein Stofftier liegt.

00:07:19: Maren Ja, das stimmt absolut.

00:07:21: Marko Völlig irrational. Ist ja nur ein Haufen Stoff. Gehen wir aber zurück ins 19. Jahrhundert. Gehen wir zurück in die Zeit, in der Margarete Steiff, so heißt sie, geboren wird im Ländle. Da war das noch nicht so selbstverständlich, dass Kinder irgendwelche Stofftiere hatten.

00:07:39: Maren Nein, gar nicht. Das war eigentlich so - also arme Kinder hatten sowieso keine Spielzeuge, die haben gespielt ohne Spielsachen.

00:07:47: Marko Was ja auch geht.

00:07:48: Maren Was auch geht. Genau. Und Spielsachen, die man extra für Kinder sozusagen hergestellt hat, hatten damals mehr so eine Art didaktischen Wert. Also kleine Mädchen sollten sich auf die Mutterrolle vorbereiten, kriegten dann Puppen und sollten die dann versorgen. Und für Jungs gab es dann Zinnsoldaten oder Botanisier-Trommeln oder irgendwelches Lehrreiches.

00:08:12: Martin Botanisiertrommeln?

00:08:14: Maren Ja, das war, um die Natur zu erkunden. Da hat man dann so Pflanzen reingelegt und gepresste Pflanzen reingelegt und so. Und insofern war Margarete Steiffs Kuscheltier tatsächlich das perfekte Spielzeug, was gebraucht wurde, was es noch nicht gab. Und parallel dazu hat sich gerade diese Reformpädagogik damals entwickelt, also die Idee, Kindheit vom Kind aus zu denken, nicht nur von den Erwachsenen aus. Und das passte perfekt zusammen. Und das war ja von ihr gar nicht so geplant, sondern das war einfach, wie es manchmal eine Geschichte so ist, der richtige Moment, für das das richtige Ding geschaffen.

00:08:55: Martin Du hast gesagt eben das sollte Nadelkissen werden. Also das hat ja mit Reformpädagogik erst mal gar nix...

00:09:01: Maren Gar nichts zu tun, genau. Genau, es sollte Nadelkissen sein. Aber sie hat eben gemerkt, sobald eines ihrer Neffen. Sie hatte ja sehr viele Neffen, ihr Bruder hatte neun Kinder, das Tierchen in die Hand genommen hat, dann fingen die an, mit dem Tier zu spielen, mit dem zu sprechen. Und da hat sie gemerkt, dass da noch was ganz anderes drinsteckt. Und dann hat sie eben immer mehr davon genäht und hat sie auch als Spieltiere verkauft. Und so fing das alles an mit der Firma Steiff.

00:09:28: Martin Wie hat es denn mit Margarete Steiff angefangen? Sie war jetzt nicht, wenn ich das richtig gelesen habe, zur Spielzeug- oder zur Kuscheltier-Fabrikantin geboren.

00:09:39: Maren Nein, überhaupt nicht. Sie wurde ja 1847 geboren und hatte dann mit anderthalb Jahren Kinderlähmung und konnte ab da nicht mehr laufen. Sie hatte gerade stehen gelernt als kleines Kind, und dann kam diese Kinderlähmung, und insofern konnte sie nicht laufen. Und das war keine einfache Kindheit, denn sie konnte ja damals auch erst mal... sie muss darum kämpfen, überhaupt dabei sein zu können, wo ihre großen Schwestern und ihr kleiner Bruder waren. Also sie musste immer darum kämpfen, dass man sie mitgenommen hat im Leiterwagen. Trag mich auf die Gasse war so ein Satz von ihr. Sie wollte immer da sein, wo andere Kinder auch waren. Und eigentlich wäre im 19. Jahrhundert das Schicksal einer so behinderten Frau oder eines Mädchens das gewesen, in Armut sozusagen Almosenempfängerin zu sein.

00:10:28: Marko Kommt sie denn aus einem relativ wohlhabenden Elternhaus?

00:10:30: Maren Nein, nein, der Vater war Baumeister. Also sie komm auch nicht aus einer armen Familie, aber jetzt auch keine besonders reiche Familie und auch keine sehr so bildungsaufgeschlossene Familie. Insofern war auch die Idee, dass sie jetzt zur Schule geht, überhaupt erst mal gar nicht so selbstverständlich, dass sie überhaupt die Schule besucht. Da musste sie auch jemand hinbringen.

00:10:48: Martin Das war ja eine Zeit, in der eigentlich auch Behinderungen weggesteckt, also weggeschlossen wurden. Menschen mit Behinderung hat man in der Öffentlichkeit ja eigentlich gar nicht gesehen.

00:10:57: Maren Ja, also es war vielleicht nicht, man hat sie schon in der Familie versorgt, so weit das irgendwie ging. Aber man hat natürlich nicht so wie Margarete das wollte, eigentlich, was nicht selbstvertständlich ist: Okay, das behinderte Kind, das muss jetzt im Leiterwagen auch noch mitgezogen werden, auch noch zur Schule gebracht werden. Dann muss es ja vor der Schule jemand da raustragen, in die Schule, die Treppen rauf tragen, da irgendwohin hin setzen, wieder zurücktragen. Also das war schon auch mit Aufwand verbunden und das war ihr aber wichtig und da hat sie drum gekämpft.

00:11:26: Marko Inklusion bevor Inklusion erfunden?

00:11:28: Maren Ja, ganz genau. Eigentlich schon. Und die Mutter hat da schon auch sehr viel geleistet, muss man sagen, die Mutter von Margarete Steiff. Sie war aber auch eine sehr angestrengte und etwas unglücklich veranlagte Person. Die hat sehr viel gejammert und war immer sehr, sehr schnell müde und wollte dann auch, als sie in der Pubertät war, Margarete immer früh ins Bett stecken. Dann wenn sie ins Bett gegangen ist, wollte sie auch die Tochter ins Bett stecken, damit sie da nicht so viel Arbeit mit hat. Und da gab es natürlich dann auch eine Menge Konfliktpotenzial zwischen Mutter und Tochter.

00:12:01: Marko Also offenbar ein sehr lebenshungriges, lebensbejahende Kind, das an den Rollstuhl gefesselt ist, oder?

00:12:08: Maren Einen Rollstuhl gab es ja nicht.

00:12:09: Marko Gab es noch nicht. Gab nur diesen Leiterwagen?

00:12:10: Maren Genau. Es gab diesen Leiterwagen und ansonsten musste sie sozusagen rutschen, schreibt sie dann in ihren Lebenserinnerungen. Auf dem Boden rutschen, was gar nicht so gerne gesehen war, weil dabei hat man sich die Kleider dreckig gemacht oder zerrissen.

00:12:23: Martin Eine Impfung gegen Kinderlähmung gab es ja lange noch nicht, die ist ja erst in den 1950er Jahren dann irgendwann gekommen. Gab es irgendwelche Heilmittel oder auch nur Hilfsmittel, um jemanden, der an Kinderlähmung erkrankt war, damals zu helfen?

00:12:37: Maren Also es gab eigentlich nichts, was wirklich funktioniert hat, aber natürlich hatten alle möglichen Ärzte irgendwelche Theorien und auch irgendwelche Mittelchen und Säfte und Salben und Tinkturen. Es gab dann auch die Idee, Margarete zu einer Kinder-Heilanstalt zu schicken nach Ludwigsburg. Das haben die Eltern ganz toll auch durchgesetzt. Das hat dann der Stiftungsrat von Giengen bezahlt, denn das war teuer. So kam sie in die Kinderheilanstalt nach Ludwigsburg und wurde dort von dem Arzt Dr. Werner, der war damals sehr bekannt, auch nach Wildbad in den Schwarzwald zu einer Kur geschickt. Aber geheilt hat man sie dort auch nicht. Man hat sie eigentlich aufgepäppelt. Und sie ist dort auch operiert worden. Aber auch das hat nichts gebracht, das weiß man ja auch heute, dass das eigentlich gar nicht geht. Und zwischendurch bekam sie eine Schiene an die Beine angepasst, was glaube ich sehr schmerzhaft und sehr schwierig für sie war, um irgendwie den Unterschenkel zu strecken, damit da nichts verkümmert. Und sie berichtet selber später aus dieser Kur, in der sie sich aber eigentlich ganz wohlgefühlt hat. Ich lese das einfach mal vor:.

00:13:41: Maren liest Steiff-Zitat In der Herren-Hilfe in Wildbad war es erst recht schön. Es war damals eine sehr nachsichtige Verwalterin dort. Da durfte ich selbstständig in den Garten rutschen. Wie meine Kleider aussahen, das bekümmerte mich wenig. Und da habe ich mit den anderen Verstecken gespielt. Einmal fuhren die Wärterinnen etwas zu rasch zum Hof hinaus - Also Wärterinnen das sind immer die Pflegerinnen sozusagen - dort, wo eine ziemlich tiefe Hübe, ein Teich mit schmutzigem Wasser war. Der Wagen fiel um und wir 8 bis 10 Kinder stürzten kopfüber ins Wasser. Ich hatte eine Maschine am Fuß und kam recht nach unten, dem Gesetz der Schwere folgend. Da schnell Hilfe zur Hand war, kamen wir alle mit dem Schrecken davon. Wir wurden gleich ins Bett gesteckt und bekamen von allen Seiten Leckerbissen und waren einige Tage die wichtigsten Leute in Wildbad.

00:14:26: Marko Maschine am Fuß, damit mein sie

00:14:29: Maren Das war diese Schiene, die die da angepasst hatte, die natürlich auch schwer war. Das war nicht so einfach. Es hat ja auch letztlich nichts gebracht. Aber man merkt an dieser Stelle ganz gut auch, wie Margarete Persönlichkeit so war. Sie hat immer mit sehr viel Humor und positivem Blick das Ganze betrachtet. Sie war ja immer der Meinung: Ich bin nicht krank, ich kann nur nicht laufen. Und das ist natürlich so ein Naturell, was einfach auch toll ist.

00:14:54: Marko Aber wahrscheinlich hätte sie da eins ihrer eigenen Tiere zu dem Zeitpunkt, ihrer eigenen Stofftiere auch brauchen können?

00:15:00: Maren Absolut. Das glaube ich auch, dass sie später oft daran gedacht hat, dass sie so ein so einen Buddy, so einen Freund ganz gut hätte gebrauchen können als Kind.

00:15:11: Marko Nun muss sie ja irgendwann mal, wahrscheinlich, wenn sie nicht aus reichem Elternhaus kommt, wahrscheinlich irgendwie versuchen, Geld zu verdienen. Ich glaube, im 19 Jahrhundert ist das auch schon für Mädchen, wenn sie nicht verheiratet werden, durchaus üblich. Und geheiratet hat sie wahrscheinlich auch nicht sofort.

00:15:26: Maren Nein, sie hat gar nicht geheiratet.

00:15:27: Marko Gar nicht.

00:15:28: Maren Nein. Ja, Geld verdienen, klar. Bei ihren großen Schwestern war es so, die mussten irgendwann nach der Schule, die haben also so eine Art Mittelschule auch nur gemacht, dann in Stellung gehen, das heißt raus von zu Hause und in einen fremden Haushalt, alles lernen, sich bewähren. Das ging ja bei Margarethe nicht. Die konnte man jetzt nicht in Stellung geben, irgendwo anders hin. Die blieb also zu Hause und besuchte dann nach der normalen Schulzeit, die sie hatte, dann die Näh-Schule, lernte also nähen und musste aber auch schon als Kind sehr viel häkeln. Also das ist in Schwaben ja auch so sprichwörtlich.

00:16:03: Marko Bis heute eigentlich so.

00:16:04: Maren Dass man immer fleißig sein muss und immer was Sinnvolles in der Hand, immer irgendwas tun. Das war auch ein Konflikt für sie zwischen ihr und ihrer Mutter. Und das Interessante ist, dass sie ja eine andere Möglichkeit gab es ja gar nicht, dass sie jetzt hätte Abitur machen, irgendwie die Schule länger besuchen oder gar studieren soll. Das war ja für Frauen auch noch gar nicht vorgesehen, obwohl sie das sicherlich gut gekonnt hätte. Sie musste also handarbeiten und dabei war es so, dass durch die Kinderlähmung auch ihr rechter Arm nur eingeschränkt zu benutzen war. Der wurde schnell müde. Sie konnte nicht so wahnsinnig feine Sachen manchmal mit rechts machen. Mit links war es dann eben auch links. Das war auch nicht so, so ganz perfekt. Also das ist schon irre, dass sie sieht, dass sie dann eine war, die so perfekt nähen gelernt hat. Also mit sehr viel Zähigkeit und und Willen hat sie das gemacht.

00:16:55: Marko Weil ihr das Freude gemacht hat oder weil sie das musste?

00:16:58: Maren Also sie hat schon immer gesagt, dass es Arbeiten gab, die ihr nicht besonders viel Spaß gemacht haben und dass sie dann lieber andere Sachen gemacht hat. Das Häkeln zum Beispiel, dieses stundenlange Häkeln hat sie irgendwann sehr genervt, aber Stricken ging bei ihr auch nicht - mit beiden Händen und insofern war sie, glaube ich, froh, dass sie überhaupt so gut etwas konnte, um sich damit auch den Lebensunterhalt irgendwann zu verdienen und nicht nur ihren Eltern sozusagen auf der Tasche zu liegen. Und als sie ihr erstes eigenes kleines Näh- Geschäft hatte, war sie sehr, sehr stolz.

00:17:30: Marko Sie hatte ein eigenes Geschäft!

00:17:32: Maren Genau. Zuerst hat sie es mit den Schwestern, also gab es ein Näh-Geschäft mit den Schwestern zusammen. Da haben sie auch die erste Nähmaschine in Giengen gehabt, diese drei Steiff Schwestern.

00:17:41: Marko Und es ist, man muss sagen, so eine Nähmaschine war im 19 Jahrhundert etwas sehr, sehr Wertvolles.

00:17:46: Maren Absolut und auch natürlich super praktisch. Und alle waren ganz glücklich, als die endlich kam. Und dann hat Margarete gemerkt, dass sie die gar nicht benutzen konnte, weil sie mit der rechten Hand die nicht antreiben konnte.

00:17:57: Marko Weil da die Kurbel sitzt.

00:17:58: Maren Genau.

00:17:59: Martin Wie ich dachte, die waren fußbetrieben?

00:18:01: Maren Nein, das war noch nicht. Das war eine Hand-Maschine, da gab es noch kein Fuß-Teil. Und bis sie dann irgendwann auf die Idee gekommen ist, die Nähmaschine umzudrehen, um dann mit links das Rad zu treiben. Dadurch musste sie natürlich das Nähzeug, dann also den Stoff auf sich zu nähen anstatt weg. Das war schon ziemlich, ziemlich genial, aber dann konnte sie auch mit der Nähmaschine arbeiten. Und dann haben die Schwestern geheiratet, sind aus dem Haus und dann war sie wieder alleine da und dann gibt es so was, das nennt man Lohn Näherin. Das heißt, sie wurde dann eingeladen in eine andere Familie, wo zum Beispiel jemand geheiratet hat. Und dann hat man so eine Woche lang Aussteuer genäht, beim Pfarrer zum Beispiel, da hat die Tochter, Thusnelda hieß die, geheiratet, und da hat sie also an der Aussteuer mitgearbeitet, auch bei Verwandten. Und sie war eigentlich ganz gerne unterwegs, weil sie dann auch der Mutter und dieser Aufsicht der Mutter etwas entkommen konnte.

00:18:54: Martin War das auch ein Teil der Motivation, nicht Klotz am Bein sein zu wollen? Der Familie, der Mutter?

00:19:00: Maren Ja, das denke ich schon. Und auch zu spüren, dass es in anderen Familien auch einfach fröhlicher zuging. Das ist nicht so, ihre Mutter hatte schon so ein bisschen düstere Stimmung oft verbreitet, und das hat ja dann eigentlich schon schon wirklich auch Spaß gemacht. Und sie hat ja auch Zither spielen gelernt die Margarete. Das ist ja auch total irre, dass sie mit ihrer Einschränkung auch noch ausgerechnet die einzige war der Geschwister, die ein Instrument gelernt hat. Für Zither braucht man beide Hände.

00:19:25: Marko Okay.

00:19:26: Maren Die eine muss zupfen, die andere muss drücken, sozusagen die Saiten drücken. Das hat sie aber geschafft. Das hat sie sogar so gut geschafft, dass sie sogar zwei kleine Jungs später unterrichtet hat im Zither-Spiel. Und sie war sehr gern gesehen überall. Man hat sie gerne eingeladen, um sie eben zu beschäftigen für die Aussteuer, weil sie Musik gemacht hat, weil sie gesellig war, weil sie viel erzählt, schöne Geschichten erzählt hat, weil sie ein witziger Typ war. Die Leute haben sie sehr, sehr gerne bei sich gehabt.

00:19:55: Marko Gibt es über diese frühe Zeit eigentlich irgendwelche Quellen? Weil wir befinden uns ja irgendwie in einer unteren Mittelschicht und normalerweise wird über solche Menschen nicht besonders viel geschrieben.

00:20:05: Maren Sie hat selber über ihr Leben was geschrieben. Als sie erwachsen war, hat sie den Neffen und Nichten sozusagen einmal aufgeschrieben, wie ihr Leben war. Das ist jetzt keine Art, kein Tagebuch. Es heißt zwar immer Tagebuch, aber es ist kein Tagebuch. Sie hat es eben erst als reife Dame sozusagen noch mal rückblickend aufgeschrieben und insofern auch für ihre Neffen und Nichten natürlich auch, ja, vielleicht manches auch weggelassen, was nicht so schön war, anderes ein bisschen witziger geschildert. Und da beschreibt sie zum Beispiel auch, aber auch ganz deutlich, und da muss man manchmal ein bisschen zwischen den Zeilen lesen, wie schwierig das auch mit der Mutter war. Das würde ich eigentlich gerne euch noch mal vorlesen. Ich bin ihr zwar heute recht von Herzen dankbar, dass sie uns Arbeit und Genügsamkeit gelehrt hat und dass sie mich nicht verwöhnte, wie so häufig Mütter ihre leidenden Kinder verwöhnen und verzärteln. Ich war nie so brav und folgsam gewesen wie meine Schwestern. Es hieß oft: Die böse Gret. Einmal noch zur Schulzeit war meine Mutter gar nicht mit meiner Arbeit zufrieden und ich hatte doch fleißig gehäkelt. Da rührte ich zwei Tage keine Arbeit mehr an, sagend: Wenn das nicht genug ist, schaffe ich gar nichts mehr. Das hörte natürlich bald auf, denn die Mutter wurde schon fertig mit uns.

00:21:19: Marko Klingt so, als wär sie ziemlich streng.

00:21:22: Maren Ja, und das ist natürlich für mich als Romanautorin natürlich ein Moment, der ganz viele Bilder entstehen lässt. Wie war dieser Moment? Was ist da passiert? Wie war die Stimmung? Was ging ihr durch den Kopf? Also solche Texte haben wir von Margarete. Näheres sagt sie dazu nicht, aber die Fantasie kann da natürlich loslegen.

00:21:42: Marko Wie viel Fantasie? Du bist ja von Hause aus Historikerin und eher gewohnt, Sachbücher zu schreiben, Biografien hast du einige veröffentlicht. Ja wie viel Freiheit hast du dir denn erlaubt, in dem du da diesen Roman geschrieben hast, in dem du die Figur dann ja auch mit Leben füllen musstest, jenseits dieser Texte.

00:22:02: Maren Also alles, was man recherchieren kann, alles, was Ihr Leben in Giengen betrifft, die Stadt, die Firma, die Firmengeschichte, alles, was ich genau weiß, habe ich auch nicht verändert. Ich habe eigentlich nur die Lücken gefüllt, da, wo wir etwas nicht wissen und habe immer gefragt: Ist das plausibel? Könnte das so gewesen sein? Denn ich will ja keine neue Margarete erfinden, sondern ich will ja die Margarete, die historische Margarete, die es gibt, die möchte ich ja ein bisschen zum Leben erwecken. Und insofern ist die Historikerin und die Autorin, die Romanautorin sind ja schon oft auch in Diskussionen verwickelt, miteinander sozusagen. Kann ich das so erzählen oder nicht? Geht das...

00:22:40: Marko Als Geschichte wäre es gut, als Fakt ist es nicht da - so...

00:22:45: Maren Ja oder dass die Fakten-Sucherin sagt: Schau mal, ich habe da noch was gefunden, eine Quelle, das war doch da und da und so und so, da musste jetzt glaube ich was ändern.

00:22:54: Martin Aber das ist der Grund gewesen, weswegen du dann eben auch diese Form des Romans gewählt hast, weil da eben ja Lücken waren, die man in dieser Art füllen konnte, die man jetzt mit einer rein historischen Biographie dann doch wahrscheinlich dann sehr rudimentär nur geblieben wären.

00:23:10: Maren Ja, natürlich. Also wenn man das - diese Situation mit dem Elefäntle, dieser magische Moment - als Historikerin könnte ich ja nur beschreiben, dass sie das als Nadelkissen genäht hat und dass sie später Filztiere gemacht hat. Als Romanautorin kann ich ja diese Szenen, wo die Neffen das in die Hand nehmen, wie sie merkt, was da drinsteckt in diesem kleinen Tier, ja Ausschmücken ist gar nicht mal richtig, sondern überhaupt Ausformulieren, überhaupt entstehen lassen. Denn diesen Moment muss es ja gegeben haben. Es muss den Moment gegeben haben, in dem sie merkte: Das ist was ganz anderes als das, was ich vorhatte. Und so gibt es in Ihrem Leben mehrere solcher Momente, wo ich weiß, irgendwann hat es diesen Moment gegeben. Sie erzählt ihn zwar uns nicht, aber er muss da gewesen sein. Und deswegen kann ich tatsächlich als Autorin dann mir da die Freiheit nehmen, zu sagen: Okay, ich erzähle das jetzt mal so, dass es dazu passt, zu der Geschichte.

00:24:01: Martin Ich finde, das sollten an dieser Stelle noch mal Maren Gottschalk, die Autorin hören, die sich in den Moment hineinversetzt, wo ein Stofftier ein kleiner Elefant zu Leben erweckt.

00:24:13: Maren Also nachdem Margarete bei ihren Verwandten war und wieder festgestellt hat, dass die Kinder dieses Elefäntle sofort zum Spielen ins Herz geschlossen haben, sitzt sie abends in ihrer kleinen Werkstatt in der Leder-Gasse und holt sich ihr letztes Elefäntle, was sie noch hatte, und stellt es vor sich auf den Tisch. Vorsichtig, als könne sie dem Tier wehtun, drückt sie es an ihr Gesicht, so wie Otto es gemacht hat. Es riecht nach Wolle und winzige Fasern kitzeln sie an der Nase. Obwohl sie sich lächerlich dabei vorkommt, hält sie es sich ans Ohr. Aber das Elefäntle spricht nicht zu ihr. Sie stellt es zurück auf den Tisch und streicht ihm über den glatten Rücken. Hat es ihr da gerade zugezwinkert? Laut fragt sie: Was ist dein Geheimnis, Elefäntle? Ich sollte es doch erfahren dürfen. Ich habe dich doch genäht. Die Idee mit dem Nadelkissen scheint dir nicht so zu gefallen. Du willst lieber ein Spiel-Tier sein, hab ich recht? Sie stupst es zart mit der Fingerspitze an und wartet einen Moment. Die Kinder schließen dich sofort ins Herz, erklärt sie dem Elefäntle. Warum? Weil du so hübsch bist? So weich? Oder weil du einen so freundlich anschaust? Sie stützt die Ellbogen auf den Tisch und legt das Kinn auf die Hände. Nun starrt sie das Elefäntle von oben an. Man kann doch nicht von ihm lernen, überlegt sie. Ein Filztier bietet keine sinnvolle Beschäftigung wie es Puppen tun oder Zinnsoldaten. Leider bist du unnütz, sagt sie bedauernd. Du bist nur ein kleiner Elefant. Weich und lieb bist du ja, und du kannst zuhören. Mehr aber nicht. Der Schein der Petroleumlampe spiegelt sich in den schwarzen Porzellan- Knopfaugen. Und wieder sieht es so aus, als zwinkere das kleine Tier. Muss alles einen Nutzen haben, scheint es zu fragen. Kann ich nicht einfach nur das sein, was du gerade nicht begreifen willst? Die Kinder haben es sofort erkannt. Ich bin ihr Freund. So könnte es gewesen sein.

00:26:06: Marko So könnte es gewesen sein. Du hast hier - das ist das Elefäntle.

00:26:09: Maren Das ist eine kleine Version. Das Originale Elefäntle ist größer und hat auch richtig vier Beine. Das ist jetzt sozusagen ein kleines, eine kleine Hommage an das Elefäntle, was die Steiff Firma zum Jubiläum dieses Jahr herausgegeben hat.

00:26:24: Marko Dieses Elefäntle. Dieser Prototyp des Elefäntle, der entsteht in ihrem Näh-Geschäft.

00:26:32: Maren Genau.

00:26:33: Marko Eigentlich als Nadelkissen. Das heißt, hier oben rein in den Rücken sollten die Nadeln gestopft werden, damit die nicht verloren gehen.

00:26:42: Maren Ganz genau.

00:26:42: Marko Okay.

00:26:43: Maren Es war so, dass Margarete, nachdem ihre Schwestern ausgezogen waren, also alleine zurückblieb und ihr dann der Vater zum 24. Geburtstag eine eigene Werkstatt gebaut hat, in dem in dem ersten Stock von dem elterlichen Haus.

00:26:56: Marko Wow.

00:26:57: Maren Ja, das war wirklich toll. Es war auch so ein Zeichen. Wir glauben an dich. Du bist jetzt aber auch erwachsen genug, um mal so ein bisschen deinen eigenen Haushalt zu haben. Sie hat auch eine kleine Küche und ein kleines Wohnzimmer, ein Schlafzimmer da oben. Und sie hat dann drei Jahre später ein richtiges Geschäft gegründet, sozusagen ein Filz-Geschäft. Und hat damals auch noch ein paar andere wichtige Entscheidungen getroffen. Sie hat die erste Näherin eingestellt, sie hat eine Wärterin eingestellt, also eine Art Pflegerin, Betreuerin, jemand, der ihr geholfen hat beim Waschen, bei diesen ganzen Dingen, die sie nicht alleine konnte. Und sie hat eine Rampe an das Haus anbauen lassen, an das Elternhaus, damit sie barrierefrei im Rollstuhl das Haus verlassen konnte, sitzend und nicht mehr huckepack hinein oder hinausgetragen werden musste. Und ich glaube, das war für sie ganz, ganz wichtig.

00:27:46: Marko Das heißt aber, sie muss mit diesem Laden auch schon Erfolg, pekuniären Erfolg, Geld verdient haben?

00:27:51: Maren Genau. Sie hat gut gearbeitet, ordentlich gearbeitet, die Leute haben bei ihr bestellt. Sie hatte dann irgendwann die Idee, eben mit Filz zu arbeiten. Zuerst waren es gar keine Tiere, sondern erst waren es Filz-Röcke und Filz-Mäntelchen für Kinder und Filz-Decken und Filz-Schnickschnack, was man alles so im Haus so an Staubfängern damals sich die bürgerlichen Familien da so hingehängt haben. Es gab eine Filz-Fabrik in Gingen, die gehörte ihrem Cousin. Insofern hatte sie da gute Konditionen, immer gleich das Material auch. Und das war auch einer ihrer wichtigen Dinge, dass sie mit der Familie gemeinsam gearbeitet hat. Sie hat ihre Neffen später alle auch ins Geschäft geholt, sie hat mit ihren Cousins gearbeitet, hat sich also auf die Familie da auch verlassen. Und nachdem sie dieses Filz-Geschäft gegründet hatte, da ging sozusagen erst langsam, aber dann immer schneller die Post ab und dann kamen halt auch immer mehr Tiere dazu.

00:28:46: Marko Also es gab halt nicht nur den Elefanten, sondern was kommt als nächstes dazu?

00:28:50: Maren Das Kamel, der Hund, das Lämmchen, Hase, Schweinchen, Bär gab es auch schon sehr früh. Kein Teddybär sondern ein Steh-auf-Bär.

00:29:02: Marko Und hatten die auch schon diesen Knopf?

00:29:04: Maren Nein, nein, nein, der Knopf kommt viel, viel später.

00:29:06: Marko Viel später.

00:29:06: Maren Kommt viel später erst. Sie war sozusagen eine erfolgreiche Geschäftsfrau, hatte erst parallel die Tiere in verschiedenen Größen auch, auch als Reittiere, zum Beispiel - das Elefäntle gab es auch als Reittier mit Rollen. Ihr Bruder hat dafür so ein Gestell gebaut und dann gab es so ein richtiges zum drauf sitzen so ein Elefäntle und parallel dazu hat sie aber immer noch diesen ganzen Filzkram, da diese Haushalts-Verschönerungs-Sachen auch genäht.

00:29:30: Marko Und dass das alles in diesem Geschäft oder wie muss ich mir das vorstellen.

00:29:33: Maren Genau alles in diesem in ihrer kleinen Werkstatt. Und sie hat dann eine Firma gehabt in Stuttgart, für die sie sozusagen exklusiv genäht hat, Firma Siegler, denen hat sie alles geschickt und die haben das dann für sie verkauft. Was sie sich auch sozusagen rausgenommen hat. Man könnte ja eigentlich denken, dass sie das überhaupt so geschafft und so viel gearbeitet hat: Da hat sie sich geleistet zu reisen. Und das war ja damals, im 19. Jahrhundert, wirklich eine aufwendige Geschichte, auch teuer. Und man konnte auch nicht für drei Tage verreisen, sondern mindestens für drei Wochen oder eher drei Monate. Sie ist - irgendwann hat sie angefangen, Freunde, Verwandte zu besuchen und sie hatte da auch einen Spruch. Das hat sie in ihrer Lebensbeschreibungen auch erzählt, das kann ich mal vorlesen: Das sehr wahre Sprichwort "Der Mensch treibt just das am stärksten, wozu er am wenigsten Beruf hat" habe ich deutlich illustriert, indem ich zu gerne reiste. Meine erste Reise ging nach Geislingen. Das ist jetzt gar nicht besonders weit weg von Gingen. Zuerst musste man mit der Post nach Heidenheim, von dort nach Gerstätten, wo ich übernachten musste. Wir hatten Verwandte im Gasthof, wo ich über Nacht blieb und morgens in aller Früh nach Geislingen fuhr. Der Wagen, das war ihr Rollstuhl, war durch Boten-Fuhrwerke vorausgeschickt und kam demoliert in Geislingen an, der Schaden wurde schnell ausgebessert und es hat mir bei den vielen Lieben sehr gut gefallen. Bei meiner bekannten Unverfrorenheit nahm ich alles, was man für mich tat, zwar mit großem Dank, jedoch als ganz selbstverständlich.

00:31:05: Martin Also, sie ist mit großer Sicherheit eine emanzipierte Frau im 19 Jahrhundert.

00:31:11: Marko Zäh, zäh, geschäftstüchtig.

00:31:14: Martin Ist sie auch eine Feministin?

00:31:16: Maren Das war Margarethe eigentlich nicht. Also nicht von dem, was sie von sich gegeben hat oder was sie ihren Nichten jetzt mitgegeben hätte. Sie hat schon erwartet, dass ihre Nichten alle heiraten und dann auch ihren Beruf aufgeben. Sie haben vorher auch bei Steiff gearbeitet, aber dann sollten sie aufhören. Und sie hat immer gesagt: Also sie konnte ja nicht anders. Sie konnte dieses traditionelle Modell nicht leben, weil das bei ihr einfach nicht ging. Aber die Nichten sollten das ruhig so machen. Aber sie war natürlich emanzipiert. Und was ich auch so toll finde ist, dass sie ja auch die Möglichkeit hatte, wirklich diese Hilfe anzunehmen. Ich meine, sie musste sich bei sehr vielen Dingen helfen lassen, immer auch tragen lassen. Also das ist auch so ein Moment, der für mich als Romanautorin so wichtig war. Die Margarete Steiff wurde ganz viel getragen. Wie erlebt man das eigentlich? Wie ging das denn eigentlich als Jugendliche von ihrer Mutter, ihrem Vater, ihren Schwestern, aber auch Freundinnen, aber auch den Eltern von den Freundinnen, von dem Pfarrer, da, wo sie gewohnt hat. Also das sind auch so Momente, wo man sich wirklich fragen muss: Wie hat sie das eigentlich so weggesteckt?

00:32:26: Martin Also eine Frau mit körperlichen Einschränkungen, aber stark auf der anderen Seite. Und Du hast Melahat Simsek, die das Zeitzeichen dazu gemacht hat, auch danach gefragt.

00:32:38: Maren Genau. Ich wollte von ihr wissen, wie sie eigentlich, was sie über die Kraft und die Zähigkeit von Margarete Steiff denkt.

00:32:44: Melahat Immer wieder Grenzen überwinden, geduldig sein, ein Hang zur sozialen Gerechtigkeit, Familiensinn das sind so die Attribute gewesen, die für mich Margarete so nahbar und auch sympathisch machten während meiner Recherchen für das Zeitzeichen. Wir dürfen nicht vergessen - 1900 als Frau, so ein Unternehmen aufzubauen ist schon wahnsinnig mutig. Etwas in Gang bringen und ihrer Selbstwirksamkeit bewusst sein und nicht in eine Opferrolle verfallen. Das fand ich auch noch mal ganz spannend, weil in ihrer Situation hätte das ja ganz schnell passieren können. Also das sind so die Punkte, die mich besonders an Margarete Steiff faszinierten.

00:33:24: Marko Reden wir vielleicht noch mal an der Stelle über das Produkt, was sie da herstellt. Wir haben eben gesagt, und sie hat das auch in deinem Roman zumindest irgendwie erkannt: Es hat eigentlich erst mal keinen pädagogischen Wert, so schätzt sie das wohl selber ein. Trotzdem scheinen sich diese Dinge ganz gut zu verkaufen.

00:33:43: Maren Ja, sehr. Und das geht auch so rasant nach oben, diese Verkaufszahlen. Wir haben da so ein paar Listen auch, wo man sehen kann, am Anfang sind vielleicht mal so 21 Elefäntle verkauft, dann gibt es ein Jahr später vielleicht sogar ein paar weniger. Aber dann kommen auf einmal 50, dann kommen auf einmal 120. Das geht so rasant nach oben und mit den anderen Tieren auch, dass sie irgendwann auch beschließt, dass sie die ganzen anderen Filz-Produkte weglässt und nur noch Spiel-Tiere macht. Und zwar nicht nur aus Filz, sondern auch mit Plüsch und Krimmer. Das ist so ein so ein Stoff, der sieht ein bisschen aus wie so so ein Fell, so ein Katzen-Fell oder so was auf Textil.

00:34:26: Martin Wo sind wir da zeitlich? Wann ist das?

00:34:28: Maren Also das ist so ungefähr in der Zeit - 1883 hat sie das Filzgeschäft gegründet und dann 1897 geht es so richtig steil nach oben. Da kommt Ihr Neffe Richard ins Geschäft, da haben Sie die erste Messe auch, die Sie besuchen in Leipzig. Und da werden die Plüschtiere jetzt so richtig, so richtig erfolgreich. Und sie haben dann am Anfang, also im Jahr 1897 50 Angestellte und noch 30 Heimarbeiterinnen und einen Umsatz von 90.000 Mark.

00:34:59: Marko Das ist ein mittelständischer Betrieb.

00:35:01: Maren Ist schon ziemlich groß. Genau. Aber da, ab da geht es dann - zehn Jahre später wird es einfach gigantisch.

00:35:06: Martin Das ist ja auch die Ära der Gründerzeit. So spricht man ja auch davon. Ist sie eine klassische Gründerin, so wie man die Industrie-Gründer beschreibt? Oder sticht sie da doch auch in eine andere Richtung aus?

00:35:19: Maren Doch, das ist sie auf jeden Fall. Sie ist dann auch aus ihrer kleinen Werkstatt zu Hause ausgezogen. Ihr Bruder, der auch Baumeister war, baute ein richtig schönes Haus und dann gleich daneben noch ein zweites, weil das dann schon sofort auch wieder zu klein ist. Und wieder ein paar Jahre später wird dann eine richtige Fabrik gebaut und das einzige, was sie dann unterscheidet eigentlich von einem männlichen Gründer, ist: Sie hätte sicherlich als männlicher Gründer so was vielleicht im Reichstag einen Sitz gehabt oder den Titel Kommerzienrätin oder so was bekommen - Kommerzienrat, solche Ehrentitel oder Ehren- Funktionen in der Stadt, die hat sie nicht bekommen, weil das war nicht vorgesehen, dass eine Frau das macht.

00:36:02: Marko So aber was man sich ja fragen muss, warum sind diese Tierchen so plötzlich so wahnsinnig erfolgreich? Was macht die denn so aus?

00:36:09: Maren Ja, das ist so ein bisschen die Zeit, wo die Kindheit auch, sage ich mal, neu, neu definiert wird, wo die bürgerliche Familie sagt: Kindheit das ist ein geschützter Raum. Kinderarbeit wurde verboten in der Zeit Ende des 19. Jahrhunderts.

00:36:21: Martin Also diese Idee, dass Kinder nicht einfach klein gewachsene Erwachsene sind, die einfach nur größer werden.

00:36:25: Maren Und die sofort mitarbeiten müssen, sobald sie irgendwas mit der Hand ordentlich anfangen können, sondern die auch einen geschützten Raum haben sollen, die was lernen sollen, die aber auch spielen dürfen.

00:36:36: Marko Ein Paradigmenwechsel, den sie ja dann sozusagen, den sie noch gar nicht erfahren hat. Also sie muss ja gleich mit arbeiten und so weiter.

00:36:44: Maren Genau, ja, sie hat das anders gemacht. Genau das ist.

00:36:47: Marko Die Erfindung der Jugend.

00:36:49: Maren Ja, also sie hat das selber so nicht erlebt. Und sie beobachtet das auch mit so ein bisschen Erstaunen natürlich, was das für ein wahnsinniger Erfolg ist. Und mit der Theorie der Reformpädagogik: Ob sie sich da sehr nah mit beschäftigt hat, das weiß ich gar nicht. Darüber ist sehr wenig bekannt. Aber dass sie dieses Motto hat: Für Kinder ist nur das Beste gut genug, das ist bekannt, dass sie das so sieht.

00:37:12: Marko Womit wir beim Thema Qualität sind. Und das weiß ich auch noch aus meiner Kindheit. Ich durfte eben auch keinen Steiff-Teddybären haben, weil die zu teuer waren. Und meine Eltern haben mir immer gesagt: Ja, die sind total toll. Und die Qualität ist total super. Aber wir können es uns nicht leisten. Also das war auch damals schon oberster Anspruch von Margarete Steiff.

00:37:35: Maren Absolut, absolut. Weil sie auch gesagt hat: Kinder, die knallen so ein Stofftier auch mal in die Ecke und das darf dann nicht gleich kaputtgehen, da dürfen nicht die Ohren abreißen oder so was. Man weiß ja auch, wie Kinder mit ihren Spielsachen umgehen, das war ihr schon klar. Und deswegen hat sie immer gesagt: Ihr müsst super gut und tolle Arbeit leisten, ihre Näherinnen und Stopferinnen. Sie hat da eine sehr strenge Kontrolle auch gemacht. Sie wusste ja auch, wie jedes einzelne Tier genäht wird und hat da sehr streng kontrolliert. Auch dass die mit den richtigen Sachen gefüllt werden und nicht mit irgendwelchem Schrott, dass da nicht irgendwelche Sägespäne reingestopft werden oder Korken-Reste, sondern wirklich Scheer- Wolle. Am Anfang war das eben ganz, ganz wichtig. Und insofern hat sie auf die Qualität geachtet. Und das war ja dann das Problem, dass andere sie natürlich kopiert haben. Und andere Firmen wollten auch Spiel-Tiere herstellen und auch so zu dem Preis verkaufen wie die Firma Steiff. Und das war dann der Moment, wo sie versucht hat, ihre Produkte zu schützen. Da gab es dann erst eine sogenannte Schutzmarke, so ein kleines Papierchen, was den Tieren angenäht wurde. Die sind aber beim Spielen natürlich abgerissen. Und der Knopf im Ohr, der kam dann tatsächlich - das war eine Erfindung Ihres Neffen Franz. Der kam dann leider auch erst relativ spät in Ihrem Leben. Aber immerhin hat sie es noch mitgekriegt. Ich weiß nicht: Ich hatte ja ein Steiff-Zebra und da ich immer Tierärztin werden wollte, habe ich natürlich alle meine Kuscheltiere auf dem OP gehabt und auch das Zebra. Und ich habe wirklich versucht, diesen Knopf raus zu operieren und es ist mir nicht gelungen, weil die so toll vernietet sind, diese Knöpfe, damit man die Steiff-Tiere eben erkennt und und nicht kopieren kann.

00:39:24: Marko Und damit man den Knopf nicht verschluckt.

00:39:26: Maren Ja, das ist so.

00:39:27: Marko Dieser ganze Kram, das gehört ja mit dazu.

00:39:29: Maren Gehört vielleicht auch noch.

00:39:31: Marko Aber wenn das so hohe Qualität ist, ist so ein Stofftier was für Besserverdienende? Die Kinder von Besserverdienenden? Das ist so.

00:39:38: Maren Ja, das muss man schon sagen. Das war sicherlich nicht was, was sich die armen Leute leisten konnten. Und die Näherinnen, die Leute in Gingen, die bei Margarete gearbeitet haben, kriegten jedes Jahr ein Steiff-Tier für ihre Kinder auch geschenkt. Also das war schon eine besonders gute Qualität, das ist richtig. Ja.

00:39:54: Marko Kann man so sagen, was so ein Tierchen gekostet hat. Ist das so ein halber Monatslohn? Wahrscheinlich nicht, aber.

00:40:01: Maren Der Teddybär irgendwann kostete, sollte acht Mark kosten. Das war wirklich teuer. Der war aber auch das erste richtig bewegliche Tier. Also der hatte dann als erster die Arme und Beine, die bewegt werden konnten. Das hatten die anderen Tiere noch nicht. Insofern war der wirklich noch mal ein ganz besonderes Produkt und deswegen wollte Margarete den auch erst mal gar nicht haben. Als ihr Neffe Richard den nämlich erfunden hat, den Teddy, den wir heute so im Kopf haben, als Teddy...

00:40:28: Marko Das ist der hier - dieses Modell. Mit beweglichen Armen und Beinen, ja.

00:40:29: Maren Und den Kopf kann man drehen, okay. Und der sieht ja eigentlich nicht aus wie ein richtiger Bär. Ein Bär hat vier Pfoten, und der hat eigentlich zwei Arme und zwei Beine. Der ist nämlich ein bisschen wie ein kleines Kind eigentlich. Und sie fand ihn zwar sehr süß, als der Richard ihr diese Zeichnung zeigte, meinte aber, er ist viel zu teuer, viel zu aufwendig. Sowas können sie gar nicht herstellen und er hat sie dann dazu überredet. Und auch das ist wieder so ein magischer Moment. Irgendwann muss der Moment gewesen sein, wo sie dachte: Na gut, dann produzieren wir jetzt eben doch mal 100 Stück davon oder ein paar 100.

00:41:04: Martin Und das war ein Bär, aber der hieß zu dem Zeitpunkt noch nicht Teddy, oder?

00:41:09: Maren Nee, nee, der hieß einfach nur Bärle. Eiigentlich hieß er ja sogar PB 55. PB für Plüschbär. 55 war die Größe, der erste Plüsch-Bär war nämlich viel zu groß. 55, später wurden sie dann 35, das war dann...

00:41:26: Martin Zentimeter.

00:41:27: Maren Zentimeter. Das war dann sozusagen der Prototyp des Teddys, den wir heute so im Kopf haben.

00:41:33: Marko Der PB 35.

00:41:35: Maren Der PB 35 und der Name Teddy, den hat er ja dann vom amerikanischen Präsidenten bekommen.

00:41:40: Martin Ja, die Geschichte müssen wir auch noch erzählen. Wie war das?

00:41:43: Maren Ja, also, Theodore Roosevelt war ein Jäger, ein passionierter Jäger. Und eines Tages war er auch wieder auf der Jagd. Und es gab wohl keine Tiere dort zu schießen. Und seine Mitarbeiter wollten irgendwas Gutes ihm tun und haben so ein armes Bären-Junges mit einem Strick um den Hals ihm sozusagen vor die Flinte gezogen, so nach dem Motto: Hier, hier ist was zum Abknallen. Und er hat das weit von sich gewiesen. Nein, natürlich würde er dieses Bären-Kind nicht schießen. Und es gab dann eine Karikatur in einer Zeitung, auch wo man sieht, wie Roosevelt da steht und so mit dem Arm abwehrt. Nein, das mache ich nicht. Und seitdem war er sozusagen als Freund der kleinen Bären bekannt. Und bei einem Gala-Essen haben dann Mitarbeiter die Idee gehabt, den ganzen Tisch mit Bären zu dekorieren. Das waren aber noch nicht die Steiff Bären, das waren irgendwelche Bären Figürchen die sie irgendwo her gefunden hatten.

00:42:39: Marko Billig-Bären?

00:42:40: Maren Genau, Billig-Bären, amerikanische. Und dann hat man ihn gefragt, ob diese Bären denn nach ihm Teddy benannt werden dürfen. Und da hatte er nichts dagegen. Und so kam dann, weil zur selben Zeit auch die, die Gingener Bären dann entdeckt wurden von einem amerikanischen Einkäufer, die kamen dann auch in die USA und die kriegten dann auch den Namen Teddy.

00:43:01: Martin Von Giengen in die weite Welt bis in die USA.

00:43:04: Maren Genau. Ja die USA die waren absolute Fans von dem von den Teddys. Also die haben ja dafür gesorgt, dass im Jahr 1907 fast 1 Million Teddys verkauft wurden. Also da sind wir dann bei ganz anderen Zahlen. Da haben wir dann 400 Festangestellte und 1800 Heim-Arbeiterinnen im Jahr 1907.

00:43:24: Martin Hat zu dem Zeitpunkt Margarete Steiff noch selber genäht, hat sie Tiere entworfen oder womit hat sie sich beschäftigt?

00:43:33: Maren Also zu dem Zeitpunkt war das ja schon wirklich ein sehr großes Unternehmen. Sie war auf jeden Fall immer gerne dabei bei den Näherinnen, auch um zu zeigen, sie macht noch mit, um zu gucken: Machen die das gut, um so ihren Arbeitsethos auch noch zu zeigen. Das hat sie schon gemacht. Ob sie noch viel entworfen hat damals, weiß ich nicht. Da gab es ja schon Entwurfs-Abteilungen, Design-Abteilung und Marketingabteilung, so was alles. Aber sie war auf jeden Fall immer im Geschäft und war da präsent. Und zu dem Zeitpunkt produzierte die Firma Steiff ja in dem sogenannten Jungfrauen-Aquarium.

00:44:04: Marko Wo.

00:44:06: Maren Im Jungfrauen-Aquarium.

00:44:08: Martin Das war nicht der offizielle Name.

00:44:10: Maren Nein, das war der Spitzname, der Gingener für dieses Gebäude. Das war ein absolut geniales, eine geniale Fabrik, nämlich aus Stahl und Glas gebaut.

00:44:21: Marko Das war das futuristisch.

00:44:22: Maren Das was das erste Stahl-Glas Gebäude, was es in Deutschland gab. Das war so neu, dass das Bauamt in Gingen, als sie den Bauantrag eingereicht haben, erst mal gesagt haben, sie verbieten das, sie erlauben das nicht, weil sie wussten gar nicht, was sie da - also so was gab's noch nie. Da haben sie gesagt: Nein. Und Margarete und ihre Neffen, die haben das trotzdem einfach gebaut. Und als die Genehmigung dann kam, war das Ding schon fertig. Und das ist absolut genial. Das steht da heute noch. Also heute gibt es ganz viele von diesen Hallen. Damals war es erst mal eine. Ja, und dort haben sie diese wunderbaren Stofftiere produziert.

00:44:53: Martin Warum jetzt Jungfrauen-Aquarium?

00:44:55: Maren Weil da hauptsächlich unverheiratete Frauen dort gearbeitet haben. Das waren die Näherinnen und die Stopferinnen das waren überwiegend Frauen und eben unverheiratet. Damals sind eben Frauen oft, wenn sie geheiratet haben, nicht mehr arbeiten gegangen, sondern wollten dann ja zu Hause sein.

00:45:13: Marko Das war ein Frauen-Job. Das heißt, ich muss mir vorstellen, dass es dieses Klischee nähen und so, da haben jetzt keine Kerle gearbeitet.

00:45:17: Maren Da haben auch Männer gearbeitet, aber überwiegend Frauen, weil man eben diese feine Näharbeit, traditionell haben das eben die Frauen gemacht.

00:45:26: Marko Und das ging auch alles per Hand und nicht maschinell.

00:45:27: Maren Also mit Maschinen kann man das eigentlich - man kann so ein Teddybär nicht mit einer Maschine nähen. Also es gibt ganz wenige Nähte, die so lang sind, dass es sich lohnt, dafür eine Maschine zu nehmen. Normalerweise werden die dann eben mit der Hand genäht und da werden die auch mit der Hand gestopft. Die haben ja alle die kleinen Öhrchen, die Ärmchen. Beim Kamel - das war ja auch sehr beliebt - oder die Giraffe, das kannst du nicht mit der Maschine stopfen, das musst du fein mit der Hand machen.

00:45:51: Martin Das kannst Du nicht, sagst du - ist das heute immer noch so?

00:45:52: Maren Ja, also man kann es sich heute angucken in Gingen, im Museum - Steiff Museums - das ist ein wunderschönes Museum übrigens, ganz, ganz tolles Museum.

00:46:01: Martin Du bist da gewesen.

00:46:02: Maren Ja, es ist wirklich extrem süß, das ist ganz, ganz nett und man kann dort auch sehen, wie die gemacht werden. Die werden immer noch von Hand gestopft.

00:46:10: Marko Also wir haben es so zu Beginn des 20. Jahrhunderts - haben wir es bereits mit einem Weltunternehmen zu tun. USA hast du eben gesagt.

00:46:20: Maren Europa in vielen anderen Ländern auch - Frankreich, England, Skandinavien, Italien waren die schon überall vertreten.

00:46:27: Marko Und überall jetzt auch mit Bären.

00:46:29: Maren Genau. Mich hat natürlich dann auch sehr interessiert, was Melahat Simsek, die das Zeitzeichen gemacht hat, was sie über den Erfolg der Firma Steiff gedacht hat und was sie daran fasziniert hat.

00:46:39: Melahat Margarete schuf ein Unternehmen von Weltrang, das darf man nicht vergessen. Also sie war sozial, hatte immer ein Ohr für ihre Mitarbeiterinnen, unterstützte sie auch bei privaten Problemen. Sie nahm sich nicht wichtig, führte das Unternehmen tatsächlich vorbildlich. Ich ertappe mich manchmal auch heute dabei, wenn ich mal wieder atemlos von einem Termin zum nächsten hechte, mir sage, Margarete wäre jetzt viel gelassener mit der ganzen Situation umgegangen. Das hilft ungemein.

00:47:07: Marko War das eine so gelassene Frau? Und vor allem: Was ist dran an dieser sozialen Gerechtigkeit? Also wir haben eben drüber gesprochen. Diese Tierchen sind unglaublich teuer. Wer da arbeitet, das sind wahrscheinlich junge Frauen, die das noch nötig haben. Und die kriegen dann auch mal eins geschenkt. Wie war diese Stimmung in dieser Firma und war sie wirklich jemand, der für soziale Gerechtigkeit und die Rechte der Arbeiterinnen gekämpft hat?

00:47:36: Maren Ja, gekämpft nicht, aber sie hat ihnen auf jeden Fall die Rechte eingeräumt. Sie war eine sehr großzügige Arbeitgeberin. Sie hat schon diese ganzen Frauen-Arbeitsrechts-Regeln, die ja auch so Ende des 19. Jahrhunderts erst Stück für Stück erlassen werden, ganz früh schon umgesetzt. Also auch diesen Mutterschaftsurlaub, den es irgendwann gab. Und sie hat ihre Arbeiterinnen gut behandelt, sie hat ihnen viele Kredite gewährt. Zum Beispiel wenn Leute wirklich dringend etwas brauchten, hat sie sie unterstützt. Sie hat sich wunderschöne Weihnachtsgeschenke für sie überlegt, da gibt es richtige Listen, die man noch nachlesen kann, wer was bekommen hat? Natürlich nicht mehr später bei den 1800 Heim-Arbeiterinnen. Aber am Anfang. Sie hatten sehr persönlichen Kontakt versucht zu halten zu ihren Mitarbeiterinnen.

00:48:22: Martin Und das mit der Gelassenheit stimmt auch.

00:48:25: Maren Ich glaube schon, weil sie konnte ja gar nicht hektisch durch die Gegend rennen, sage ich mal, so wie wir das heute vielleicht oft machen, sondern sie musste ja ein gewisses Tempo beibehalten. Sie musste auch darauf achten, dass sie gesund blieb. Insofern, glaube ich, hat sie schon so eine gewisse Gelassenheit. So sieht sie auch aus auf den Fotos, finde ich.

00:48:43: Martin Hat sie für ihre Arbeit und für ihre Stofftiere und ihre Fabrik gelebt oder gab es auch so etwas wie ein Privatleben für Margarete Steiff?

00:48:54: Maren Ja, es gab schon ein Privatleben. Also erst mal war die Familie ihr unheimlich wichtig, die Neffen und Nichten. Da sie selber keine eigenen Kinder hatte, hat sie einen sehr engen Kontakt gehalten mit denen, auch gerade die Nichten. Wenn sie im Ausland waren, hat sie mit denen geschrieben. Und dann hat sie ihre Freundinnen und Freunde besucht und sich für viele Dinge interessiert.

00:49:14: Martin Beziehungen private?

00:49:16: Maren Ja. Also die Tatsache, dass sie nicht geheiratet hat, heißt ja nicht, dass sie nicht vielleicht verliebt gewesen sein könnte in jemanden und auch nicht, dass sich jemand in sie verliebt haben kann. Das ist ja auch sehr plausibel. Die war sehr hübsch.

00:49:29: Marko Ja, war sie eine hübsche Frau?

00:49:34: Maren Hm. Und insofern habe ich mir erlaubt in meinem Roman einen Freund, einen Verehrer zu erfinden, den sie immer in Stuttgart trifft, im Haushalt ihrer Freunde. Das ist eine platonische Beziehung, denn eine heiße Affäre, das wäre völlig unplausibel gewesen, dem Fräulein Steiff so etwas zu unterstellen. Das hätte jetzt auch überhaupt nicht zu ihr gepasst, auch nicht zu ihrer Moral.

00:50:01: Martin Aber das hast du dir schon die Freiheit schon genommen.

00:50:04: Marko Haste gedacht: Machts spannender.

00:50:07: Maren Naja...

00:50:08: Marko So ein bißchen prickelnder...

00:50:08: Maren Wenn ich, wenn ich, wenn ich eine Frau auch zeigen möchte in ihrer Attraktivität als Frau, in ihrer sinnlichen oder träumerischen Art vielleicht auch, dann ist das der Weg dazu. Und dieser Herr Hansen heißt er.

00:50:23: Marko Der Herr Hansen.

00:50:24: Maren Der lebt in Hamburg, dem müsste ich ja, den müsste ich relativ. Balthasar, Johann Balthasar Hansen, ein Kaufmann, und den muss, der versteht auch was vom Kaufmännischen. Deswegen reden sie auch darüber. Er berät sie auch.

00:50:39: Marko So kamen sie zueinander. Und über die Bären.

00:50:43: Maren Und der musste in Hamburg leben. Denn wenn der jetzt, sage ich mal, in Stuttgart gelebt hätte, hätte er ja öfters vorbeikommen können in Gingen. Da kann ich aber die Geschichte nicht verfälschen, indem ich sage, da kommt jetzt alle drei Wochen ein Freund zu besuchen und wohnt dann irgendwo im Gasthof und die treffen sich. Das ging ja nicht. Also habe ich ihn sozusagen ein bisschen weiter weg gesetzt, sodass sie sich da in Stuttgart treffen können, wo Margarethe öfters war und sie...

00:51:08: Marko Treffen die sich heimlich bei Dir...

00:51:08: Maren Nein, nein, nein, sie treffen sich nicht heimlich, überhaupt nicht heimlich. Das ist ja auch, wie gesagt, das ist eine Art Freundschaft. Also ich finde es einen spannenden Menschen.

00:51:17: Martin Und ein erlaubter Kunstgriff auch für eine Historikerin.

00:51:21: Maren Absolut.

00:51:21: Marko Ob es einen wahren Herrn Hansen gegeben hat, das wissen wir nicht.

00:51:24: Maren Wissen wir nicht. Er hieß dann wahrscheinlich auch anders. Aber ein paar Dinge darf man, muss man als Romanautorin ja auch erfinden.

00:51:31: Marko Was man nicht wegdiskutieren kann Sie stirbt früh.

00:51:35: Maren Ja, mit 61, das ist...

00:51:37: Marko nicht alt...

00:51:38: Maren Ist nicht alt. Aber es ist für die damalige Zeit und das ist für jemanden, der Kinderlähmung hatte und ja nicht gelaufen ist, also auch immer so ein bisschen das Bewegungs Problem hatte, ist es schon - sie war sehr gesund eigentlich ihr Leben lang, ist an einer Lungenentzündung sehr schnell gestorben.

00:51:55: Marko Also die Krankheit hat sich nicht verschlimmert.

00:51:58: Maren Nein, nein, nein, nein. Genau. Genau. Sie fühlte sich selber immer als ein besonders gesunder Mensch.

00:52:03: Marko Dann stirbt diese Frau. Aber die Firma lebt weiter.

00:52:09: Maren Die Firma ist sehr erfolgreich. Heute immer noch.

00:52:11: Marko Immer noch bis heute. Steiff-Tiere werden immer noch gekauft?

00:52:14: Maren Auf jeden Fall. Es gibt ja auch in vielen Städten, auch hier in Köln, ein Geschäft, ein Steiff-Geschäft. Und dann gibt es dieses wunderbare Museum da in Gingen, wo man sich das alles angucken kann und gibt es auch in vielen Ländern. Die Japaner lieben zum Beispiel auch Steiff Tiere sehr.

00:52:30: Marko Es gibt auch Sammler, glaube ich.

00:52:31: Maren Ja, es gibt Sammler. Also wenn man einen Steiff-Bären von 1905 mit noch intaktem Knöpfchen und dieser Fahne vor allem da dran hat usw, dann kann man wirklich nachgucken in Katalogen, was man dafür bekommen könnte. Es gibt sehr sehr viele Sammler.

00:52:46: Marko Wer also da draußen einen Steiff-Bär mit Knopf im Ohr aus dem Jahre - welches Jahr muss es sein, was sind die seltensten.

00:52:53: Maren Ach ich finde so 1905 wäre ein interessantes Jahr.

00:52:56: Marko 1905 mit mit Knopf im Ohr und Fahnd dran sein Eigen nennt: Wir würden das eintauschen. Oder?

00:53:03: Maren Absolut.

00:53:04: Marko Zum Beispiel gegen Dein Buch. Hier liegt es auf dem Tisch: Maren Gottschalk: Fräulein Steiff, ein Roman.

00:53:12: Martin Erschienen bei Goldmann, 420 Seiten.

00:53:15: Marko Und du würdest es signieren, und wir nehmen den Bären dafür.

00:53:17: Maren Auf jeden Fall. Und wenn der Bär ein bißchen jünger ist macht es auch nix.

00:53:21: Marko Oder ihr schreibt uns unter www.diegeschichtsmacher.de Wenn ihr uns auf Steady unterstützt, so könnt ihr dieses Buch vielleicht auch ohne Bär gewinnen.

00:53:31: Martin Jawohl, auf Steady unter der genannten Adresse gibt es alle Informationen. Da könnt ihr großer oder kleiner Geschichtemacher, große oder kleine Geschichtemacherin werden. Für fünf oder 10 € im Monat könnt ihr uns dort unterstützen. Das würde uns sehr freuen und uns ermöglichen, dass wir diesen Podcast weiterführen können in Zukunft und weiterhin so reizende Gäste wie Maren Gottschalk bei uns haben dürfen, bei der wir uns noch mal ganz herzlich bedanken für den Besuch.

00:53:58: Maren Danke! Ich bedanke mich für euer Interesse.

00:54:01: Marko Wenn es euch gefallen hat, dann sagts euren Freunden, Bekannten, euren Stofftieren, allen Bären da draußen und in der ganzen weiten Welt.

00:54:11: Martin Und wenn es euch nicht gefallen hat, dann sagt es uns. Aber bitte nur uns. Und wir sagen Danke fürs Zuhören. Freuen uns auf euch. In 14 Tagen wieder bei den Geschichtsmachern. Bis dahin danke noch mal an Maren Gottschalk und an die Kollegin Melahat Simsek.

00:54:32: Tschüss. Tschüss.

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