Sophie Scholl und die Weiße Rose

Shownotes

Sie war ein Hitler-Mädel, das diejenigen anschwärzte, die nicht regelmäßig zum Dienst kamen. Sie wurde zur Ikone des deutschen Widerstandes und gab für ein besseres Deutschland ihr Leben. Unsere Kollegin Maren Gottschalk fragte sich: Wer war Sophie Scholl?

Unsere Kollegin Maren Gottschalk hat mittlerweile das zweite Buch über Sophie Scholl geschrieben und selbstverständlich ist sie die Autorin, wenn es darum geht, beim ZeitZeichen an die Weiße Rose und ihre Mitglieder zu erinnern – für uns macht sie noch einmal die Reise nach München: In den Lichthof der Universität, in der Sophie und ihr Bruder Hans Scholl vom Hausmeister dabei erwischt wurden, wie sie Flugblätter gegen Hitler und den Krieg auslegten und verhaftet wurden. Heute erinnert vor Ort eine Denkstätte an die beiden. Als Maren dort aber vor vielen Jahren zum ersten Mal hinkam, wehten dort tatsächlich Hakenkreuz-Fahnen. Das war zu Beginn der 80er Jahre – Filmarbeiten – fortan war Maren von der Geschichte um die Weiße Rose ergriffen.

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Die Geschichtsmacher: Sophie Scholl - Vom Hitlermädel zum Widerstand

00:00:08: Intro 1 Die Geschichtsmacher. Von den Autorinnen und Autoren des Zeitzeichen.

00:00:25: Martin Ein Altglascontainer und ein kleiner Junge. Damit beginnen wir heute ja die Geschichtsmacher. Marko, der kleine Junge bist du!

00:00:36: Marko Ja, ich war so kurz vorm Einschulen oder kurz danach, habe ich angefangen zu lesen und wir wohnten in einer Siedlung, da waren eigentlich alle Straßen nach Vögeln benannt. Gab es eine Amselweg, da gab es Drosselweg. Ich wohnte im Pirolweg und als kleiner Junge fängt man so an, Schilder zu lesen und ich wurde immer zum Altglascontainer geschickt und der war am Geschwister-Scholl-Platz. War der einzige Platz, der nicht nach einem Vogel benannt war. Und ich habe mich immer gefragt: Wer sind die eigentlich? Ich wusste es nicht. Ich habe dann später, ich glaube in der Grundschule sogar schon gehört, dass sie zur Weißen Rose gehörten. Und dann war ich vollkommen überfordert, weil die Weiße Rose kannte ich von Kalle Blomquist. Kalle Blomquist - der Meister-Detektiv von Astrid Lindgren und dessen Bande hieß "Die Weiße Rose". Ich dachte, Kalle Blomkvist und die Scholls hätten was miteinander zu tun. Jetzt haben wir bei jemanden als Gast, heute hier, der kam mir jetzt mit viel, viel Verspätung erklären: Es war ganz anders.

00:01:26: Martin Ja, also so ein bisschen was wissen wir mittlerweile schon auch über Sophie Scholl und ihren Bruder Hans. Aber diejenige, die sich damit nun wirklich sehr intensiv beschäftigt hat und diverse Bücher auch darüber geschrieben hat, dass ist die werte Kollegin Maren Gottschalk herzlich willkommen.

00:01:40: Maren Gottschalk Hallo, danke für die Einladung.

00:01:42: Marko Es war der hässlichste Platz bei uns in der Gegend

00:01:44: Maren Gottschalk Der Sophie Scholl-Platz oder der Geschwister-Scholl-Platz

00:01:46: Marko Der Geschwister Scholl, Platz. Es war unglaublich hässlicher, er bestand aus Beton und diesem Glascontainer. Das haben Sie eigentlich nicht verdient.

00:01:53: Maren Gottschalk Nein, überhaupt nicht. Ich habe übrigens auch Sophie Scholl in der Schule nicht gelernt. Ich habe tatsächlich Sophie Scholl und die Weiße Rose nicht gekannt, als ich nach München zum Studium ging. Habe ja mit Jura angefangen zu studieren. Geschichte kam erst später. Und stand eines Tages im Winter, das war, glaube ich, 81, kam aus der U-Bahn raus beim Geschwister-Scholl-Platz. Den Platz kannte ich schon, aber ich wusste nicht, wo er hingehört. Und die ganze Uni war mit Hakenkreuzfahnen bestückt, außen die Gebäude und das war natürlich erst mal ein Schock. Im zweiten Moment habe ich mir gedacht: Okay, die Nazis werden nicht über Nacht wiedergekommen sein. Es muss irgendeinen anderen Grund haben. Der Grund war, es wurde dort ein Film gedreht, und zwar der Verhoeven Film "Die Weiße Rose". Ich bin dann in diese Dreharbeiten halb hineingestolpert und habe dann zugeguckt und die wiederholen ja dann eine Szene 50 mal und habe mir dann auch von anderen dann erklären lassen, um wen es da eigentlich ging.

00:02:47: Marko Du kanntest die vorher gar nicht?

00:02:48: Maren Gottschalk Ich kannte sie vorher nicht.

00:02:49: Marko Was ich erstaunlich finde...

00:02:51: Maren Gottschalk Ja, ich hab Geschichte abgewählt, das muss ich gestehen. Ich habe Geschichte nach der Zehnten abgewählt. Bei uns ging das noch. Ich habe dann später ja Geschichte studiert, aber in der Schule hatte ich ein gebrochenes Verhältnis zur Geschichte. Und es war dann so, dass als der Film fertig war, war ich zwar schon in München, wohnte ich da schon, aber ich kannte noch nicht so viele Menschen. Und ich bin tatsächlich allein ins Kino gegangen und ich habe diesen Film alleine gesehen. Und ich bin wie versteinert gewesen am Ende. Das hat mich so umgehauen diese Geschichte. Also das hat mich schwer beeindruckt. Und ich bin natürlich dann immer durch den Lichthof der Universität jeden Tag durchgegangen, völlig mit anderen Gefühlen. Deswegen ist Sophie Scholl mir seit meinem Studium sehr nahe gerückt.

00:03:26: Martin Über den Lichthof werden wir gleich noch sprechen. Wann hast du dich denn zum Ersten Mal in Anführungsstrichen professionell mit Sophie Scholl beschäftigt?

00:03:32: Maren Gottschalk Das war vor zehn Jahren, als der Verlag Beltz & Gelberg mich bat, eine Sophie Scholl Biografie zu schreiben für junge Leser und Erwachsene. Und damals habe ich dann angefangen, ihre Tagebücher, ihre Briefe zu lesen. Alles, was es über sie schon gab, mich mit der Weißen Rose zu beschäftigen. Und das war eine Beschäftigung, die mich auch gar nicht losgelassen hat. Ich bin viel mit dem Buch in Schulen unterwegs. Und als dann die Anfrage kam, ob ich zum hundertsten Geburtstag von Sophie Scholl ein neues Buch, noch mal ein längeres, ausführlicheres Buch schreiben würde für C.H. Beck, habe ich das sehr gerne gemacht.

00:04:03: Marko Wenn du heute an Schulen gehst, kennen die alle die Geschwister Scholl und die Sophie? Oder geht es denen wie mir und dir damals, wo lauter Missverständnisse vorherrschen und man es gar nicht so genau einordnen kann? Und was erzählst du denen in Kurzform, um das, wenn es so ist, zu beheben?

00:04:20: Maren Gottschalk Also die meisten haben den Namen dann vielleicht schon mal gehört, auch in Vorbereitung der Lesung, die ich dann da mache. Ich mache mir so Werkstattgespräch mit den Schülerinnen und Schülern. Was ich versuche, ihnen zu erzählen, ist, dass sie nicht von Anfang an zum Beispiel immer dagegen war. Also sie war ja ein sehr begeistertes Hitler-Jugend Mädchen. Und bei den jungen Mädels auch Anführerin. Also dass man erst mal guckt, wie ist sie überhaupt dahin gekommen, wo sie war, dass man sie nicht so als Marmor Denkmal sieht, die so eine Heldin ist, die man verehrt, die ganz weit weg ist von uns, sondern ein Mensch, der die gleichen Interessen hatte wie die jungen Menschen, die Schülerinnen und Schüler, von denen ich da sitze. Also sie wollte reisen, sie wollte feiern, sie wollte mit ihrem Freund zusammen sein, Wein trinken, heimlich rauchen, unterwegs sein, weg von den Spießern, ihr eigenes Ding machen, ein paar Städte besuchen. Sie hatte ganz viele Pläne. Sie war sehr lebenshungrig und sehr lebensbejahend. Und das ist mir wichtig, dass wir sie nicht immer so mit dem mit dem Todesengel sozusagen schon an ihrer Seite sehen.

00:05:17: Marko Mittlerweile ist sie, glaube ich, wahnsinnig bekannt. Da kann so eine Jana aus Kassel kommen und sagen: Ich bin Sophie Scholl.

00:05:24: Maren Gottschalk Ja, furchtbar. Das hat mich total geärgert, als ich das mitbekommen habe, lag ich hier auf dem Sofa. Entschuldigung, ist ja hier bei uns zu Hause jetzt

00:05:33: Martin Wir sind zu Gast neben diesem Sofa...

00:05:35: Maren Gottschalk ...und habe das so gesehen. Das kam so In meinen sozialen Netzwerken ploppte das so auf und da habe ich so gedacht: Nee, damit beschäftige ich mich gar nicht. Und dann musste ich mich allerdings tatsächlich damit beschäftigen, weil dann sehr viele Anfragen von Zeitungen oder Online-Portalen kamen. Was ich dazu sagen würde als Sophie Scholl Biographin. Und man kann einfach nur sagen, dass das für ein unfassbares Nichtwissen an historischen Zusammenhängen spricht, wenn jemand sagt "Ich fühle mich wie Sophie Scholl". Und auch einer unglaublichen Herzlosigkeit, weil ja genau das, was Jana für sich in Anspruch genommen hat, sie sagt ja: Ich stehe hier ständig auf Demos und ich verteile ständig Flyer. Und genau das konnte Sophie Scholl eben nicht tun. Und es hat die beiden haben überhaupt nichts gemein.

00:06:13: Marko Vielleicht muss man auch erklären, Jana stand auf einer Querdenker-Demo.

00:06:16: Maren Gottschalk [00:06:16]Ja genau. [0.2s] Und hat sich als Opfer so ein bisschen dargestellt, weil sie eben gegen etwas ankämpfte und fand, dass sie sich da mit Sophie Scholl vergleichen kann. Und das ist eben absolut unhistorisch und unangemessen.

00:06:27: Marko Also vielleicht heute der Zeitpunkt, mal mit diesen Fehleinschätzungen aufzuräumen. Der Frage also wer war Sophie Scholl? Wir waren die Geschwister Scholl? Und ja, wenn wir uns schon auf sie berufen, wie tun wir es richtig im Zweifelsfalle. Darum soll es heute gehen.

00:06:44: Martin Wer war denn Sophie Scholl? Wo kam sie her? Aus dem Schwäbischen, wenn ich das richtig gelesen habe.

00:06:49: Maren Gottschalk Ja, Baden-Württemberg ist das ja heute. Forchtenberg, da ist sie geboren.

00:06:52: Marko Forchtenberg.

00:06:54: Maren Gottschalk Forchtenberg im Hohenloher Land. Der Vater war Bürgermeister in diesem kleinen Städtchen. Sie hat ja eine ganze Menge Geschwister: Inge Scholl, Hans Scholl, Elisabeth, dann Sophie, dann Werner. Dann gab es noch eine kleine Schwester und einen Halbbruder, also eine richtige Gruppe, die Geschwister Scholl. Das waren nicht nur Hans und Sophie, sondern es waren ja fünf Geschwister mit dem Halbbruder noch dazu, und der Vater war Bürgermeister. Deswegen waren die Scholl Geschwister dort, sind die da sehr behütet, sehr idyllisch aufgewachsen. Also die konnten draußen spielen in den Weinbergen, in den Wäldern. Die Eltern haben ihnen sehr viel Freiheit gelassen, wollten, dass sie selbstständig werden, haben aber auch ihre Ansprüche gestellt. Und zwar mussten die alle doch gut in der Schule sein, sich anstrengen für die Schule, alle ein Instrument lernen und - was auch sehr wichtig ist, später für die Begeisterung, dann in der Nazizeit: Die Eltern haben ihnen so das Gefühl gegeben, ihr seid was Besonderes, ihr müsst was Besonderes leisten. Ihr müsst in dieser Gesellschaft eine besondere Rolle müsst ihr da spielen, für andere euch einsetzen, Vorbild sein. Und das ist dann genau die Falle, in die so viele bürgerliche Kinder getappt sind, als die Hitlerjugend sie sozusagen angeworben hat. Dass sie dann auch sagten: Ja, wir brauchen euch, ihr müsst uns helfen, wir müssen dieses Land doch aufbauen mit der Jugend. Und dann kam das Jahr 1933. Und dann sind die ältesten Geschwister Inge und Hans sofort wollten die unbedingt in der Hitlerjugend mitmachen. Die Eltern waren total dagegen, der Vater war Pazifist, die Mutter auch. Und Sophie ist dann einfach hinterher gedaclkelt, was die große Schwester gemacht hat. Sophie hat das ganz begeistert mitgemacht und deswegen müssen wir uns ja auch fragen: Was war denn das, was sie da so begeistert hat an der Hitlerjugend? Und das war natürlich das, was alle begeistert hat. Also ohne Eltern, ohne Erwachsene sich selbst organisieren, auf Fahrt gehen und übernachten, im Heu, an Lagerfeuern sitzen. Das fand Sophie auch unheimlich spannend.

00:08:44: Martin Aber das ist ja eher so die Pfadfinder-Schiene, sag ich mal, war sie denn auch von der Ideologie begeistert?

00:08:50: Maren Gottschalk Ja, das ist schwer zu sagen, weil sie natürlich in dem Alter so mit 13 14, da hat sie noch nicht Tagebuch geschrieben. Sie muss natürlich diese ganzen Nazi Sprüche nachgeplappert haben und wir wissen, sie war auch sehr fanatisch. So wird sie auch beschrieben. Also zum Beispiel fehlte eines Tages ein Mädchen in ihrer Gruppe. Das hieß ja Dienst. Da musste man ja hingehen, da konnte man nicht sagen, heute lass ich das mal ausfallen. Man musste da hin. Und dieses Mädchen musste in der elterlichen Metzgerei helfen. Da war wohl jemand krank geworden und Sophie schickt dann ein anderes Mädchen, um die zu holen zum Dienst. Und eine Woche später fehlt das Mädchen wieder. Da schickt die Sophie einen Polizisten, um das Mädchen zu holen. Also das spricht nicht dafür, dass sie das nicht ernst genommen hat. Und dann hatte sie noch so die Angewohnheit.

00:09:30: Marko Auch wenig sympathisch.

00:09:31: Maren Gottschalk Auch wenig sympathisch. Absolut. Das muss man so sehen. Dann beschreiben die Mädchen ihrer Gruppe. Sie allerdings sagen immer, sie war sehr zackig, sie war fanatisch, man musste bei ihr auch marschieren und diese ganzen Nazi Lieder singen. Aber sie war auch sehr romantisch. Also sie hat dann am Lagerfeuer Märchen vorgelesen, Helden-Balladen und so was. Und wenn ich jetzt mal die Tagebücher vergleiche von der großen Schwester Inge, die wurde Ring-Führerin, die war für ein paar Hundert Mädchen zuständig. Sophie immer nur so für höchstens so bis 120 ungefähr, wenn überhaupt. Und die Inge schreibt in ihr Tagebuch sehr viel darüber, wie wichtig ihr Hitler ist und dass sie sich einhalten will für Hitler und dass sie jedes deutsche Mädchen, das machen soll und so weiter.

00:10:11: Marko Reinhalten im Sinne von jungfräulich,

00:10:13: Maren Gottschalk Mehr im Sinne von gut Deutsch sich verhalten. Was sie damit meint, das hat sie nicht erklärt. Aber so eine gewisse Begeisterung, immer wieder so eine ideologische Begeisterung wird da richtig ausgesprochen in den Tagebüchern. Bei Sophie findet man dazu gar nichts, bei Sophie steht immer nur: Ich muss hier raus sonst ersticke ich. Ich brauche Luft, ich muss auf Fahrt gehen, also auf Fahrt gehen, mit der Hitlerjugend Ausflüge machen bzw. für ein Wochenende oder für eine Woche in die Berge fahren und dann da zelten und sich selbst versorgen und wandern und die war sehr sportlich. Und ich glaube, für sie ist dieses Austoben ein sehr wichtiger Aspekt gewesen bei der Hitlerjugend und eben auch die Sichtbarkeit, dieses als Mädchen sichtbar sein, einen Platz einnehmen dürfen. Also Mädchen sollten ja sonst eher nur die Klappe halten, freundlich sein, helfen. Und Sophie war so ein Typ überhaupt nicht. Und dieses: Wir dürfen hier Platz einnehmen, wir dürfen hier stehen und wir sind wichtig. Und das ist, glaube ich, auch wichtig gewesen für sie.

00:11:10: Marko Auf dem Cover deines Buches ist ja auch ein Foto von ihr, da ist sie wie alt? Was würdest Du schätzen?

00:11:15: Maren Gottschalk Ja, da wird sie so 14, 15 gewesen sein, würde ich mal sagen. Auf dem anderen ist sie älter.

00:11:19: Marko Da könnte man auch raten, sie sieht ein bisschen aus wie ein Junge.

00:11:22: Maren Gottschalk Ja, genau, so wird sie auch beschrieben. Genau. Wegen dieser kurzen Haare. Sophie ist überhaupt kein angepasstes Hitler-Jugend Mädchen, also hat nicht die langen geflochtenen Zöpfe und hat immer diese kurzen Haare. Und sie wird auch beschrieben als burschikos, als ein bisschen provozierend, auch in ihrer Funktion als Anführerin. Da können wir uns mal anhören, was die Eva Amann dazu gesagt hat. Das war ein Mädchen, die war in ihrer Gruppe, da wird sie als Außenseiter beschrieben.

00:11:49: Zitat Eva Amann Sophie war damals sehr begeistert, sehr fanatisch für den Nationalsozialismus, aber mit einem Schuss bündischer Jugend. Einmal haben wir eine Fahrt gemacht ins Allgäu mit der Sophie. Da war es romantisch. Man hat nachts auf einer Waldlichtung ein Feuer gemacht. Tagsüber hatten wir schon das Holz gesammelt und sind dort gesessen. Sophie hat immer gerne Balladen gesungen, ganz heldische Balladen. Ich sehe das heute noch vor mir. So hat mir das imponiert und mich beeindruckt. Sophie hat dazu auf ihrer Klampfe, ihrer Gitarre gesungen und dazu das Lagerfeuer. Also das hat uns sehr gefallen. Aber die Eltern waren davon teilweise nicht so begeistert. Die hätten uns lieber schlafen sehen, anstatt im Wald zu sitzen und Balladen anhören. Sophie war also sehr romantisch und idealistisch auch und auch fanatisch. Schon ein Außenseiter, kann man sagen. Bei den anderen Führerinnen, die wir hatten, hat man so etwas nicht gemacht.

00:12:43: Marko Das hätte ich mir jetzt bei den HJ Mädels anders vorgestellt. Ich kenne die immer nur so aus Filmen zeitgenössischen, da machen sie Turnübungen oder so Sachen, die so typisch fraulich sind. Was so ins NS-Regime Frauenbild reinpasst. Das klingt ja aber eher nach Pfadfinder und Abenteuer.

00:13:00: Maren Gottschalk Genau, das war auch so bei der Hitlerjugend, also bei den Mädchen, die sind auch marschiert, sollten sich ja auch stählen. Die haben natürlich auch ein paar Dinge gemacht, die anders waren als bei den Jungs. Die haben zum Beispiel Theater gespielt, Märchen gespielt. Die sollten dann ja auch mal so einen ideologischen Hintergrund haben und die Werte der Nazis dann transportieren. Die haben sehr viel gebastelt. Damals hieß es ja, alles selbst Gebastelte ist gut und alles Gekaufte, vor allem wenn es noch aus dem Ausland kommt, ist schlecht. Also weiß ich nicht: Tischläufer, Bildchen, Laubsägearbeiten. Also die haben wahnsinnig viel gebastelt und genäht und gehäkelt und gestrickt. Das schon. Aber sie haben sich eben auch ausgetobt und die haben auch Geländespiele gemacht und sich gegenseitig Fahnen abgejagt und solche Geschichten.

00:13:42: Marko So, daran hatte sie offenbar Spaß. Aber was hat sie dann da weggetrieben? Also das scheint sie ja erst mal ganz gut aufgehoben zu sein.

00:13:50: Maren Gottschalk Genau. Und das ist natürlich eine ganz wichtige Frage: Was hat Sophie letztlich von den Nazis entfernt? Sie hat leider nirgends darüber etwas ausgesagt. Also es gibt keine Tagebuchaufzeichnungen oder einen Brief. Es war nicht ein Moment, wo auf einmal das umgeschlagen ist, sondern es waren verschiedene Risse, die diese Begeisterung bekam. Einmal sind ihre Geschwister verhaftet worden wegen bündischer Umtriebe. Die haben noch von einem verbotenen Jugendbund Lieder in ihren Gruppen gesungen. Das wurde 37 schwer bestraft mit Gefängnishaft sogar eine Zeit lang, also eine Woche waren ihre Schwester Inge und ihr Bruder Werner in Haft. Dann kam hinzu, das, fand ich, hat ihr Neffe Thomas Hartnagel vor kurzem so wunderschön gesagt: Sophie war jemand, der sich durch Nachdenken verändert hat. Sie hat einfach - irgendwann war sie in einem Alter, dass sie angefangen hat nachzudenken: Was mache ich hier eigentlich? Was sind meine Werte im Leben? Wo will ich hin? Wie will ich leben? Was ist das hier um mich herum? Was ist das für eine Gesellschaft? Wo ist da mein Platz? Und sie hat ja sehr, sehr viel gelesen. Romane, Gedichte, aber auch sehr viel Sachbücher, theologische Werke später und philosophische Bücher. Und es wurde ihr immer klarer, dass sie einfach nichts verbindet mit diesem System. Und insofern kann man richtig an ihren Lektüre-Listen ablesen, dass sie sich immer weiter davon entfernt hat. Ihr war Kultur sehr, sehr wichtig und man kann ja wirklich sagen, die Nazis waren wirklich ein kulturloser Haufen, also die Malerei. Sie hat selber sehr gut gezeichnet, sie war ein Fan von moderner Kunst. Das fanden die Nazis alles entartet. Und als der Krieg beginnt, da sehen wir sie schon als ganz ganzn klare Gegnerin des Systems.

00:15:23: Martin Also dann im Prinzip über den Umweg Hitlerjugend und Bund Deutscher Mädel, dann wieder in das Fahrwasser der Eltern auf den pazifistischen Weg.

00:15:32: Maren Gottschalk Ganz genau, also die Nähe zum Vater, die wirklich aufgebrochen war eine Zeit lang, als der Vater so wütend war, dass seine Kinder unbedingt in die Hitlerjugend eintreten wollten. Diese Lücke hat sich wieder geschlossen. Der Vater ist ja auch ins Gefängnis muss er gehen, eine Zeit lang, weil er Hitler als Gottesgeißel bezeichnet hat. Das war 1941. Mal nachdenken. Nein, das 1942. Da war der Vater im Herbst drei Monate im Gefängnis, weil ihn eine Angestellte denunziert hatte. Er hatte eben Hitler als Gottesgeißel bezeichnet. Und da ist Sophie abends hingegangen und hat die Gedanken sind frei auf der Flöte gespielt vor dem Gefängnis. Also da war die Nähe wieder ganz stark da und insofern, genau, ist die Familie dann wieder so zusammengewachsen. Aber im Widerstand, das ist ja dann noch mal - Gegner sein ist das eine, aber dann den nächsten Schritt zu gehen. So und jetzt stell ich mich wirklich gegen, jetzt arbeite ich gegen das System und nehme dabei in Kauf, dass ich mein Leben verliere. Das ist natürlich eine Entscheidung, die es noch mal eine ganz andere. Und da hätte der Vater sicherlich, wenn er das gewusst hätte, dass sie das plant, versucht das zu verhindern.

00:16:33: Martin Aber der Krieg war der Kipppunkt. Kann man das so sagen? Der Ausbruch des Krieges?

00:16:37: Maren Gottschalk Für mich war das eher der Moment, wo es klar wird, weil sie an ihren Freund, Fritz Hartnagel, der ja Soldat war, Berufssoldat. Und in diesen Briefen wird so klar, dass sie den Krieg so ablehnt. Da ist Sophie eine solche präzise Gegnerin dieses Gedankens Krieg. Ich würde das gerne mal zitieren, was sie dem Fritz da schreibt. Das ist kurz nach Kriegsbeginn, schreibt sie ihm: "Nun werdet ihr ja genug zu tun haben. Ich kann es nicht begreifen, dass nun dauernd Menschen in Lebensgefahr gebracht werden von anderen Menschen. Ich kann es nie begreifen und ich finde es entsetzlich. Sag nicht, es ist fürs Vaterland." Das ist für einen Soldaten natürlich eine Ohrfeige, denn natürlich machte er das für sein Vaterland aus seiner Sicht. Warum denn sonst? Wofür sollte man den Aufwand sonst betreiben? Sie unterscheidet ja gar nicht zwischen Freund und Feind. Sie sagt Menschen bringen Menschen in Lebensgefahr. Das finde ich schrecklich. Sie sagt nicht: die Polen, die Franzosen, die Deutschen. Und wenn ich die Menschen gar nicht unterscheide in Freund und Feind, dann ist der ganze Sinn des Krieges irgendwie weg. Und das kann man richtig sehen an dem Briefwechsel zwischen Sophie und Fritz, wie sie ihn mit ihren Argumenten immer mehr in die Enge treibt und er immer mehr Probleme bekommt, dagegenzuhalten und seine Meinung zu vertreten. Und am Ende des Krieges ist er ein Kriegsgegner. Er wird Jura studieren und Richter werden. Und er sagt nach dem Krieg, er hat ja den Krieg überlebt, ein junges Mädchen hat mich überzeugt davon, dass der Krieg ein Fehler ist.

00:18:02: Marko Die waren ein Paar.

00:18:03: Maren Gottschalk Die waren ein Paar, ja, genau. Habe ich das noch nicht gesagt. Ja, Sophie Scholl und Fritz Hartnagel: Er war ihr erster und ihr einziger Freund, ihr Geliebter. Und diese Beziehung ist beschrieben worden in einem sehr dicken Briefwechsel. Also den kann man lesen. Die Briefe sind fast alle vorhanden noch. Und das ist eine sehr dramatische, sehr innige, sehr aufregende Liebesgeschichte, weil sie nie in derselben Stadt wohnten und sich immer nur schreiben konnten. Und man kann da richtig verfolgen, wie sie sich finden. Am Anfang ist sie noch so ganz gehemmt und es beginnt wirklich mit dem ersten Zettel, den sie in der Schulstunde schreibt, an ihn. Da geht es um ein Tanzkränzchen, ober da da hin kommt.

00:18:45: Marko Also ganz normal.

00:18:47: Maren Gottschalk Ganz normal, genau, furchtbar zum Fremdschämen. Irgendwie dieses pubertäre, durchsichtige Anbandeln bis hin zu dem letzten Brief, den sie ein paar Tage vor ihrer Verhaftung schreibt an ihn. Also es ist eine sehr, sehr schöne, traurige Geschichte natürlich auch. Und sie ist deswegen auch so spannend, weil... Ja weil Sophie das auch so wichtig ist, dass immer zu erklären, was sie denkt und dass sie keine Kompromisse machen kann. Und ich glaube, das hat dann auch mit ihrer Widerstandsarbeit zu tun. Diese Unfähigkeit zu sagen: Gut, das ist ja vielleicht nicht genau das, was ich meine, aber egal. Komm, ja, gut so. Machen wir es so, sondern sie muss immer wieder klar machen: Nein, ich sehe das aber anders und das sehe ich aber so und das ist nicht, nein, das ist nicht genau das. Und die diskutieren wirklich viel in ihren Briefen. Das ist sehr spannend nachzulesen.

00:19:34: Marko Also eine Liebesgeschichte, wo sie dann am Ende ihren Freund, Liebespartner überzeugt davon, dass das, was er gerade tut, nämlich Soldat sein, völlig falsch ist.

00:19:43: Maren Gottschalk Ganz genau. Es gibt sogar Briefe, wo er ihr schreibt. Ich meine, er konnte ja nicht da weg. Er war Soldat. Keiner konnte da nach Hause gehen und sagen: Ich bin jetzt der Meinung, ich möchte nicht mehr Soldat sein, dann hätte man ihn gleich erschossen. Also musste er natürlich bis zum Ende des Krieges sein Soldatentum sozusagen da weiterführen. Aber er schreibt ihr zwischendurch auch mal. Manchen Diskussionen mit seinen Kameraden, sagt er, wünschte er, sie wäre bei ihm und würde ihm argumentativ unterstützen. Was ganz toll ist, auch als Mann, dass er sagt: Dieses Mädchen, die kann mir da jetzt helfen. Also der Fritz Hartnagel ist ein besonders kluger, warmherziger, cooler Typ, muss man sagen.

00:20:19: Martin Aber hat er da keine Probleme beokmmen? Es gab ja auch Militär-Zensur. Solche Briefe sind ja auch mitgelesen worden.

00:20:25: Maren Gottschalk Ja offensichtlich die nicht. Sie fragt ihn tatsächlich auch: Darf ich dir alles schreiben? Oder werden unsere Briefe gelesen und er sagt immer: Nein, nein, du kannst mir alles schreiben, er war Hauptmann. Also er hat ja sogar Karriere gemacht und hat auch zwischendurch gesagt: Am liebsten wäre ich nur noch ein Soldat, der keine Verantwortung hat zwischendurch. Natürlich hat er das niemandem sonst gesagt. Sie haben das nur in ihren Briefen besprochen und er wollte auch eigentlich sich nach dem Tod von ihr degradieren lassen, also wieder zum einfachen Soldaten werden. Und da hat ihn dann Robert Scholl, Sophies Vater, davon überzeugt, das nicht zu tun und zu versuchen, in seiner Funktion so gut wie möglich Menschen zu schützen.

00:20:59: Martin Nun haben die sehr viel diskutiert in ihren Briefen. Hat er denn mitbekommen, dass sie wirklich aktiv in den Widerstand gegangen ist?

00:21:07: Maren Gottschalk Tja, das ist eine schwierige Frage. Also sie hat ihm natürlich nichts davon erzählt. So wie er alle Arbeit, alle illegale Arbeit nicht beschrieben wird in irgendwelchen Briefen oder Tagebüchern, das wäre viel zu gefährlich gewesen. Es gibt aber eine Stelle, und da kommen wir jetzt schon zu dem Widerstand eigentlich, die mir sehr, sehr wichtig ist. Und zwar: Sophie Scholl hat versucht, und zwar schon Wochen, bevor die ersten Flugblätter der Weißen Rose gedruckt werden, hat sie versucht, einen Vervielfältigung-Apparat zu organisieren über Fritz. Er sollte ihr einen Stempel geben auf so einen Bezugsschein. Sie konnte nicht einfach in ein Geschäft gehen und sagen: Guten Tag, ich hätte gerne einen Vervielfältigungsapparat.

00:21:43: Martin Aber was war das - so ein Umkehr-Druck-Ding, wie wir das noch aus der Schule kennen=?

00:21:48: Maren Gottschalk Ja genau, man musste... die Flugblätter wurden auf Matrizen geschrieben und dann gab es verschiedene Geräte. Das einfachste war so eins, das wurde wie so ein flacher Bilderrahmen, wo man einmal so drüber gerollt hat, sehr aufwendig. Später gab es welche mit so einer Kurbel, dann konnte man schneller vervielfältigen. Und die ersten vier Flugblätter der Weißen Rose und das ist ja das, wofür die so bekannt sind, also die ersten vier und dann später noch zwei. Die werden ja von Hans Scholl und Alexander Schmorell geschrieben, vervielfältigt, verschickt. Aber schon Wochen vorher hat Sophie sich eben um so einen Apparat gekümmert. Den hat sie nicht bekommen, weil Fritz ihr schreibt, er könnte diesen Schein nicht besorgen. Er wäre auch der Meinung, dass wäre zu riskant. Daran können wir erstens sehen: Er wusste oder er ahnte, dass sie etwas Illegales tun wollte. Aber er sagte auch, als sie ihm davon erzählt hat, das war das letzte Mal, dass Sie sich gesehen haben, das wussten sie natürlich nicht, dass sie sich nie wiedersehen würden. Aber es war klar, er musste an die Front nach Russland. Sie würden sich lange nicht sehen. Und er sagte: Wir wollten wohl beide nicht unser letztes Treffen damit belasten und haben nicht weiter darüber gesprochen. Sie hat ihn gefragt, ob er ihr diesen Schein besorgt und Geld gibt. Das Geld hat er ihr gegeben, tausend Reichsmark und den Schein eben nicht. Das hat er nicht organisiert. Und das ist eine, was wir daraus lernen, dass Fritz eine Idee davon hatte, dass Sophie in so was geraten könnte, hat sie auch gefragt: Weißt du, dass dich das den Kopf kosten kann? Und sie sagte: Ja. Und das zweite ist, dass Sophie eben schon, bevor der offizielle Widerstand der Weißen Rose beginnt, schon versucht, etwas dafür zu tun. Und das ist mir wichtig, weil es sonst immer heißt: Ja, wann wurde Sophie denn eigentlich ein Teil der Gruppe? Wann hat sie denn was gemacht? Ja, sie hat sogar schon vorher angefangen zu arbeiten. Und ich gehe mal davon aus, dass sie dann auch mit dem Hans darüber geredet hat, mit ihrem Bruder. Sie lebten da ja beide in München, haben da beide studiert und es wäre sehr unwahrscheinlich, dass sie nicht mit Hans darüber geredet hat, dass man solche Flugblätter machen kann, wenn er es dann später macht. Und auch, dass sie darüber geredet haben, denke ich. Was schreibt man da rein?

00:23:46: Marko Wer ist diese weiße Rose? Das muss man vielleicht mal erklären und fragen. Das muss ja ein Kreis sein, die sich sozusagen gefunden haben und aktiv Widerstand leisten wollten. Wie kommt sie in diesen Kreis rein? Und wer sind diese Leute?

00:24:01: Maren Gottschalk Genau. Also die Weiße Rose hat einen engeren Mitglieds-Kreis und der besteht aus Hans Scholl, Sophie Scholl, Alexander Schmorell, Willi Graf, Christoph Probst und Professor Kurt Huber. Diese sechs Personen werden auch alle im Jahr 1943 hingerichtet wegen dieser Flugblätter. Die ersten vier Flugblätter schreiben Hans und Alexander in einer Auflage von 100 Stück. Daran ist Sophie nicht beteiligt, sagt sie selber im Verhör. Und sagen die auch. Also die beiden haben es alleine gemacht. Aber, wie gesagt, davor wurde sie schon aktiv. Deswegen ist immer die Frage: Wie sehr glauben wir dem, was in einem Verhör gesagt wird? Vielleicht hat sie ja auch mit Hans die Übereinkunft gehabt. Ne, da sagst du immer, dass du damit gar nichts zu tun hast. Also das wissen wir nicht. Kennen wir ja auch nicht mehr rauskriegen.

00:24:51: Marko Aber ihr Bruder Hans war schon vorher Teil dieser Gruppe.

00:24:54: Maren Gottschalk Also Ihr Bruder Hans hat diese Gruppe eigentlich aufgebaut, weil die Gruppe ist nach und nach entstanden. Erst waren nur Hans und Alexander da. Dann kamen erst Monate später Willi Graf dazu. Christoph Probst, das wissen wir nicht ganz genau, der war befreundet mit beiden, der wusste auch von den Flugblättern, wurde aber immer immer ein bisschen außen vorgehalten, weil er kleine Kinder hatte. Er war der einzige von den jungen Leuten, die verheiratet waren und Kinder hatte, und deswegen wollte man ihn schützen. Und Sophie wird aktiv schon vorher, aber dann auch im Herbst noch mal versucht sie wieder einen Vervielfältigungsapparat zu organisieren. Und im Januar 1943 wird dann das fünfte Flugblatt und im Februar das sechste Flugblatt verfasst von Kurt Huber. Und diese Gruppe ist sozusagen gewachsen von Juli 42 bis Februar 43 entsteht die so langsam. Es gibt aber noch ungefähr 25 Personen, die alle etwas wussten, die drumherum sind, die nicht hingerichtet wurden, die aber teilweise sehr lange Haftstrafen hatten. Aber das Problem ist, dass nirgends aufgeschrieben ist, wer was wann wusste. Weil die, die im Zentrum waren, sind alle tot und alle anderen haben entweder nichts gewusst oder nicht viel gewusst, nur einen Teil gewusst.

00:26:04: Martin Jetzt ist das eine Gruppe, eine Handvoll von Leuten, die sich da zusammenfinden. Studenten und ihr Professor und Flugblätter machen - 100 Stück, sagst du. Flugblatt Nummer eins. Welche Wirkung haben die denn überhaupt entfalten können? Und wie ernst ist das dann genommen worden? Am Ende ja wohl offensichtlich sehr ernst. Aber wie war das am Anfang? Wie hat sich das dahin entwickelt? Ist das überhaupt wahrgenommen worden?

00:26:29: Maren Gottschalk Also Hans und Alexander haben diese 100 Adressen aus dem Telefonbuch rausgesucht. Die haben ja an fremde Leute geschrieben, also die Flugblätter anonym vervielfältigt und die Adressen auf Briefumschläge getippt. Und haben sich Multiplikatoren gesucht: also Lehrer, Priester, Ärzte, Intellektuelle, Leute, von denen sie glaubten, dass sie vielleicht offen sind für ihre Ideen. Wirtsleute übrigens auch, weil sie sagten: Da gehen ja viele Leute ein und aus, sie kriegen ja schon mal vielleicht was mit. Von diesen 100 Leuten sind 30 zur Gestapo gegangen und haben sofort ihre Flugblätter abgegeben und gesagt: Schaut mal, was ich hier gekriegt habe. Also insofern ist die Frage wie die Wirkung war natürlich sehr schwer für uns einzuschätzen. Was ist mit den anderen? Was haben die gedacht? Und haben die wirklich das Flugblatt abgeschrieben? Da stand unter jedem Flugblatt stand immer drauf: Bitte abschreiben, weitergeben. Haben die sich das getraut? Haben die das gemacht? Wahrscheinlich die wenigsten, denn wir haben solche abgeschriebenen Flugblätter nicht, sind nicht überliefert.

00:27:24: Marko Aber es gibt auch noch Originale, auch des ersten Flugblattes, weil eine Hunderter-Auflage ist ja fast nichts.

00:27:30: Maren Gottschalk Ja, ja, aber die Gestapo hat ja die auch gesammelt. Und die sind ja dann auch in den Archiven geblieben. Und das fünfte Flugblatt aber - also die ersten, wie gesagt, waren ja nur zwei, die das gemacht haben. Und dann, bei dem fünften Flugblatt im Januar 1943 haben ja schon Willi Graf und Sophie Scholl mitgearbeitet. Das haben die sechs bis neun tausendmal vervielfältigt. Und sie hatten eine absolut geniale Idee. Sie haben das nicht nur von München aus nach München selber geschickt, sondern sie haben es in verschiedenen Städten verschickt und sind in diese Städte gefahren, haben dort die Briefe eingeworfen. Die Adressen hatten sie alle im Deutschen Museum. Da waren alle Telefonbücher des Deutschen Reiches ausgelegt. Die haben sie da rausgeschrieben. Unheimlich aufwendig natürlich. Von Hand rausschreiben, dann zu Hause abtippen. Also nächtelang haben die daran gesessen und genau das, was sie wollten, nämlich die Gestapo sollte denken: Oh Gott, jetzt ist ja diese Gruppe schon angewachsen, jetzt sind die schon hier in zig Städten. Gibt es jetzt auf einmal in Frankfurt, Stuttgart, Wien, Linz. Genau das hat die Gestapo gedacht. Das können wir also in deren Unterlagen nachlesen, dass die gedacht haben: Verdammt, jetzt ist das schon so angewachsen. Und das hat der Gestapo auch richtig Sorge bereitet.

00:28:39: Marko Das muss ja ganz schlimm gewesen sein für die Gestapo, was da drin stand. In diesen frühen Flugblättern was schreiben sie da?

00:28:45: Maren Gottschalk Also die ersten Flugblätter sind auch sehr intellektuell. Da wird Goethe, da wird Schiller zitiert, Laotse, Aristoteles, die sind sehr akademisch. Das Fünfte und sechste, die sind dann anders, die werden dann sehr dramatisch. Und dann gibt es eben so Sachen wie "Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den ihr um euer Herz gelegt." Zum Beispiel ein ganz berühmter Satz oder "Hitler kann den Krieg auf jeden Fall nicht mehr gewinnen, nur noch verlängern". Also es wird der Finger in die Wunde gelegt. Was machen die Nazis mit unserem Land? Wollt ihr auf ewig, dass die anderen Völker euch sozusagen verdammen für das, was ihr Deutschen jetzt hier geschehen lasst? Also es wird richtig gedroht mit dem, was wird passieren, wenn wir uns nicht dagegen stellen. Sie wollen aufrütteln. Sie wollen die Leute aufrütteln und sie wollen sie... ja daran erinnern, dass sie eine Verantwortung haben. Das hat der Umberto Ludovici, das ist einer der Wissenschaftler, die durch die Gedenkstätte der Weißen Rose führen, sehr schön formuliert, das können wir uns vielleicht mal anhören.

00:29:42: Roberto Ludovici Sophie Scholl sagt ganz schön einmal: Ich kenne mich mit der Politik nicht gut aus. Ich habe keine große Kenntnis, wie die Politik funktioniert. Aber zwischen Gut und Böse, Richtig und Falsch kann ich doch unterscheiden. Und die Universität von damals zeigt uns, dass Kultur nicht unbedingt vor falschen und unmoralischen Entscheidungen schützt. Also man braucht etwas mehr, was einige Gewissen nennen.

00:30:10: Marko Das berühmteste Flugblatt war dann das sechste und dieses sechste wurde ihnen auch zum Verhängnis.

00:30:17: Maren Gottschalk Ja, genau. Das sechste Flugblatt wurde im Februar 1943 hergestellt unter dem Eindruck der Niederlage von Stalingrad. Und Hans und Sophie haben eben unabgesprochen mit den anderen am hellichten Tage dieses Flugblatt in der Universität im Lichthof in München ausgelegt und sind dann tragischerweise entdeckt worden, weil Sophie... Sie hatten das im Lichthof vor die Hörsaal-Türen gelegt, auf Treppen, auf Balustraden, Fenstersimse. Und dann waren sie im zweiten Stock und hatten auch so Stapel ausgelegt auf eine Balustrade. Und Sophie gibt dann einem dieser Stapel einen Stups.

00:30:54: Marko Absichtlich?

00:30:54: Maren Gottschalk Absichtlich, ja, aus einem Impuls heraus, wie sie später sagt, den sie auch nicht erklären kann. Und dann regnen diese Flugblätter in diesen Lichthof hinab. Das ist ja so ein ikonisches Bild für uns heute. Diese herabregnenden Flugblätter. Und in dem Moment kommt der Hausmeister, sieht diesen Blätter-Regen, sieht die beiden nicht, sieht aber, wo sie stehen müssen, läuft da rauf und bringt sie dann in die Universitätsverwaltung, ruft die Gestapo und dann werden sie halt verhaftet.

00:31:18: Martin Was hat die beiden geritten, dass sie das gemacht haben? Denen war die Gefahr ja bewusst. Also warum machen die das am helllichten Tag im zentralen Gebäude der Universität, da wo jeder vorbeikommen kann und wo der Hausmeister sie dann offensichtlich auch entdeckt hat.

00:31:33: Maren Gottschalk Das ist eine sehr schwierige Frage, die wir natürlich auch nicht mehr so richtig klar beantworten können. Wahrscheinlich kommen auch hier wieder verschiedene Dinge zusammen. Sie hatten das Gefühl, dass die Stimmung in der Studentenschaft kippt. Es hatte eine Veranstaltung gegeben, ein paar Tage vorher. Da haben die Studenten sich aufgelehnt gegen die nationalsozialistische Verwaltung, die Gauleitung. Der Gauleiter hatte die Studentinnen beleidigt, hatte gesagt, sie sollten nicht studieren, sondern lieber dem Führer jedes Jahr ein Kind schenken. Und wer keinen Mann finde, denen würde er mit seinen Adjutanten gerne aushelfen. Das war eine absolute Frechheit und Beleidigung. Die Studentinnen sind aufgestanden. Das war so eine große Feier im Deutschen Museum, wollten den Raum verlassen, das durften sie nicht. Daraufhin sind die Studenten unten aufgestanden, wollten ihre Kommilitoninnen beschützen. Es gab Gerangel, es gab Verhaftungen. Es gab so was wie so eine Art Aufstands-Stimmung, so ein bisschen. Ich glaube, das hat die Weiße Rose, die nicht dabei war, die Gruppe, weil die an dem Abend Flugblätter vervielfältigt haben. Ich glaube, das haben sie falsch verstanden. Ich glaube, sie haben wirklich gedacht, so jetzt ist der Moment da. Jetzt müssen wir hier mit dem Flugblatt noch mal ganz viele Leute erreichen, die Studenten erreichen. Das sechste Flugblatt richtet sich ja an die Studenten, das ist ja überschrieben: Liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen,

00:32:46: Marko vielleicht liest Du mal ein bisschen was draus.

00:32:47: Maren Gottschalk Ja, wir können ein bisschen was draus lesen. Moment. Das heißt also "Kommilitoninnen, Kommilitonen. Erschüttert steht unser Volk vor dem Untergang der Männer von Stalingrad. 330.000 deutsche Männer hat die geniale Strategie des Weltkriegs Gefreiten sinn- und verantwortungslos in Tod und Verderben gehetzt. Führer, wir danken dir!"

00:33:07: Marko Also man muss erklären, das ist heute, aus heutiger Sicht ja auch der Wendepunkt des Krieges. Stalingrad eingekesselt, Sechste Armee komplett zerrieben oder in Gefangenschaft der Russen, der Befehlshaber Paulus übergelaufen. Man hätte also denken können: Das ist jetzt der Wendepunkt. Das war er auch für den Krieg. Aber man hätte denken können, das könnte man jetzt für einen Aufstand nutzen.

00:33:28: Maren Gottschalk Das haben viele gedacht. Sophie hat auch gedacht, der Krieg muss jetzt enden. Sie schreibt auch in dieser Zeit an den Fritz: Du kommst ja jetzt zurück. Er hatte es gerade noch geschafft aus Stalingrad, ist in ein Lazarett geflogen worden. Und sie sagt: Du kommst jetzt zurück und jetzt wird der Krieg enden. Sie ging davon aus, der Krieg kann nicht mehr lange dauern.

00:33:45: Marko Also ihr Geliebter war selbst auch in Stalingrad.

00:33:47: Maren Gottschalk Ja, der war in Stalingrad gewesen, hatte sich schon verabschiedet von ihr sozusagen, eine Woche lang bei 30 Grad minus draußen gelegen, hatte sich wirklich verabschiedet und ist gerade dann noch gerettet worden. Und das hat sie noch erfahren. Und hat ihm dann geschrieben in das Lazarett. Und hier im Flugblatt steht zum Beispiel auch: Der Tag der Abrechnung ist gekommen und es gärt im deutschen Volk. Und sie hatten sich auch eine gute Geschichte überlegt. Sie waren also nicht blauäugig einfach in die Uni gegangen. Wir hauen die jetzt mal raus und wenn man uns erwischt ist auch egal. So war das nicht. Sie haben sich genau überlegt, was sie sagen, wenn man sie erwischt. Und diese Geschichte...

00:34:19: Marko Was wollten Sie denn sagen?

00:34:20: Maren Gottschalk Sie haben gesagt, Sie wollten warten, bis die Vorlesung vorbei ist. Sie sind ja kurz vor Vorlesungsende dort gewesen, weil Sophie einer Freundin sagen wollte: Wir können uns heute Mittag nicht zum Mittagessen treffen, wie verabredet. Ich fahre nämlich jetzt nach Ulm. Und dafür hatte sie auch den leeren Koffer. Den mussten sie erklären, weil die Flugblätter ja nicht mehr drin waren. Was machst du mit einem leeren Koffer am helllichten Tag? Dann hat sie eben gesagt: Ja, ich fahr nach Hause. Ich habe vor zwei, drei Wochen meine dreckige Wäsche zu den Eltern gebracht, die ist jetzt gewaschen und gebügelt. Damals war das so üblich, dass die Mütter das machten, und die nehme ich dann wieder mit. Und die Gestapo glaubt das auch. Das sehen wir auch. Der Robert Mohr, der sie verhört, schreibt auch später: Das war plausibel. Das kam mir so vor, als ob das stimmt. Und sie hätten die Flugblätter da nur gesehen. Und dann hatte sie halt so aus Blödheit oder aus Frechheit und so ein Stupst da denen gegeben.

00:35:08: Marko Also sie hat nicht sofort gesagt Ja...

00:35:11: Maren Gottschalk Nein, nein, nein. Erst mal leugnen Sie.

00:35:13: Marko Also mir kommt diese Situation etwas seltsam vor. Da kommt da so ein Hausmeister. Er ist der Hausmeister, mehr auch nicht. Halt, halt stehen bleiben. Und ihnen ist ja jetzt eigentlich klar, wenn sie damit erwischt werden, dann sind sie verloren. Dann würde man doch sagen, dann tritt man noch zu zweit diesem Pedell gegen das Schienbein und macht, dass man wegkommt. Machen die aber nicht.

00:35:32: Maren Gottschalk Ne, das machen die nicht, weil der hätte sie ja wiedererkannt. Dann hätten sie da ja nicht weiter studieren können, er hätte sie ja erkannt. Und Sie hatten diese Geschichte sich überlegt.

00:35:41: Marko Also für Sie war nicht klar, dass das ab jetzt auf Leben und Tod geht.

00:35:45: Maren Gottschalk Das war Ihnen, glaube ich, schon klar. Sie waren auch sehr cool, sehr konzentriert bei den Verhören. Das war Ihnen schon klar, dass es jetzt um alles geht. Aber sie hatten sich wohl gesagt: Wir laufen nicht weg, denn wir haben eine gute Geschichte. Keiner kann uns nachweisen, dass wir diese Flugblätter hier ausgelegt haben. Da hat uns ja keiner gesehen. Sie gingen davon aus, dass sie sich da rausreden können. Und das hätte fast geklappt, wenn nicht die Gestapo bei ihnen zu Hause ein paar Indizien gefunden hätte. Sehr viele Briefmarken, eine Schreibmaschine mit der Adresse geschrieben worden waren, das konnte man nachweisen und Hans tragischerweise einen handgeschriebenen Flugblatt-Entwurf, das hätte das siebte Flugblatt sein können, in seiner Manteltasche hatte, und zwar ein handgeschriebener Zettel von Christoph Probst. Das war der große, große, tragische Fehler an dem Tag. Das Hans sicherlich vergessen hatte, dass Christoph Probst ihm irgendwann diesen Zettel gegeben hatte. Er hat ihn selber gebeten, schreib doch auch mal ein Flugblatt für uns. Und das hat der Christoph gemacht, hat ihm den gegeben. Dann hat ihn wahrscheinlich nur eingesteckt und vergessen und hatte ihn an diesem Tag dabei. Und während sie auf die Gestapo gewartet haben, hat er das gemerkt. Muss sich natürlich unfassbar erschrocken haben. Hat diesen Flugblatt-Entwurf in kleine Schnipsel zerrissen, Teile wahrscheinlich sersucht zu verschlucken, manches vielleicht auch auf dem Boden irgendwo loszuwerden. Jedenfalls derjenige, der ihn bewacht hat, sammelt diese Schnipsel alle auf. Und das ist dann später klar: Der hat einen handgeschriebenen Flugblatt Entwurf dabei. Da versuchte Hans noch sich herauszureden, indem er sagt: Den hat mir jemand heute in den Briefkasten geworfen, den habe ich heute aus dem Briefkasten genommen. Und Sophie wird immer gefragt: Hattet ihr heute Post? Und sie sagt immer: Nein, wir hatten keine Post. Also da widersprechen sie sich, weil sie sich da nicht mehr absprechen konnten vorher über diesen Punkt. Und dann ist irgendwann ja auch klar: Wenn die erst mal rauskriegen, dass der Flugblatt Entwurf von Christoph Probst ist und sie leugnen weiterhin, dann müsste ja die Gestapo denken, da sind alle anderen Flugblätter auch von Christoph Probst, und der sollte ja geschützt werden sowieso. Und das konnte Hans natürlich nicht zulassen. Und dann leugnet er nicht mehr. Und dann gibt er zu, dass er die Flugblätter geschrieben hat. Und dann nehmen die Geschwister Scholl, versuchen ab da alle Schuld auf sich zu nehmen und alle anderen rauszuhalten, was nicht gelingen wird. Aber sie versuchen es.

00:38:01: Martin Ich würde ganz gerne noch mal kurz zu dem Flugblatt zurück. Du hast eben zitiert: Der Tag der Abrechnung ist gekommen. Das haben Sie wohl offensichtlich geglaubt. Gab es denn so etwas wie eine Stimmung, sich gegen das Regime aufzulehnen allgemein in der Bevölkerung? Oder war das - heute sagt man die eigene Blase, das eigene Umfeld, wo sich eben eine entsprechende Stimmung durchgesetzt hat? Gab es da mitten im Krieg so etwas wie einen Versuch, sich gegen das Regime aufzulehnen?

00:38:31: Maren Gottschalk Also man muss natürlich sagen, es waren sehr wenig Menschen, die versucht haben, sich aufzulehnen. Und das war extrem schwierig, sich miteinander zu vernetzen. Die konnten sich ja nicht finden gegenseitig. Und an der Uni in München, muss man ganz ehrlich sagen, da war die Stimmung tatsächlich noch nicht annähernd so wie die Geschwister Scholl und wie die Weiße Rose das gehofft hatten. Denn ein paar Tage nach ihrer Hinrichtung gab es eine große Versammlung. Dann wurde dann gefeiert, dass die Verräter hingerichtet waren. Und ich habe gerade erfahren von einer Zeitzeugin, die dabeigewesen war, da musste man dann sagen: Wer jetzt froh ist, dass sie tot sind, steht auf und sie wäre gerne sitzen geblieben. Das hat sie sich nicht getraut. Also das ist eine sehr, sehr schwierige Frage, wie viele Menschen waren gegen die Nazis eingestellt. Das ist ja unser großes Problem als Historikerin, Historiker, da ein Gefühl für zu kriegen.

00:39:17: Martin Ja, und gerade München, Hauptstadt der Bewegung, wie sie immer genannt wurde, da ist jetzt in eben diesem Lichthof mittlerweile eine Denkstätte - oder Gedenkstätte? Ich denke mal, eine Gedenkstätte...

00:39:29: Maren Gottschalk Nein, es heißt wirklich Denkstätte. Ja, genau, das ist ja das Tolle. Dieser Ort, dieser Lichthof ist ja ein magischer Ort. Also für mich ist es ein magischer Ort, weil er eben noch fast genauso aussieht wie damals. Wenn man da reingeht, dann kann man sich das so vorstellen, wie die beiden da durchgehastet sind und Treppen rauf, Treppen runter, Flugblätter ausgelegt und dann dieses schreckliche, ja dieses schreckliche Gefühl erwischt zu werden. Und dann werden sie ja da durchgeführt, zur Gestapo gebracht. Es ist schon ein besonderer Ort...

00:39:29: [00:39:56]

00:39:56: Marko Aber es ist eigentlich ein schöner Ort.

00:39:57: Maren Gottschalk Ein schöner Ort, ja, ein schöner Ort. Aber mich, muss ich sagen, für mich ist es immer ein Ort der Trauer und der Hoffnung zugleich, weil ich ja auch immer dann denke, sie haben es ja versucht. Wir haben Menschen in unserer Geschichte, die versucht haben, dagegen anzugehen. Das ist ja für uns auch ganz wichtig. Und da, wo die Professoren-Garderobe war, also unterhalb des Lichthofes, in so einer Art Souterrain, da ist heute diese Denkstätte und Hildegard Kronawitter ist die Vorsitzende der Weißen Rose Stiftung und die kann sehr schön erklären, was diese Dankstätte da eigentlich will.

00:40:27: Hildegard Kronawitter Ganz wichtig war uns herauszustellen, wofür die Weiße Rose heute steht. Und deshalb haben wir auch zwischen den Stelen diese Werte, für die sie stehen: Gewissen, das heißt reagieren auf das eigene Gewissen. Menschenwürde, Freiheit, Verantwortung, Zivilcourage - als zentrale Begriffe rausgestellt und Besucher, die in die Denkstätte kommen, werden oben einen Film sehen, der diese Begriffe zeigt, in Deutsch und Englisch und mit fallenden Blättern. Da denken wir, dass wir eine Einstimmung leisten können.

00:41:04: Marko Die Frage ist natürlich: Wer geht da hin in eine solche Ausstellung? Du weißt ja wahrscheinlich mehrfach dort.

00:41:11: Maren Gottschalk Ja, ich bin immer, wenn ich in München bin, bin ich dort...

00:41:14: Marko Und ist da viel los?

00:41:15: Maren Gottschalk Ja, da gibt es 40 bis 80.000 Besucher pro Jahr. Das wird sehr gut angenommen. Menschen aus aller Welt kommen da hin und gucken sich das an. Sie ist auch mehrsprachig die Ausstellung dort. Ich habe da mal eine Führung begleitet. Das war ein Berufsschüler, die der Umberto Ludovici, der ein sehr guter Kenner auch der Weißen Rose Geschichte ist, durchgeführt hat. Und er hat eben auch sehr schön erzählt: Sophie Scholz Haltung zu diesem Widerstand oder zu der Politik.

00:41:41: Roberto Ludovici Sie möchten die Deutschen, sie möchte die Intelligenzen bewegen, weil Nationalsozialismus wie jeder totalitäre Staat bedeutet, auch Ausschaltung der Intelligenz, Ausschaltung der eigenen Verantwortung. Aber wir sind dafür verantwortlich für die Sachen, die wir auch begreifen, die wir verstehen.

00:42:03: Marko Der Mann, der sie verraten hat, der Hausmeister. Reden wir mal über dessen Gewissen. Weiß man, was aus dem geworden ist?

00:42:10: Maren Gottschalk Ja, der bekam, glaube ich erst mal so eine Art Belobigung und musste dann nach dem Krieg ins Gefängnis. Und hat sich schwer beschwert, weil er dann gesagt hat: Ich sitze hier im Gefängnis. Während der Rektor der Universität zum Beispiel, der die Gestapo gerufen hat, der ist frei, also der Kleine sozusagen, der musste im Gefängnis sitzen, der kleine Täter und die Großen natürlich wieder nicht. Das fand er sehr ungerecht,

00:42:34: Marko Vom Tag der Festnahme bis dann zum Tod. Wie viel Zeit vergeht da?

00:42:39: Maren Gottschalk Vier Tage. Das ist wirklich. Es geht sehr, sehr schnell. Sie werden Donnerstag verhaftet, Freitag, Samstag verhört. Sonntag bekommt sie schon die Anklageschrift in die Zelle gebracht oder muss sie holen und lesen und unterschreiben. Und Montag ist schon der Prozess. Da kommt extra der Roland Freisler aus Berlin angeflogen, vom Volksgerichtshof, der da für politische Prozesse zuständig war.

00:43:02: Martin So wichtig hat man das genommen.

00:43:04: Maren Gottschalk So wichtig hat man das genommen. Eben auch so schnell sollte das gehen, damit da bloß nicht jetzt noch irgendwie Märtyrer entstehen. An dem ersten Prozesstag wurden Hans und Sophie und Christoph Probst verurteilt, zum Tode verurteilt. Die anderen waren schon im Gefängnis, kamen dann zwei Monate später erst vor Gericht. Und am selben Tag noch abends um fünf wurden die drei hingerichtet. Also das ging wirklich sehr, sehr schnell.

00:43:24: Marko Hat das die Öffentlichkeit mitbekommen?

00:43:28: Maren Gottschalk Nee, also man hatte darüber nachgedacht, ob man sie öffentlich hängen sollte. Das wollte man dann lieber doch nicht machen, weil man Angst hatte wie die Reaktionen vielleicht sind. Gerade auch junge Frau noch dabei und so. In dem Prozess saßen auch nur geladene Nazi Gäste. Ein Beobachter hat sich hinein geschlichen, ein Student, der uns darüber berichtet hat über diesen Prozess, dass das eben auch so ein reiner Schauprozess war, wo Freisler wie immer gebrüllt hat und die Angeklagten nur gedemütigt und beleidigt und es überhaupt nicht darum ging, irgendwas rauszukriegen an Wahrheit oder so. Die Eltern saßen sogar im Prozess drin. Das hatte keiner bemerkt, dass die das waren. Und als sie merkten, als der Vater merkt, dass auch die Pflichtverteidiger sich überhaupt nicht einsetzen für seine Kinder, steht er auf und protestiert, geht nach vorne und wird dann aber mit seiner Frau aus dem Saal verwiesen. Und am nächsten Tag steht es allerdings in der Zeitung. Und das war ja der Grund, warum die Elisabeth, die ältere Schwester von Sophie, die zu dem Zeitpunkt nicht zu Hause wohnte, sondern gerade einen neuen Job begonnen hatte und der niemand gesagt hat, dass die Geschwister verhaftet sind. Die hat das in der Zeitung gelesen. Also die war so schwer traumatisiert, würde ich sagen, nach dem Erlebnis. Wie die ganze Familie, die dann ja auch in Sippenhaft musste und so weiter. So wie das bei den anderen Angehörigen der anderen Mitglieder auch war. Die kamen auch in Sippenhaft.

00:44:43: Martin Auf welcher Grundlage sind die beiden oder dann eben auch die ganze Gruppe dann später verurteilt worden und hingerichtet worden?

00:44:51: Maren Gottschalk Also Hochverrat, Wehrkraftzersetzung. So, das waren die Punkte genau

00:44:57: Marko Von der ganzen Familie gibt es Menschen, die den Krieg dann überlebt haben. Die kamen alle in Sippenhaft, hast du gesagt.

00:45:03: Maren Gottschalk Aber die kamen dann ja auch wieder frei. Ja, die kamen dann alle nach und nach wieder frei. Und der Vater als letzter, der hat bis Ende 44 noch sogar im KZ verbracht. Und es war ja nicht so, als ob die Familie jetzt innerhalb ihrer Nachbarschaft irgendwie großartig Zuwendung erfahren hätte dafür, dass Hans und Sophie hingerichtet worden sind, sondern man hat sie als Hochverräter betrachtet, als Familie von Verrätern. Die Wohnung wurde ihnen gekündigt, sie mussten dann erst mal gucken, wo sie leben und womit sie Geld verdienen. Es war eine sehr schwierige Situation und der Fritz, der Freund von Sophie, hat sich sehr um die Familie gekümmert. Hat dann übrigens die Elisabeth später geheiratet, die ältere Schwester von Sophie. Das ist immer der Moment, wo die Schüler so ein Moment erstarren und sich dann etwas aufplustern und die Empörung rauskommt. Aber es ist, glaube ich, ganz klar, dass wir

00:45:57: Marko Ja war das Liebe, das fragt man sich ja schon...

00:45:59: Maren Gottschalk Das war Liebe. Ich bin schon sicher, dass das Liebe war.

00:46:02: Marko Oder hat der einen Sophie Ersatz gesucht?

00:46:03: Maren Gottschalk Nein, so würde ich das nicht sehen. Aber wer konnte verstehen, was in Elisabeth vorgegangen ist? Wer konnte das besser verstehen als Fritz? Und wer konnte besser Fritz verstehen als Elisabeth? Es ist oft so, dass Menschen, die ein ähnliches traumatisches Erlebnis haben, auch Liebesbeziehungen miteinander beginnen. Es haben auch ein paar andere aus dem Umkreis der Weißen Rose später Beziehung miteinander begonnen, weil ja sonst auch gar keiner da war, der hätte verstehen können, wie es denen eigentlich ging, was sie eigentlich erlebt haben.

00:46:30: Marko Von den Leuten aus dem Umkreis. Lebt da heute noch irgendjemand?

00:46:35: Maren Gottschalk Also von den direkten Menschen, die da gelebt haben, nicht. Aber die Angehörigen der Familie, da gibt es natürlich einige, und die sind ja auch organisiert in der Weißen Rose Stiftung oder im Weiße Rose Institut. Da gibt es noch eine zweite Organisation. Markus Schmorell, ein Neffe von Alexander Schmorell, den konnte ich auch interviewen, und der hat mir erzählt, das fand ich eigentlich auch ganz interessant, ich habe ihn gefragt, woher er eigentlich wusste, dass er so einen berühmten Onkel hatte. Und man hat ihm als Kind nichts von ihm erzählt. Er hat nur immer Fußball gespielt am Schmorell-Platz. Und er hat gedacht, ach jede Familie hat wohl ihren Platz. Wir haben den Schmorell-Platz und die anderen haben dann den Müller-Platz und Meier-Platz. Und eines Tages war an dem Schmorell-Platz, an dem Straßenschild waren Blumen und da hat er gefragt seine Eltern, warum da jetzt Blumen sind. Und dann haben sie ihm erzählt, das der Platz nach seinem Onkel Alexander Schmorell benannt war. Und das hat ihn dann irgendwie sehr beeindruckt. Und ich finde, man merkt auch, dass diese Angehörigen der Weißen Rose Mitglieder bis heute daran zu tragen haben, an diesen Wunden, die ja irgendwie nicht richtig verheilen können und versuchen auf verschiedene Art und Weise eben diese Erinnerungen auch lebendig zu halten. Und ich finde, Markus Schmorell hat das sehr schön beschrieben:

00:47:50: Markus Schmorell Wenn man die Flugblätter liest und wenn man die Gedanken nachverfolgt, dann glaube ich, dass sehr viel, was sie gedacht haben, dann in der Nachkriegszeit auch die Politik mitbestimmt hat. Ich gehe auch soweit zu sagen, auch schon das Grundgesetz und uns sollte heute auch bewusst sein, dass in der Freiheitlichkeit wie wir aufgewachsen sind, dass das schon auch Folge war derer, die früh Widerstand geleistet haben damals.

00:48:20: Marko Nun muss man sagen, Schmorell hat man fast vergessen. Ich glaube, wenn man auf der Straße fragen würde, wäre ist Schmorell. Keine Ahnung. Sophie Scholl ist am berühmtesten geworden. Warum ist das so?

00:48:34: Maren Gottschalk Mir tut es immer sehr leid, dass die anderen Mitglieder der Weißen Rose so im Schatten stehen. Deswegen nenne ich den Schülerinnen und Schülern, wenn ich dort bin, immer alle Namen und zeige auch alle Fotos. Was aber ja nicht heißt, dass Sophie das nicht verdient hätte, dass wir sie so gut kennen. Und das Besondere ist eben, dass wir so gute Quellen über sie haben. Das Besondere an Sophie Scholl ist eben diese Intellektualität, diese Klarheit des Denkens, dass sie das auch so gut formulieren kann. Und wir können eben an den Verhör-Protokollen sehr gut erkennen, dass sie kein einziges Mal versucht, sich irgendwie herauszureden, was jeder von uns verstanden hätte, wenn sie gesagt hätte: Ich bin da nur so reingeraten. Ich wollte das eigentlich nicht. Ich habe da nicht genügend drüber nachgedacht. Ich wollte einfach das mitmachen, was mein Bruder macht. Irgendwas. Niemand hätte einen Vorwurf für sie, wenn sie versucht hätte, ihr Leben zu retten. Aber das macht sie nicht. Sie sagt: Doch es war richtig, was ich gemacht habe. Ich würde es wieder tun. Es war das Beste, was ich für mein Volk tun konnte und das ist schon sehr stark von einer 21jährigen.

00:49:31: Martin Das ist eine Standhaftigkeit, die man für sich selber gerne wünschen würde.

00:49:35: Maren Gottschalk Absolut, absolut, ja. Das ist wirklich sehr besonders und das beeindruckt uns ja eben noch so und das hat auch mit Sophie Scholls Persönlichkeit zu tun, dass sie auf der einen Seite zwar was sehr Grüblerische und sehr Ernstes hatte und dann aber immer wieder an ihre innere Stärke, ihrer Ressourcen anknüpfen konnte. Und da möchte ich gerne noch mal einen Satz von ihr zitieren, den ich so toll finde. Da hat sie dem Fritz geschrieben, dass sie sich manchmal wie gelähmt vor Angst fühlt, dass sie sich fühlt wie jemand, der von einem Wesen, einem Meeres- Ungeheuer unter Wasser gezogen wird, mit Schlingarmen. Also wirklich die schrecklichsten Visionen. Und dann schreibt sie ihm: Doch nein, ich will mir meinen guten Mut durch nichts nehmen lassen. Diese Nichtigkeiten werden doch nicht Herr über mich werden können, wo ich ganz andere unantastbare Freuden besitze. Wenn ich daran denke, fließt mir Kraft zu und ich möchte allen, die ähnlich niedergedrückt sind, ein erfrischendes Wort zurufen.

00:50:29: Martin Also die positive Grundstimmung geht ihr nie verloren.

00:50:33: Maren Gottschalk Genau. Sie hat eine innere Kraft, eine Stärke, eine Zuversicht, an die sie immer wieder andocken konnte, die sie immer wieder in sich wachrufen konnte. Und das ist schon auch sehr besonders.

00:50:43: Marko So wurde sie zur Ikone des Widerstandes. So wurde sie dann zur Namensgeberin des Platzes, an dem ich als kleiner Junge das Leergut abliefern musste.

00:50:54: Maren Gottschalk Ja, und ich hoffe, dass sie eben auch die nächsten Generationen weiterhin sie kennen werden und sie aber auch immer als Mensch betrachten. Weniger als Ikone, sondern als Mensch, als eine Heldin, die auch Angst hatte, die auch Fehler hatte, die auch schwierig war und nicht immer sympathisch, aber die es geschafft hat, in der dunkelsten Epoche unserer Geschichte ein Zeichen zu setzen.

00:51:19: Marko Die Weiße Rose, das hast du noch nicht erklärt. Meine Verwirrung. Kalle Blomquist, Mitglied der Weißen Rose, Detektivgeschichte von Astrid Lindgren. Also als Kind habe ich immer geglaubt Okay, die waren in einer Bande. Du hast es jetzt erklärt, das war wohl nicht so, aber woher kommt der Name?

00:51:38: Maren Gottschalk Das weiß man nicht genau. Hans Scholl wurde das gefragt im Verhör. Wieso heißen die ersten vier Flugblätter "Flugblätter der Weißen Rose"? Die Gruppe hat sich ja selber nicht so genannt. Wir nennen sie heute.

00:51:47: Marko Ach so.

00:51:48: Maren Gottschalk Das wissen wir nicht, ob die Gruppe sich so genannt hat, da gibt es keine Quellen drüber. Wir wissen nur, dass die ersten vier Flugblätter heißen, "Flugblätter der Weißen Rose". Und danach heißen die Flugblätter anders, das fünfte und das sechste.

00:51:58: Marko Also ich denke jetzt an diesen hässlichen Platz, wo ich das Leergut als kleiner Junge einwerfen musste. Muss man eigentlich alle hässlichen Plätze immer nach den Geschwistern Scholl benennen? Das ist, weiß ich, wie viele Geschwister Scholl Plätze hast du besucht, wie viele Sophie Scholl Gymnasien hast du besucht?

00:52:14: Maren Gottschalk Also es gibt über 100 oder glaube ich sogar über 120 Geschwister Scholl oder Sophie Scholl Schulen, das finde ich schon eine schöne Zahl. Mir ist das ehrlich gesagt mit den hässlichen Plätzen, das stört mich weniger, als dass es mich stört, dass wir nicht mehr Professor Huber Plätze haben und Alexander Schmorell Plätze und Willi Graf Plätze und Christoph Probst Plätze. Da finde ich, in der Richtung sollte sich mehr tun. Da gibt es auch ganz wenige Schulen, die nach den anderen Mitgliedern der Weißen Rose benannt sind. Und es wäre schön, wenn auch Filmemacher mal einen Film über Alexander Schmorell machen oder über Christoph Probst. Das sind doch auch ganz spannende Persönlichkeiten. Und in der Richtung, finde ich, sollte unsere Erinnerung sich ausweiten.

00:52:53: Martin Warum denkst du, steht Sophie Scholl so im Zentrum? Okay, ihre Widerständigkeit und ihre Standhaftigkeit. Aber sicher spielt doch auch eine Rolle: junge Frau.

00:53:03: Maren Gottschalk Natürlich. Also die Fallhöhe: Eine junge Frau, die hingerichtet wird, ist natürlich in der Zeit wo...

00:53:11: Martin Auch noch enthauptet. Also...

00:53:12: Maren Gottschalk Grauenvoll. Männer millionenfach im Krieg gestorben sind, ist dann vielleicht schon noch mal ein spezielles Bild, was die Menschen da bewegt. Und wenn man die Bilder von ihr anguckt, ist es ja auch so, dass sie so unfassbar jung und zart auch aussieht. Aber ich finde, mich fasst es genauso an, wie die anderen hingerichtet worden sind. Und wenn ich mir dieses Buch anschaue, in dem ich die Fotos von der Gestapo sehe, also diese ersten Fotos, die gemacht werden, wenn man verhaftet wird und mir dann diese jungen Männer auch entgegenblicken mit diesem Blick, in dem wahrscheinlich auch drin steht, wer weiß, ob ich hier lebend wieder rauskomme, finde ich das immer wieder sehr berührend.

00:53:53: Marko Dieser ikonographische Status hat natürlich auch dazu geführt, dass man versucht hat, sie immer mal wieder zu vereinnahmen. Berühmtestes Beispiel Jana aus Kassel.

00:54:02: Maren Gottschalk Ja, oder die AfD, die gesagt hat, die Weiße Rose würde heute AfD wählen. So ein Unsinn. Das gibt es ja auch. Diese Versuche.

00:54:09: Martin Aber lässt sich denn aus der historischen Perspektive sagen, wofür oder wogegen sich Sophie Scholl heute engagieren würde?

00:54:19: Maren Gottschalk Also es ist eine spannende Frage, die ich als Historikerin natürlich nicht beantworten kann und darf, weil Sophie Scholl kannte unsere Welt nicht, kannte unsere Probleme nicht. Insofern kann ich als Historikerin nicht sagen, sie würde sich heute bei Fridays for Future engagieren oder für die Seenotrettung oder da oder dort. Was ich sagen kann ist, für welche Werte stand sie denn? Was war ihr wichtig? Und da war natürlich die Natur wichtig und die Mitmenschlichkeit, der Frieden und die Freiheit. Wobei man bei Freiheit immer sagen muss, Freiheit ist ja nun mal kein geschützter Begriff und wird in sehr vielen verschiedenen Zusammenhängen gebraucht. Und die Freiheit, für die Sophie Scholl gekämpft hat, nämlich dass man seine Meinung sagen kann in einem Staat, dass man öffentlich seine Meinung sagen darf, ist natürlich eine andere Freiheit als die, dass ich sage: Ich möchte keine Maske tragen müssen, wenn ich ins Geschäft gehe oder so. Also das muss man sicherlich immer wieder. Man kann das ja trotzdem kritisieren, ob man die Maske tragen möchte oder nicht. Aber das ist sicherlich nicht die Freiheit, um die es in der Weißen Rose ging. Also insofern denke ich mir, wir können nur versuchen, sie zu verstehen, für welche Werte sie stand und dann können wir gucken, was machen wir selber damit? Das fragen mich die Schülerinnen und Schüler natürlich auch: Was machen wir denn jetzt damit? Und ich denke immer oder ich sage denen dann auch: Niemand soll sich in Lebensgefahr begeben. Also das würde ich niemals sagen. Seid jetzt mal so mutig wie Sophie Scholl, dass ihr sterbt, auf gar keinen Fall. Aber die Momente, wo wir unseren Mund aufmachen können und Zivilcourage zeigen, die kennen wir alle. Diese Momente, wo ich mir überlege: Sage ich jetzt was oder sage ich jetzt nichts? Mache ich es mir jetzt unbequem, indem ich in so einer Diskussion rein gehe, auf die ich gerade gar keine Lust habe, die vielleicht gar nichts bringt? Aber setze ich hier ein Zeichen? Mache ich den Mund auf oder mache ich ihn nicht auf? Diese Momente kennen wir alle ganz genau und ich denke, das können wir uns durchaus zum Vorbild nehmen und sagen: Öfters mal den Mund aufmachen und die Meinung sagen, auch wenn es dann gerade irgendwie unangenehm oder nervig wird.

00:56:12: Marko Das hat sich die Jana aus Kassel auch gedacht.

00:56:15: Maren Gottschalk Ja, die hätte sich aber tatsächlich, die ist ja alt genug dafür, noch mal überlegen müssen, mit wem sie sich da vergleicht, um sich diese Frage zu stellen - finde den Fehler, wenn ich sage: Ich stehe jetzt hier und fühle mich wie Sophie Scholl, weil ich ständig auf Demonstrationen gehe, dann kann man nur sagen. Denk mal ein bisschen weiter noch, dann überleg dir mal, ob das nicht vielleicht die falsche Person ist, mit der du dich da gerade vergleichst. Aber deswegen gibt es ja auch uns Historikerinnen und Historiker, um darauf hinzuweisen, zu sagen Hallo, das ist gerade falsch, was ihr da macht, das ist doch auch unser Job.

00:56:45: Martin Unter anderem mit den Büchern, die du geschrieben hast, die wir gar nicht erwähnt haben. Bisher jedenfalls nicht mit Titel. Vielleicht machen wir das noch mal gerade.

00:56:52: Maren Gottschalk Ja, also das erste Buch, was ich geschrieben habe, heißt Schluss, jetzt werde ich etwas tun. Das ist ein Zitat. Also diesen Satz soll sie gesagt haben, als ihr Freund Ernst Reden, ein Freund der Familie, gestorben ist. Und das könnte so der Moment gewesen sein, wo sie wirklich beschlossen hat, sich jetzt zu engagieren gegen das System. Das neue Buch hat ein Zitat, was mich sehr berührt hat, weil es aus einem Brief stammt, den Sophie Scholl an ihren Freund Fritz Hartnagel an die Front geschrieben hat. Sie bittet ihn darum, dass er auf sich aufpasst und sagt dann: Du weißt, wie schwer ein Menschenleben wiegt und wofür man es in die Waagschale werfen kann. Und ich dann immer denke, ein paar Monate später war sie selber tot. Also deswegen finde ich diesen Satz sehr, ja sehr bewegend. Was hat sie da wohl gedacht, als sie das geschrieben hat? Und hat sie sich auch gefragt: Wie weit gehe ich eigentlich? Was werfe ich hier in die Waagschale und wie sehr passe ich auf mich auf?

00:57:45: Marko Beide Bücher machen hast du mitgebracht und wir dürfen sie, wie wir es immer tun, am Ende dieser Folge von "Die Geschichtsmacher" verlosen. Und zwar an denjenigen oder diejenige, die uns zuerst schreibt. Schreibst du eine Widmung rein?

00:58:01: Maren Gottschalk Auf jeden Fall sehr gerne.

00:58:02: Martin Wunderbar! Dann noch einmal ganz herzlichen Dank an unsere liebe Zeitzeichen Kollegin und Buchautorin Maren Gottschalk für diese spannende Stunde bei den Geschichtsmachern. Und wir? Wenn ihr wollt, hören uns wieder in 14 Tagen.

00:58:17: Marko Wenn euch gefallen hat, dann sagt es euren Freunden.

00:58:20: Martin Und wenn es euch nicht gefallen hat, dann sagts bitte uns und auch nur uns. Das waren die Geschichtsmacher. Bis dahin Tschüss!

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