Pocken: Die Geißel der Menschheit

Shownotes

Große Pusteln, dicht an dicht, bedecken den Körper. Sie jucken, wachsen immer weiter. Wenn sie eiternd platzen, verbreiten sie Gestank und hinterlassen tiefe Narben. Wer diese Krankheit überlebt, bleibt oft sein Leben lang gezeichnet. Schon Goethe litt als Kind unter den Pocken – dabei hätte bereits er geimpft werden können.

WDR-Kollegin Irene Geuer hat zwei ZeitZeichen gemacht, die sich mit den Pocken beschäftigen: Von Medizin-Historiker Malte Thießen konnte sie lernen, dass ein Blick in die Geschichte der Pocken auch für unser aller Zukunft wichtig ist. Und der ehemalige Leiter des Kölner Gesundheitsamtes, der Virologe und Sozialmediziner Jan Leidel, hat sie überzeugt: Wer einmal in den Tropen war und Kinder wie die Fliegen sterben sah, der ist kein Impfgegner mehr.

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Weitere Links zum Thema Pocken:

WDR-Zeitzeichen: Die WHO bestätigt 1979 den Sieg über die Pocken. Und: WDR-Zeitzeichen: Das Reichs-Impf-Gesetz führt 1874 eine Pocken-Impfpflicht ein

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GM Pocken DOWNMIX.wav

00:00:01: Marko Variola! Variola! Das ist doch wie ein wunderschöner Frauenname, oder?

00:00:06: Irene Wovon träumst!?

00:00:07: Martin Mich erinnert es eher an eine Plattenfirma, die irgendwann mal in den 80er Pleite gegangen ist.

00:00:11: Irene Ariola und Variola.Variola ist schrecklich. Variola ist so ziemlich das Schrecklichste, was man haben kann.

00:00:17: Marko Und darüber wollen wir heute reden in...

00:00:18: Intro Die Geschichtsmacher. Von den Autorinnen und Autoren des Zeitzeichens.

00:00:35: Marko Ja, Variola, das Schrecklichste, was man haben kann. Das Schrecklichste, was man haben kann, ist kalt. Wir haben Herbst. Wir sitzen in einem kalten, zugigen Hinterhof.

00:00:45: Martin Bei der Kollegin Irene Geuer, die uns heute nicht besucht, sondern wir besuchen sie in ihrem Hinterhof und.

00:00:50: Marko Und uns vor allem nicht ins Haus lässt - warum nicht?

00:00:52: Irene Ich lasse euch nicht in mein Haus. Weil die Corona-Zahlen derart steigen im Moment, dass die Gefahr, dass wir uns alle gegenseitig anstecken, so groß ist, dass wir lieber draußen bleiben. Also lieber ein bisschen frieren. Beziehungsweise Ihr habt ja dicke Jacken an, ich auch. Das geht ja alles. Und dafür aber gesund bleiben und an der frischen Luft zu sein ist sowieso gesund.

00:01:12: Martin Es ist ja auch schön bei dir im Hinterhof. Hier irgendwie: Die Vögelchen piepen und hier rankt der Efeu und wir sitzen hier und machen uns eine schöne Stunde. Na ja, vielleicht nicht so ganz so schön bei dem Thema. Nämlich zum Thema Pocken. Du hast dich mit den Pocken beschäftigt.

00:01:26: Marko Der Variola-Virus

00:01:29: Martin Der Variola-Virus, um zum Anfang zurück zu kommen.

00:01:30: Irene Es gibt ja viele Pocken: Es gibt Affen-Pocken, die hatten wir jetzt gerade gehabt. Das ist ein Verwandter, sehr viel ungefährlicher als Variola. Es gibt auch Windpocken, die man als Kind bekommen kann. Heute werden die Kinder geimpft. Ich hatte sie auch. Das Blöde ist, wenn man sie hatte, dann kann man Gürtelrose später bekommen. Und das ist noch so zehn, 20 Jahre später. Und Gürtelrose ist was ganz, ganz Unangenehmes. Das macht sehr, sehr viele Schmerzen. Deswegen impft man heute unter anderem die Kinder. Aber wie gesagt, diese Impfung ist noch nicht so alt wie wir. Deswegen hatten wir sie nicht.

00:02:03: Marko Aber das hat nichts mit Variola zu tun, oder sind die verwandt.

00:02:06: Irene Das sind alles Verwandte. Und alle Pocken haben eins gemeinsam. Sie machen, auch wenn sie schön klingen, wie Variola, sie machen hässlich. Sie machen einfach hässlich, weil sie sind da diese Pocken, die wachsen, die gehen irgendwann mal auf und dann werden sie narbig. Oder die Haut wird narbig.

00:02:22: Martin Pockennarbiges Gesicht.

00:02:23: Irene Pockennarbiges Gesicht...

00:02:24: Martin ...gibt es in der Literatur...

00:02:25: Irene Ja, hatte auch zum Beispiel Goethe, Goethe hatte auch Pocken, wie ganz, ganz, ganz viele Menschen in den früheren Jahrhunderten, die Pocken hatten, bevor man dagegen impfen konnte. Und das ist ja erst Ende Ende des 18. Jahrhunderts gekommen, dass man einen Impfstoff entwickelt hat.

00:02:43: Marko Aber diese Krankheit gibt es schon sehr lange.

00:02:45: Irene Ja, die gibt es seit Menschengedenken. Ramses der Fünfte soll auch schon Pocken gehabt haben. Das ist eine sehr, sehr alte Krankheit. Und das Gute ist, ich greife jetzt wahrscheinlich schon vor: Dieser Pocken Virus hat sich nie sehr verändert. Der war immer gleich da.

00:03:00: Marko Also, Ramses hatte schon dieselben Pocken, die wir heute auch noch kennen.

00:03:03: Irene Kann man so sagen. Oder die wir heute "kannten". Weil sie sind ja ausgestorben. Eigentlich. Also, es gibt sie noch bei den Amerikanern und bei den Russen. Aber eigentlich sind die Pocken nicht mehr vorhanden. Früher hat man gesagt, ausgerottet.

00:03:17: Martin Also bei den Amerikanern und den Russen. Meinst du in diesen geheimen Labors?

00:03:20: Irene Ja, genau. Genau die gibt es tatsächlich noch. Und es wird mit Sicherheit auch noch irgendwo auf der Welt ein Labor geben, wo so kleine Röhrchen ganz verstaubt rumstehen. Hat man nämlich gerade vor ein paar Jahren auch in den USA entdeckt, in der Universität - olles Labor, hat man aufgeräumt. Was findet man? Variola Pocken. Und die waren auch noch.

00:03:39: Marko So ein Päckchen Variola.

00:03:41: Irene Ja, hat man gefunden - die waren auch noch funktionstüchtig. Also man muss nicht glauben, dass es ausgerottet ist. Deswegen gibt es auch noch, auch zum Beispiel in Deutschland, immer noch Impfstoff gegen Pocken, obwohl es sie ja eigentlich nicht mehr gibt, und weil Variola Ende der 70er Jahre als ausgerottet galt, haben die Militärs zum Beispiel in der DDR oder auch in Russland und in den USA immer noch weiter Pocken geimpft, weil man nicht wusste, ob man die nicht doch noch mal als biologischen Kampfstoff wiedersieht.

00:04:12: Marko Wir reden also über Variola in allen Varianten. Fangen wir doch mal an: Wie fängt es denn an, wenn man Variola sich einfängt?

00:04:21: Irene Ich habe darüber mit Malte Thießen gesprochen. Malte Thiessen ist Medizinhistoriker beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe. Ein sehr, sehr kluger Mann, hat auch Bücher geschrieben und ist natürlich jetzt in der Corona-Zeit auch viel gefragt worden zum Thema Impfen und diese Sachen, weil er sich auch über die Impf-Geschichte sehr kundig gemacht hat. Und wir können ja mal hören, wie er das beschreibt mit Variola, denn er findet auch diese Krankheit sehr gruselig.

00:04:46: Malte Thießen Die Pocken sind tatsächlich eine der schlimmsten Krankheiten überhaupt. Noch bis ins 19. Jahrhundert sind die Pocken eigentlich ein Synonym für den Schrecken, werden auch oft so gebraucht im übrigen: Gott bewahre uns vor den Pocken und anderen Grausamkeiten. Ist so eine gängige Redewendungen. Das liegt daran, dass die Pocken hoch ansteckend sind, also über Tröpfchen-Infektion, aber selbst über Staub aus Kleidung und Ähnlichem jemanden infizieren kann und vor allem eine hohe Sterblichkeit mit sich bringen. Das heißt, man wird mit hoher Wahrscheinlichkeit infiziert und von den Infizierten sterben so zwischen 25 und 30 %, zumindest bis ins 19. Jahrhundert. Hinzu kommt, dass die Krankheit selbst einen schlimmen Krankheitsverlauf nimmt. Nach heftigem Fieber bilden sich eitrige, übelriechende Pusteln aus, eitrige Pusteln, die dann zum Teil auch aufplatzen. Es kommt, wenn man nicht stirbt, dann zu schweren Narben-Bildungen, ganz oft auch zu Erblindung, zu Lähmungen, weil diese Pocken-Narben dann eben entsprechend im Gesichts-Bereich oder anderswo sich ausbreiten. Kurzum wahrscheinlich die schlimmste Geißel der Menschheit, die man sich so vorstellen kann.

00:05:52: Martin Na ja, wenn man das so hört und sich vorstellt, dann kann man verstehen, warum das über Jahrhunderte und Jahrtausende eben als Geißel der Menschheit betrachtet worden ist.

00:06:00: Irene Da diese Krankheit auch so super ansteckend ist, waren auch viele davor überhaupt nicht gefeit. Man konnte sich fast dem gar nicht entziehen, wenn so eine Pocken-Welle kam. Und das war auch tatsächlich so, dass wenn jemand an Pocken gestorben ist und man nahm das Hemd und schüttelt es aus, des Toten oder so, dann konnte es passieren, dass über diese Staubpartikel eben halt man den Pocken-Virus einatmete. Und dann war es schon um einen geschehen. Und wer sie eben bekam, der war gezeichnet sein Leben lang. Ich habe es eben schon gesagt, Goethe war das. Und der hat davon auch berichtet, und zwar in Dichtung und Wahrheit, Kapitel drei. Das ist sehr aufschlussreich, was er da erzählt. Mag von euch einer das mal lesen? Habt ihr Lust?

00:06:45: Marko Komm, du bist Goethe. Komm, mach den Goethe.

00:06:46: Martin Ich bin Goethe.

00:06:47: Marko Der pustelige Goethe.

00:06:48: Martin Dichtung und Wahrheit - Kapitel drei. Wie eine Familien-Spazierfahrt im Sommer durch ein plötzliches Gewitter auf eine höchst verdrießliche Weise gestört und ein froher Zustand in den widerwärtigsten verwandelt wird, so fallen auch die Kinderkrankheiten unerwartet in die schönste Jahreszeit des Frühlebens. Mir erging es auch nicht anders. Ich hatte mir eben den Fortunatus mit seinem Säckel und Wünschhütlein gekauft, als mich ein Mißbehagen und ein Fieber überfiel, wodurch die Pocken sich ankündigten.

00:07:25: Marko Fortunatus! Das ist, glaube ich, so ein Kinderbuch, richtig?

00:07:29: Irene Das ist so was Ähnliches wie Till Eulenspiegel. Volksgeschichte. Das Glück-Säckel war ziemlich klasse. Was er dabei hatte, der Fortunatus, diese Hauptfigur, weil da immer Geld drin war, und zwar auch immer in der richtigen Währung, weil Fortunatus macht eine Weltreise in diesem Buch und hatte also immer genügend Geld da, um seine Abenteuer zu bestehen. Aber ich glaube, wir müssen wieder zurück auf Goethe kommen, denn jetzt wird's eigentlich ganz spannend in Kapitel drei von Dichtung und Wahrheit, denn er hat ja jetzt die Pocken und er könnte sich oder seine Eltern hätten dafür sorgen können, dass er geimpft wird, dass da was eingeimpft wird. Aber lies doch mal weiter.

00:08:07: Martin Die Einimpfung derselben ward bei uns noch immer für sehr problematisch angesehen. Und ob sie gleich populäre Schriftsteller schon fasslich und eindringlich empfohlen, so zauderten doch die deutschen Ärzte mit einer Operation, welche der Natur vorzugreifen schien. Also, das heißt andernorts, außerhalb von Deutschland, war das schon eine gängige Praxis.

00:08:29: Irene Ja, war schon eine gängige Praxis. Ist ja auch in England mehr oder weniger erfunden worden Ende des 18. Jahrhunderts. Es gab auch schon in deutschen Landen Menschen, die geimpft wurden, aber es war ein großes, diskussionswürdige Thema, bis ja dann 1874 in Deutschland eine Impfpflicht eingeführt worden ist. Aber was ich so spannend finde, ist das, was Goethe da erzählt, dass es da Ärzte gibt, die Angst haben, der Natur vorgreifen zu können. Das sind ja Themen, die wir tatsächlich bis heute haben. Ja, wenn wir über die Corona-Impfung nachdenken und über diese ganzen Diskussionen, die wir darüber haben, gibt es ja auch Menschen, die sagen: Hmm, aufgepasst, Impfungen, das ist alles ganz komisch und das ist ein Eingriff in den Körper, ein Eingriff auch in die Natur. Diese Diskussionen hat es damals schon gegeben und die haben bis heute nicht aufgehört. Das ist total spannend.

00:09:24: Marko Nun redet Goethe auch über eine Operation. Das heißt, wie wurde das gemacht?

00:09:31: Irene Es wurde damals eingeritzt. Also man muss auch sagen, die damalige Art des Impfens war nicht, beileibe nicht so sicher wie die heutige. Also die Impfschäden, die man davontragen konnte, waren weitaus höher in der Zahl. Und auch, sage ich mal, in der Dramatik, als das heute der Fall war. Aber man hat sich damals eben halt für dieses Impfen auch entschieden, weil die Quote, die Impfquote, also die Erfolgsquote sehr viel höher war als die Quote derer, die gestorben sind. Also es gab ja auch Orte, da hat es eine Sterblichkeit von bis zu 70 % gegeben, wenn die Pocken da mal drüber hinweggegangen sind. Ja, Island zum Beispiel wäre fast mal ausgerottet worden durch die Pocken. So viele Menschen sind da gestorben. Und da hat man gesagt: Okay, dieses Einritzen in die Haut des Erregers in klitzekleiner Dosierung natürlich und auch nicht eben halt Variola, sondern Kuh-Pocken als verwandter Erreger. Darüber kommt übrigens das Vakzin, das Impfen, Vacca die Kuh.

00:10:36: Marko Vacca-Vacca.

00:10:36: Martin Das kommt von der Kuh - Vakzin? Kuh - Lateinisch vacca.

00:10:40: Irene Genau. Weil man hat an Kuh-Pocken geforscht und festgestellt oh, die sind ja dem Variola- Erreger sehr sehr ähnlich. Und hat damit dann versuche gemacht bzw. hat auch Beobachtungen erst mal angestellt. Und da war das eben halt so, dass man gesehen hat, dass Menschen vor allen Dingen auf Bauernhöfen sich in Kuh-Ställen an den Kuh-Pocken angesteckt hatten, die bekamen nicht mehr oder nicht mehr so schnell oder auch nicht mehr so heftig Variola.

00:11:05: Marko Und dann hat man sich künstlich mit Kuh-Pocken infiziert.

00:11:06: Irene Genau

00:11:06: Marko Durch dieses Ritzen.

00:11:08: Irene Wie das heute mit dem Impfen ja auch geht, es ist entweder Tot- oder Lebend-Stoff und in kleinsten Mengen wird dir das gegeben, damit eben halt dein Immunsystem lernt, mit diesem Feind umzugehen.

00:11:19: Martin Wobei das mit dem Ritzen auch lange Zeit offensichtlich gemacht worden ist. Bevor wir jetzt hier zusammengekommen sind, habe ich mal so ein paar Wochenschauen mehr angeguckt aus den 50er Jahren. Da ging es um eine Pocken-Welle in Düsseldorf und da standen die Leute dann Schlange und in der Tat, da wurde dann auch geritzt und nicht gespritzt oder mit der Pistole oder was man so Schluckimpfung, was es dann später gab. Gut, Schluckimpfung war eher dann bei Polio, aber dieses Ritzen offensichtlich bis in die 60er Jahre hinein.

00:11:46: Irene Ja.

00:11:46: Marko Ja, sogar noch weiter. Ich weiß nicht, wie das bei dir ist, aber eigentlich haben alle in unserem Jahrgang irgendwo so eine Impf-Narbe.

00:11:53: Irene Genau. Ich habe nur noch eine, weil mein Bruder...

00:11:55: Marko Du nicht, Martin?

00:11:58: Martin Ich nicht, nein.

00:11:58: Irene Deine Eltern waren Impf-Verweigerer?

00:11:59: Martin Nein, überhaupt nicht. Nein, ist es. Wenn ich mit meinem Impf-Büchlein auftauche von anno dunnemals, dann sind die Ärzte immer ganz beeindruckt, dass das so komplett ausgefüllt ist. Also das ist nee, nee, also da aber meine Eltern ganz vorbildlich in der Hinsicht.

00:12:13: Marko So, aber die kamen doch damals - also ich erinnere mich nicht daran, aber ich weiß, ich kenne diese Narbe, das ist so ein rundes Etwas. Und dann bekam man so eine Art Pistole aufgesetzt und die ritzte dann auch in die Haut ein und brachte sozusagen diesen Impfstoff unter die Haut.

00:12:26: Irene Und dann hat sich ja dann auch so ein Pöckchen tatsächlich gebildet. Und weil sich da so ein Pöckchen bildete, bin ich nur einmal geimpft worden, man wurde nämlich damals zweimal geimpft, ich bin nur einmal geimpft worden, weil zwischenzeitlich mein Bruder auf die Welt gekommen war und zwischenzeitlich die Pocken als ausgestorben galten. Das heißt, mein Bruder ist nicht mehr geimpft worden, als bei mir die zweite Impfung anstand, hat man gesagt. Hmmm - nicht, dass der sich da in irgendeiner Form an den Pöckchen da auf dem Arm infiziert. Deswegen habe ich noch eine Impfung. Aber ja, wir hatten eigentlich eine Impfpflicht auch gehabt bis eben halt in die 70er Jahre rein, bis man gesagt hat, jetzt sind die Pocken ausgestorben und jetzt brauchen wir das alles nicht mehr.

00:13:01: Marko Aber zurück zu Goethe. Das heißt, in der Goethezeit gab's eigentlich die Möglichkeit schon, sich dagegen zu wappnen durch eine solche Impfung. Aber die Impfung war offenbar hoch umstritten. Welche Gründe wurden denn angeführt, warum man das nicht möchte?

00:13:13: Irene Im Grunde genommen dieselben Gründe wie heute auch. Frag mal so ein Aluhut, warum der sich nicht impfen lässt, dann hast du schon mal eine Antwort.

00:13:18: Marko Die Eltern von Goethe waren Aluhüte. Glaub ich nicht.

00:13:23: Irene Ich habe die Eltern von Goethe leider nie kennengelernt. Auf meinen Zeitreisen.

00:13:28: Marko Schade, schade. Die Mutter soll sehr nett gewesen sein.

00:13:32: Irene Siehst du, das weißt du wieder. Nein, aber das war eine Antwort. Eine Antwort war auch eben, dass man aus religiösen Gründen das nicht tun sollte.

00:13:39: Marko Weil Gott das so will.

00:13:40: Irene Ja, weil man im Grunde genommen dann Schicksal spielt oder Gott ins Handwerk pfuscht. Ja. Dann gab es eben tatsächlich Gründe, die da hießen: Das ist aber gefährlich. Damals, habe ich ja erzählt, war das auch noch viel gefährlicher.

00:13:54: Marko Also wenn das schief ging, konnte man es tatsächlich dann bekommen und dran sterben? War das so damals? Gab es da eine reale Chance, dass man sich durch diese Impfung eigentlich erst den Tod holte?

00:14:04: Irene Ja, also es gab eine Sterblichkeit. Ich kann dir jetzt nicht genau sagen, wie hoch die war, aber natürlich gab es durch diese Impfung derartige Impfschäden, dass da auch Leute dran, Menschen dran gestorben sind.

00:14:13: Marko Aber es war sicherlich viel höher als heute, wenn man sich gegen Corona impfen lässt oder so etwas...

00:14:17: Irene Das ist ja genau der Punkt, das kann man überhaupt nicht vergleichen. Wirklich, die Pocken waren so schrecklich ansteckend. Es gab ja in den 60er, 70er in der Eifel diesen Fall, dass ein noch mal Pocken erkranktes Kind ins Krankenhaus gebracht wurde.

00:14:33: Marko In Monschau.

00:14:34: Irene In Monschau oder Monjau - wie die sagen. Und da guckt eine Frau neben dem Krankenhaus, die hört das abends, da ist irgendwie viel los auf der Straße. Und so weiter. Macht neugieriger Weise das Fenster auf, um zu gucken, was da los ist und da kommt ein Windzug an ihr vorbei, und der hatte diesen Pocken Erreger in sich gehabt, dieser Windzug. Sie hat einmal eingeatmet und sie ist gestorben daran. Das ist Wahnsinn - in Meschede, Anfang der 70er Jahre hat es auch einen jungen Mann gegeben, der kam aus Indien. Hat er da so eine Reise gemacht, so eine Hippie-Reise, kam wieder und eigentlich hatten wir die Impfpflicht. Da können wir gleich noch mal drüber sprechen. Wir hatten in Deutschland eine Impfpflicht, aber wir waren alle impf-müde. An den Flughäfen ist das überhaupt nicht mehr kontrolliert worden. Hätte man tun müssen. Also, dass man nicht nur den Pass kontrolliert, sondern auch den Impfpass.

00:15:18: Marko Der junge Mann aus Meschede wurde durchgewunken.

00:15:20: Irene Ja, ja, komm. Es ist schon spät abends und dann kann er nach Hause. Dann ging es gar nicht gut. Er hatte Fieber, hatte Kopfschmerzen und weiß ich nicht was. Irgendwann ging es ihm so schlecht, dass er ins Krankenhaus gegangen ist. Und da war es schon im Grunde genommen zu spät. Bis die Ärzte erkannt haben, dass er war Variola, also die Pocken hatte, hatten sich schon die ersten im Krankenhaus angesteckt. Und das Schlimme war, der lag auf einer Etage und angesteckt hatten sich aber auch Krankenschwestern in einer Etage darüber. Die hatten gar keinen Kontakt mit ihm. Und dann hat man später Rauch-Versuche gemacht, um zu gucken, wie die Luftströme sind und hat festgestellt, dass durch den Essens-Aufzug und durchs Treppenhaus Variola in das obere Stockwerk gekommen war und dort die Menschen angesteckt hatte. Wahnsinn, wenn man da auch mal sieht. Ich meine, selbst in dieser Zeit hat es Menschen gegeben, die gesagt haben: Ach, impfen. Und so weiter. Alles mhm und gefährlich und so, was man sich gar nicht vorstellen kann, wenn man ja hört, wie diese Geschichten laufen, das es so ansteckend ist. Vielleicht gehen wir noch mal auf Goethe zurück, der ja auch darüber geschrieben hat, dass es eben halt Menschen gibt, die sagen: Will ich nicht, impfen will ich nicht.

00:16:32: Martin Ich mache jetzt noch mal den Goethe hier: Spekulierende Engländer kamen daher aufs Festland und impften gegen ein ansehnliches Honorar die Kinder solcher Personen, die sie wohlhabend und frei von Vorurteil fanden. Die Mehrzahl jedoch war noch immer dem alten Unheil ausgesetzt. Die Krankheit wütete durch die Familien, tötete und entstellte viele Kinder, und wenige Eltern wagten es, nach einem Mittel zu greifen, dessen wahrscheinliche Hilfe doch schon durch den Erfolg mannigfaltig bestätigt war. Das Übel betraf nun auch unser Haus und überfiel mich mit ganz besonderer Heftigkeit. Der ganze Körper war mit Blattern übersät, das Gesicht zugedeckt, und ich lag mehrere Tage blind und in großen Leiden. Man suchte die möglichste Linderung und versprach mir goldene Berge, wenn ich mich ruhig verhalten und das Übel nicht durch Reiben und Kratzen vermehren wollte. Ich selbst war zufrieden, nur wieder das Tageslicht zu sehen und nach und nach die fleckige Haut zu verlieren. Aber andere waren unbarmherzig genug, mich öfters an den vorigen Zustand zu erinnern. Besonders eine sehr lebhafte Tante, die früher Abgötterei mit mir getrieben hatte, konnte mich selbst noch in späten Jahren selten ansehen, ohne auszurufen: Pfui Teufel! Vetter, wie garstig ist er geworden!

00:17:54: Marko Das heißt also, obwohl sich Goethe vielleicht nicht gekratzt hat, Narben blieben.

00:18:01: Irene Diese Pusteln gehen irgendwann mal auf. Das ist eklig, das stinkt, das ist eitrige. Und dadurch bleiben allein schon Narben. Man muss nicht unbedingt gekratzt haben, um hässlich zu sein. Ich habe eben von Meschede erzählt, im Sauerland. Da war eine Krankenschwester, die sagte auch: Mein Gott, also als sie die Pocken hatte. Mein Gott, du siehst, du siehst furchtbar aus. So kannst du nie wieder auf die Straße gehen. Das ging dann nachher weg. Vieles heilt ja dann auch, aber das ist schon furchtbar. Man kann sich das ja auch im Internet angucken, gibt es tausende Bilder zu.

00:18:30: Marko Wenn man das einmal hat, dann gibt es kein Heilmittel mehr.

00:18:35: Irene Ne, nicht. Also man kann das dann halt die Symptome behandeln und hoffen, dass der Mensch dann überlebt. Aber man kann wohl noch, wenn die Krankheit irgendwo ausgebrochen ist, sagen wir mal hier in Köln-Raderberg, würden wir jetzt die Pocken haben, dann würde die WHO kommen und ganz schnell alle anderen impfen. Also auch wenn die Krankheit schon ausgebrochen ist, kann man noch sehr schnell mit der Impfung etwas tun.

00:18:59: Marko Nun hast du eben schon gesagt, es gab in Deutschland eine Impfpflicht für Pocken. Das ist ja auch in der aktuellen Diskussion ein großes Thema gewesen. Soll es eine Impfpflicht geben? Wenn ja, für wen? Für alle oder für pflegendes Personal? Und es kam sofort von der Bundesregierung: Nein, eine Impfpflicht wird auf keinen Fall eingeführt. Dann wurde es doch diskutiert. Auf jeden Fall merkte man ganz schnell Widerstand dagegen. Wie ist es denn dazu gekommen, dass man eine Impfpflicht für Pocken einführen konnte? Gab es da entsprechenden Widerstand auch oder ist das so durchgewunken worden?

00:19:32: Irene Ja, es gab Widerstand. Aber es gab eben die Pocken, die wirklich so dramatisch schlimm waren, dass sich letztendlich in dieser großen Diskussion diejenigen durchgesetzt haben, die gesagt haben, wir müssen eine Impfpflicht einführen. Aber damals, eben im Reichstag, gab es die verschiedenen Parteien, wie gesagt, die sehr christlich orientierten, die gesagt haben, das ist gegen Gott...

00:19:53: Martin Wo sind wir da zeitlich?

00:19:54: Irene 1873 war die Diskussion oder die Debatte im Reichstag. 1874 ist es dann letztendlich als Gesetz eingeführt worden, und da ging es also wirklich heiß her, dass man sich angeschrien hat auch. Soll man Gott ins Handwerk pfuschen und weiß ich nicht, was alles. Die Sozialdemokraten sagten: Ihr kommt da mit einem Impfstoff, sorgt doch erst mal für Hygiene, für saubere und gute Wohnverhältnisse für unsere Arbeiter. Ja, alles richtig. Also Hygiene. Gute Wohnverhältnisse sorgen immer dafür, dass sich Krankheiten nicht so gut verbreiten können. Aber gegen die Pocken tat das einfach nicht. Muss man einfach sagen. Dann haben sich Mediziner, die es auch in den Reihen der Politiker gab, durchgesetzt und haben diese Impfpflicht eingeführt. Aber das auch zum Teil mit einem hohen Preis. Denn es war tatsächlich so, dass denen, die eine Impfung verweigerten, Gefängnis drohte. Und das ist nämlich der Punkt. Bei solchen Pflichten ist es ja so, dass man die ja durchsetzen muss. Und das ist das, wenn ich den Schlag nach heute nehme. Stellen wir uns mal vor, wir hätten eine Corona- Impfpflicht gehabt. Das hätte ja geheißen, dass man unter Umständen mit der Polizei die Kinder von impfunwilligen Eltern abholt und die zum Arzt fährt. Das ist nicht vorstellbar, das kann man.

00:21:03: Martin Das hätte zu sehr hässlichen Szenen geführt, vor allen Dingen in Zeiten, wo jeder mit dem Handy mitfilmt.

00:21:08: Marko Aber damals hat man das so gemacht. Und wer nicht wollte kam in den Knast.

00:21:10: Irene Aber man sah sehr, sehr gut aber auch gleichzeitig, wie gut die Impfung anschlug. Also dass eben halt die Krankheitsfälle sehr, sehr schnell und sehr stark zurückgingen.

00:21:22: Marko Das heißt, wir hatten nach 1874 dann in Deutschland keine Pocken mehr?

00:21:29: Irene Ja, ne. Schön wär's, weil ja, ich sage mal so, man muss sich das ja auch so vorstellen, dass das Impfen nicht so schnell ging, wie das heute gehen kann. Man mußte viele Dinge auch erst entwickeln. Köln war da schon relativ früh, dass die so was, so eine Art Impf-Zentrum hatten. Aber man brauchte eigentlich vor allen Dingen so etwas wie Gesundheitsämter. Die kamen auch in dieser Zeit auf, dass man sagte, man muss, wenn man prophylaktisch arbeitet und das ist ja dieser Punkt. Man impft, um etwas in der Zukunft zu verhindern, das muss man ja organisieren.

00:22:00: Marko Ja.

00:22:00: Irene So, und damals gab es ja nicht so wie Hausärzte und weiß ich nicht was, wie, wie heute. Das heißt hat man gesagt. Okay, wir brauchen Ämter, die das organisieren, die das machen, die dann zum Beispiel die Schule XY dann anschreiben und sagen: So morgen ist der Impf-Termin und dann kommen alle an gewackelt und werden geimpft. Und so weiter. Und das brauchte natürlich eine Zeit. Und da muss man natürlich auch sagen, es gab in deutschen Landen und in Deutschland eine Impfpflicht, aber in anderen Ländern nicht. Und Bewegung in Europa gab es ja nun auch schon immer oder schon sehr lange. Das heißt, da brauchte nur einer einzuwandern, der die Pocken hatte und hat dann unter Umständen gleich wieder welche, die noch nicht geimpft waren, dann angesteckt. Dann wurden ja auch Kinder wieder neu geboren. Und so weiter. Ich weiß nicht, kann ich genau sagen, ab wann diese Impfung damals galt, aber ich glaube noch nicht so sehr im Babyalter, sondern erst später, weil sie eben halt ein bisschen martialischer war als das, was wir heute als Impfstoff kennen. Es gab immer dann noch weiter die Pocken.

00:22:51: Marko Aber dann sehr selten, nehme ich an.

00:22:53: Irene Ja, immer seltener werdend.

00:22:55: Martin Und wahrscheinlich in Wellen.

00:22:56: Irene Genau, je nachdem, wie es gerade passiert. Also - und es kommt natürlich auch immer darauf an, dass wirklich alle geimpft sind und dass es auch kontrolliert wird, habe ich eben ja schon erzählt. Aber wenn dann die Pocken noch mal zugeschlagen haben, dann war es auch wirklich heftig. Und dann hatte das auch meistens Tote zur Folge und sehr, sehr häufig bei den Medizinern und den Krankenschwestern, weil die ja die Menschen behandelt hatten und bis die mal rausgefunden haben, oh Scheiße, das sind ja die Pocken, waren die meisten schon infiziert und ja, dann ging es ihnen ab da nicht mehr gut.

00:23:29: Martin Waren die Pocken die einzige Krankheit, gegen die es eine oder für die es eine Impfpflicht gab.

00:23:34: Irene Gab - ja. Heute haben wir ja wieder eine Impfpflicht mit Masern bei Kindern.

00:23:38: Martin Ja.

00:23:38: Irene Aber es war die einzige Impfpflicht, weil man später festgestellt hat, auch das mit der Pflicht und das mit dem Durchsetzen, das funktioniert eigentlich gar nicht so gut. Viel besser funktioniert, wenn man aufklärt und das Ganze auf freiwilliger Basis macht. Also eben nicht so als die Pflicht, sondern das als Fürsorge den Menschen nahebringt. Das war zum Beispiel bei der Diphterie so. Die Diphterie, der Würge-Engel der Kinder, die dann wirklich an dieser Krankheit ersticken konnten. Da ist man schon in den 1930 er Jahren hingegangen, hat aufgeklärt mit Informationsbroschüren, also relativ modern, so wie wir das vielleicht noch aus den 80er, 90er kennen - also auch mit Spots im Kino oder in der Wochenschau. Und da war der Zuspruch zur Impfung und dass die Menschen diese Impfung haben machen lassen, vor allen Dingen bei den Kindern, sehr, sehr viel höher und sehr, sehr viel schneller, als es das bei den Pocken und der Pflicht gewesen ist. Da hat man festgestellt: Mensch ja, Information ist total wichtig.

00:24:37: Marko Ich erinnere mich noch irgendwie an Schluckimpfung ist süß, Kinderlähmung ist bitter, ne.

00:24:42: Martin Ja, umgekehrt. Kinderlähmung ist bitter, Schluckimpfung süß.

00:24:44: Marko So rum war es, ja, aber das gab es in unserer Jugend auch noch. Da ging es ja auch darum, die Leute zu überzeugen.

00:24:50: Irene Impfpflicht ist immer sehr, sehr problematisch, weil sich die Menschen natürlich auch gezwungen fühlen. Und es gibt Untersuchungen der Uni Erfurt, da ist die Cornelia Betsch. Die ist auch jetzt in den Zeiten von Corona sehr viel gefragt worden und sehr viel in den Medien auch gewesen. Die ist sozusagen Impf-Psychologin, kann man sagen. Und die hat mir mal von einer Studie erzählt, die da heißt: Wenn du die Menschen sag ich mal zur Impfung A verpflichtest und Impfung B freiwillig machst, dann machen die Leute Impfung A weil sie was müssen und sagen dann aber impfen. B mache ich nicht mehr. Die holen sich darüber psychologisch gesehen aus. Das hat das nichts mit Vernunft zu tun, aber sie holen sich da ihre Selbstbestimmung zurück. Also wenn der Staat von mir verlangt, dass ich gegen Pocken geimpft werden muss oder so, dann mache ich aber nichts gegen Grippe.

00:25:43: Marko Das heißt eine Impfpflicht erzeugt so etwas wie ja, Abwehrreaktion gegen eine Impfung. Ja.

00:25:52: Martin Ja, was in dem Zusammenhang schon kurios ist - Abwehrreaktion.

00:25:56: Irene Es ist doch auch kurios, dass sich so viele Menschen gegen das Impfen wehren, obwohl die Zahlen eindeutig sind, die Impfschäden sehr, sehr, sehr viel kleiner sind als das, was man als Spätfolgen so weiter bekommen kann. Darüber habe ich mal gesprochen mit Jan Leidel. Jan Leidel war Leiter des Gesundheitsamtes in Köln und war auch lange Vorsitzender der STIKO, der Ständigen Impfkommission. Mit dem habe ich darüber gesprochen: Wie kommt das eigentlich, dass gerade Menschen, die gebildet sind, die aus einem guten Elternhaus kommen, sage ich jetzt mal, die neuen Dingen aufgeschlossen sind - warum lassen die sich nicht impfen? Und da hat er mir dazu folgendes erzählt.

00:26:36: Jan Leidel Dann gibt es eine relativ große Gruppe, wahrscheinlich die größte, die mehr eine gewisse Impf-Skepsis hat, als eine Impfgegnerschaft, teilweise aufgrund von Fehlinformationen. Aber es gibt einen ganz interessanten anderen Grund auch dafür: Als die wissenschaftliche Mikrobiologie ihre ersten Erfolge feierte, so um die Jahrhundertwende zwischen dem 19. und dem 20. Jahrhundert, da gab es so eine Zukunftsvision einer wirklich Infektionskrankheitenfreien Welt. Bis spätestens zum Jahr 2000 sollte es keine Infektionskrankheiten mehr geben. Der Mensch würde mithilfe seiner Technik, also den Impfungen, den Antibiotika, der Hygiene, die gefährliche und böse Natur in die Knie zwingen und besiegen. Und da wissen wir heute erstens, dass das nicht der Fall ist. Neue Krankheiten schrecklicher Art - Ebola, HIV, was weiß ich, sind aufgetreten - andere haben ihren Charakter verändert. Wir mussten zur Kenntnis nehmen, dass selbst dort, wo wir uns eigentlich am sichersten fühlen möchten, nämlich im Krankenhaus, wir von schlimmen Keimen bedroht sind. Also diese Zukunftsvision, die hat sich nicht, in keiner Weise hat die sich bestätigt. Andererseits wird heute die Natur nicht mehr als böse und gefährlich angesehen, sondern als gefährdet eben gerade durch die Technik der Menschen. Und ich glaube, das ist ein Grund dafür, warum gerade bei ja akademischen Familien, sozioökonomisch eher gut gestellt, gut gebildet, eine Skepsis der wissenschaftlichen Medizin überhaupt gegenüber relativ verbreitet ist. Auch in meinem eigenen Bekanntenkreis hat fast jeder neben seinem Arzt, zu dem man natürlich auch geht, wenn er das für richtig hält und wichtig, auch noch irgendwelche anderen komplementären Heiler und man sucht nach sanften Alternativen. Also, was weiß ich: Paleo-Diät anstelle von Chemotherapie oder so, ja. Also da gibt es merkwürdige Vorstellung, aber so ein Unbehagen, das ich verstehen kann, das allerdings Argumentationen zugänglich ist.

00:29:07: Marko Es ist ja ganz interessant. Einmal ist es die Enttäuschung darüber, dass die Medizin es nicht zu 100 % geschafft hat, Krankheiten auszurotten. Und auf der anderen Seite - das zweite Argument - dass sich unser Bild der Natur verändert hat. Die Natur - früher eine Bedrohung - heute selbst bedroht. Also kann man sie ja nicht bekämpfen.

00:29:30: Irene Ja.

00:29:31: Marko Aber eine völlig unlogische Geschichte - eigentlich.

00:29:34: Irene Eigentlich, ja, das stimmt. Und deswegen forscht man da auch noch immer daran rum, wie es dazu kommt, weil man ja - oder diejenigen, die impfen wollen, wollen ja, dass Krankheiten tatsächlich eliminiert werden, in dem Wissen, dass es immer wieder neue Krankheiten geben kann, weil neue Aufgaben auf uns zukommen.

00:29:52: Marko Stellt sich ja die Frage - also kommen wir zum Punkt Nummer eins, also Enttäuschung: Warum kann man denn nicht alle Krankheiten, genau wie man es bei den Pocken geschafft hat, warum kann man die denn nicht ausrotten? Kann man nicht gegen alles einfach impfen?

00:30:06: Irene Ja, könnte man. Man könnte theoretisch impfen gegen alles, wenn das denn zum Beispiel staatlich gewollt ist. Ja, es gibt religiös regierte Staaten, die lehnen das Impfen ab, also wird da nicht geimpft. Oder es besteht ein Kampf mit der WHO auch, dass Impfungen zugelassen werden. Es liegt aber auch manchmal daran, dass Krankheiten nicht ausgerottet werden können, weil es sich um Zoonosen handelt, also um Krankheiten, die vom Tier auf den Menschen überspringen. Die kann man letztendlich nicht ausrotten. Da müsste man also immer weiter, muss man immer weiter impfen. Weil du kannst ja nicht die Tierart ausrotten oder durch impfen im Urwald oder sonst irgendwo. Du musst sie auch erst mal kennen. Also bei den Affen wissen wir ja, bei den Affenpocken wissen wir ja, dass das gar nicht die Affen sind, sondern andere kleine Tiere.

00:30:55: Marko So ähnlich wie bei der Pest, wo es, wo es auf den Ratten dann die Laus war.

00:30:57: Irene Die Laus - ja, genau. Also es gibt Dinge, die kann man einfach deswegen nicht ausrotten, weil es sich um Zoonosen handelt. Bei den Pocken ging das, weil die Pocken sich nur von Mensch zu Mensch weiter fortpflanzen können. Und da hilft dann zum Beispiel eine Impfung, um tatsächlich diese Krankheit zu verbannen.

00:31:15: Marko Also zwei Voraussetzungen: Einmal alle Menschen durchimpfen. Und zweitens: Es darf sich nicht um eine Zoonose handeln.

00:31:21: Irene Genau. Und es gibt noch was Drittes. So ein Erreger darf nicht zu schnell mutieren. Das sehen wir jetzt gerade bei Corona. Da haben wir einen Impfstoff. Aber da wissen wir auch schon: Ah, der kann bei gewissen Mutationen vielleicht doch nicht so wirksam sein, wie wir uns das erhofft haben. Also dass man gar nicht krank wird, sondern dass man krank wird, aber nicht so schlimm. Das ist ja auch sozusagen das Hauptziel der Bundesregierung, auch, dass unser Gesundheitssystem am Laufen bleibt. Ja. Es geht ja bei Korona nicht in erster Linie darum, dass das keiner mehr kriegt. Sonst hätten wir ja heute weiter Lockdown und solche Geschichten. Sondern es geht einzig und allein darum, dass das Gesundheitssystem nicht überfordert ist, dass nicht zu viele Menschen auf den Intensivstationen landen und dass unser System sozusagen weiterlaufen kann. Deswegen ist man jetzt auch mit diesen Impfstoffen zwar jetzt nicht hyper glücklich, aber schon sehr glücklich, weil eben halt diese ganzen Intensiv-Fälle nicht mehr so häufig vorkommen. Hoffen wir, dass es so bleibt.

00:32:19: Marko Und die wenigsten. Also trotzdem. Ich meine, es gibt natürlich Menschen, die haben Langzeit Corona-Schäden. Es gibt sicherlich auch Menschen, die daran sterben. Immer noch. Ja. Aber das lässt sich alles nicht vergleichen mit diesen Geißeln der Menschheit, die die Menschheit alle schon mal überlebt hat wie Pest, Pocken, Cholera.

00:32:34: Irene Genau.

00:32:35: Martin Aber da erinnert sich keiner mehr dran. Das ist das Problem.

00:32:36: Irene Ich habe ja 2019 habe ich diese Zeitzeichen gemacht zum Thema Impfpflicht in Deutschland und zum Thema: Die WHO hat 1979 in Kenia erklärt, dass die Pocken ausgerottet sind. Das waren meine beiden Themen. Und dann kam 2020 kam Corona, und ich habe ehrlich gesagt so oft in die Tischkante gebissen. Wenn man sich ein bisschen mit der Impf-Geschichte beschäftigt, dass ich dachte: Was macht unsere Politik da? Also, nur mal um ein Beispiel herauszugreifen: Lockdown light. Ja, das war so was, wo ich meine Zähne im Küchentisch abgemalt haben, weil schon bei der Grippe, ja, war ja auch eine Pandemie, die Spanische Grippe, die ja in den USA ausgebrochen ist. Da hat man festgestellt, in den Bundesstaaten, das kann man heute überall nachlesen. Es ist also kein Geheimnis, dass die Bundesstaaten, die sehr streng damit umgegangen sind, die also gesagt haben, wir machen eine Isolation. Damals hieß das ja noch nicht Lockdown, sondern Isolation. Wir machen die Isolation, dass die sehr schnell gute Ergebnisse hatten und die Bundesstaaten, die aber sagten: Ha, ne, wir haben aber da noch eine Parade, die haben wir jetzt schon lange geplant, die lassen wir noch laufen.

00:33:48: Marko Und Karneval, ne.

00:33:49: Irene Ja, sowas in der Art, ja. Dann gingen die Zahlen nach oben. Also, das ist kein Geheimnis gewesen.

00:33:56: Martin Also Spanische Grippe. Wir reden über das Jahr 1919, 1920. Also das heißt über 100 Jahre her und nix gelernt.

00:34:04: Irene Nichts gelernt. Bzw eigentlich aus der ganzen Geschichte nichts gelernt, denn wir haben eben darüber gesprochen, wie kann man Krankheiten ausrotten? Dazu braucht es eben halt die Punkte, die wir gesagt haben. Aber es braucht natürlich auch tatsächlich die Entdeckung eines Impfstoffes. Und wenn man das nicht hat, wie man das zum Beispiel bei der Pest im Mittelalter nicht hatte, dann blieb nur die Isolation. Und damals hat man das mit den Leprakranken gemacht. Ja, jemand, der Lepra hatte, wurde isoliert, der galt als aussätzig. Die Leprosenheime wurden am Rande der Stadt gebaut. Die Menschen durften nur in Ausnahmefällen diese Heime verlassen, indem sie sich Kutten anzogen, damit alle schon sahen: Oh, da kommt eine Lepra-Kranker. Oder konnten. Leprakranke mit einer Klappe?

00:34:49: Marko Mit einer Klapper.

00:34:49: Irene Ja, die hatten auch so eine Klapper oder Rassel, um auf sich aufmerksam zu machen. Also diesen Menschen ging es im Grunde genommen nicht schlecht mit ihrer Krankheit, weil die kriegten viele Spenden, denn man glaubte früher tatsächlich, dass wenn ich den Leprosen- Heimen spende, dann bekomme ich einen guten Platz beim lieben Gott, wenn ich tot bin. Deswegen sind die gut versorgt worden und die haben sich nicht weiter fortgepflanzt. Wegen der Krankheit, aber auch wegen der Isolation. Und dadurch hat sich unser Genom verändert, also unser Erbgut, dahingehend verändert, dass die, die eine genetische Disposition hatten, so eine Krankheit schneller zu bekommen, sich ja nicht weiter fortgepflanzt haben.

00:35:29: Martin Also das ist tatsächlich Evolution in Zeiten - in wenigen 100 Jahren, die da passiert ist.

00:35:35: Irene Ja, es ist was. Und es ist natürlich martialisch. Die Menschen wurden tatsächlich aussortiert und in den Heimen mehr oder weniger eingesperrt.

00:35:42: Martin Wollte ich gerade sagen. Ich kann mich daran erinnern, dass wir in der Schule darüber gesprochen haben, ich glaube sogar im Religionsunterricht, wenn ich das richtig im Kopf habe. Und da wurde das als furchtbar unmenschlich beschrieben.

00:35:54: Irene Ist es ja auch.

00:35:54: Martin Und ist es ja offensichtlich auch, aber letztendlich trotzdem so unmenschlich wie es ist, sagst du, war es richtig, das zu tun?

00:36:02: Irene Medizinisch, also rein medizinisch gesehen ja. Natürlich. Deswegen waren auch diese Lockdown, die wir hatten, die waren letztendlich richtig. Damals hatten wir noch keinen Impfstoff, kein Medikament, viel zu wenig Wissen über Corona. Da ist das im Grunde genommen das probate Mittel. Ja, aber was du gesagt hast, wir haben so viel vergessen. Ich weiß noch, dass Kollegen von mir Gangelt, da war ja dieser große Ausbruch gewesen, hier in unserer Region in Nordrhein Westfalen. Und da haben die Kollegen immer gesprochen, ja, da wird jetzt ein Sperrbezirk eingerichtet. Dann hab ich immer gesagt: Nein, das heißt nicht Sperrbezirk. Einen Sperrbezirk gibt es da...

00:36:37: Marko Das hat eher etwas mit Prostitution zu tun.

00:36:38: Martin Rotlicht und.

00:36:41: Marko Skandal im Sperrbezirk, kenne wir doch.

00:36:42: Irene Genau. Es ist ein Quarantänebezirk. Das ist ein Isolations-Bezirk kann man das nennen, aber bitte nicht Sperrbezirk. Aber das zeigte eben schon, dass wir im Grunde genommen mit vielen dieser Sachen überhaupt gar nicht mehr Kontakt haben, dass wir da eigentlich auch historisch gesehen viel zu wenig drüber sprechen, weil es wie gesagt, viele Dinge gibt, die damals schon oder die in vorigen Jahrzehnten schon vorhanden waren und von denen wir ganz leicht hätten lernen müssen, zum Beispiel, was den Mundschutz anging. Ja, auch schon während der Spanischen Grippe gab es Schilder und auch Verbote. Und da kam man auch zum Beispiel in den USA ins Gefängnis, weil man keinen Mundschutz getragen hat. Sehr viel martialischer sind die damit umgegangen, aber weil sie davon überzeugt waren, weil wir das bis heute ja wissen, dass dieser Mundschutz hilft. Also er hilft natürlich nicht zu 100 %, aber er hat ja zwei Funktionen: Erst mal deinen Atem nicht zu kontaminieren oder dass du mit deinem Atem andere kontaminiert. Zweitens aber auch, wenn du eine Maske trägst, hast du dieses psychologische Moment. Du siehst jemanden, der schützt sich, ja, der hat was vor dem Gesicht, also kommt man dem gar nicht mehr so nahe automatisch an jemanden.

00:37:49: Martin Also da würde ich nicht ganz zustimmen, wenn man an Supermarktkassen Schlangen dann so sieht.

00:37:53: Irene Das stimmt. Das ist das Schlimme. Auch wir vergessen heute schon wieder. Also in diesen zweieinhalb Jahren haben wir auch schon wieder total viel vergessen. Dieses - viele Supermärkte haben das ja auch weggemacht, diese Absperrungen, also diesen oder diesen Strich auf dem Boden, wo man sich hinzustellen hatte, damit man nicht zu nah an den anderen kann. Die sind alle weg. Und was machen die Leute? Knubbelns sich wieder übereinander.

00:38:10: Marko Aber es ist ja auch wirklich so: Es ist nicht der schwarze Tod, mit dem wir zu tun haben. Die Leute sind nicht gestorben wie die Fliegen. Es sind Menschen gestorben. Ja. Sicherlich auch zu viele. Aber es ist nicht so, dass es diesen Schrecken hatte wie die Pest, wo ganze Landstriche ausgerottet wurden. Oder wie du sagtest, bei den Pocken, wo ein ganzes Land - Island nämlich - letztendlich hinterher fast entvölkert war. So in diesen Zeiten leben wir Gott sei Dank nicht mehr.

00:38:35: Irene Das stimmt auf der einen Seite, aber ich gebe immer zu bedenken, dass Corona - Covid 19 - eine sehr, sehr junge Krankheit ist und dass wir nichts darüber wissen, was in zehn Jahren oder in 20 Jahren auf uns zukommen kann. Bei den Windpocken zum Beispiel wissen wir das. Aber auch, weil wir die Windpocken lange begleiten oder die uns lange begleitet haben. Da wissen wir: Du kannst in 20 Jahren, kannst du davon eine schlimme Gürtelrose bekommen. Oder auch bei den Masern. Da wissen wir auch, dass es da Gehirn-Entzündungen geben kann, dass Kinder davon sterben können. Aber das wissen wir auch nur deswegen, weil wir diese Krankheit auch schon länger kennen.

00:39:10: Marko Nun impfen wir nicht mehr gegen die Pocken. Könnten Sie denn rein theoretisch zurückkommen?

00:39:16: Irene Ja, weil eben, was ich erzählt habe. Es gibt ja da unter Umständen vielleicht noch das eine oder andere Labor, was noch was Verstaubtes in irgendeiner Ecke rumstehen hat. Das kann immer noch mal weiter passieren. Es gibt tatsächlich, bei den Regierungen angesiedelt, diese Pocken- Stämme, die noch aufbewahrt worden sind. Und dann kann man heute auch, das habe ich beim RKI erfahren, man kann diese Pocken tatsächlich synthetisch herstellen, künstlich herstellen. Und da habe ich auch direkt gesagt, als mir der Wissenschaftler das vom RKI sagte, sage ich: Um Gottes Willen, da sagt er: Ja, Moment. Wenn man das machen will, braucht man erstens eine riesige Expertise. Also man muss über dieses Thema richtig, richtig, richtig gut Bescheid wissen und das auch können. Das ist sehr langwierig und man braucht ein riesiges Labor dafür. Also letztendlich ist es illusorisch, dass das jemand macht.

00:40:09: Marko Es sei denn, es wird zum Beispiel als Kampfstoff eingesetzt.

00:40:11: Irene Ja, aber da wir ja diese Impfung haben, würden wir ja auch sehr schnell reagieren können. Das war jetzt bei den Affenpocken auch so, dass man sehr, sehr schnell auf diesen Ausbruch reagieren konnte. Auch einen Impfstoff da gewesen ist, man auch wusste, dass man den Pocken-Impfstoff, zur Not, den alten, den man noch aufbewahrt hat, dazu benutzen kann, um diese Krankheit in den Griff zu bekommen. Also da wäre der aufwand das herzustellen für den Schrecken, den es dann gäbe, der aber sehr schnell behandelt werden könnte sozusagen.

00:40:39: Marko Und dann auch wieder verpuffen würde.

00:40:41: Irene Das Preis Leistungsverhältnis, sag ich jetzt mal, stimmt dann nicht.

00:40:45: Martin Also was die freiwillige Impfung betrifft, scheint man da schon mal weiter gewesen zu sein, wie du berichtet hast, mit der Diphterie in den dreißiger Jahren. Also offensichtlich ist das ja mit dem Willen zur Impfung ja nicht so weit her, wenn man die entsprechenden Quoten sich ansieht. Wie geht es denn weiter?

00:41:02: Irene Also es ist schon so, dass heute ein unglaublich großer Impf-Zuspruch ist, dass man also sieht bei den Kinder-Impfungen: Masern und so weiter, dass da eine sehr hohe Impf-Quote schon vorhanden ist, weil sich das nämlich aus der Diphterie und so weiter fortgepflanzt hat.

00:41:20: Marko Aber ich erinnere mich auch noch: Als unsere Kinder klein waren, gab es im Kindergarten durchaus Menschen, die behaupteten, irgendwelche Bücher gelesen hatten wo drinstand, dass es letztendlich von der Natur gewollt sei. Also wir sind, dass man das durchmachen muss und ansonsten hätte man, hätten diese Kinder auch psychologische Probleme, wenn sie das nicht verarbeitet hätten. So ein Schwachsinn kursierte ja durchaus.

00:41:42: Irene Ja, aber da muss man tatsächlich sehen. Da habe ich auch mit der Biologin Cornelia Betsch drüber gesprochen. Die Zahl derer, die das propagieren, die ist unheimlich klein, aber unglaublich laut. Das heißt, wenn man mal nachzählt, wie viele Menschen tatsächlich so was Vehementes propagieren, sind das gar nicht so viele. Und wenn du jetzt mal in deinen Kindergarten gucken würdest von damals, würdest du wahrscheinlich sehen, das sind weniger Menschen, die darüber diskutieren und viele andere, die dann vielleicht auch jaja sagen, aber ihre Kinder impfen lassen. Das sieht man eben an den hohen Impf-Quoten, dass die Menschen, die daran zweifeln, doch wirklich in der absoluten, absoluten, absoluten Minderheit sind.

00:42:20: Marko Ja, aber das ist genauso wie bei Reichsbürgern und Aluhüten, die sind auch in der Minderheit, aber die sind halt sehr laut, da hast du Recht.

00:42:26: Irene Genau das ist, das ist der Punkt. Man hat heute gelernt, dass es das Beste ist, die ganzen Sachen über Aufklärung und auf freiwilliger Basis zu machen. Dass man Werbung und Information dazu macht, das hast du ja eben erzählt, oder ihr habt das beide erzählt. Dieses Kinderlähmung ist bitter. Schluckimpfung ist süß. Da wurde ja immer so ein kleines Kind gezeigt, das dann lustig da über den Spielplatz hüpfte und danach im Rollstuhl gesessen hat. Und so, so kann es kommen. Tatsächlich mit der Kinderlähmung. Und das Witzige ist auch, dass solche Erfolge bei uns schon etwas älter sind. Das war ja bei uns in den 70er Jahren. Aber in Spanien, das zum Beispiel so war, dass die Kinderlähmungs-Impfung länger angedauert hat und sich jetzt bei Corona, als es darum hieß: Lasst euch impfen! Die Impf-Quote sehr schnell angestiegen ist, weil man noch diese Erfolgsgeschichte von Kinderlähmung im Kopf hat.

00:43:17: Martin Das fand ich auch sehr erstaunlich. In Brasilien - die haben ja in Städten wie zum Beispiel Rio de Janeiro eine Impf-Quote von 95 % bei Corona gehabt. Also da war die Bereitschaft, sich impfen zu lassen enorm hoch. Und das hat man wohl auch darauf zurückgeführt, dass eben die vorherigen Impfkampagnen gegen andere ansteckende Krankheiten eben relativ kurz zurücklagen. Zehn Jahre, 15 Jahre. Und dass da eben noch die Erinnerung daran klar und deutlich vorhanden war, dass diese Impfkampagnen sehr erfolgreich gewesen sind.

00:43:47: Marko Das lag aber auch vielleicht ein bisschen daran, dass in Brasilien am Anfang es eigentlich nahezu zur Katastrophe gekommen ist. Die Leute sind ja Schlange gestanden, um ins Krankenhaus zu kommen. Es gab keinen Platz mehr. Dann sind sie ja jämmerlich, weil nicht versorgt, in der Tat auch wieder verreckt, muss man ja sagen. Man hätte ihnen ja helfen können. Aber es gab nichts, weil die Leute nicht ins Krankenhaus gekommen sind. Das heißt, die hatten ja den Schrecken vor Augen, das was wir halt nicht hatten. Bei uns ist es ja auf den Intensivstationen Gott sei Dank einigermaßen abgefedert worden. Ne.

00:44:20: Irene Ja. Und man muss noch etwas sehen. Was auch ganz wichtig ist, ist, dass das Impfen leicht gemacht wird. Ich hatte zum Beispiel mal, das war glaub ich Tetanus-Impfung. Da war ich beim Arzt, da musste ich dann zuerst mit dem Rezept zur Apotheke gehen, dann mit dem Serum wieder zurück zum Arzt und da war ich irgendwie zwei Stunden mit beschäftigt. Das sind Sachen, da sagen auch solche Mediziner wie Jan Leidel, der hier ja mal das Gesundheitsamt geleitet hat, das ist nicht gut, das bringt gar nichts. Und er hatte zum Beispiel mit seiner Frau in den Achtzigerjahren etwas gemacht, dass sie, da ging es damals um Röteln und um junge Mädchen. Ich bin ja auf eine Mädchenschule gegangen, und da gab's damals eine Kampagne zu sagen, die elf, 12-jährigen Mädchen sollen getestet werden, um dann gegebenenfalls geimpft werden zu können. Ich bin getestet worden, ich hatte wohl die Röteln gehabt, also mal so vier fünf Punkte als Kind gehabt, aber viele andere eben nicht. Und da war das eben halt so da ist das Gesundheitsamt an die Schule herangetreten, hat informiert, hat uns dann eingeladen, sind alle zum Neumarkt gefahren, Bus zum, zum Impfen usw. Oder eben auch zum Testen. Und das ist etwas, was was gut ist für das Thema Impfen. Oder auch, dass zum Beispiel die Impfung in die Schule kommt. Das war bei der Kinderlähmung so gewesen. Da weiß ich noch, in Frechen an der Realschule haben wir angestanden, um den Zucker zu bekommen. Das macht man heute nicht mehr, weil dafür der Impfstoff ja in einer großen Flasche sein muss. Da musste dann eine besondere Form von Quecksilber drin sein, die nicht gefährlich ist. Aber es ist Quecksilber. Das macht man heute nicht meh. Deswegen gibt es heute immer diese Einzel-Dosen um diese Haltbarkeit zu garantieren. Aber damals war das eben halt so mit dem Zuckerwürfel und das ist so eine ganz wichtige Sache. Also ich bin mit ganz vielen Sachen, die der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn gemacht hat, nicht einverstanden. Aber die Idee von ihm zu sagen, dass man sich auch zum Beispiel in Apotheken impfen lassen kann, dass das Impfen, also niederschwellige, gemacht werden muss, das ist eine gute Idee letztendlich, weil viele Menschen tatsächlich sagen: Och nee, jetzt da zum Arzt - mach ich Morgen. Und dann wird das immer weiter verschoben.

00:46:17: Martin Also das Schlüsselwort ist Akzeptanz. Und Akzeptanz durch niederschwellige Angebote.

00:46:22: Irene Durch niederschwellige Angebote, dass man sagt, wir kümmern uns um dich, wir kommen zu dir, wir machen es dir ganz leicht. Du musst nicht mit deinem Kind einen Arzttermin vereinbaren, sondern wir kommen in die Schule zum Beispiel, und machen das, wenn du vorher einverstanden erklärt hast. Ja, das ist im Grunde genommen die Zukunft, denn es werden neue Krankheiten kommen. Corona ist nicht das Ende. Und wie gesagt, ja, wir haben Glück, dass es sich nicht um die Pocken handelt. Was wir jetzt gerade haben, denn wir sehen ja auch, wie schwer dieser Kahn Deutschland sich bewegt, wenn er sozusagen mal flexibel handeln muss, was eine neue Krankheit angeht, die sich ja in ihrer Geschwindigkeit nicht danach richtet, wann wir Bundestag und Bundesrat haben, um gewisse Dinge zu beschließen.

00:47:08: Marko Auf der anderen Seite: Du hast dein Zeitzeichen 2019 gemacht. Das war vor der Corona-Pandämie. Hättest du dir 2019 vorstellen können, was eigentlich ein halbes Jahr oder ein Jahr später hier in Deutschland passiert ist? Man hatte doch so das Gefühl: Ach, wir sind diesen ganzen Schlamassel los. Wir, wir, wir leben in einem mehr oder weniger, wenn man sich gerade die Küche vom Herzog angucken muss, hygienischen Land. Ja. Und wir haben so so viele Dinge eigentlich ganz gut im Griff. Wir lassen uns in der Regel auch impfen und die medizinische Versorgung ist hervorragend mit so was wie Corona...

00:47:45: Martin Also meine Küche härtet ab. Ich muss das jetzt mal hier so einwerfen. Was dich nicht tötet, härtet ab. Um jetzt mal dieses Argument doch noch mal in die Runde zu werfen.

00:47:55: Marko Du willst sagen, diese ungeputzten Flaschen und so, das ist gottgewollt.

00:47:59: Martin Das habe ich so gewollt. Das ist es. Zurück zum Thema, zurück.

00:48:04: Irene Zurück zum Thema 2019. Ich habe mit meinen Gesprächspartnern natürlich darüber gesprochen, was passieren könnte, wenn es eine Pandemie gibt oder so was. Aber das war immer in der Theorie, dann nie konkret darüber gesprochen. Das Lustige war, dass ich mit einem Kollegen 2020 gesprochen hatte und der erzählte, dass er einen gewissen Drosten vor 20 Jahren mal interviewt hat. Und der hatte ihm vor 20 Jahren schon erzählt, so was wird es geben. Und ich habe so eine Idee von Menschsein, die da heißt: Alles das, was wir uns vorstellen können, wird irgendwann mal passieren. Also ob das technologische Erfindungen sind. Jules Verne hatte einen Zettelkasten, da hatte er auch schon so eine Maschine drin, die heute wie eine Mikrowelle funktioniert. Wir wissen im Grunde genommen, dass solche Dinge passieren können. Wir haben sie in Spielfilmen ja auch schon dargestellt. Wir können heute zum Mond fliegen. Das sind zum Beispiel solche Geschichten, die Autoren wie Jules Verne und andere, lange bevor wir überhaupt irgendwie mal so eine Maschine erstellen konnten, die uns irgendwie schneller transportiert als 20 Stundenkilometer, da haben die schon über solche Dinge nachgedacht und auch eben halt Epidemien, also diese Beobachtung eigentlich von Natur ist so im Grunde genommen in uns drin. Wir wissen das eigentlich, dass das passieren kann. Aber das hat natürlich auch viel damit zu tun, dass wir gleichzeitig medizinisch forschen, dadurch, dass die Wahrscheinlichkeit immer geringer geworden ist, in den letzten Jahrhunderten zu erkranken, also so schlimm zu erkranken, die hat uns entwöhnt, besser Vorsorge zu treiben. Und wir haben natürlich auch andere Krankheiten bekommen, wie Krebs oder solche Dinge, die uns natürlich auch, sage ich mal, vor denen man sich auch nicht wirklich schützen kann.

00:49:46: Martin Also ein bisschen Fluch des eigenen Erfolges.

00:49:49: Irene Auch das, ja, auch das ein bisschen Fluch des eigenen Erfolges, was ja dann auch immer wieder zu dieser Enttäuschung führt, die wir mal besprochen haben. Dieses - das war ja tatsächlich, muss man sagen, als man diesen Impfstoff damals erfunden hat und als man politisch entdeckt hat, wir können präventiv arbeiten mit der Natur, war das damals schon ein unglaublicher Gedanke. Wir können die Natur, wir können heute dafür sorgen, dass morgen und übermorgen nicht mehr so viele Menschen sterben. Ja. Wir können eine Sicherheit schaffen auch. Denn bei vielen Krankheiten war es ja auch so: Wenn du eine Fabrik hattest und die Menschen waren schlecht untergebracht oder so was, dann sind dann alle krank geworden. Dann hast du plötzlich keinen mehr, der arbeiten konnte. Also du konntest auf ganz vielen Ebenen dafür sorgen, dass der Betrieb weiterläuft. Der gesellschaftliche, der Fabrikbetrieb. Und so weiter. Du konntest. Du hattest das Gefühl, wir können jetzt eine Garantie ausstellen. Und dann hat man festgestellt: Hmm, ja, vielleicht bei dem einen ja, aber dann kommen wieder zehn andere Sachen, da können wir es wieder nicht machen. Deswegen sind zum Beispiel solche Sachen wie Hygiene total wichtig. Deswegen sind viele Fabriken damals ja auch hingegangen, Anfang des 20. Jahrhunderts und haben Wohnungen gebaut für die Arbeiter, weil sie gesagt haben, wenn die gut wohnen, wenn die warm wohnen, wenn die keine Feuchtigkeit und kein Pilz haben in der Wohnung und so, dann kommen die auch jeden Tag zur Arbeit.

00:51:08: Martin Das war nicht reine Menschenfreundlichkeit sondern auch durchaus wohlverstandenen Eigeninteresse.

00:51:12: Irene Es ist ein Pragmatismus. Und das hat sich ja auch bei Corona so gezeigt, als man sagte: So, wir geben das jetzt mit dem Lockdown auf, der ja im Grunde genommen ein ganz tolles Mittel medizinisch gesehen ist. Dann stellte man ja auch fest. Es ist nicht dem Staat daran gelegen, dass keiner krank wird, sondern dass das System nicht implodiert. So. Und es ist auch, das wissen wir auch heute, psychologisch auch nicht gut, denn wir können ja gar nicht so gut damit umgehen, isoliert zu sein. Ich glaube, das konnte noch niemand gut in der gesamten Menschheit, in den gesamten damaligen Jahrhunderten. Obwohl es - das muss ich noch erzählen, in der Lepra Zeit tatsächlich Menschen kamen und sagten: Ich habe Lepra, kann ich jetzt aufgenommen werden ins Leprosenheim. Und dann wurde da untersucht, hat man gesagt, ne. Und das waren oft Menschen, denen ging es finanziell so schlecht, dass die das sozusagen als letzten Ausweg gefunden haben, zu sagen, wir gehen ins Leprosenheim, wir tun so, als wenn wir leprakrank sind, weil sie eben halt wussten, dass man da immer genug zu essen hatte und dass es einem da, sage ich mal so von diesen Dingen her ganz gut ging, als eben halt auf der Straße leben zu müssen. Und in Köln war es sogar so, dass in der Endzeit des Leprosenheimes, was ja da am Melaten gewesen ist, dass sich da Räuberbanden eingenistet hatten als angebliche Leprakranken und hatten dann von da aus haben die dann ihre Beutezüge organisiert.

00:52:33: Martin Ja, das ist jetzt wirklich ein weiter Bogen, den wir geschlagen haben, von den Pocken über Diphterie bis hin zu den Leprosenheimen in Köln und den Räubern, die da ihre Basis hatten.

00:52:44: Irene Und wir können wieder sozusagen zum Schluss zurückkommen auf das eigentliche Thema. Das ist ja letztendlich Pocken, Impfen, Impfen vor allen Dingen. Und Jan Leidel, der hat mir sehr gut gefallen damals in meinen Recherchen, also der ehemalige Leiter des Kölner Gesundheitsamtes, und der hat etwas gesagt, das habe ich damals auch zum Schluss von Zeitzeichen genommen, diesen O-Ton, weil er bei allen Diskussionen, die es um das Impfen gibt, um die Impfschäden und so weiter etwas gesagt hat, was uns eigentlich hier in unserer europäischen Welt so ziemlich auf den Pott setzt, hören wir das doch noch mal kurz.

00:53:20: Jan Leidel Es ist für uns manchmal verhältnismäßig leicht, auch gegen das Impfen zu wettern, weil tatsächlich die Bedrohung ja durchaus doch geringer geworden ist im Laufe der Zeit. Aber wer mal in den Tropen als Arzt tätig gewesen ist, der hat überhaupt kein Verständnis für diese Wohlstandsdiskussion, die wir hier führen. Dort sterben die Kinder wie die Fliegen an impfpräfentablen Krankheiten.

00:53:45: Irene Das muss man sich immer wieder sagen, wenn wir hier diese Diskussion führen, was machen wir jetzt und so, dass das Impfen schon für einen großen Segen gesorgt hat, dass viele, viele, viele Menschen überleben konnten, weil es Impfstoffe gibt.

00:53:59: Marko Und was ist das nur für ein wunderbarer Preis, den wir zahlen, dass wir in diesem Hinterhof sitzen, ein bisschen frieren, aber so verhindern, dass wir uns alle hier mit Corona anstecken.

00:54:12: Irene Isolation! Naja, Isolation ist es ja nicht - aber Distanz. Abstand wahren ist immer super.

00:54:17: Marko Es gab mal - Du kennst von Boccaccio den Decameron - da ziehen sich ja eine Reihe von Adeligen zurück auf ein Landgut und erzählen sich Geschichten, um die Zeit der Pest abzuwarten und abzuwettern. Was haben wir heute gemacht? Wir haben uns Geschichten erzählt in die Geschichtsmacher - wenn es euch gefallen hat, dann...

00:54:38: Martin Sagt es Freunden und Bekannten, Impfbefürwortern und Impfgegnern, vor allen Dingen denen. Und wenn es euch nicht gefallen hat...

00:54:44: Marko ...dann sagt es uns aber bitte nur uns unter www.diegeschichtsmacher.de. Und wir bedanken uns ganz herzlich dafür, dass sie uns nicht angesteckt hat und dafür, dass sie uns so wunderbar heute hier aufgeklärt hat über die Geschichte der Pocken und die Geschichte des Impfen unserer lieben Kollegin Irene Geuer.

00:55:02: Irene Es war mir eine Ehre.

00:55:04: Marko Und uns erst!

00:55:05: Martin Und wir hören uns wieder in zwei Wochen bei den Geschichtsmachern. Bis dahin. Tschüss.

00:55:09: Marko Tschüss.

00:55:10: Irene Tschüss.

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