Malala und die Taliban

Shownotes

Malala Yousafzai ist 15 Jahre alt, als die Taliban ihr in den Kopf schießen. Dabei will sie nur zur Schule gehen. In einem Blog hat sie zuvor über den Hunger nach Bildung geschrieben - das ist für die selbsternannten Gotteskrieger der Grund, warum sie sterben soll. Sie überlebt den Anschlag schwerverletzt und wird nach ihrer Genesung zur Symbolfigur für den Kampf auf das Recht auf Bildung für alle Kinder weltweit.

Unsere Kollegin Marfa Heimbach hat zehn Jahre nach dem Terror-Anschlag auf Malala Yousafzai ein Zeitzeichen über sie gemacht. Sie erklärt Martin Herzog und Marko Rösseler nicht nur wie die junge Frau gerettet werden konnte, sondern auch wie sie zur Symbolfigur des Kampfes um das Recht auf Bildung und letztlich zur jüngsten Trägerin in der Geschichte des Friedensnobelpreises wurde.

Mitgebracht hat Marfa Heimbach nicht nur O-Töne und Zitate von Malala Yousafzai, sondern auch Einschätzungen des Islamwissenschaftlers und Terror-Experten Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik.

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Wichtige Links:

Hier geht es zum WDR-Zeitzeichen von Marfa "09.10.2012 - Taliban-Anschlag auf Malala Yousafzai"

Der Malala-Fund kämpft bis heute für das Recht auf Bildung

Homepage von Guido Steinberg

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Die Geschichtsmacher: Malala und die Taliban

00:00:08: Marko Wir befinden uns in Pakistan, und zwar vor einem Krankenhaus. Und neben uns steht Marfa Heimbach.

00:00:14: Marfa Mit ganz vielen Kindern, Frauen, Männern, Erwachsenen, Jung und alt. Sie stehen alle vor diesem Krankenhaus und brüllen: "Malala. Sie soll leben. Malala, Sie soll leben." Denn im Krankenhaus liegt die 15-jährige Malala schwerst angeschossen mitten in den Kopf.

00:00:30: Martin Und wer sie ist, diese Malala und wie sie dorthin gekommen ist in dieses Krankenhaus, darüber sprechen wir heute bei...

00:00:35: Intro Die Geschichtsmacher. Von den Autorinnen und Autoren des Zeit Zeichens.

00:00:52: Marko Herzlich willkommen bei den Geschichtsmachern, heute mit der geehrten Zeitzeichen-Kollegin Marfa Heimbach. Herzlich willkommen!

00:01:00: Marfa Danke!

00:01:00: Marko Und du entführt uns heute nach Pakistan?

00:01:03: Marfa Ja, und zwar genauer gesagt in den Norden Pakistans, in das herrliche Swat-Tal, das ein Teil des Hindukusch, also eine Hochgebirgslandschaft mit schneebedeckten Bergen, herrlichen Tälern, dicht besiedelt und zwar von den Paschtunen.

00:01:20: Marko Aber was uns da hinführt, ist eigentlich eine eher traurige Geschichte.

00:01:26: Marfa Das kann man wohl sagen. Im Jahr 2012 ereignete sich dort eine geradezu irre-dramatische Geschichte. Über die Berge und Täler fuhr ein Schulbus mit 20 Mädchen, alle ungefähr 15 Jahre alt, Richtung Schule, als dieser Bus von zwei Männern gestoppt wird.

00:01:45: Martin Du sagst, das war ein Schulbus. Du hast uns da ein Foto mitgebracht. Also, wenn ich da drauf gucke - Schulbus - das ist mehr oder weniger ein Pritschenwagen mit so einer Art Plane oben drüber geworfen. Also, wenn es heißt Schulbus, da stellt man sich dann natürlich was anderes drunter vor. Aber so sehen die Schulbusse in der Region aus.

00:02:04: Marfa Hattet ihr euch nicht so vorgestellt? Ihr hattet euch vorgestellt ein vielleicht klappriges Gerät, das aber doch annähernd wie ein echter Bus aussieht. Nein, nein, das ist ein Toyota Kastenwagen, kann man sagen. Hinten eine Plane, die mehr recht als schlecht vor Sonne oder vor Regen oder vor Wind oder vor Staub schützt. Und da sitzen die Mädchen dann auf so einer Pritsche, hoppeln über den Lehmboden. Das ist also auch nicht so ganz angenehm und werden so zur Schule transportiert.

00:02:34: Martin Vielleicht sollten wir noch so ein bisschen erfahren über dieses Swat-Tal im Norden Pakistans. Was ist das für eine Region?

00:02:43: Marfa Das Swat-Tal liegt ganz im Norden Pakistans, in einer Gegend, die ja lange von der pakistanischen Zentralregierung sehr vernachlässigt worden ist, weil es Grenzgebiet zu Afghanistan ist und die Paschtunen so ein eigenwilliges Stammes-Völkchen sind, das nicht so ganz in das pakistanische Konstrukt passte.

00:03:08: Marko Und die Mädchen, die da in diesem Schulbus, in diesem Gelände-Schulbus sitzen, das sind Paschtinnen, junge.

00:03:15: Marfa Das sind ausschließlich Paschtuninnen.

00:03:17: Marko Was sind die Paschtunen für ein Volk?

00:03:19: Marfa Die Paschtunen sind ein Stamm.

00:03:20: Marko Ein Stamm.

00:03:22: Marfa Die Paschtunen sind ein Stamm und ein Unter-Stamm ist die Familie oder der Stamm der Yousafzai, wo die Malala zu gehört. Malala Yousafzai ist nach ihrem Stamm benannt. Also Stämme gliedern sich in den Groß-Stamm, das Groß-Volk, in dem Fall die Paschtunen. Und dann gibt es zahlreiche Unterfamilien, könnte man sagen. Die Paschtunen leben einerseits in diesem Swat-Tal im Norden Pakistans. Andererseits ist mitten durch ihr traditionelles Stammesgebiet eine Grenze gezogen worden, und zwar 1947 von den Briten. Der Großteil des paschtunischen Volkes lebt heute in Afghanistan und bildet dort auch die Mehrheit. Auch seit vielen, vielen Jahren stellt diese Mehrheit der Paschtunen die Könige von Afghanistan, die Regierungs- und Ministerpräsidenten von Afghanistan, also sie sind das herrschende Volk in Afghanistan. Aber ein kleiner Teil ist abgesplittet in diesem Nordteil von Pakistan.

00:04:24: Marko In diesem Swat-Tal

00:04:24: Marfa Diesem Swat-Tal. Also das Swat-Tal, ist weitgehend noch sehr traditionell. Die Paschtunen sind auch nicht weiter in ihren alten Stammesritualen von den Pakistanis gestört worden. Man hat sie ganz in Ruhe gelassen. Das bedeutete im Umkehrschluss aber auch, dass diese ganze Region infrastrukturell kaum erschlossen worden ist, also noch sehr einfach und sehr abgeschottet vom pakistanischen Kernland gelebt hat. Vielleicht hören wir uns dazu mal an, was Dr. Guido Steinberg sagt Er ist Islamwissenschaftler und vor allen Dingen Spezialist für Islamismus und für islamistische Terrorgruppierungen. Und Guido Steinberg arbeitet für die Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

00:05:15: Guido Steinberg Die paschtunischen Siedlungsgebiete im Westen und Nordwesten des Landes haben im Staate Pakistan immer so ihre Probleme gehabt. Und das hängt vor allem damit zusammen, dass die Paschtunen in Pakistan nur eine Minderheit stellen, im Nachbarland Afghanistan allerdings eine Mehrheit. Und die Kontakte zwischen den Paschtunen beiderseits der Grenze sehr gut, sehr, sehr eng sind. Und die paschtunischen Siedlungsgebiete im Westen des Landes, auch im Nordwesten des Landes, Die werden von der Zentralregierung in Islamabad traditionell etwas vernachlässigt. Also der Kern Pakistans liegt aus Sicht der Regierung und aus Sicht des Militärs im Punjab und in anderen Gebieten Pakistans, nicht aber in den von den Paschtunen besiedelten Bergen im Westen und Norden.

00:06:05: Martin Das heißt, diese Region ist so ein bisschen von der pakistanischen Regierung vernachlässigt?

00:06:10: Marfa Ja, sie ist, was das ganze Justizsystem anbelangt, wenig erfasst worden. Das war eben auch letztlich der Punkt, der es den Taliban ermöglichte, dort wie eine Krake, wie eine Spinne sich auszubreiten und Anhänger zu finden, indem sie eben auf der sozialkulturellen Schiene diese paschtunischen Gebirgsbewohner beeindruckt haben, teilweise beeindruckt haben, teilweise Kritik erzeugt haben. Und das ist genau der Punkt, um den es hier in unserer Geschichte ja geht. Malala und ihre Familie gehörten dem Zweig an, die sich immer versucht haben, gegen dieses Vordringen der Taliban zur Wehr zu setzen, was ihnen aber nicht gelungen ist.

00:06:56: Marko Und es ist keine Selbstverständlichkeit, dass 20 Schulmädchen in einem Bus sitzen und zur Schule gefahren werden.

00:07:02: Marfa Keineswegs. Also insgesamt muss man natürlich sagen, dass Pakistan - das gesamte Land - was die Schulbildung anbelangt und die Schulpflicht für Kinder weit, weit zurückliegt. Das liegt auf allen weltweiten Statistiken auf den allerletzten Plätzen. In diesem Swat-Tal war das besonders extrem. Und es ist schon bemerkenswert, dass der Vater von Malala tatsächlich eine Ambition hatte, Schulen für diese Region zu gründen. Und er stammte selber aus eher ärmlichen Verhältnissen. Und er hatte für sich erkannt, dass es ganz wichtig ist, Schulbildung zu den Kindern zu bringen und hatte deswegen begonnen, Gelder zu akquirieren und Schulen in den Bergdörfern zu gründen. Und als Malala geboren wurde - sie schreibt das irgendwo mal so nett - ist sie im Grunde in einer Schule aufgewachsen, weil ihr Vater sie überall hin in Schulen mitgenommen hat und während der Arbeit und sie also von klein auf gelernt hat, dass das was ganz Tolles ist, in die Schule zu gehen.

00:08:10: Martin Also der Vater hat sich für Bildung eingesetzt, vor allen Dingen auch für für Mädchen-Bildung, dafür, dass Mädchen zur Schule gehen können, und war den Taliban nehme ich an deswegen auch ein Dorn im Auge.

00:08:20: Martin Absolut. Die Taliban hatten um diese Zeit schon ziemlich Fuß gefasst im Tal. Und dass ausgerechnet nun Mädchen zur Schule gingen, das war für die Taliban ja grundsätzlich immer ein absolutes No go. Und gegen das hat sich der Vater massiv zur Wehr gesetzt. Und die Mädchen aber, das beschreibt Malala in ihrer Biografie eigentlich sehr fein, sind begeistert zur Schule gegangen, haben davon geträumt, haben das geliebt. Vielleicht hören wir mal, was Malala dazu schreibt.

00:08:53: Zitat Malala Der Tag, an den sich alles veränderte, war der 9. Oktober 2012. Ein Dienstag. Nicht gerade ein günstiger Tag, weil ich mich mitten in der Schul-Prüfung befand. An jenem Tag, fuhr unser üblicher Korso aus bunt bemalten, Dieselabgase spuckenden Auto-Rikschas, gedrängt voll mit Mädchen zu der schmalen Lehm-Straße. Seit der Taliban-Zeit gibt es an der Schule kein Schild, und das verzierte Metalltür in der weißen Mauer verrät nicht, was dahinter steckt. Für uns Mädchen war dies das Zaubertor in unsere eigene Welt. Kaum waren wir darin, nahmen wir sofort unsere Kopftücher ab, als würde der Wind an einem sonnigen Tag die Wolken fort blasen.

00:09:34: Marfa Ja, das ist ja zauberhaft. Wer hat das denn gelesen?

00:09:37: Marfa Dafür habe ich meine wunderbare Tochter, meine Lieblingstochter Lotte. Ich habe nur eine, aber die hat das gemacht. Genau. Und weil sie gerade 15 ist, passt das natürlich wunderbar, denn Malala ist ja auch 15!

00:09:51: Zitat Malala Wir Mädchen gingen an sechs Vormittagen in der Woche zur Schule, und für eine 15-jährige in der neunten Klasse bestand der Unterricht darin, chemische Gleichungen vorzutragen oder die Grammatik des Urdu zu lernen, englische Aufsätze mit einer Moral zu verfassen, zum Beispiel mit dem Thema: Was bedeutet Eile mit Weile? Oder Blutkreislauf-Diagramme zu zeichnen. Die meisten von meinen Mitschülerinnen wollten Ärztinnen werden. Man kann sich nur schwer vorstellen, dass jemand darin eine Bedrohung sah. Doch außerhalb der Schule herrschte nicht nur der Lärm und der Wahnsinn der Stadt Mingora, der größten im Swat-Tal, sondern auch solcher Leute wie der Taliban, die meinen, Mädchen dürften nicht zur Schule gehen.

00:10:34: Marko Dass eine 15-jährige zur Schule geht. Und meine Tochter muss das, ja.

00:10:37: Martin Aber auch nicht immer gern.

00:10:40: Marko Doch, die macht das eigentlich ganz gern, muss man sagen. Die geht gerne zur Schule, Aber viele gehen ja nicht gerne zur Schule. In Pakistan ist es so, dass es ein Privileg ist für Mädchen, wenn sie zur Schule gehen können - ist es so?

00:10:50: Marfa Tatsächlich kämpft man in Pakistan nicht darum, eine Pflicht zum Schulgang zu haben, sondern das Recht auf Bildung. Und das ist es eben auch: Für dieses Recht kämpft der Vater von Malala. Und für dieses Recht hat sich dann auch Malala ja schon als sehr junges Mädchen eingesetzt.

00:11:08: Marfa Wie hat sie das gemacht?

00:11:10: Marfa Das war ganz interessant. Sie war ungefähr elf oder zwölf Jahre alt, da kam ihr Vater nach Hause und erzählte: Ach, ich bin angesprochen worden. Der war recht gut vernetzt in der Politik vor Ort, dort in der regionalen Politik. Und der Vater kam nach Hause und sagte: Ach, ich bin gefragt worden, ob wir nicht für die BBC-Pakistan mit einer Lehrerin oder so einen Blog machen könnten, einen Internetblog, um so ein bisschen das Leben unter den Taliban und das Leben an den Schulen zu beschreiben und wie Schule überhaupt aussieht. Und Malala erzählt dann, dass sie einfach sagte: Papa, warum nicht ich?

00:11:47: Marko Okay, die wollte. Die wollte berichten, wie es ihr in der Schule geht.

00:11:51: Marfa Sie wollte das ganz offensichtlich. Sie hatte offensichtlich ein Bedürfnis, sich da mitzuteilen. Und der Vater? Ja, wahrscheinlich so eine Mischung aus Stolz und Begeisterung, hat gesagt: Ja, in Ordnung. Und dann hat Malala begonnen, unter einem Pseudonym einen Blog für die BBC Pakistan zu schreiben, unter einem Pseudonym. Das war eine Schutzmaßnahme, denn man wollte natürlich unter gar keinen Umständen, dass herauskam, wer nun tatsächlich hinter diesem Kind steckt, das einen öffentlichen Blog schreibt.

00:12:25: Marko Und das beschreibt, wie es in der Schule zugeht.

00:12:28: Marfa Ja, sie beschreibt das ganz schön. Sie sagt dann manchmal: Heute Nacht hatte ich einen Traum. Die Taliban kamen in unser Dorf und sagten: Ihr dürft alle nicht mehr zur Schule gehen. Und das war für mich ganz furchtbar. Wir Mädchen müssen uns dagegen zur Wehr setzen. Wir wollen in die Schule gehen. Das ist so toll. Wir wollen etwas lernen und wir wollen etwas vom Leben haben. Und wir wollen unser Land verändern. So beschreibt sie das in ihrer Biografie. Sie hatte da offensichtlich recht geschickte Stilmittel, um in diesem Blog zu schreiben, auch wenn sie noch ein Kind war. Und auch wenn ihr der Vater vielleicht dabei geholfen hat. Alles geschenkt. Ja, aber eines Tages wurde dieses Pseudonym enttarnt.

00:13:11: Martin Sie hat das unter Pseudonym gemacht. Das heißt, da scheint es eine Gefahr gegeben zu haben. Wie ist das passiert, dass sie enttarnt wurde?

00:13:19: Marfa Ja, im Grunde abstrus. Sie ist vorgeschlagen worden für den Internationalen Friedenspreis, und zwar Jugend-Friedenspreis. Sie hat den Preis zwar nicht bekommen, aber im Zuge dieser Nominierung und der ganzen Gespräche darüber gab es natürlich eine relative Presse- Öffentlichkeit. Und in dieser Zeit ist das Pseudonym enttarnt worden. Und das war wahrscheinlich der Knackpunkt, weshalb Malala Yousafzai in den Fokus der Terroristen, der Taliban geriet.

00:13:47: Marko Also dieser Blog, den sie da gemacht hat, muss also schon so viel Aufmerksamkeit erregt haben, dass - das war ein internationaler Preis - da zumindest eine Jury drauf aufmerksam geworden ist.

00:13:58: Marfa Ja, dieser internationale Jugend-Friedenspreis wird ja vergeben von einer Institution in Amsterdam jedes Jahr. Sie hat ihn 2013 ja auch bekommen, also ein Jahr nach dem Attentat, aber eben 2011 noch nicht, ein Jahr vor dem Attentat. Das war ein großer internationaler oder ist ein großer internationaler Preis, und das erregt natürlich Aufmerksamkeit, wenn eine Pakistanerin, obendrein ein junges 14 jähriges, damals ja noch 14 jähriges Mädchen, für einen solchen Preis nominiert ist. Tatsächlich, sie hat ganz viele Jugendliche und auch wahrscheinlich ältere Menschen in Pakistan erreicht. Das ist immerhin über die BBC gelaufen. Und Radio, Fernsehen, das ist was - bis in die entlegensten Dörfer, wenn man nur irgendwie Zugang zu solchen Medien hat, daraus bezieht man ja sein Wissen über die Welt oder überhaupt seinen Kontakt zur Welt. Also wird das natürlich gelesen, gehört oder gesehen.

00:14:57: Martin Da müssen die Taliban ja ziemlich große Angst vor diesem jungen Mädchen gehabt haben. Was sind das für Leute, diese Taliban, die da im Norden Pakistans offensichtlich Fuß gefasst haben und sich ausbreiten konnten. Also man hört das immer in den Nachrichten, aber um was für eine Gruppe genau handelt es sich da?

00:15:16: Marfa Also Angst haben Sie sicherlich gehabt. Malala Yousafzai war so etwas wie ein Symbol. Und Symbole für etwas, was den Ideologien der Taliban widerspricht in der Öffentlichkeit und auch derart prominent, das ist natürlich immer etwas sehr, sehr Gefährliches. Nun, wer sind die Taliban? Die Frage ist gar nicht so glatt zu erklären, weil es gibt ganz viele Taliban. Wir haben die pakistanischen Taliban, wir haben die afghanischen Taliban. Wir haben aber auch innerhalb dieser beiden Großgruppen - afghanischer und pakistanischer Taliban - noch zahlreiche Untergruppen. Und das führt uns zurück, wir müssen jetzt ein ganz kleines bisschen einen Ritt durch die Geschichte machen, um zu verstehen, was sich dort eigentlich in diesem Hindukusch und dann auch im Swat-Tal abgespielt hat. Beginnen wir 1979 mit dem Einmarsch der Russen in Afghanistan. Das bedeutete, der Kommunismus dringt in diese Region vor. Und dagegen haben sich, das haben manche vielleicht noch in Erinnerung, die Mudschaheddin-Parteien gebildet. Diese Mudschaheddin-Parteien wurden unterstützt, finanziell, mit Ausbildung, militärischer Ausbildung und Geld und Waffen erstens von Pakistan, das natürlich ein großes Interesse hatte, dass die Russen nicht weiter Einfluss nehmen auch bis Pakistan runter. Zweitens die Amerikaner, die natürlich immer gegen alles sind, was der kommunistische Block macht. Und drittens Saudi-Arabien. Damals ist Osama bin Laden irgendwann schon ins Land gekommen und hat mit seinem Geld, mit saudischem Geld eben Gruppen die Mudschaheddin Parteien unterstützt. Als die Russen dann abgezogen sind, blieben diese Widerstandskämpfer ganz verschiedene Parteien übrig, und zwar...

00:17:13: Martin Das war dann zehn Jahre später, 1989 / 90 so um den Dreh.

00:17:15: Marfa Knapp zehn Jahre später war das. Da blieben diese Mudschahedin-Parteien übrig, ausgebildete Widerstandskämpfer. Aus einem Teil von denen sind die Taliban hervorgegangen, nämlich Kämpfer für einen islamischen Gottesstaat. Die Mudschahedin waren Kämpfer gegen die Russen. Aber parallel entwickelte sich etwas: ein gesamt islamisches Konstrukt, also ein islamischer Gottesstaat. Da haben sicherlich die Kämpfer um und die Salafisten um Osama bin Laden auch ihre Hand im Spiel gehabt, obwohl die beiden Gruppen vieles unterscheidet. Sie sind also absolut nicht deckungsgleich. Und diese Gotteskrieger wiederum, die Taliban, haben, rekrutiert aus Flüchtlingen, die aus Afghanistan nach Pakistan rüberkamen, dort, in Flüchtlingscamps lebten, teilweise unbegleitete Minderjährige, würde man heute sagen waren, also Kinder ohne Eltern, ganz alleine. Die wurden dann dort in Religionsschulen gesteckt und Schulen / Schüler heißt auf Paschtu oder auch auf Arabisch Talib und der Plural - die Schüler - Taliban. Daraus wurden also die Taliban rekrutiert, die dann allerdings als Kämpfer in Afghanistan wieder zum Einsatz kamen. Dass Pakistan an dieser Stelle mit seiner militärischen Unterstützung und mit Unterstützung des Geheimdienstes eine Natter an seiner Brust genährt hat, das hat Pakistan, tja, es ist fast irre, aber sie haben es übersehen, und das sollte sich böse gegen sie wenden, denn ab dem Jahr 2007 entstand die Organisation auch in Pakistan. Und vielleicht hören wir dazu mal den Experten Dr. Guido Steinberg von der Stiftung.

00:19:08: Guido Steinberg Bei den pakistanischen Taliban handelt es sich um eine vollkommen eigenständige Gruppierung, die sich zwar Taliban nennen, aber mit den Taliban nur gute Beziehungen unterhalten. Der wichtigste Unterschied zwischen den afghanischen und den pakistanischen Taliban ist, dass die afghanischen Taliban ganz klar ein Klient des pakistanischen Militärs sind und ihren Aufstand gegen die Amerikaner seit etwa dem Jahr 2005 auch im Auftrag und mit Unterstützung des pakistanischen Militärs geführt haben. Die pakistanischen Taliban hingegen, die meist aus Pakistan stammen und nicht aus Afghanistan, die bekämpfen in erster Linie den pakistanischen Staat. Das Problem des pakistanischen Staates ist, dass er immer die Taliban in Afghanistan unterstützt hat. Und die pakistanischen Taliban gleichzeitig bekämpft hat. Die Unterstützung, die lief aber über Jahrzehnte über die Bergregionen, in denen auch die pakistanischen Taliban stark sind. Und das führt dazu, dass viele dieser Grenzregionen durch den pakistanischen Staat gar nicht so richtig kontrolliert werden können. Der pakistanische Staat hat 2009 aufgrund der dramatischen Vorfälle, aufgrund der Schreckensherrschaft im Swat-Tal reagiert mit einer Offensive. Aber er hat nie die Präsenz der pakistanischen Taliban insgesamt ausradieren können. Das funktionierte schon deshalb nicht, weil er zur selben Zeit afghanische Taliban bei ihrem Aufmarsch im Swat-Tal oder auch anderswo weiter südlich unterstützt hat.

00:20:46: Martin Meine Güte, was für ein Durcheinander: Also Pakistan, die pakistanische Regierung, bekämpft die Taliban im eigenen Land, während sie im Nachbarland die Taliban unterstützt hat. Das habe ich so richtig verstanden.

00:20:58: Marfa Ja, man kann das als ganz schön idiotisch bezeichnen, denn beide Gruppen, das kommt ja jetzt noch dazu, sind ja Paschtunen. Und was die Pakistani unter anderem da bekämpfen, ist eine paschtunische Identität. Das versuchen sie halt auch irgendwo auszuradieren. Die Mittel und die Wege sind zweifelhaft.

00:21:19: Martin Was dann dazu geführt hat, dass im pakistanisch afghanischen Grenzland der pakistanische Staat keine Kontrolle mehr hat.

00:21:26: Marfa Absolut keine.

00:21:27: Marko Aber so ein Taliban stelle ich mir mal vor. Bärtig, Turban auf dem Kopf - halt wie Osama bin Laden. Die pakistanischen Taliban oder die afghanischen Taliban nebeneinander gestellt, könnte ich wahrscheinlich nicht auseinanderhalten. Die sehen nämlich genau gleich aus.

00:21:40: Marfa Ganz gewiss könntest du die nicht auseinanderhalten? Könnte wahrscheinlich kaum einer auseinanderhalten. Das ist ein unglaublich verzweigtes Netzwerk. Auch die Taliban sind ja nicht eine Gruppe, sondern die bestehen aus ganz vielen Gruppen, die auch sehr unterschiedlich agieren. Es gibt sogar Indizien, dass es einige wenige Taliban-Gruppen gibt, die auch durchaus Mädchen-Bildung und Schulbildung erlauben, also in ganz begrenztem Umfang. So für Grundschule - weiter dann lieber doch nicht, aber immerhin. Aber diese Gruppen unterscheiden sich äußerlich natürlich gar nicht. Dazu muss man wirklich sehr tief gucken: Wer koaliert mit wem, wer gewinnt durch wen? Wer hat mit den Al Qaida-Gruppen kollaboriert? Denn eigentlich sind die auch spinnefeind. Der Islamische Staat hängt noch dazwischen. Sehr komplex, sehr kompliziert und sehr schwierig zu analysieren.

00:22:37: Marko Aber in einem sind sie sich einig: Vielleicht ein bisschen Schulbildung ja, aber höhere Schulbildung, vielleicht weiterführende Schulen für Mädchen? Nein.

00:22:47: Marfa Da kommt tatsächlich sehr stark ein altes paschtunisches Selbstverständnis, ein absolut überhöhtes Männlichkeit-Ideal, das paschtunisch ist - nicht islamisch ist. Das kommt hier ins Spiel. Die Männer sind an der Front - nicht im Krieg, sondern an der Lebens-Front - und die Frauen, die sind im Haus. Und vielleicht kann man das daran verdeutlichen: Die Frauen in Afghanistan oder unter den Taliban in Pakistan werden unter die Burka gezwungen. Die Burka hat auch einen Gesichtsschleier. Man sieht noch nicht mal das Gesicht. Wenn man sich die Frauen in Iran beispielsweise anschaut: Dort sind sie zwar auch unter einem Tschador voll bedeckt, aber das Gesicht ist sichtbar. Also das ist ein Unterschied. Die Frauen sind wirklich - die Burka ist da fast ein Symbol - weg aus der Öffentlichkeit. Und dazu gehört natürlich auch, dass die in der Schule - was soll denn ein Mädchen auch Bildung haben? So ein Quatsch, völlig unnötig, völlig überflüssig. Die sind nur dazu da, eines Tages mal einen Haushalt zu führen und Kinder zu zeugen. Und sogar Malala beschreibt es irgendwann, das hat sie offenbar als Kind geprägt und auch erlebt, dass ihre Mutter sie eigentlich nicht wollte, weil sie war die Erstgeborene. Und sie war ein Mädchen. Und ihre Mutter wollte einen Sohn. Als zwei Jahre später Malalas jüngerer Bruder geboren wird, da spürt sie, dass dieser Junge das Ein und Alles ihrer Mutter ist. Und sie hat, das merkt man so bis heute, ein viel distanzierteres Verhältnis zu ihrer Mutter.

00:24:20: Martin Da kann man vor dem Hintergrund dann natürlich verstehen, warum dann jemand wie Malala, die nicht nur zur Schule geht, entgegen dem Willen der Leute, die da offensichtlich das Sagen haben in der Region, sondern auch noch in einem BBC-Blog zur Symbolfigur aufsteigt, dass die da eben ein Dorn im Auge ist der Leute, die das eben nicht wollen.

00:24:41: Marfa Absolut. Sie tritt öffentlich dafür ein, dass die Mädchen ein Recht auf Bildung haben. Mädchen generell in Pakistan. Und das ist den Taliban ein Dorn im Auge. Wir haben ja eben auch darüber gesprochen, dass es verschiedene Gruppen gibt. Es ging unter den Gruppen natürlich auch immer darum, Zeichen zu setzen. Zeichen, um zum Beispiel zu sagen: Ich bin ein ganz besonders großer Anführer einer besonders wichtigen Gruppe. Und als solcher ist wahrscheinlich Mullah Fazlullah auch zu sehen, derjenige, der das Attentat auf Malala Yousafzai geplant und dann zur Ausführung gebracht hat.

00:25:19: Zitat Malala Die kühleren Tage kamen in diesem Jahr spät und nur die fernen Berge des Hindukusch hatten einen Zuckerguss aus Schnee. Hinten, wo wir saßen, hatte der Schulbus keine Fensterscheiben, nur eine Plastikplane, die an den Seiten flatterte und so vergilbt und verstaubt war, dass man so gut wie nicht durchsehen konnte. Ich erinnere mich noch, dass der Bus wie immer hinter dem Militärkontrollpunkt rechts fuhr. Dann hielten wir plötzlich an, ein Mann tauchte an der Rückseite des Vans auf. Er trug eine traditionelle Woll-Kappe und hatte ein Taschentuch über Mund und Nase, als wäre er erkältet. Er sah aus wie ein College Student. Dann schwang er sich über die Ladeklappe und beugte sich über uns. Wer von euch ist Malala? Fragte er fordernd. Niemand sagte etwas, aber mehrere Mädchen sahen zu mir hin. In diesem Moment hielt er eine schwarze Pistole hoch. Später erfuhr ich, es war ein Colt 45! Mehrere Mädchen schrien. Meine beste Freundin Moniba sagte, ich hätte in diesem Moment ihre Hand gedrückt.

00:26:22: Marfa Der Attentäter schießt ihr in den Kopf. Schwer getroffen sackt sie zusammen. Die nächsten beiden Kugeln treffen deswegen ihre beiden Nachbarinnen. Es gab also noch zwei verletzte Mädchen, aber besonders schwer verletzt ist Malala. Die Kugel ist von oben in ihre linke Augenhöhle eingedrungen und dann am Ende in der Schulter stecken geblieben. Und sie hat riesiges Glück gehabt, aber das wusste man zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Malala war ohnmächtig. Der Fahrer des Busses, der befand sich in einer Schockstarre. Die Attentäter waren weg. Irgendwann ist der Fahrer aus seiner Schockstarre erwacht und hat Gas gegeben und ist ins Krankenhaus nach Mingora gerast. Dort wurde Malala sofort operiert, die Eltern wurden benachrichtigt. Vor dem Krankenhaus sammelten sich sehr schnell hunderte von Menschen, die alle gehört hatten, dass dort einer 15-jährigen in den Kopf geschossen worden ist. Es wurde auch sehr schnell klar, dass die Ärzte in Mingora hoffnungslos überfordert waren mit dieser Art von Operation. Sie ist dann nach ein, zwei Tagen, als sie einigermaßen transportfähig war, immer noch ohnmächtig ohne Bewusstsein ins Krankenhaus nach Peschawar gebracht worden. Und durch einen Zufall hat ein britisches Militärkrankenhaus von der ganzen Geschichte dann erfahren und eine Ärztin, Fiona Reynolds, die dort als britische Militär-Ärztin stationiert war, die hat gesagt: Um Gottes Willen, wir müssen dieses Mädchen ins Ausland bringen. Nur dann hat sie im Entferntesten wenigstens eine Überlebenschance. Nun kann aber nicht einfach im Jahre 2012 eine Maschine aus Großbritannien da runter fliegen oder mal eben irgendein pakistanischer Hubschrauber überhaupt solche Distanzen überbrücken. Deswegen wurden die Vereinigten Arabischen Emirate eingeschaltet, die dann tatsächlich den Transport von Malala Yousafzai übernommen haben und Malala nach Birmingham ausgeflogen haben. Dort war Fiona Reynolds nämlich als Ärztin im Normalfall, wenn sie nicht militärisch unterwegs war, tätig.

00:28:29: Marko Was für ein Riesenaufwand, muss man sagen für dieses Mädchen. Was für ein großes Glück! Wir wissen ja, sie hat überlebt. Auf der anderen Seite: Dieses Mädchen muss schon eine große Symbolkraft besessen haben, damit man solchen Aufwand betreibt. Denn ich glaube, in solchen Ländern wie Afghanistan oder Pakistan werden wahrscheinlich sehr häufig Menschen ums Leben kommen, Menschen Attentaten zum Opfer fallen und wir hören davon nicht einmal. Aber in diesem Fall wird sozusagen eine ganze Maschinerie in Bewegung gesetzt, um dieses Mädchen zu retten.

00:29:02: Marfa Es war natürlich ein sehr spektakuläres Attentat. Es war das erste einer weiteren Folge. Es hat im Jahr drauf und noch mal im Jahr darauf noch größere Attentate in Peschawar gegeben. Bei einem davon sind 130 Kinder, nicht nur ein einziges Mädchen, getötet worden.

00:29:18: Marko Und davon wissen wir nichts.

00:29:20: Marfa Ja, doch, das große Attentat von 2014 ging schon durch die Presse.

00:29:24: Marko Aber es ist nicht so bekannt: Wir reden heute über ein Mädchen.

00:29:29: Marfa Wir reden heute über ein Mädchen. Damals hat man sich tatsächlich kaum gekümmert um das, was da in Pakistan los war. Es gab Attentate, verschiedene Attentate auf Schüler und Schülerinnen. Das ist sehr spektakulär geworden. Vermutlich, so sagt es zumindest Guido Steinberg, weil Malala überlebt hat. Das hört sich jetzt bitter an, aber vielleicht hören wir uns mal an, was er dazu selber sagt.

00:29:56: Guido Steinberg Ich bin mir nicht sicher, ob Mullah Faszlullah im Jahr 2012 bewusst war, wie groß die internationale Aufmerksamkeit für den Fall Malala Yousafzai werden würde. Er hatte ja bereits das Swat-Tal in den Jahren 2007 bis 2009 faktisch beherrscht, hatte dort seine Vorstellungen weitgehend durchgesetzt. Und er versuchte, mit diesem Attentat klar zu stellen, dass der pakistanische Staat nicht in der Lage sein würde, die Mädchen, die zur Schule gingen, zu sichern. Ich denke mal, dass ein Attentat durchaus bewusst auf eine pakistanische Öffentlichkeit abzielte. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass sein Horizont so weit war, dass er sich der möglichen internationalen Folgen dieses Attentats wirklich bewusst war. Und vielleicht hat diese internationale Reaktion ja auch damit zu tun, dass Malala glücklicherweise überlebt hat. Das hätte vielleicht anders ausgesehen, wenn sie einfach nur ermordet worden wäre und damit auch ihre Stimme und auch ihr Gesicht beseitigt worden wären. Also eine tote Malala hätte sicherlich nicht diese Wirkung gehabt, wie sie sie dann zum Glück hatte.

00:31:10: Marfa Es bitter, ne.

00:31:11: Martin Ist ziemlich brutal.

00:31:13: Marfa Hat er recht?

00:31:14: Marko Natürlich hat er recht, weil über die 130 Mädchen, die danach umgekommen sind, spricht ja offenbar niemand mehr. Auf der anderen Seite frag ich mich auch so ein bisschen, da wird jemand ja offensichtlich aufgebauscht. Wenn die BBC sagt: Mädchen, ich geb dir mal ein Blog, da darfst du mal schreiben, wie das denn so für dich ist. Es gibt einen Vater, der dazu sagt: Ja, finde ich gut, dass meine Tochter das macht, denn es deckt sich sozusagen mit meinen eigenen politischen Zielen. Es ist aber auch völlig klar, dass er damit seine eigene Tochter in Gefahr bringt. Zumindest ab dem Punkt, wo klar ist, wer sie ist. Und das ist ja zu diesem Zeitpunkt schon klar. Also letztendlich muss man der westlichen Gemeinschaft und auch diesem Vater auch ein bisschen vorwerfen: Ihr wart nicht in der Lage, dieses Mädchen zu schützen, aber ihr habt sie letztendlich auch für eure eigene ideologische Überzeugung missbraucht.

00:32:03: Marfa Ja,.

00:32:04: Marko Hart formuliert jetzt vielleicht, aber ein bisschen in die Richtung geht es schon.

00:32:07: Marfa Ja, so kann man das natürlich sehen. Aber man muss sich natürlich auch in diese Situation versetzen. Was soll man denn in einer Gesellschaft tun, in der sich nichts bewegt, in der so dahergelaufene Gotteskrieger sich aufschwingen zu Diktatoren über das Recht auf Bildung oder das Recht, im Haus eingesperrt zu werden? Was soll man denn da tun? Man bringt sich sowieso jeden Tag in Gefahr, indem man sich nicht den Taliban anschließt.

00:32:39: Marko Aber, aber würde man eine 15-jährige nehmen, in die erste Front schieben und sagen Du machst jetzt mal einen Blog und mit deiner Stimme werden wir diese Menschen bekämpfen? Also es ist schon ein bisschen ein Zwiespalt.

00:32:52: Martin Na ja, sie ist 15 gewesen und sie wollte es, wenn ich dich richtig verstanden habe auch. Es war ihre Idee, dass sie das macht. Als der Vater auf der Suche nach jemandem war, der diesen Blog macht. Also sie ist jetzt nicht gegen ihren Willen in diese Position geschoben worden. Also das ist vielleicht dann auch ein bisschen sehr spitz formuliert.

00:33:08: Marko Ja, vielleicht ist es so, aber man muss ja im.

00:33:11: Marfa Im Nachhinein lässt sich so was...

00:33:11: Marko Was natürlich klar ist: Letztendlich finden wir die Ziele, die der Vater verfolgt, natürlich sehr legitim. Wir alle wünschen uns, dass auch Mädchen Schulbildung bekommen und auch in Afghanistan und auch in Pakistan. Auf der anderen Seite muss allen Beteiligten klar gewesen sein, dass sie dieses Mädchen damit in Gefahr bringen.

00:33:29: Marfa Ja, das ist wahrscheinlich auch allen mehr oder weniger klar gewesen. Allerdings, das schreibt sie auch selbst in ihrer Biographie, hat niemand damit gerechnet, dass Malala in Gefahr sein könnte. Es haben alle damit gerechnet, dass ihr Vater das nächste Ziel ist oder ein Ziel der Taliban sein könnte. Dass es tatsächlich ein Attentat auf Mädchen oder dann auch ganz gezielt auf ein spezifisches Mädchen gibt, damit hat wohl auch dort keiner gerechnet.

00:34:00: Martin Sowas hat es auch vorher nicht gegeben, oder?

00:34:01: Marfa Nee, so richtig Vergleichbares gibt es eben nicht. Und es hat ja letztlich dazu geführt, dass dieser Mullah Fazlullah nach dem Attentat, das war so spektakulär und hat so viel Aufmerksamkeit in Pakistan erzeugt, dass er zum unumstrittenen Anführer der Gesamtpakistanischen Taliban geworden ist.

00:34:22: Marko Das heißt, die Taliban Freunde von Mullah Fazlullah finden das super.

00:34:27: Marfa Die finden sowieso alle Attentate, mit denen sie Aufmerksamkeit erzeugen können, mit denen sie den pakistanischen Staat schockieren können. Das finden sie ganz super.

00:34:38: Marko Aber gab es auch Stimmen in Pakistan, die gesagt haben: Um Himmels willen, wir müssen uns jetzt wehren gegen diese Taliban, weil wer so etwas tut - das ist auch in unseren Augen nicht in Ordnung.

00:34:47: Marfa Ja, natürlich gibt es die auch. Das ist aber ...jetzt sind wir genau auf dieser Gratwanderung. Das ist halt gefährlich, je nachdem. Also oben im Norden, wo die Taliban quasi die Dörfer mehr oder weniger beherrschen, da muss man sehr vorsichtig sein, bis zu welchem Punkt man den Mund aufmacht und sich öffentlich äußert. Und weiter im Süden, da sind ja weniger Taliban. Aber die Gefahr, dass sie auf Polizeistationen, die sie ja nun mehrfach überfallen haben, vorrücken oder noch größere Attentate planen, die ist gegeben. Deswegen rückt ja auch immer wieder das Militär aus, um die in irgendeiner Form in den Griff zu bekommen, die Taliban - gefährlich ist das.

00:35:27: Marko Wir haben angefangen mit einem O-Ton, wo die Menschen sozusagen vor dem Krankenhaus stehen und Malalas Namen rufen. Selbst für die war das gefährlich, das zu tun?

00:35:37: Marfa Ja und nein. Also natürlich haben sie in gewisser Weise Position bezogen an dieser Stelle für Malala, weil Sie schockiert waren von diesem Anschlag. Aber die Freunde und Anhänger der Taliban, die wiederum könnten jetzt die im Radio, die hatten ja auch ihr eigenes Radio, Radio Mullah Radio nannte sich das, da haben die dann auch Leute denunziert: Herr sowieso und sowieso haben vor dem Krankenhaus demonstriert. Oder Herr Sowieso schickt seine Tochter in die Schule und dann wurde getuschelt im Dorf, und das war immer sehr gefährlich. Also es ist eine Gratwanderung. Das ist nicht ein sicheres Leben, so wie wir uns das hier in unseren Gefilden vorstellen, sondern das ist ein täglicher Überlebenskampf.

00:36:24: Martin Also Genesungswünsche und Genesung-Kundgebungen für eine 15-Jährige können in so einem Land zur Lebensgefahr werden. Kommen wir mal wieder zu dieser 15-Jährigen. Die lag zu dem Zeitpunkt dann ja in Großbritannien in einem Krankenhaus. Wie geht es Malala zu diesem Zeitpunkt?

00:36:42: Martin Es geht ihr schlecht. Ihr Leben hängt am seidenen Faden. Ob sie überleben wird oder ob sie sterben wird, niemand weiß es. Selbst in Großbritannien versammeln sich vor dem Krankenhaus in Birmingham ja dann hunderte von Menschen, die einfach schockiert sind. Davon, dass einer 15-Jährigen auf so brutale Art in den Kopf geschossen wird, überlebt oder noch lebt und jetzt also in Birmingham im Krankenhaus liegt. Die Ärzte ringen um ihr Leben, sie hängt voller Schläuche. Es gibt da Bilder von ihr: aus jeder Pore ihres Kopfes ragt irgendwo ein Schlauch hervor. Ihr Auge hängt nach unten, das eine, das linke. Und sie kann nicht sprechen. Und sie ist ungefähr eine Woche nach dem Attentat wieder zu Bewusstsein gekommen, war in einem anderen Land. Und man kann eigentlich nur ihren Worten folgen, was sie sich in diesem Moment gedacht hat.

00:37:43: Zitat Malala Einem Land entrissen zu werden, das man liebt, ist etwas, das ich meinem ärgsten Feind nicht wünsche. Jeden Morgen, wenn ich die Augen öffne, sehne ich mich nach dem vertrauten Anblick, nach meinem alten Zimmer, den an den Boden verstreuten Sachen. Stattdessen lebe ich in einem Land, das verglichen mit meinen geliebten Pakistan fünf Stunden hinterherhinkt. Andererseits hat meine Heimat Jahrhunderte aufzuholen. Wenn ich die Augen schließe, bin ich zurück im Tal, im Swat. Ich sehe die hohen, schneebedeckten Bergspitzen, wogende grüne Felder und kühle blaue Flüsse. Ich treffe meine Freundin Moniba. Wir sitzen zusammen, plappern und scherzen, als wäre ich nie fort gewesen. Am 16 Oktober, eine Woche nach dem Anschlag, wachte ich auf. Ich war Tausende von Kilometern von zu Hause entfernt, hatte einen Schlauch im Hals, der mir beim Atmen half und ich konnte nicht sprechen. Ich war in Birmingham in England.

00:38:45: Martin Sie wacht auf, ist in einem fremden Land. In England. Ist sie da allein?

00:38:49: Marfa Ja. Zunächst ist sie da mutterseelenallein. Die Familie wird dann nachgeholt. Der Vater, die Mutter und auch die beiden jüngeren Brüder. Ihre einzige Vertraute in dieser Zeit war diese britische Militär Ärztin, die Fiona Reynolds. Ansonsten kannte sie niemanden. Eine fürchterliche Situation. Gleichzeitig passierte es dann aber, dass ja nun eine enorme Weltöffentlichkeit diese Geschichte besser kannte als die betroffene Malala und sich vor dem Krankenhaus also hunderte von Menschen sammelten. Es müssen Tausende von Briefen in dem Krankenhaus angekommen sein. Beileidsbekundungen, Hilfe-Bekundungen, Geldgeschenke, Teddybären und alles Mögliche. Ganze Kartons sind gesammelt worden.

00:39:39: Martin Ich kann mich daran erinnern, als die Nachricht damals um die Welt ging. Das war wirklich auf allen Kanälen "Malala, Malala". Und es war wirklich ein Presserummel, der da entstanden ist. Und ich habe mir nur gedacht, als ich diese Bilder von diesem Mädchen im Krankenhaus gesehen habe: Um Gottes willen, das Kind weiß gar nicht, was, was ihm passiert.

00:39:56: Marfa Ja, da hat sich die Geschichte sicherlich auch abgespalten, nämlich die eigentliche Malala Geschichte und die Geschichte der Weltöffentlichkeit und ihr Umgang mit dieser Geschichte. Und dazwischen die Eltern, die nun vermitteln müssen. Nicht umsonst hat sich dann eine Agentur eingeschaltet, die pro bono gesagt hat: Leute, wir organisieren das hier für euch. Also eine wirklich weltbekannte Agentur ...

00:40:24: Marko ...für Öffentlichkeitsarbeit...

00:40:26: Marfa ...für Öffentlichkeitsarbeit, die gesagt hat, allerdings auch zu Recht gesagt hat: Ihr könnt das - weder das Krankenhaus noch Malala, noch ihre Eltern, noch irgendein sonst engerer Vertrauter kann diesen Hype, der da entstanden ist, in irgendeiner Form mehr händeln oder bändigen. Die wussten ja zum Teil gar nicht, wie die das Krankenhaus morgens und abends verlassen sollten, die Eltern, ohne nicht belästigt zu werden von Presse. Da waren ja auch hunderte von Presseleuten dann in Birmingham versammelt. Jeder wollte ein Interview, jeder wollte wissen, wie der Vater sich fühlt. Ja, wie fühlt sich wohl ein Vater, Marko, wenn deine Tochter da gewesen wäre, wie hättest du dich gefühlt. Man ist völlig überfordert von so einem Ansturm.

00:41:08: Marko Ja, ich würde mir Vorwürfe machen, wenn ich Malalas Vater gewesen wäre. Ganz sicher. Und natürlich: In so einem Moment, wenn so eine Weltöffentlichkeit auf irgendwas drauf guckt, da entgleitet ja ganz viel. Also, wenn ich mir diesen O-Ton anhöre, wo Malala beschreibt, dass sie eigentlich ihre Heimat vermisst, dieses wunderschönes Swat-Tal. Die hat doch ganz andere Sorgen, als gerade zum Mittelpunkt irgendeiner Bewegung zu werden. Und trotzdem schaffen diese ganzen Medien es, sie dazu zu machen. Also ich glaube nicht, dass die 15-jährige das so will. Ich kann mir das kaum vorstellen. Und was jetzt folgt ist ja ein Friedensnobelpreis. Was folgt ist ein Treffen mit dem amerikanischen Präsidenten. Was folgt ist ein riesen Hype. Und ich frage mich: Kann eine 15-jährige, die da zu diesem Zeitpunkt liegt, darf man der das eigentlich antun? Hätte man nicht eigentlich ganz anders reagieren müssen? Denn eigentlich: Was passiert denn in dem Moment? Klar, die Ziele sind schon klar. Wir wollen, dass auch Mädchen in Afghanistan und Pakistan Bildung bekommen. Und das ist ja ein tolles Symbol. Das Mädchen - aber man missbraucht es auch dafür.

00:42:18: Marfa Ja, das ist eine heikle Gratwanderung und ich verstehe durchaus, was du meinst. Und du hast bis zu einem gewissen Grade recht. Ob man so wirklich logisch und rational reagieren kann, wie du das jetzt tust aus der Warte dessen, der ja nicht wirklich betroffen ist, sondern der sich nur hineinversetzt und sagt: als Vater würde ich mir Vorwürfe machen. Hat der Vater möglicherweise auch gemacht.

00:42:41: Marko Wir wissen es ja auch nicht.

00:42:43: Marfa Er konnte es ja auch nicht mehr ändern. Aber er hatte ein Kind, um dessen Überleben er ja zunächst mal gekämpft hat. Und dann passierte von außen ein Selbstläufer. Und ich glaube, ich würde das so bewerten, dass sie irgendwann gesagt haben: Okay, wir nehmen dieses Schicksal an und wir haben ja Hilfe dabei. Da kann man natürlich sagen, setzt hier auch eine Form von Kalkül ein. Also wurde das jetzt hier ganz bewusst benutzt oder nicht? Aber was war denn der Effekt? Tatsächlich tritt sie ja dann ihr erster öffentlicher Auftritt auf Einladung der UN der Vereinten Nationen für Kinderrechte in einer Rede vor den Vereinten Nationen ein. Da zeigt sie eigentlich: Ich habe mein Schicksal angenommen.

00:43:34: Rede Malala Dear friends... Rede auf Englisch

00:44:12: Marfa Man muss sich ja mal vorstellen, das ist ihr 16. Geburtstag. Und ihre Stimme ist selbstbewusst. Sie hat natürlich diese Rede mit Helfern vorbereitet. Da kann man ganz fest von ausgehen. Aber sie hat dort tatsächlich mit einer Chuzpe gestanden und hat das verkündet. Das würde man vielleicht auch nicht ohne Weiteres einem 15-jährigen Mädchen in dieser Form zutrauen.

00:44:40: Martin Also viel Sendungsbewusstsein auch darin. Also sie ist da sehr mit viel Pathos unterwegs. Also: ein Kind, ein Lehrer, ein Buch, ein Stift, das reicht. Und wir machen hier Weltrevolution.

00:44:51: Marko Das hat natürlich die PR Agentur geschrieben, weil so was fällt keinem 16-jährigen Mädchen ein,.

00:44:57: Martin Was Tatsache ist: Sie wird weltberühmt. Also sie tritt vor der UN auf. Sie schreibt ihre eigene Biografie, ihre Autobiografie, aus der wir ja eben auch zitiert haben. Und sie nimmt dieses Attentat, wie du sagst. Sie nimmt das Schicksal an, um dann eben auch für ihre Sache weiter zu streiten und für das Recht auf Bildung, für Kinder und speziell für Mädchen zu agieren.

00:45:23: Marfa Also es springen ja viele auf diesen Zug auf, die sich nun unbedingt mit Malala treffen wollen. Die Anfrage des Treffens mit Obama, dem amerikanischen Präsidenten, ging ja von Obama aus. Es war nicht so, dass die Agentur bei Obama gefragt hat, ob eventuell Malala mal den Präsidenten. Nein, der amerikanische Präsident wollte Malala treffen. Unbedingt. Und es ist dann auch bekannt geworden, dass Malala eine Bedingung gestellt hat, von mir aus in Verbindung mit ihrer Agentur. Das ist egal. Die Bedingung lautete: Wir trinken nicht einfach nett Tee miteinander, wir führen ein politisches Gespräch und ich möchte, dass das protokolliert und dokumentiert wird. Denn ich habe auch den Amerikanern einiges zu sagen. Und sie erzählt dann in diesem Gespräch dann Obama, was die Drohnen, die die Amerikaner über Pakistan fliegen lassen, mit denen sie Dörfer und versucht haben, gezielt Taliban Stellungen zu bombardieren und zu zerstören, so nebenbei auch noch anrichten, dass sie nämlich zahlreiche neue kleine Taliban Pilze erzeugen. Jedes Dorf, das von so einer Drohne getroffen wird, hat anschließend 100 Taliban Kämpfer mehr und nicht weniger. Also dass im Jahr darauf, 2014 Malala dann für den Friedensnobelpreis nominiert wird, das ist sicherlich eine Folge dieses Hypes, der nun um diese ganze Frage Kinderrechte, Recht auf Bildung und dieses Sympathie- Symbol Malala Yousafzai entsteht.

00:47:54: O-Ton Nobelpreisverleihung Also sie sagt, dass sie sehr stolz ist, die erste Paschtunin zu sein, die erste Pakistanerin und überhaupt die jüngste Person, die jemals diese Auszeichnung erhält. Und dass sie - und da kommt ihr Humor zum Vorschein - dass sie sicherlich auch die erste Friedensnobelpreisträgerin ist, die noch mit ihren jüngeren Brüdern kämpft.

00:48:14: Martin Also neben allem anderen ist sie auch noch eine sympathische Figur, also sehr zugänglich scheint sie und Humor hat sie auch.

00:48:19: Marfa Absolute Sympathieträgerin. Und sie kommt natürlich besonders in der westlichen Welt sehr gut mit ihrem Charme, den sie zweifelsohne hat, an In Pakistan hat sich spätestens seit dem Friedensnobelpreis das Blatt partiell nicht bei allen Pakistanis, aber bei einigen gewendet. Dort spricht man davon, sie verdient unheimlich viel Geld mit dem Attentat, Hat es das Attentat überhaupt gegeben? Es steht zu vermuten, dass sie in gewisser Weise mit den Amerikanern unter einer Decke steckt. Sie hat ja da auch mit Obama gesprochen. Also es treten viele Neider, es treten auch Verschwörungstheoretiker auf. Das geht bis dahin, dass öffentlich verkündet wird: Das Attentat, wovon redet ihr? Es hat überhaupt nie ein Attentat gegeben. Und das, nachdem eventuell dieselben Menschen kurz zuvor vor dem Krankenhaus schluchzend gestanden haben: "Malala, Malala, sie soll weiterleben." Zwei Jahre später kippt das Blatt und Neid und Verschwörungstheorien und teilweise Ablehnung.

00:49:26: Martin Ich habe, bevor wir uns hier getroffen haben, mal so ein bisschen durch YouTube geguckt und da gibt es dann Videos von Frauengruppen - ihre Autobiografie heißt ja "I`m Malala". Also ich bin Malala. Und da gibt es dann Frauen-Gruppierungen, die Schilder hochhalten: "I am not Malala" also "Ich bin nicht Malala". Also das scheint da wirklich dann auch eine wirkliche Gegenbewegung, eine Welle gegeben zu haben gegen diese junge Frau.

00:49:49: Marko Aber es hat vielleicht auch was damit zu tun, was ich eben meinte, wenn man sagt okay, die ganze westliche Welt inklusive einer Apparatur von - ja aus pakistanischer Sicht wahrscheinlich Propaganda westlicher, nimmt sich dieses Mädchen und nimmt sie, hebt sie auf den Schild ihrer eigenen Werte und sagt: So, die steht jetzt für unsere Werte. Und natürlich, das ist denen auch aufgefallen wahrscheinlich, dass das nicht alles ein 16 jähriges Mädchen ist.

00:50:15: Marfa Nein, das glaube ich nicht. In dem ersten Teil würde ich dir ziemlich sicher recht geben. So ein Hype erzeugt immer Abwehr. Das sind relativ normale gruppendynamische Prozesse, dass wenn irgendwo etwas zu sehr ins Positive schwappt und wenn man das analysiert und analysiert, man kommt unter dem Strich ja nicht auf die Idee, wo wirklich was Schlechtes an der ganzen Geschichte ist, dass ein junges Mädchen symbolhaft für das Recht auf Bildung weltweit eintritt. Wer kann denn allen Ernstes sagen, dass daran irgendetwas verkehrt wäre? Aber wenn dann so eine Maschinerie, so wie du es nennst, losgeht, die sie in die größten Preise hinein katapultiert, die sie in zig Talkshows hinein katapultiert, da ist sie ja auch aufgetreten, Dann setzt bei vielen Menschen so eine Abwehr ein, die tatsächlich - da gehen Rollladen runter, da geht richtig ein Rollladen runter - und am Ende steht die Behauptung, es hat das Attentat überhaupt nie gegeben. Das ist eine Abwehrhaltung. Das hat natürlich etwas damit zu tun, dass Malala von der westlichen Welt vereinnahmt wurde an dieser Stelle. Und dass das Ganze Schicksal von Malala irgendwann abgekoppelt wurde von den realen Schwierigkeiten in Pakistan. Und trotzdem. Guido Steinberg hat da ja so seine eigene Theorie zu. Vielleicht hören wir uns das mal an?

00:51:46: Guido Steinberg Ich will die Kritik an Malala und vielleicht auch an ihrem Vater gar nicht bewerten. Politik braucht Symbole. Und die Frauen In Pakistan, aber auch in Afghanistan sind sie seit Jahrzehnten unter großem Druck. Und möglicherweise würde sich die Welt gar nicht so sehr für die Mädchen- Bildung in Pakistan interessieren, gäbe es nicht dieses kraftvolle Symbol Malala Yousafzai. Nun, mag sie persönlich davon profitieren, ihre Familie mag davon profitieren. Mir geht es eher darum, dass es dieses Symbol gibt. Das schafft Interesse an einer Region, in der wir ja vor allem häufig den islamistischen Terrorismus zu Hause sehen. Wilde, unzivilisierte Taliban Kämpfer. Wir vergessen darüber häufig oder wir sehen es ganz einfach nicht, dass die Mehrheit der Bevölkerung dort genauso leben möchte wie andere Pakistanis auch. Oder vielleicht wie vielleicht auch Menschen in der westlichen Welt. Die Mehrheit der Bevölkerung dort lehnt islamisches Recht, zumindest in der Interpretation der pakistanischen Taliban ab. Sie wollen nichts mit diesen, muss ja sagen barbarischen Dschihadisten zu tun haben. Sie wollen Mädchen-Bildung, sie wollen eine säkulare Justiz, sie wollen einen modernen Nationalstaat. Und sie wollen natürlich Gleichberechtigung in Pakistan. Dafür steht Malala, und das ist sehr gut, dass es sie gibt, ganz unabhängig von jeglicher Kritik an ihr.

00:53:12: Martin Nun ist dieses Attentat auf Malala war 2012, das ist jetzt über ein Jahrzehnt her. Der Hype um Malala ist auch schon wieder einige Jahre abgeebbt, um das aufzugreifen, was der Guido Steinberg da im Ton sagt: Wo steht es denn mit den Bildungs-Rechten in Pakistan, mit der Schulbildung für Jungen und vor allen Dingen für Mädchen? Hat sich da was getan? Hat sich durch dieses Attentat und all das, was anschließend passiert ist, irgendetwas geändert?

00:53:38: Marfa Ja, es hat sich vor allen Dingen auch durch das Engagement der Malala-Stiftung, die ja dann eingerichtet worden ist, unter anderem mit dem Geld aus dem Friedensnobelpreis, tatsächlich etliches zum Besseren gewendet, auch dadurch, dass die pakistanische Zentralregierung begonnen hat, ab 2018 dieses Gebiet nun doch etwas besser zu erschließen. Es sind kleine Schritte, zarte Schritte, aber das ganze Konstrukt ist zurzeit in extremer Gefahr. Aus einem ganz anderen Grund. Im Nachbarland haben die Taliban gewonnen, 2021 - Übernahme.

00:54:21: Martin Und wie man hört, geht da auch Schritt für Schritt der Taliban-Staat vor allen Dingen gegen Frauen vor. Es war zuerst, glaube ich, dass Frauen nicht mehr zur Uni durften, jetzt nicht mehr zur Schule, eigentlich auch nicht mehr aus dem Haus raus. Also Schritt für Schritt ist all das wieder zurückgenommen worden, was über die letzten 20 Jahre, nachdem die Taliban vertrieben worden waren, an Errungenschaften für Frauen zustande gekommen ist.

00:54:46: Marfa Das ganze Programm wird abgespult jetzt in Afghanistan. Und natürlich wird es wieder ein Überschwappen auf die Regionen in Pakistan geben, die jetzt mühsam so ein bisschen unter Kontrolle des pakistanischen Militärs sind. Die Prognosen sind schwierig. Malala selbst hat ja 2018 noch mal ihre Heimat besucht, unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen natürlich. Sie kann eigentlich nicht mehr zurück. Sie lebt ja nach wie vor in Birmingham. Sie hat übrigens inzwischen geheiratet, sie hat sich aus der Öffentlichkeit ganz zurückgezogen. Also man hört ja auch oder liest so gut wie gar nichts mehr von ihr oder über sie. Sie hat studiert, sie hat erst die Schule abgeschlossen, dann hat sie studiert, Politik und Geschichte, hat dann geheiratet und überlegt sich jetzt in Ruhe, was sie machen will, unter Ausschluss der Öffentlichkeit, wie sie sagt. Ihre Stiftung arbeitet weiter, Ihre Stiftung hat ja inzwischen Schulen, auch im Libanon, in Nigeria, in Südamerika an allen möglichen Ecken der Welt eingerichtet und mit Lehrkräften bestückt. Und sie ist so etwas wie die Symbolfigur dieser Stiftung. Wenn irgendwo eine Eröffnung stattfindet, will natürlich jeder Malala als Schirmherrin dort sehen. Das kann sie auch nicht mehr komplett wahrnehmen. Macht sie wohl auch nicht, aber die Arbeit geht im Hintergrund weiter. Das finde ich eigentlich sehr vernünftig, das bisschen weniger spektakulär aus der Öffentlichkeit rauszuhalten. Nichtsdestotrotz hat sie natürlich nicht aus dem Auge verloren, was sie als ihren Auftrag empfindet, für das Recht auf Bildung für jedes Kind auf der Welt zu kämpfen. Und sie weiß, wie groß dieser Kampf ist. Hören wir Sie vielleicht noch einmal aus Ihrer Biografie.

00:56:39: Zitat Malala Ich weiß, wie groß. Dieser Kampf ist auf der Welt gibt es laut UNESCO Bericht 57 Millionen Kinder, die nicht einmal die Grundschule besuchen. 32 Millionen davon sind Mädchen. Leider ist es in meinem eigenem Land Pakistan mit am schlimmsten, obwohl das Recht auf Schulbesuch sogar in der Verfassung steht. Bei uns leben fast 50 Millionen Analphabeten, 2/3 davon sind Frauen. Meine Mutter ist eine von ihnen.

00:57:08: Marko Die Eltern von Malala leben auch beide noch?

00:57:11: Marfa Ja, die ganze Familie lebt in England. Und Malala sagt: Mein jüngster Bruder weiß gar nicht mehr, wie es ist, in Pakistan zu leben. Sie und der mittlere Bruder, die träumen noch immer vom Swat-Tal, sagt sie auch: Ich träume davon. Der Jüngste ist reiner Engländer, der kennt fast nichts anderes.

00:57:29: Marko Über die Geschichte eines Mädchens, das die Heimat verloren hat, aber die Herzen vieler Menschen auf dieser Welt erobert hat und sich stark gemacht hat dafür, dass Mädchen, aber auch alle anderen Kinder dieser Welt eine ordentliche Bildung bekommen. Darüber hat uns heute Marfa Heimbach erzählt.

00:57:46: Martin Ganz herzlichen Dank, dass du dabei gewesen bist.

00:57:48: Marfa Hat mir Spaß gemacht.

00:57:49: Martin Wenn euch diese Folge der Geschichte Macher gefallen hat, dann sagt es bitte allen Freunden und Bekannten, der Familie enger und weiter Familienkreis. Und wenn es euch nicht gefallen hat...

00:57:59: Marko Dann sagt es doch bitte uns und bitteschön nur uns unter:

00:58:04: Martin www.diegeschichtsmacher.de - das ist unsere Homepage. Da könnt ihr alle Informationen zu den Geschichtsmachern - zu dieser Folge und allen weiteren finden. Und wir haben auch eine Email-Adresse. Das ist Kontakt@diegeschichtsmacher.de dort könnt ihr uns das schreiben, was euch gefällt oder auch nicht gefällt. Wir sind froh für Kritik und Anregungen. Schreibt uns!

00:58:27: Marko Eine neue Folge wird es wieder geben in einem Monat. Bis dahin sagen wir Tschüss.

00:58:32: Marfa Tschüss.

00:58:32: Martin Tschüss.

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