Goethes Gebeine - Nächtlicher Besuch

Shownotes

Über 130 Jahre ruht er schon in seinem Sarg - da fällt es in den 1960ern erstmals auf: Goethes Gebeine gammeln! Aus der Gruft des Nationalheiligen müffelt es modrig, dabei sollte der Leichnam eigentlich in einer Metallhülle vor dem Verfall bewahrt werden. Allein die 5000 DDR-Mark fehlen - und erst 1970 schreiten, unter Einhaltung größtmöglicher Diskretion, Experten in Sachen Konservierung bei Nacht und Nebel zur Tat. Es geht darum, Goethes Leichnam zu erhalten.

Martin hat sich für sein WDR-Zeitzeichen auf die Reise nach Weimar gemacht und sich in der Fürstengruft, wo die Gebeine Schillers und Goethes liegen, mit Dr. Christoph Schmälzle getroffen. Damals war der noch bei der Klassik Stiftung Weimar angestellt. Eines seiner Spezialgebiete: Die sterblichen Überreste der Dichtergrößen.

Heute arbeitet der Kulturwissenschaftler im LVR-Landesmuseum in Bonn und wagt mit Martin Herzog und Marko Rösseler noch einmal einen Blick über den Sargrand…

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Wichtige Links zu dieser Folge:

Martins Zeitzeichen zum 2. November 1970: Exhumierung von Johann Wolfgang von Goethe, ausgestrahlt am 02.11.2020 findet ihr hier.

Den Stichtag zu Goethes Leichnam, also die Kurzfassung des Zeitzeichens (damals noch von den Autorinnen und Autoren des Zeitzeichens, heute aus dem Hause der Kolleginnen und Kollegen von Radio Bremen) findet ihr hier.

Wer zur Fürstengruft nach Weimar will, für den geht es hier entlang…

Und hier findet ihr das LVR LandesMuseum Bonn, wo Christoph Schmälzle arbeitet, seit er Weimar den Rücken gekehrt hat.

Einen Artikel von Christoph Schmälzle in der FAZ über die Rettungsaktion von Goethes Gebeinen im Jahre 1970 findet ihr hier

Transkript anzeigen

GM Goethes Gebeine Teil1.wav

00:00:07: Marko Es ist Nacht. Das Käuzchen ruft, der Nebel wabert geheimnisvoll. Wir befinden uns, oh Schreck, auf einem Friedhof.

00:00:15: Martin Ja, auf dem historischen Friedhof in Weimar, um genau zu sein. Und zwar am 2. November 1970. Und wir folgen sieben hochgelehrten Herren, die einen Bollerwagen ziehen, im geheimen Auftrag zur so genannten Fürstengruft.

00:00:33: Marko Mit Bollerwagen.

00:00:34: Martin Mit Bollerwagen.

00:00:35: Marko Is Vatertag?

00:00:35: Marko Ne, da ist Werkzeug drauf, eine Fotoausrüstung und eine Trittleiter. Denn was die Herren sich da vorgesetzt haben, das soll gut dokumentiert werden. Deswegen die Fotoausrüstung. Und das ist nichts weniger als die Störung der Totenruhe zwecks Leichenschau und nicht von irgendwem, sondern von der Nationalikone der deutschen Hochkultur, Johann Wolfgang von Goethe. Und wir stören die Totenruhe heute mit.

00:01:05: Marko Und ihr könnt dabei sein bei...

00:01:07: Intro Die Geschichtsmacher. Von den Autorinnen und Autoren des Zeichens.

00:01:24: Marko Zum Zwecke der Feststellung des Erhaltungszustandes des Leichnams von Goethe fand eine Besichtigung statt. Sie war dringend notwendig geworden weil, wahrscheinlich durch die Feuchtigkeit in der Gruft, ein Schloss-Beschlag sich gelöst hatte, der Deckel aufklaffte und durch weitere Feuchtigkeitszunahme im Sarg ein beschleunigter Verfall des Leichnams zu befürchten war. Anwesend waren Herr Professor Bolck, Rektor der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Herr Professor Hansen, Gerichtsmedizinischen Institut Jena, Herr Professor Behm-Blanke, Direktor des Museums für Ur- und Frühgeschichte Thüringens in Weimar, Herr Dr. Ehrlich, Leiter des Goethe-Nationalmuseums, Chef-Restaurator Ersfeld vom Museum für Ur- und Frühgeschichte Thüringens in Weimar, Oberrestaurator Blumenstein vom gleichen Museum und Oberrestaurator Hucke ebenfalls vom gleichen Museum als Fotograf. Jawohl, so steht es in der Sonderakte Mazeration Goethe. Da sind also sieben Herren, hochgelehrte Herren in dieser Nacht vom 2. November 1970 in die Gruft, in die Fürsten Gruft in Weimar hinunter gestiegen.

00:02:39: Marko Um den Herrn Geheimrat zu mazerieren. Was mazerieren genau bedeutet, was sie an diesem Abend mit Herrn Goethe anstellten und was das Ganze mit der deutsch-deutschen Geschichte zu tun hat, darüber reden wir heute in die Geschichtsmacher. Der Martin hat darüber ein Zeitzeichen gemacht, und einmal im Monat stellen wir ja Kollegen und Kolleginnen vor, die ein Zeitzeichen zu einem Thema gemacht haben. Den Martin hat es halt in dem Fall nach Weimar verschlagen und dort in die Fürstengruft. Nun muss man sagen, der Martin ist natürlich ein Banause, wir wissen es ja alle...

00:03:11: Martin Ja, so sieht es aus.

00:03:11: Marko Ich glaube ich, er er hat noch nie überhaupt ein einziges Buch von Goethe gelesen, stimmt's?

00:03:15: Martin Das ist soweit richtig. Ich musste in der Abiturprüfung Deutsch Leistungskurs ein Goethe- Gedicht interpretieren, auf das ich mich komplett nicht vorbereitet habe. Aber ansonsten weiß ich über Goethe halt das, was man in der Schule weiß. Und ich bin kein Goethe-Experte, nein, und auch kein Experte für die deutsche Klassik. Das ist ja eher so dein Beritt.

00:03:34: Marko Ja, ich war eine ganze Zeit auf Goethe-Zeitzeichen abonniert, das ist so.,.

00:03:40: Martin Aber das hast du nicht gekriegt. Das habe ich gekriegt, weil ich Spaß an schrägen Themen habe. Und Goethes Gebeine, um die geht es ja, das ist sicherlich ein ziemlich schräges Thema, und da habe ich Spaß dran. Vor allen Dingen, wenn es um dieses weihevolle, hochamtliche Gewese geht, was man um diese Gebeine veranstaltet hat, das finde ich spannend. Und diese quasi religiöse Ehrfurcht, die den sterblichen Überresten des Dichterfürsten entgegengebracht werden. Ich bin da selber eher ein bisschen nüchtern unterwegs, wenn es um sterbliche Überreste geht. Aber ich finde das faszinierend, wie diese, wie die Gesellschaft damit umgeht und die Gedenkkultur, die Riten, die Symbolik und vor allen Dingen dann, wenn es um so eine nationale Ikone geht wie den guten Geheimrat.

00:04:22: Martin Und dann hat sich nichts mehr gehalten, hast dich ins Auto gesetzt oder in die Bahn.

00:04:26: Martin Ins Auto...

00:04:26: Marko Und bist nach Weimar gefahren.

00:04:28: Martin So sieht's aus, genau in dieses hübsche Puppenhaus-Städtchen in Thüringen. Was da in den 90er Jahren nach der Wende als allererstes und mit am aufwändigsten komplett restauriert worden ist und saniert worden ist. Und ja wahrscheinlich auch deswegen, schlicht und ergreifend, weil es eben diese Herzkammer der deutschen Hochkultur ist. Da haste dann Goethes Gartenhaus und das Schiller-Museum, das Nationaltheater, das Nietzsche-Archiv, die barocke Anna-Amalia-Bibliothek, das Bauhaus-Museum und ich weiß nicht was noch alles.

00:04:59: Marko Und es gibt einen Friedhof...

00:05:00: Martin Und es gibt eben den Friedhof, den historischen Friedhof in Weimar mit der Fürstengruft.

00:05:08: Marko Weil da die Dichterfürsten liegen?

00:05:09: Marko Weil da die Dichterfürsten liegen. Ja, aber nein, eigentlich nicht, weil es den Fürsten zu Sachsen-Weimar-Eisenach gibt oder gab. Und die liegen da alle in dieser Fürstengruft.

00:05:21: Marko In trauter Nachbarschaft mit den Dichtern?

00:05:23: Martin Genau. Also die Fürsten kennt kein Mensch mehr heute. Um zu wissen, wer da wer ist, braucht man einen Lageplan. Den kriegt man auch ausgehändigt, wenn man dort diese Fürstengruft besucht.

00:05:33: Marko Ach, man darf da einfach so rein?

00:05:34: Martin Man darf da rein, ja, kann sich das angucken und das habe ich auch gemacht. Also man steigt dann dort hinab in die Gruft und da begegnet einem als allererstes, wenn man die Treppe runterkommt, dieses Ensemble, bestehend aus zwei Särgen, nämlich dem von Goethe und dem von Schiller. Und das steht auch in goldenen Lettern vorne drauf, wer da wo liegt. Ja, und das habe ich dann auch gemacht und habe da unten eine Reihe von Touristen getroffen und die gefragt, was sie denn da so eigentlich hintreibt in diese Gruft zu Goethe und Schiller.

00:06:06: O-Ton Martin als Reporter Ist das was Besonders für Sie, dass die Gebeine hier auch liegen von Goethe?

00:06:10: Besucherin Ja, finde ich schon. Also es ist für mich schon ein ehrfürchtiger Raum und ich finde es auch sehr schön, dass man die überirdisch aufbahrt und nicht unterirdisch. Ja, wir sind hier das erste Mal in Weimar und gucken uns alles Mögliche an und die gehören hier zur Stadt. Und dann machen wir auch Fotos davon.

00:06:31: Martin als Reporter Finden Sie das normal, dass da zwei Dichter nebeneinander liegen? Man könnte ja auch denken, dass die Familie vielleicht daneben bestattet wäre und nicht gerade sein bester Kumpel.

00:06:38: Besucherin Das kann ich Ihnen so nicht beantworten. Aber oben sind ja auch die Statuen beide zusammen. Dann können die auch hier beide zusammen liegen.

00:06:46: Besucher Na ja, ich meine, das ist die Wiege der Literatur der deutschen Literatur und ich denke, daher muss man sich das irgendwie mal angucken und so ein bisschen verinnerlichen.

00:06:56: Martin als Reporter Sie haben gerade die Grablege von Goethe und Schiller, die beiden Särge fotografiert. Warum?

00:07:01: Besucherin Weil ich die beide einfach als Personen, also sie interessieren mich als Personen und auch ihre Werke. Und es interessiert mich einfach an sich die Person: Wie er hier gelebt hat, wie er hier auch Inspiration gefunden hat und eben so ein bisschen auf Goethes Spuren zu wandern. Und ich finde, das gehört eben auch dazu, wo er seine letzte Ruhe gefunden hat. Und ja, ich finde es einfach schön, dass er neben Schiller quasi sein Grab hat, weil er ja doch eine enge Freundschaft verbunden hat und auch bis zu Schillers Tod. Und das finde ich immer schön, so diesen Abschluss. Und dass die beiden so ja die auch diese Weimarer Klassik mitbegründet haben, dass sie jetzt auch gemeinsam ihre Ruhe finden.

00:07:42: Marko Die Ruhe finden, haha. Aber dass man Goethe und Schiller zusammenlegt in freundschaftlicher Eintracht. Die beiden hatten ja zumindest die letzten Lebensjahrzehnte nicht gemeinsam - Schiller ist ja viel früher gestorben - 1805, glaube ich. Aber dass sie dann im Tod zusammenfinden, ist irgendwie sehr naheliegend.

00:07:58: Martin Ja, es ist sehr naheliegend, aber natürlich kein Zufall. Das war geplant von diesem Fürsten, der zu Goethes Zeiten hier regiert hat.

00:08:07: Marko Carl August.

00:08:07: Martin Das war Carl August, genau, der viele Jahrzehnte mit Goethe und aber auch mit Schiller befreundet war.

00:08:13: Marko Mit Goethe alt geworden ist, der hat Goethe kennengelernt und nach Weimar geholt, da war er gerade mal 18 Jahre alt.

00:08:19: Martin Ja, die waren nur ein paar Jahre auseinander, richtig. Und deswegen hat Carl August verfügt, dass die beiden eben auch zusammen in dieser Familien-, dieser fürstlichen Familiengruft beigesetzt werden sollen. Wie das genau gelaufen ist, das hat mir Christoph Schmälzle erzählt. Der ist Kunsthistoriker und arbeitete damals, als ich in Weimar war, für die Stiftung Weimarer Klassik.

00:08:42: Marko Und den hast du in der Gruft getroffen.

00:08:44: Martin Eben da.

00:08:44: Christoph Schmälzle Als man 1827 Schiller hier niedergelegt hat, in so einer relativ spontanen Entscheidung von Großherzog Carl August, seine Gruft, seine Familien-Grablege für seinen Dichter-Freund zu öffnen, hat man schon geplant, dass man Goethe hier auch niederlegen würde. Und man hat eben zwei identische schlichte Eichen-Särge, die mit diesen Metall-Buchstaben beschriftet sind. Aber sie sind natürlich schlicht aus dem Geist des Klassizismus. Also sie haben diese sehr eleganten, gestuften Deckel, sie haben diese Ringe zum Tragen. Auf jeder Seite vier Ringe, wo man die anfassen kann, wenn man sie transportiert. Und das ist eben massives Eichenholz. Also die sind schon im klassizistischen Geiste aus hochwertigen Materialien als Pendants angefertigt worden.

00:09:34: Martin als Reporter Und nun liegen die beiden nebeneinander. Ihrer eigenen Beerdigung konnten sie beide nicht entgehen.

00:09:40: Christoph Schmälzle Das ist in der Tat ein merkwürdiger Vorgang, weil Schiller wusste das ja nicht, Schiller starb ohne zu wissen, was postum mit ihm geschehen würde. Goethe starb im Bewusstsein, dass Schiller hier schon liegt, in der Fürstengruft, und Goethe starb im Bewusstsein, dass er neben Schiller gebettet würde. Es geht in beiden Fällen natürlich auch um eine national-kulturelle Vereinnahmung und auch um eine Vereinnahmung für den literarischen Nachruhm. Also der alte Goethe war ja ein Monument seiner eigenen Bedeutsamkeit. Also er saß da so als eiskalter Olympier in seinem Haus am Frauenplan und war sozusagen das Denkmal seines eigenen Ruhms. Aber es war natürlich klar, dass er für die Nationalliteratur eine absolut zentrale Figur ist und dass man ihn deswegen hier auch entsprechend inszeniert. Und dass er neben Schiller auch gehört, weil die beiden in jeder Literaturgeschichte - und da stehen die beiden einfach als die beiden Weimarer Dioskuren nebeneinander -und als solche werden sie hier auch gezeigt.

00:10:37: Marko Und, oh Wunder der Technik, eben noch in der Weimarer Fürstengruft unterwegs. Und jetzt ist er zu Gast bei uns. Christoph Schmälzle, Kunsthistoriker und Weimar-Kenner. Kann ich das so sagen?

00:10:49: Christoph Schmälzle Können Sie sagen ganz wunderbar.

00:10:50: Marko Jetzt sind Sie aber hier im Rheinland.

00:10:52: Christoph Schmälzle Ja, ich konnte glücklich die weiten Wälder Germaniens verlassen und bin jetzt hier sozusagen heimgekehrt ins Römische Reich.

00:10:59: Marko Herzlich willkommen!

00:10:59: Christoph Schmälzle Ja, ich freue mich auch sehr, im Rheinland zu sein und hier mit Ihnen in Köln zu sitzen.

00:11:04: Marko Ja, man merkt, dass die Römer hier waren, dass das denke ich mir auch immer. Irgendwie, das ist ein anderer Kulturkreis, wenn man den Rhein überschreitet - jenseits der Elbe, wird es ganz anders.

00:11:13: Christoph Schmälzle Unbedingt, das ist ein großer Moment, wenn man mit so einem Erfurter Umzugswagen über die Rheinbrücke braust und den Dom schon grüßen sieht.

00:11:19: Martin Aber heute geht es noch mal zurück in die germanischen Wälder, nach Weimar, wo sie bei der Stiftung Weimarer Klassik beschäftigt waren mit Goethes Leben und mit Goethes Tod, unter anderem. Auch mit Schiller und dessen Schädel. Der wird bei uns auch noch eine Rolle spielen. In der nächsten Folge der Geschichtsmacher.

00:11:36: Marko Also man könnte sagen, wir machen jetzt sozusagen zwei Folgen Nekrophilie in Weimar. Oder nekorphil in Weimar, so könnte man es sagen.

00:11:43: Christoph Schmälzle So ein Doppelpack gewissermaßen. Zwei Mal Knochen.

00:11:45: Marko So ist der Plan. Und Sie sind immer dabei - schön.

00:11:46: Martin Aber das Thema Nekrophilie und vor allen Dingen, wenn es um den Nationalheiligen Goethe geht, das ist so ein heikles Thema bei der Klassik Stiftung Weimar habe ich so ein bisschen den Eindruck bekommen, als ich zu dem Thema Goethe und dessen Gebeine und dessen Umgang mit seinen Gebeinen recherchiert habe. Ist das richtig, der Eindruck.

00:12:08: Christoph Schmälzle Also es müsste so nicht sein, aber es hat viel mit dem, mit dem quasi-sakralen Status dieser Reliquien, Relikte, Gebeine zu tun. Also es ist eigentlich wie in der katholischen Kirche, dass ein Heiliger in dem Moment, in dem er kanonisiert wird, seine Totenruhe verliert, weil man das, was an so einen Heiligen, an einen nationalkulturellen Heroen erinnert, das, was von ihm bleibt, nicht nur sein Hausrat, seine Bücher, seine Handschriften, sondern eben auch seine Gebeine, das darf ja nicht verloren gehen, weil das sind ja Dinge, auf die sich jahrhundertelange Verehrung richtet. Man möchte auf keinen Fall in den Verdacht kommen, diese Dinge nicht gut genug zu pflegen, sie nicht treu genug für die Nachwelt zu bewahren.

00:12:57: Martin Jetzt haben wir aber am Anfang in diesem Auszug gehört, dass offensichtlich an diesem Sarg da irgendwelche Beschläge beschädigt waren und dass der Sarg halb offen stand und dass man da eben dann 1970 eine Abordnung von sieben Professoren und Museumsdirektoren dorthin geschickt hat, um zu schauen, was da Sache ist. Wie konnte es denn dazu kommen, dass dieser Sarg und sein Inhalt überhaupt in so einem schlechten Zustand ist?

00:13:27: Christoph Schmälzle Also zunächst mal muss man ja sagen, diese Herren gingen da ja nicht hin, um etwas Böses zu tun, sondern um die Gebeine zu retten. Wir können jetzt drüber sprechen, wie das abgelaufen ist und was da auch für Merkwürdigkeiten passiert sind.

00:13:44: Marko Also erst mal ist es ja sehr seltsam, dass die da bei Nacht und Nebel hingehen. Könnte man ja auch bei Tage machen.

00:13:48: Christoph Schmälzle Ja, man wollte tatsächlich kein Aufsehen erregen. Aber mir ist erst mal was anderes noch wichtig, dass man eben erst mal sich klarmacht, die wollten diese Gebeine retten. Und jetzt haben wir eben das ganz praktische Problem. Also der normale Mensch lässt sich heute ja oft sogar verbrennen und dann möglichst preiswert in einer kompostierbaren Urne schnell entsorgen, vielleicht sogar noch im Friedwald. Bei einem Heiligen oder einem Nationalheroen, der in einer Gruft bestattet wird, haben wir ein ganz anderes Problem. Da liegt sozusagen ein Toter in einem Sarg, der frei zugänglich, sozusagen in einem unterirdischen aber zugänglichen Raum liegt, mit dem Anspruch, dass dieser Sarg und das, was in ihm bewahrt wird, Jahrhunderte überdauert. Jetzt sind aber dummerweise Leichen feucht und Särge aus Holz und Grüfte auch klimatisch nicht optimal. Und das hat eine Vorgeschichte, die geht eigentlich schon in die 60er Jahre zurück, dass man gemerkt hat, diese Särge, sowohl Goethe als auch Schiller, die fangen an zu modern, das Holz wird feucht, man muss da irgendwas machen. Also da stand ein Handlungsbedarf schon lange im Raum.

00:14:59: Marko Wenn wir also in den 60er Jahren da draufgucken, hat man das Problem. Okay, es ist klar, die gehen jetzt den Weg allen Sterblichens. Das heißt, die beiden Dichter gammeln. So ist es?

00:15:10: Christoph Schmälzle Kann man so sagen. Die Dichter, die Dichter gammeln und man muss da ran. Also auch mit den ganzen Dingen, die wir heute aus Umwelt- und Gesundheitsschutz gar nicht mehr verwenden. Also es wurde zunächst mal Schillers Sarg behandelt mit diesem Holzschutzmittel Xylamon, was vor einigen Jahrzehnten ja auch sehr in der Diskussion war...

00:15:29: Marko Krebserregend, ne?

00:15:30: Christoph Schmälzle Damit kriegt man aber das feuchte Holz stabil. Und für den Toten, der kann ja keinen Krebs mehr kriegen, dem ist das ja wurscht.

00:15:37: Marko Schon klar.

00:15:38: Christoph Schmälzle Aber so ein nationalkulturell bedeutender Sarg mit einem nationalkulturellen Gebein, der darf einfach nicht vermodern. Das ist was komplett anderes. Wenn sie den Sarg einfach bestatten in der Erde, dann soll er ja vermodern, soll verschwinden. Oder wenn man so wie bei Schillers Bestattung in einer Gruft für eine vielfache Bestattung liegt, die nicht für die Besichtigung und die Bewahrung angelegt ist, dann sollen die Särge zerfallen. In so einer Gruft wie der Fürstengruft, genauso wie bei einem katholischen Heiligen, der in einem Glasschrein unter einem Altar liegt. Da sollen die Dinge ja stabil sein, die müssen die Zeit überdauern.

00:16:14: Marko Aber das heißt, darüber musste man sich ja eigentlich 1832 schon Gedanken gemacht haben und hat doch wahrscheinlich Vorkehrungen getroffen, damit die beiden nicht verfallen.

00:16:23: Christoph Schmälzle Das hat man nach allem, was man auch aus der Bestattung von Heiligen und vor allem auch von Fürsten weiß, also in so einem hölzernen Sarg ist natürlich eine metallische Auskleidung, die erst mal die Feuchtigkeit einkapselt und die oben auch zugelötet wird, also in einem hölzernen Sarg aus dieser Zeit für eine so bedeutende Person muss man sich immer eine Metall-Kapsel, die luftdicht verschlossen wird.

00:16:46: Martin Bleisarg.

00:16:47: Christoph Schmälzle Genau: Blei oder Zink. Da gibt es verschiedene Materialien. Und dadurch, dass das luftdicht verschlossen wird, hat man eine hohe Stabilität. Dann bildet sich ein stabiles Mikroklima und in der Regel dann ja auch eine Form von von Mumifizierung. Es darf da halt keine Luft rein.

00:17:06: Marko So war der Plan 1832.

00:17:08: Christoph Schmälzle Und so macht man das mit Heiligen und mit Fürsten seit jeher. Also da gibt es eine große Expertise.

00:17:14: Marko Und dann muss man sich ja fragen: Okay, wenn man das schon so lange weiß und wenn man Heilige lange aufbewahren kann, warum fangen die dann in den 60er Jahren an zu gammeln? Das ist die große Frage. Warum ist das so?

00:17:24: Christoph Schmälzle Ja, man stellt gerade bei Goethe fest: Das Problem ist nicht nur das Holz des Sarges, sondern das ist eigentlich diese innere Metall Kapsel. Da fehlt der Deckel. Und man sieht, als man den Sarg 63 öffnet, dass da offenbar der Deckel richtig abgeschnitten wurde und dass da was fehlt. Und das führt natürlich sofort zu der Frage: Wann ist das passiert....

00:17:44: Marko Wer war das?

00:17:45: Christoph Schmälzle Wer war das? Ja. Wo ist der Deckel? Wie im Krimi. Was ist da passiert? Und das ist aktenmäßig erst mal nicht zu fassen. Aber man denkt natürlich sofort an den Zweiten Weltkrieg.

00:17:57: Marko Was ist denn im Zweiten Weltkrieg Schreckliches passiert? Dass man Goethe den Deckel geklaut hat!

00:18:02: Christoph Schmälzle Also hochspannende Frage. Wir wissen, dass die Särge nach Jena ausgelagert wurden. Das war umstritten. Es gab auch aufrechte Nationalsozialisten, auch unter den Mitarbeitern der damaligen klassischen Stätten in Weimar, die sagten: Die Särge bleiben wo sie sind, auch im Bombenkrieg.

00:18:21: Marko Also wir befinden uns in den Endzügen des Zweiten Weltkrieges. Es ist klar, die Amerikaner werden kommen. In Jena und in Weimar.

00:18:29: Christoph Schmälzle Und es ist auch klar: Weimar wurde bombardiert. Also am Frauenplan, gegenüber des Goethe- Wohnhauses ist ja bis heute eine Baulücke, wo jetzt ein Kinderspielplatz ist. Das Goethehaus hat einen schweren Bombentreffer bekommen, das Schiller-Haus wurde beschädigt. Also wir sind sozusagen auf dem Höhepunkt des Krieges. Und es gibt stramme Nationalsozialisten, die sagen, die Särge bleiben hier, sozusagen als Aufforderung zum Durchhalten. Und wenn dann am Ende von der Fürstengruft ein Trümmerhaufen bleibt, macht man eine Marmorplatte ran und sagt: Hier ruhen Goethe und Schiller und hat dadurch so eine Art Anklage, wie die Alliierten so kulturlos sein konnten, eine Stadt wie Weimar zu bombardieren.

00:19:08: Marko Aber man hat sich dann offenbar entschlossen, die beiden zu evakuieren.

00:19:11: Christoph Schmälzle Man hat sich entschlossen, obwohl es nicht unumstritten war. Und da wurde zwischen Goethe- Gesellschaft, herzoglicher Schatull-Verwaltung und den museal Verantwortlichen auch wirklich gerungen, wann und wie man das macht.

00:19:22: Martin Ja, dazu findet sich auch ein amtliches Papier, Wenn du das vielleicht mal gerade vorlesen willst von der großherzoglichen sächsischen Schatull-Verwaltung aus dem Herbst 1944...

00:19:34: Zitat Schatullverwaltung Abtransport der Dichter Särge genehmigt unter der Bedingung, dass sie später in die Fürstengruft zurückkehren. Erwünscht ist unter derselben Voraussetzung auch gleichzeitig Abtransport des Sarkophags des Dichter-Förderers und Freundes Großherzog Carl August. Weimar, den 27. September 1944. Großherzoglich-Sächsische Schatulle-Verwaltung.

00:19:58: Martin Ja, und das ist dann auch passiert, als es dann wirklich knapp wurde, als die westliche Front, die Amerikaner herangerückt sind.

00:20:04: Christoph Schmälzle Es ist passiert und Carl August wurde zurückgelassen. Also das ist eine eine Pointe dabei. Die Schatulle Verwaltung bittet darum, dass der Dichter Förderer auch mitkommt. Der blieb da. Man hat nur Goethe und Schiller gerettet, hat sie in einen Sanitäterbunker in Jena gebracht, wo sie auch sozusagen die Ankunft der Amerikaner glücklich erlebt haben. Aber auch das war knapp, denn es gab einen Zerstörungs-Befehl. Also es gab einen Befehl: Bevor die Amerikaner kommen und uns möglicherweise die Dichter rauben. So war die Stimmung in der Zeit.

00:20:39: Marko Dann werden wir sie lieber selbst vernichten.

00:20:42: Christoph Schmälzle Dann werden wir sie zerstören. Also es gab, wie ja so oft in der Endphase des Krieges, diese Idee, bevor Dinge dem Feind in die Hände fallen, lieber zerstören, verbrannte Erde hinterlassen. Und ein Arzt hat sie dann hinter Sanitätszeug versteckt, so dass - so weit wir der Überlieferung glauben können - das Spreng Kommando einfach nicht mehr rechtzeitig diese Särge beibringen.

00:21:03: Martin Also ein Arzt in einem Bunker in Jena hat dafür gesorgt, dass die Särge irgendwo hinter Flaschen und Tiegeln und Verbandszeug versteckt werden, damit die Deutschen nicht in der Lage sind, diese beiden Särge samt Inhalt zu vernichten.

00:21:15: Christoph Schmälzle Und er wurde dafür dann ja auch noch angeklagt. Aber die Amerikaner waren einfach rechtzeitig da. Und er konnte dann auch dafür sorgen, dass die Särge, kurz bevor er in Kriegsgefangenschaft geriet, dafür sorgen, dass man diese Särge sozusagen wieder vorholt und zurück nach Weimar führt. Weil die Amerikaner waren empört, dass man ihnen so etwas überhaupt vorwirft wie Dichterknochen-Diebstahl.

00:21:37: Marko Nein, so etwas machen die Amerikaner nicht. Ganz im Gegenteil. Auf keinen Fall. Man bombardiert deutsche Städte, aber man würde doch niemals, nie, niemals würde man die beiden Dichterfürsten entführen, oder?

00:21:47: Christoph Schmälzle Ja, das. Das ist die Haltung des. Da gibt es einen entscheidenden amerikanischen Offizier, Major Brown, der, wo man auch sieht, wie wichtig Bildung ist, in seiner amerikanischen Hochschulbildung auch Deutsch gelernt hat und die Schriften der Klassiker gelesen hat. Der konnte Deutsch, der hat diese Särge gesehen und hat sofort seine sozusagen militärische Ehrensache darin erkannt, mit amerikanischen Militärfahrzeugen und einer kleinen improvisierten Ehrengarde diese beiden Särge zurück nach Weimar bringen zu lassen und in die Fürstenguft wieder zu bringen.

00:22:21: Martin Also die Amerikaner haben dafür gesorgt, auch mit eigenen Fahrzeugen, dass die Dichter wieder dahin kommen, wo sie hingehören, nämlich in die Fürstengruft nach Weimar. Da gibt es auch dazu eine Bekanntmachung des Stadt-Vorstandes in Weimar, die 1945 dann kurz nach Kriegsende überall ausgehängt wurde, in Weimar. Marko, vielleicht magst du die auch nochmal lesen...

00:22:45: Marko Am Sonnabend, dem zwölften Mai 1945, abends 6 Uhr. Drei Tage nach Schillers 140. Todestag, sind die Särge Goethes und Schillers wieder an ihren alten Platz in der Fürstengruft gelangt. Vor Monaten waren sie in dunkler Winter-Abendstunde auf Anordnung des damaligen Polizeipräsidenten aus Weimar in einen Bunker in Jena gebracht worden.

00:23:08: Martin Winter-Abendstunde - es ist immer irgendwie Winter und Nacht...

00:23:13: Christoph Schmälzle Es sind immer auch Narrative, natürlich, da wird immer auch Stimmung und Pathos erzeugt, das ist klar.

00:23:16: Marko Die Unerschrockenheit und rasche Entschlusskraft mehrerer im Bunker tätiger Männer hat die Särge dort vor der im Falle der Besetzung Jenas angeordneten Sprengung gerettet. Ihre Rückführung verdankt Weimar der persönlichen Initiative des Gouverneurs des Stadt- und Landkreises Weimar, Herrn Major William M. Brown. Er hat die notwendigen Wege geebnet und den Transport selbst mit aller Sorgfalt und Pietät vorbereitet, überwacht und durchgeführt.

00:23:45: Martin Ja, also das zeigt, dass man zumindest damals noch sehr genau wusste, wer denn dieser Goethe und wer dieser Schiller war. Auch in Übersee, auch in den USA. Also es scheint ja so eine Bedeutung der Gebeine nicht nur offiziell zu geben, sondern offensichtlich hat sich da ein Major berufen gefühlt, dafür zu sorgen, persönlich, dass die Gebeine wieder dorthin kommen, wo sie hingehören.

00:24:09: Christoph Schmälzle Wir haben hier immer, immer beides. Es sind die persönlichen Bildungs-Erlebnisse und persönlichen Überzeugungen und die große staatliche Kulturpolitik. Also die Amerikaner machen das ja irgendwie ganz cool. Also mit ein paar Pickups und ein paar Soldaten, die da als Ehrengarde dann an an der Fürstengruft stehen. Aber es ist eine relativ kleine improvisierte Feier. Und dann kommt ja das Drama Thüringens: Die Amerikaner ziehen sich zurück und die Russen übernehmen und die Russen machen dann noch mal eine Feier. Das ist auch ganz spannend. Auch die Russen stellen sich dann ein paar Monate später an die Särge und reklamieren das klassische Erbe, also sozusagen, wie es in der sozialistischen Diktion heißt, diesen aufgeklärten Humanismus für ihre Ideologie, stellen sich da hin und sagen: Die Rote Armee schützt Kulturgut.

00:25:00: Martin So, also jetzt kommen die Särge wieder an ihren angestammten Platz. Wunderbar, alles hat seine Ordnung wieder. Aber irgendwas muss ja da passiert sein, denn ein paar Jahre später, knapp 20 Jahre später, fehlt eben dieser Deckel. Wer hat den Deckel geklaut? Waren es die Nazis? Waren es die Amis? Oder waren es am Ende die Russen?

00:25:21: Christoph Schmälzle Wir werden das nie erfahren. Das ist das Schöne daran. Wir können wild spekulieren, je nachdem, wem wir die Schuld in die Schuhe schieben wollen. Aber ganz seriös quellenkritisch können wir sagen: Wir haben kein Dokument, aber wir haben den Befund am Sarg, dass da mal jemand dran gewesen sein muss.

00:25:41: Martin Und das war 1963. Sie haben es eben schon erwähnt, dass man da das zum ersten Mal inspiziert hat wieder. Da gibt es einen Bericht auch, der uns erhalten geblieben ist. Ein Bericht über die Öffnung des Goethe-Sarkophages am 22. April 63 und da gibt es eine Schlussfolgerung für die Restaurierung. Also was macht man jetzt mit diesen Gebeinen?

00:26:06: Zitat Bericht Aufgrund der Besichtigung sind wir der Meinung, dass ein Verbleiben im jetzigen Zustand in absehbarer Zeit zum völligen Verfall führen wird. Es gibt nach unserer Ansicht keine Möglichkeit, diesen Prozess aufzuhalten. Ein Austrocknen und Umbetten in einen anderen Zink- Sarg würde zwangsläufig zum Auseinanderfallen des Toten führen. Der schon jetzt völlig unwürdige Zustand würde dadurch noch verstärkt werden. Aus ästhetischen Gründen und vom Standpunkt des Restaurator schlagen wir daher vor, erstens den Toten zu skelettieren, zweitens die Textilien zu reinigen und zu konservieren. Drittens, den Sarkophag zu reinigen und neu auszuspannen. Viertens die Gebeine wieder zu betten und mit dem konservierten Totenhemd zu bedecken. Damit wäre die Erhaltung der leiblichen Reste des großen Toten in einem würdigen Zustand auf lange Zeit gesichert.

00:27:01: Martin Tja, und das heißt 1963 war eigentlich schon klar, da muss was passieren.

00:27:08: Christoph Schmälzle Ja, aber es hätte 5000 Mark gekostet und da war genau das Problem. Also die Institution war sich bewusst: Es muss was passieren. Das klingt ja auch sehr entschieden, was Sie da noch mal vorgelesen haben.

00:27:20: Marko Ist eine Menge, was die sich vorgenommen haben.

00:27:22: Christoph Schmälzle Aber man hatte dafür keinen Etat. Und wie das dann so ist in der öffentlichen Kulturverwaltung, das war damals nicht anders als heute, bleibt der Vorgang erst mal liegen, weil man ihn ad hoc nicht zu finanzieren weiß, weil man andere Prioritäten hat, weil man das Geld schon verplant hat. Und so gehen dann die Jahre ins Land.

00:27:40: Marko Also es fehlten 5000 D-Mark, nein, nicht D-Mark - DDR, DDR-Mark. Wie viel ist das? Ein Vermögen?

00:27:51: Christoph Schmälzle Es ist nicht ganz einfach zu kalkulieren, aber so plus / minus - ein Trabbi, also für damalige Verhältnisse durchaus viel Geld. Also wenn man sich überlegt, auch was heute so für Autos ausgegeben wird, also keine triviale Summe.

00:28:06: Marko Also Moment mal: Wir haben es mit dem Nationalheiligtum zu tun, wir haben es mit Goethes Leichnam zu tun. Das ist ja nun nicht irgendwie - also wenn Sie die Wahl haben...

00:28:14: Martin Ist der nicht ein Trabbi wert?

00:28:15: Marko Ja genau. So eine Joghurt-Kiste oder die Kiste mit Goethe drin? Das muss man sich doch jetzt mal fragen an der Stelle.

00:28:23: Christoph Schmälzle Wir haben es ja auch mit öffentlicher Kulturverwaltung zu tun, wo man priorisiert, wo man vielleicht zwei Jahre vorher schon ein anderes Projekt angeschoben hat. Also es gibt sozusagen erst mal keinen Sonder-Fund für modernde Dichter-Knochen, sondern man legt das mal beiseite. Aber Sie haben Recht: Es gibt eine gewisse Spannung zwischen dem Pathos des Bewahrens und der fehlenden Bereitschaft, die als dringlich erkannte Konservierung dann doch irgendwie auch aufzuschieben.

00:28:56: Martin Es steht ja sehr, sehr klar drin, das muss alles passieren. Und dann ist das 1963 und dann passiert erst mal jahrelang nüscht. Bis 1970 dann.

00:29:08: Christoph Schmälzle Als es dann wirklich noch mal dramatischer, deutlicher wird, da springt da schon so ein Scharnier auf und es soll auch übel gerochen haben, zunehmend.

00:29:19: Martin Und an der Stelle, da setzt dann auch die Sonder-Akte Mazeration Goethe ein.

00:29:25: Marko Mazeration - was ein Wort?

00:29:26: Martin Was ein Wort - und was das ist, das klären wir auch noch. Aber vielleicht begeben wir uns erst noch mal gemeinsam mit diesen sieben Herren in die Gruft. Machen wir noch mal ein bisschen so hier Atmo-Gruft, Gruft-Atmo dazu und dann lass uns mal hören, was die Herren, die da in die Gruft hinabgestiegen sind, so zu sehen bekommen jhaben.

00:29:45: Marko Das ist jetzt das Protokoll.

00:29:46: Martin Das ist das Protokoll.

00:29:47: Marko Das Protokoll der nächtlichen ersten Sitzung mit Goethe.

00:29:52: Martin So sieht das aus, ja.

00:29:53: Marko Der Goehte-Sarkophag wurde um 18:30h in Gegenwart der angeführten Herren geöffnet, und zwar mithilfe der drei noch intakten Schlösser. Es bot sich im Wesentlichen der gleiche Anblick wie bei der Öffnung 1963, nur dass sich der Gesamtzustand deutlich verschlechtert hatte. Die Gesichtspartien waren inzwischen völlig mit den Hüllen der Aaskäferlarven bedeckt. Der ganze Körper war sichtbar eingefallen und insgesamt um circa 15 Zentimeter tiefer in das Seegras der Bettung eingesunken. Der ehemals ausgewölbte Brustkorb lag dadurch flach abgesunken. Der Zusammenhang der Hand- und Fußknochen war noch mehr verloren gegangen. Die Überreste der Strümpfe, des Handschuh der linken Hand und der Schuhe, die 1963 noch deutlich vorhanden waren, konnte man kaum noch erkennen. Lediglich der frei liegende Teil des Totenkleides hatte sich optisch bemerkenswert gut erhalten. Am Rande des Sarges konnte man oberhalb jedes der vier Schlösser deutlich eingedrückte Spuren von einem Werkzeug erkennen, mit dem der Sarg hebelartig einmal gewaltsam geöffnet wurde. Herr Professor Hansen stellte zunächst den Festigkeit-Zustand des Schädelknochens fest, nachdem er an mehreren Stellen die Haut-Reste entfernt hatte. An den sichtbaren Stellen scheint der Knochen noch fest zu sein. Danach wurde das über dem Leib liegende Kissen entfernt und das auf den Beinen fest gebackene Totenhemd hochgeschlagen, so dass Beine und Korpus frei lagen. Durch einen Leibschnitt bekam Herr Professor Hansen die Möglichkeit, das etwaige Vorhandensein von Organen Resten festzustellen. Es konnten nur unidentifizierbare, pulverartige oder krümelige Reste gefunden werden. Weder Herz, Lungen, Leber oder Nieren konnten als solche eindeutig bestimmt werden. Lediglich das linke Zwerchfell war noch zu erkennen.

00:31:52: Martin Und um das Ganze zu dokumentieren, hat man Fotos gemacht, viele, viele Fotos gemacht und Sie haben uns welche mitgebracht. Was ist darauf zu sehen? Was sind das für Fotos?

00:32:03: Christoph Schmälzle Also wir sehen - natürlich nur in schwarz weiß - in Farbe wäre das noch viel eindrucksvoller, eigentlich ein Widerspruch: Wir wünschen uns für den Nationalhelden sozusagen einen stabilen Zustand seiner Leiche. Was wir aber sehen, ist ein sehr lebendiges Verwesungsgeschehen. Das hat hat der Bericht ja sehr, sehr deutlich gezeigt: Aaskäferlarven, Textilien, die sich im Lauf von sieben Jahren auch weitgehend zersetzen. Und - das ist mir ganz wichtig, dass man sich klar machen muss, es waren ja nicht nur Goethe-Knochen, deren finale Erweichung und Zersetzung man befürchtet hat, sondern an diesen Knochen hing noch Goethe-Fleisch, also Goethe-Fleisch in verschiedenen Erhaltungs- und Verwesungsgraden, also eher mumifiziert und fest am Brustkorb. Da gibt es ja auch dieses andere Foto, wo man sieht, wie mit so einer medizinischen Schere dann der Brustkorb aufgetrennt wird, an anderen Stellen des Körpers sozusagen eher in aufgeweichten, sich sozusagen in so eine schleimartige Konsistenz verwandelnden Verwesungzuständen.

00:33:17: Martin Als ich damals in Weimar war und sie besucht habe zur Recherche für dieses Zeitzeichen, haben sie mir diese Fotos auch gezeigt. Die kriegt nicht jeder zu sehen. Das soll in der Öffentlichkeit keine große Verbreitung finden, haben Sie mir gesagt. Aber es gibt viele Fotos, und die waren, fand ich, ganz faszinierend. Ich fand sie gar nicht so gruselig, finde sie auch wenn ich sie jetzt sehe, nicht besonders gruselig, sondern eher - ja, es hat was Gewisses, einen ästhetischen Reiz. Was ist das, was wir da sehen?

00:33:46: Christoph Schmälzle Dass sie nicht gruselig sind, liegt auch daran, dass es natürlich wissenschaftliche Dokumentations-Fotos sind. Sie haben ja vorhin auch vorgelesen, wer da alles an Experten zugegen war. Das ist ja auch eine einmalige Chance, sozusagen Goethe posthum medizinisch zu untersuchen.

00:34:03: Marko Näher kann man ihm nicht mehr kommen.

00:34:05: Christoph Schmälzle Man kann ihm nicht mehr näher kommen. Also so Dinge wie sein steifer Gang, die kann man dann auf verwachsene Brust-Wirbel zurückführen. Man kann an diesem Skelett ganz viel über die Krankengeschichte Goethes sehen. Und da waren Leute zugegen, die auch das medizinisch dokumentieren wollten und die sich für solche Dinge interessiert haben. Aber Sie spielen ja vor allem auf dieses ganz berühmte Foto an, was Albrecht Schöne ja auch mal emphatisch beschrieben hat: Also Schöne ist ein Philologe, der die Wörter liebt und die Künste eher mit Skepsis betrachtet. Also Schöne versteigt sich in seinem Buch über Schillers Schädel, wo es dann auch an einer kleinen Stelle um Goethes Schädel geht, zu der Behauptung, das sei quasi das authentischste Goethe-Porträt, was wir haben, nicht verfälscht durch die Künstler, denen man nie trauen kann, die tun, was sie wollen, sondern hier sehen wir eben im Sarg Goethe, auf dem Rücken liegend, im Totenhemd mit dem Lorbeerkranz, und uns guckt so ein eingefallener Schädel an, der ist gegen alle Erwartung schwarz. Diese Schwärze kann man, wenn man näher rangeht an das Bild, die Texte der Befundung kennt, als Aaskäfer-Larven erklären und dann ums Kinn - wie so ein weißer Senioren-Bart - so eine, wie so ein weißes U, was so um um den Kopf geht, wo in den Berichten steht, dass das möglicherweise auch so eine fettige Ausstaffierung, so für die Herrichtung, für die Aufbahrung war, die da Spuren hinterlassen hat. Also wir sehen ihn friedlich, aber irgendwie von Aaskäfern angenagt mit Lorbeerkranz im Totenhemd in dieser Holzkiste liegen.

00:35:51: Marko Kann man noch irgendwie die Gesichtszüge wirklich erkennen. Auf dem Foto hier sehe ich das jetzt nicht mehr richtig, aber sieht man - lächelt der. Sieht man ein bisschen was von Mimik oder ist es einfach nur so eine amorphe Masse?

00:36:03: Christoph Schmälzle Es ist wie jeder Schädel für den Unkundigen schwer zu deuten. Es gibt natürlich Schädelkundige. Also das sind die Leute, die auch Gesichts-Rekonstruktionen von Verbrechensopfern machen. Die können schon auf der Grundlage eines Schädels rekonstruieren, wie ein Gesicht mutmaßlich aussah. So was wurde ja mit historischen Personen auch gerade in der UdSSR mit von Gerassimow mit großem Know-How gemacht. Und man macht das in seltenen Fällen auch heute noch für geheimdienstliche Zwecke oder eben für forensische Zwecke.

00:36:35: Martin Also dieses Arrangement des Knochen-Mannes im Sarg - zumindest die Fotos davon - haben so eine gewisse, ja auch einen gewissen ästhetischen Wert, kann man sagen. Wir sind nahe bei Goethe. Aber damals diesen sieben Experten war klar: Das kann so nicht bleiben und wir müssen da was machen. Und so steht es dann auch im abschließenden Absatz dieses Berichtes.

00:36:57: Zitat Bericht Man schloss sich übereinstimmend dem früheren Bericht an, in dem als einzige Möglichkeit für eine würdige Behandlung der Überreste des Toten die Mazeration in Frage kommt. Alle Beteiligten werden zum Stillschweigen ermahnt. Die mit der Durchführung der notwendigen Arbeiten betrauten gebeten, so zu verfahren, dass in der Öffentlichkeit keine Aufmerksamkeit erregt wird und der Besucher-Verkehr in der Gruft nicht behindert wird.

00:37:24: Martin Aha. Also es gab wohl damals auch eine Möglichkeit für die Öffentlichkeit, für Touristen schon die Gruft zu besuchen. Also die standen dann an diesem fast offenen Goethe-Sarg.

00:37:35: Christoph Schmälzle Na ja, Gruft besuchen natürlich tagsüber, wenn der Deckel drauf ist. Das ist ja einer der Gründe, weshalb man so was nachts macht. Das ist auch sonst im Museum heute ja üblich, dass man Dinge, die den Publikumsbetrieb stören, eben außerhalb der Öffnungszeiten macht. Also man hängt da nicht die Mona Lisa ab, während Leute draußen Schlange stehen und die sehen wollen. Genauso ist es mit diesen Dichtern in der Goethe- und Schiller-Gruft. Also in der DDR hat man die Gruft sozusagen aus Anti-Feudalismus nicht Fürstengruft genannt, sondern Goethe- und Schiller-Gruft. Und nach dem Ende der DDR hat man sie wieder rückbenannt in die Fürstengruft. Also da geht man ja nicht mit so einer Untersuchung ran während Besucher...

00:38:17: Marko Man macht Goethe nicht nackig bis auf die Knochen, während andere Leute zugucken.

00:38:20: Christoph Schmälzle Genau das macht man nicht.

00:38:22: Martin Und Mazeration - da sind wir jetzt schon wieder. Heißt was?

00:38:27: Christoph Schmälzle Das ist ein ziemlich rigider Vorgang. Also es geht darum: Man hatte Angst, dass auch die Knochen noch mürbe werden, also dass das, was für jede normale Bestattung das Gewünschte ist, dass sich sozusagen der Leib in der Erde auflöst. Das soll ja gerade hier verhindert werden. Und man hatte Angst, dass diese ganze Feuchtigkeit, diese Fäulnis, dieses Modern auf die Knochen übergreift. Und die einzige Möglichkeit, die man sah, war dann, alles, was an Fleisch noch da ist, von diesen Knochen abzukratzen, also auch die Reste der Knochen-Haut und alles was da noch am Gebein haftet runter zu nehmen und dann eben die Knochen auch zu reinigen und zu konservieren und dann wirklich quasi nackt in den Sarg zurückzulegen.

00:39:19: Martin Und weil man so was nicht in der Öffentlichkeit macht, gab es dann drei Tage später, nach diesem ersten Besuch einen zweiten Besuch auch wieder nachts, damit das niemand mitbekommt. Und da wird mit wissenschaftlicher Akribie dann im Bericht über die Ausbettung Goethes aus dem Sarkophag in der Goethe-Schiller-Gruft am 5. November 1970 berichtet.

00:39:43: Marko Erstens: Von allen Stoff-Spuren wurden Proben entnommen. Zweitens: Das den Leib deckende Kissen wurde entfernt, der Inhalt - relativ locker gestopftes Seegras - entnommen und in Perfo- Beutel gefüllt. Was sind denn Perfo-Beutel?

00:39:57: Martin Keine Ahnung. Irgendwie so ein DDR-Plastik, würde ich mal denken.

00:40:00: Christoph Schmälzle Ja, denke ich auch.

00:40:01: Marko Drittens: An der Stelle der rechten, auf dem Leib liegenden Hand, wurden 27 Knochen geborgen. Von der linken Hand wurden 26 anstelle von 27 gefunden. Am rechten Fuß lagen 24 anstatt 26 Knochen. Da der Eindruck bestand, dass Knochen schon früher, eventuell beim Transport oder dem Aufbrechen des Sarges durcheinander gebracht worden waren, musste die genaue Zuordnung bei der Behandlung abgewartet werden, auf jeden Fall fehlten an der Gesamtzahl der Knochen von den Händen und Füßen fünf Stück. Viertens Das Gewand, das hinten offen war, wurde von unten nach oben geschlagen. Die Unterarme ließen sich an beiden Seiten aus dem Ärmel ziehen.

00:40:44: Martin Er ist entkleidet wurden da.

00:40:47: Marko Ne, die haben die abgerupft - oder?

00:40:49: Martin Ne, aus dem Ärmel ziehen steht da.

00:40:51: Marko Ja, aber...

00:40:51: Martin Die Unterarme ließen sich an beiden Seiten aus dem Ärme ziehenl. Ach so, ja, man weiß natürlich nicht in welcher Richtung.

00:40:58: Marko Also ich hätte jetzt gedacht, man zieht die nach unten ab, sozusagen, die lösen sich.

00:41:02: Christoph Schmälzle Ja, aber ich glaube, auf den Fotos sieht man noch, dass die Unterarme ja noch am Schultergelenk hängen.

00:41:06: Marko Also er bleibt, er bleibt am Stück.

00:41:10: Christoph Schmälzle Er bleibt am Stück, bevor er dann zerstückelt wird. Das ist ja das Problem.

00:41:16: Martin Das ist schon sehr makaber.

00:41:16: Christoph Schmälzle Da sind ja noch Sehnen und Knorpel dran.

00:41:19: Marko Fünftens: Die Blätter des Lorbeer Kranzes konnten ohne Schwierigkeiten zusammen mit vier Blättern, die in der Gegend der rechten Hand lagen, geborgen werden. Das heißt, man hat ihn mit einem Lorbeerkranz bestattet.

00:41:31: Christoph Schmälzle Das steht ihm als Dichterfürsten unbedingt zu. Das hat man gemacht, und man hat diesen Lorbeerkranz, was auch interessant ist für die Dichter-Verehrung in der DDR, konserviert und dann später auch wieder mit reingelegt.

00:41:44: Marko Sechstens: Eine Längen Messung ergab von Kopf bis Ferse 166,5 Zentimeter. Diese Messung kann nur die ungefähre Größe Goethes angeben, da sich die Knochen nicht mehr in der ursprünglichen Lage befanden. Nach der Pearson`schen Körper Formel errechnet sich die Körperlänge Goethes bei seinem Tod zu 1,69. Kein Riese.

00:42:09: Christoph Schmälzle Das sind genau die Fragen, die fachwissenschaftlich an so ein Skelett gestellt werden.

00:42:15: Marko Er war ein alter Mann, er ist wahrscheinlich geschrumpft.

00:42:16: Christoph Schmälzle Er ist ein bisschen geschrumpft. Also auch dafür gibt es dann entsprechende Berechnungen und Formeln, dass er dann vielleicht auch 1,72m oder 1,74m groß war. Es gibt natürlich auch einzelne Messungen zu Lebzeiten, aber das sind die Fragen, die man sich mit großem Ernst dann...

00:42:31: Martin ...auf den Zentimeter.

00:42:33: Christoph Schmälzle ...unter Fachleuten stellt: Wie groß war er? Wie viel Volumen hatte sein Schädel? Und vieles mehr.

00:42:41: Marko Siebtens: Wo wir bei Schädel sind. Siebtens: Schädel und Unterkiefer lagen fest gebettet auf der Unterlage und konnten von dort entnommen werden. Im Ober- und Unterkiefer fehlten offensichtlich Zähne, die später auf einem Kopflaken, zwischen Haut- und Käferlarvenresten gefunden wurden. Achtens: Im Schädelinnern fand sich nur eine staubartige Masse. Oh Gott, Goethes Hirn.

00:43:08: Christoph Schmälzle Das ist schon bitter. Also staubartige Masse im Schädelinneren - das würde man jetzt in einem öffentlichen Bericht für die Presse oder bei einer Pressekonferenz, wie man das heute macht, anders formulieren. Aber hier sind wir sozusagen in einer internen wissenschaftlichen Diktion.

00:43:25: Marko Die nehmen den sich ja wirklich Stück für Stück vor.

00:43:27: Christoph Schmälzle Also von Kopf bis Fuß, oder? Also muss froh sein, dass er kein katholischer Heiliger war oder ist, weil dann hätte man ihn ja möglicherweise noch zerteilt und auf verschiedene Gedenkorte, also zum Beispiel ein bisschen Goethe für Frankfurt, ein bißchen...

00:43:41: Martin Na ja, ein paar Knochen fehlten ja auch offensichtlich. Also wo die verschwunden sind, das weiß man wahrscheinlich bis heute nicht.

00:43:48: Christoph Schmälzle Da kann man dann wieder spekulieren. Es wurden ja auch diese Aufbruch-Spuren an den Schlössern in den Akten erwähnt. Also man kann nur spekulieren, was da in den Kriegswirren wahrscheinlich passiert ist, wer es war und dass da jemand ein Stück Fuß oder Knochen einsteckt, ist nicht ganz ausgeschlossen.

00:44:05: Marko Das geht noch ein bisschen so weiter, wie Goethe auseinandergenommen wird, bei Punkt Nummer 16: Man war bestrebt, beim Betreten und Verlassen des Friedhofs und der Gruft jegliches Aufsehen zu vermeiden. Während der Ausbettung rüttelten Unbekannte an der versperrten Tür, aber offensichtlich ohne durch die Arbeiten dadurch veranlasst worden zu sein. Randalierer auf dem Friedhof? Man weiß es nicht.

00:44:28: Christoph Schmälzle Ja, oder wie? Es gibt ja so Gruftis auch heute noch. Man trifft sich auf dem Friedhof und trinkt ein paar Flaschen Bier.

00:44:34: Martin Vielleicht hat es ja auch jemand was mitbekommen, dass da sich was tut und wollt mal nachgucken, oder?

00:44:38: Christoph Schmälzle Ja, alles, alles denkbar.

00:44:40: Marko Beim Verlassen der Gruft nach Abschluss der Arbeiten saß ein Liebespaar auf der Bank vor der Gruft. Der Mann versuchte sich Eintritt zu verschaffen und wurde von Herrn Dr. Handrick zusammen mit seiner Begleiterin verwiesen. Sofort im Anschluss an die Arbeiten auf dem Friedhof wurden alle Beutel mit Bestattungs-Material und die losen Fleischreste im Heizungs Raum des Museums in Gegenwart von Herrn Dr. Handrick verbrannt. Beginn der Arbeit in der Gruft 17:30h Ende der Arbeit in der Gruft 21:30h Ende der Arbeit im Museum. 22:30. Also. Ein Sakrileg, oder? Man kann doch nicht. Man kann doch nicht einfach Goethe...

00:45:20: Martin Ich finde das auch so ein bisschen schockierend, muss man sagen. Also im Heizungskeller verbrannt.

00:45:26: Christoph Schmälzle Also das, das ist auch schockierend. Aber noch einen Schritt weiter, weiter zurück. Es zeigt ja auch, wie wie sozusagen Weimarer Kultur-Bürgertum funktioniert: Da sitzt ein Liebespaar vor der Gruft und der Herr sollte eigentlich Besseres zu tun haben, als in dem Moment, wo die Fürstengruft aufgeht, Richtung toter Gebeine zu springen. Also das kann man ja auch überlegen. Was passiert da eigentlich?

00:45:49: Martin Es ist schon Slapstick.

00:45:50: Christoph Schmälzle Es ist schon unfreiwillig komisch, ein wenig, aber sie machen einen wichtigen Punkt. Also selbst die größten Verteidiger dieser Aktion konzedieren, dass der Umgang mit dem, was da so an Fleisch links und rechts wegkrümelt, an dem, was man nicht retten kann, vielleicht doch auch pietätlos war. Weil wir haben ja bis heute auch rechtlich die Vorstellung der Unteilbarkeit der Asche. Also wenn man jetzt eben gerade kein katholischer Heiliger ist, der auf verschiedene Altäre und Kirchen verteilt wird, sondern ein normaler Toter, hat man ja eigentlich Anspruch drauf, dass das, was zu einem körperlich gehört, beieinander bleibt.

00:46:31: Marko Ja, und das gibt es mal so, mal so, man wird auch verstreut auf der Wiese, aber er wollte es ja offenbar nicht.

00:46:36: Christoph Schmälzle Aber verstreut auf der Wiese dürfen sie ja in Deutschland nicht. Und auch in den Krematorien gibt es gewisse Verunreinigungen. Aber man macht da ein großes, auch technisches Gewese drum, dass sozusagen die einzelnen aus der Asche-Mühle kommenden Urnen Füllungen auch genau das sind, was außen auf der Urne draufsteht.

00:46:53: Marko Aber Pietät hin, Pietät her. Was mich daran eigentlich mehr interessiert ist: Vielleicht würden wir heute mit allen Möglichkeiten, die wir wissenschaftlich haben, aus diesen Überresten noch irgendetwas herauslesen können. Also bei Goethe hat man ja wirklich jeden Furz untersucht. Es gibt Goethes Leben von Tag zu Tag. Also ich glaube, es gibt niemanden auf dieser Welt, wo man das so genau untersucht hat wie bei ihm. Also wir wissen ganz genau, was er am soundsovielten soundsovielte 1804 getrieben hat. Aber aus diesen fleischlichen Überresten, die man dann ja einfach da im Heizungskeller dann verkokelt hat, hätte man ja vielleicht heute mit forensischen Möglichkeiten...

00:47:25: Martin Oder DNA Analyse solche Geschichten...

00:47:29: Marko Ja, vielleicht hochinteressante Sachen herausfinden können, wo ich so denke. Eigentlich hätte man es doch einfrieren können, war doch nicht so schwer - oder.

00:47:34: Christoph Schmälzle Ja, man hätte es einfrieren oder in einer anderen Weise konservieren können als Probe, ja als naturwissenschaftliche Probe-Entnahme. Das hat man mit den Textilfasern ja auch erst mal so gemacht, dass man von jedem Stück Stoff, was in dem Sarg war, eine Probe genommen hat. Das sind dann die langweiligeren Fotos in der Akte, seitenweise Textilien in Makro Fotografie erscheinen, die einem Textil Forscher viel sagen. Also sozusagen Konservierung dieser Quellen. Also das Fleisch eines Nationalheiligen ist ja auch eine Quelle für die Forschung. Das hätte man so sehen können. Man hätte es auch im Sinne einer christlichen Pietät oder einer einer Wahrung der Totenruhe so sehen können, dass man diese Dinge in geweihter Erde bestattet. Also wir machen ja im Moment auch viel Aufwand, um die Frage: Wie ist mit Human Remains in Museen umzugehen, wo die Bestattung kolonialer Knochen-Relikte oder die Rückgabe an die Herkunftsgemeinschaften zum Zwecke der Bestattung ein großes Thema ist. Also man hätte statt Verbrennen im Museums-Keller auch einfach auf dem Friedhof, in dem die Fürsten Gruft liegt, eine kleine Grube ausheben können und die Sachen da rein betten - mit irgendeiner Form von Zeremonie. Das wäre durchaus denkbar gewesen.

00:48:55: Martin Nun ist das Ganze - inklusive Verbrennen der Haut und Fleisch Reste von Goethe - das alles bei Nacht und Nebel passiert. Die vorherige Besichtigung auch. Ließ sich das denn in so einer Stadt wie Weimar überhaupt auf Dauer geheim halten? Da, wo...

00:49:11: Marko Spätestens das Liebespärchen das petzt doch - ist doch klar...

00:49:16: Christoph Schmälzle Ja, man wusste ja nicht genau, was da drin passiert. Aber Sie haben vollkommen recht. Es ist ja in dem Sinne auch kein Staatsgeheimnis. Es ist sozusagen was, was in der Institution gemacht und dokumentiert wird. Und das ist genau die Ambivalenz, die wir hier haben. Man möchte, dass es nicht an die Öffentlichkeit gerät. Gleichzeitig wird es akribisch dokumentiert und archiviert, damit man es später auch nachvollziehen kann. Das unterscheidet sich von anderen vergleichbaren Vorgängen, wo man ja bewusst keine Akte anlegt. Hier legt man eine Sonder- Akte an, die alles nachvollziehbar, macht...

00:49:51: Martin Die war auch nicht weggeschlossen über all die Jahre.

00:49:53: Christoph Schmälzle Die war in der naturwissenschaftlichen Sammlung und dann später im Goethe- und Schiller- Archiv, im Instituts-Archiv abgelegt, zum Zwecke der wissenschaftlichen Nachvollziehbarkeit, aber nicht bestimmt für die öffentliche Diskussion.

00:50:06: Marko Und wie es dann doch an die Öffentlichkeit gelangt ist, wie dadurch ein deutsch / deutscher Skandal entstanden ist...

00:50:12: Martin Skandälchen, sagen wir mal...

00:50:14: Marko Skandal! Komm!

00:50:15: Christoph Schmälzle Also damals gab es noch mehr Bildungsbürgertum als heute, da war das schon so was wie ein Skandal. Da haben sich Leute aufgeregt.

00:50:22: Marko So - wie all das gekommen ist. Das werden wir in der nächsten Folge von die Geschichtsmacher klären.

00:50:28: Martin Wenn euch diese Folge gefallen hat, dann sagt es bitte Freunden, Bekannten, Goethe- und Schiller-Fans. Und wenn es euch nicht gefallen hat...

00:50:38: Marko ...dann sagt es uns, aber bitte nur uns und zwar unter www.diegeschichtsmacher.de - Da findet ihr alle anderen Folgen der Geschichtsmacher ebenso und wir würden uns freuen, wenn ihr beim nächsten Mal wieder zuschaltet. Auch Sie werden wieder zu Gast sein.

00:50:50: Christoph Schmälzle Sehr gerne.

00:50:51: Marko Wir freuen uns drauf.

00:50:53: Martin Vielen Dank an Christoph Schmälzle. Und in vier Wochen geht es weiter mit Teil zwei von Goethes Gebeinen und wir sagen: Bis zum nächsten Mal. Vielen Dank und tschüss.

00:51:04: Marko Tschüss.

00:51:04: Christoph Schmälzle Tschüss.

00:51:05: Marko Gehen wir mazerieren, ne.

00:51:09: Martin Gehen wir mazerieren.

00:51:13: Marko Hühnchen mazerieren. 

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