Schillers Schädel und Goethes Mazeration

Shownotes

Auch nach dem Tod sind Deutschlands Dichter unsterblich. Das gilt jedoch nicht für ihre Leichen. Sie sind - wie die aller Menschen - mannigfachen Zersetzungsprozessen ausgesetzt. So beginnen Goethes sterbliche Überreste in den 1960er Jahren zu müffeln. Und im Falle Schillers stellt sich gar die Frage: Wie konnten in seinen Sarg die Knochen gleich dreier Menschen gelangen? Martin Herzog und Marko Rösseler ergründen in dieser Geschichtsmacher-Folge gemeinsam mit dem Kulturhistoriker Christoph Schmälzle, die Geschichte der Gebeine von Deutschlands Geistesgrößen.

Schillers letzte Ruhestätte sollte eigentlich das Kassengewölbe zu Weimar werden. Hier wurde der Dichter nach seinem Tod 1805 beigesetzt - nur musste er sich den Ort mit 63 weiteren Toten teilen. Ein Problem, als 1826 der Beschluss gefasst wurde, Schiller umzubetten. Denn welche Überreste gehörten zu Schiller? Was die Weimarer Experten für Schillers Schädel und Gerippe hielten, kam erst in die Anna Amalia Bibliothek und später in die so genannte Fürstengruft. Zwischendurch verbrachte Schillers Schädel aber auch einige Zeit auf Goethes Schreibtisch.

Über den Umgang mit Schillers Gebeinen und warum heute Schillers Sarg leer steht, darüber geht es in diesem Geschichtspodcast. Geklärt wird aber auch, was Seifenlauge und Fein-Waschmittel mit Goethes Knochen machten und was genau in der geheimnisumwitterten "Sonderakte Mazeration Goethe" steht.

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Links, die zu den Stationen der Gebeine Schillers führen, findest Du hier: Hier geht es ins Kassengewölbe Hier entlang in die Anna Amalia Bibliothek Goethes Schreibtisch steht in seinem Wohnhaus am Frauenplan in Weimar Zur Fürstengruft bitte hier entlang

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Schillers Schädel und Goethes Mazeration

00:00:00: Marko Geheim Gefäß! Orakel Sprüche spendend, / Wie bin ich wert, dich in der Hand zu halten? / Dich höchsten Schatz aus Moder fromm entwendend / Und in die freie Luft, zu freiem Sinnen, / Zum Sonnenlicht andächtig hin mich wendend. / Was kann der Mensch im Leben mehr gewinnen, / Als dass sich Gott Natur ihm offenbare? / Wie sie das Feste läßt zu Geist verrinnen, / Wie sie das Geisterzeugte fest bewahre.

00:00:32: Martin Also sprach der Deutschen größter Dichter Goethe bei Betrachtung von Schillers Schädel.

00:00:40: Marko Gucken wir auch uns an. War jetzt ein bisschen dick vielleicht? Aber...

00:00:44: Martin Nöööö.

00:00:44: Marko Man kann es ja gar nicht dick genug machen bei Schiller Schädel, ne.

00:00:47: Intro Die Geschichtsmacher. Von Autorinnen und Autoren des Zeitzeichens.

00:01:04: Marko Und unsere nekrophilie Ader endet nicht. Nein, wir machen weiter in Weimar mit Knochen, Verfall und allem was dazugehört. Es war sehr beliebt beim letzten Mal. Wir hatten ziemlich viele Klicks.

00:01:15: Martin Und viele Kommentare auf unserem Facebookprofil. Da scheint es doch einige zu geben, die sich nicht nur mit Goethe beschäftigen und ihre Freizeit mit dem Dichterfürsten verbringen, sondern auch mit dessen Tod und Verbleib.

00:01:28: Marko Und weil ihr da draußen so eine nekrophilie Ader habt, haben wir auch wieder unseren Gast eingeladen: Christoph Schmälzle: Den Kunsthistoriker, der sich gern mit Leichen umgibt. So ist es.

00:01:39: Christoph Schmälzle Unbedingt mit Leichen und dem Kult um die Leichen.

00:01:42: Martin Und wir stehen heute zusammen, zu dritt sozusagen mal wieder in Weimar, in der Fürstengruft vor den beiden Särgen von Goethe und Schiller. Links der mit der Beschriftung Goethe, da liegt Goethe drin. Oder das, was von ihm an Knochen noch übrig ist und maturiert wurde, da kommen wir nachher noch dazu.

00:02:01: Marko Also heute werdet ihr endlich erfahren, was Mazeration eigentlich bedeutet. Ich wusste es nicht. Martin wusste es auch nicht. Herr Schmälzle hat es ihm später erklärt: Aber da kommen wir später zu. Bevor wir mazerieren, wollen wir noch ein bisschen in die Gruft stöbern. Richtig?

00:02:15: Martin Genau. Wir stöbern und stellen fest: Links liegt der bekannte Goethe und rechts liegt ja nichts. Der Sarg ist leer. Warum?

00:02:25: Christoph Schmälzle Ja, der Sarg ist leer. Das klingt ja fast schon nach einer biblischen Geschichte. Passt auch ganz gut zu Schiller, dem ja auch eine gewisse Christus-Gleichheit zugeschrieben wurde. Zu Schiller als dem Idealisten, von dem am Ende tatsächlich nichts Materielles bleibt.

00:02:42: Martin Er ist aber nicht selber aus seinem Sarg gestiegen.

00:02:45: Christoph Schmälzle Er stieg nicht selbst heraus, man hat ihn herausgenommen, man musste ihn herausnehmen, weil ein Forschungsprojekt, was 2006 begonnen hatte und 2008 in einer MDR Dokumentation mit dem Titel "Der Friedrich Schiller Code" kulminierte, hat eben festgestellt: Die Knochen, die Gebeine in Schillers Sarg passen untereinander nicht zusammen. Das sind mindestens drei verschiedene Personen. Und der Schädel ist definitiv nicht der echte. Er passt nicht zu Schillers Verwandten.

00:03:16: Martin Also Schiller ist gar nicht Schiller. Schiller ist mehrere bzw die Knochen sind mehrere. Ob da was von Schiller darunter war, das war nicht klar.

00:03:23: Christoph Schmälzle Das war genau das Problem und man hat sich dann entschieden, nach diesem verheerenden Ergebnis, was natürlich in den Medien ein großes Echo erzeugt hat, den Sarg dann komplett zu entleeren, weil man nicht mehr guten Gewissens behaupten konnte, dass da irgendetwas Echtes drin ist, was eine Andacht lohnt oder was man sozusagen guten Gewissens dort vorhalten kann.

00:03:46: Marko Wie kann es denn sein, dass man da so ein seltsames Konglomerat in einen Sarg packt? Also drei verschiedene Leichen müssen es mindestens gewesen sein und kein bisschen davon war Schiller. Wie kann so was passieren?

00:03:58: Christoph Schmälzle Das hat was mit der langen und komplizierten Geschichte von Schillers Gebeinen zu tun, weil er eben mehrfach umgebettet wurde. Was wir ganz, ganz sicher wissen, ist, wann er gestorben ist am 9. Mai 1805. Wir wissen auch ganz sicher, dass er dann am zwölften Mai in das sogenannte Kassengewölbe in Weimar kam.

00:04:20: Martin Kassengewölbe. Was darf ich mir darunter vorstellen.

00:04:22: Christoph Schmälzle Das war sozusagen eine Gruft für verdiente Hofbeamten, also ein Gewölbe, das der Landschaftskasse gehörte, weil wenn man kein eigenes Erb-Begräbnis, kein Familienbegräbnis hatte, aber im umfeld des Hofes war, konnte man dort würdevoll bestattet werden. Also zum Beispiel der Hofmaler Charles Gore war drin, die Hofdame Luise von Göchhausen. Also Schiller war da...

00:04:47: Martin Also kein Armengrab oder so etwas. Also Schiller konnte sich das nicht leisten, drum kam er da rein.

00:04:47: Marko Kassenpatient sozusagen

00:04:53: Christoph Schmälzle Genau. Also es war sozusagen. Es war sozusagen für die Hofelite, die heute privatversichert unterwegs wäre. Also Schiller war da in guter Gesellschaft. Aber es stimmt schon, man hat das später, als Schiller so zum Nationaldichter wurde, als unangemessen empfunden. Seine Witwe hat als adelig geborene immer auch davon geträumt, dass man mal so ein Familiengrab auch haben würde. Aber man muss sich ja den Kontext auch vorstellen. Wir sind mitten in den Napoleonischen Kriegen, 1806 bis 1813, da passiert ja wahnsinnig viel. Also da ist das Letzte, was man in Weimar macht, jetzt eine Familiengruft noch zu bauen. Auf jeden Fall eben wirklich kein Armegrab, aber auch jetzt kein Grab Monument, was den Dichter national überhöht und was sozusagen mit dem Bedürfnis nach einem nationalen Helden irgendwie zusammengeht.

00:05:45: Martin Aber da ist er dann nicht geblieben. Er wurde umgebettet, haben sie gesagt.

00:05:48: Christoph Schmälzle Da ist er nicht geblieben, er ist auch nicht der erste, der umgebettet wurde. Also Charles Gore wurde auch umgebettet, aber ein paar Jahre früher, das war noch relativ einfach. Bei Schiller ist man einfach ein bisschen spät auf die Idee gekommen, ihn da rauszuholen. Man hat das nämlich erst über 20 Jahre nach seinem Tod versucht - 1826. Und da stiegen offizielle Delegationen der Stadtverwaltung in die Gruft, um dort erst mal festzustellen: Diese Särge sind alle auseinandergefallen. Also das Holz ist morsch geworden und da ist ein solches Chaos von Moder und Fäulnis, ein solches Durcheinander in den Gebeinen, dass man schlechterdings nicht mehr wusste, wie man jetzt diesen Schiller beibringen soll.

00:06:29: Martin Ja, da gibt es ein schönes Zitat von dem damaligen Weimarer Bürgermeister Karl Leberecht Schwabe. Der hat das beschrieben, wie es da aussah, als die heruntergestiegen sind mit dieser Delegation. Marko willste mal?

00:06:43: Marko Im Gewölbe war ein Chaos von Moder und Fäulnis. Wir gelangten nach dritte halbstündigem Aufenthalt - was meint er denn damit?

00:06:52: Martin Dritte halbstündige - hab ich auch noch nicht gehört...

00:06:54: Marko Wir gelangten nach dritte halbstündigem Aufenthalt in dem Gewölbe und stetem Nachforschen zu der Überzeugung, dass es schlechthin unmöglich sei, Gewissheit und Wahrheit darüber zu erlangen, welches hier die irdischen Überreste Schillers seien.

00:07:09: Martin Tja, und nu?

00:07:10: Christoph Schmälzle Der Bürgermeister lässt nicht locker. Also Karl Leberecht Schwabe lässt das nicht auf sich sitzen, steigt ein paar Tage später mit seinen Dienern wieder in die Gruft und packt sich dann einfach. 23 Schädel, die er auf den ersten Blick für geeignet hält. Packt die sich ein, holt die raus.

00:07:30: Marko 23.

00:07:31: Christoph Schmälzle 23 - also im Kassengewölbe waren so etwa 60 Personen bestattet. 23 nimmt er mit, vergleicht die dann bei sich zu Hause mit der Ganzkopf-Totenmaske. Also von Schiller gibt es eben eine Besonderheit, dass es eine vollständige Abformung seines Kopfes posthum gibt. Er vergleicht die. Sucht sich dann den am besten passenden aus.

00:07:54: Marko Also macht das nicht nach Größe, sondern er - ich hatte mal irgendwo gelesen, der sucht sich einfach den größten Kopf raus, weil er so ein großer Dichter war. Muss er einen großen Kopf haben. Aber so war es nicht.

00:08:04: Christoph Schmälzle Das war nicht so, aber Größe ist ein wichtiger Punkt, weil Schiller tatsächlich bestimmte Abmessungen am Schädel hat, die ungewöhnlich groß sind und außerhalb der statistischen Norm liegen.

00:08:15: Marko Was alle bei Schiller kennen ist die große Nase.

00:08:17: Christoph Schmälzle Ja, genau. Aber auch andere Maße waren ungewöhnlich. Also es ist nicht ganz doof, dass es da um Größenverhältnisse, um Proportionen geht. Das machen heutige Gesichtserkennung- Programme digital ja auch nicht anders, dass sie bestimmte Verhältnismaße bestimmen. Also ganz doof war er nicht.

00:08:33: Marko Aber er war halt auf sich allein gestellt und ohne Computer.

00:08:36: Christoph Schmälzle Ohne Computer, aber mit einem guten Auge. Und dann braucht man natürlich noch einen passenden Unterkiefer, der wird auch zusammengestellt.

00:08:43: Martin Da ist auch jemand runter gegangen und hat sich dann den passenden Kiefer dazu gesucht.

00:08:47: Christoph Schmälzle Ja, es ist noch viel wilder, weil ein Schädel reicht ja nicht. Wenn man eine Dichter-Leiche will, braucht man ja auch alles, was unterhalb des Schädels kommt. Also es steigen dann auch noch mal Fachleute aus der Anatomie der Universität Jena, also ein Prosektor, ein Vor-Schneider aus Jena.

00:09:02: Marko Ein Prosektor.

00:09:06: Christoph Schmälzle Ein Prosektor, der sozusagen bei den Sektionen als amtlicher Vor-Schneider eben demonstriert. Ein solcher Prosektor steigt dann auch noch mal runter und sucht mit viel Kompetenz ein passendes Körpers-Skelett.

00:09:17: Marko Und weil es dabei zu viel Prosecco gab also.

00:09:22: Martin Ich habe eben überlegt, wo über die Größe gesprochen wurde, habe ich eben überlegt: auf die Größe kommt es doch an und ich war mir zu doof diesen diesen Gag zu bringen. Ja so und jetzt kommst du damit.

00:09:32: Marko Aber man muss doch sagen: Der Typ hat doch versagt. Offenbar. Also, wenn da drei Leichen gemischt sind, da hat der einen im Kahn gehabt. Mindestens.

00:09:39: Martin Dieser Vorschneider aus Jena.

00:09:39: Marko Der Prosektor. Ja, also der Prosektor ist offenbar nicht in der Lage, den richtigen Schiller zu finden und mixt sich da was zusammen.

00:09:47: Christoph Schmälzle Böswillig könnte man das so sagen. Man kann natürlich unterstellen, dass die Beteiligten alle guten Willens waren, mit Schillers Andenken keinen Schabernack zu treiben, weil man das dann sehr, sehr ernst und sehr würdevoll interpretiert. Und diesen Schädel, diesen vermeintlichen Schädel, das, was man für Schillers Schädel erklärt hat, feierlich in einer Zeremonie in der Großherzoglichen Bibliothek, also dem Rokoko Saal der heutigen Herzogin Anna Amalia Bibliothek, im Postament einer Büste niederlegt, also wie in einer...

00:10:20: Marko Im Sockel.

00:10:21: Christoph Schmälzle Im Sockel, also wie in einer katholischen Kirche, eine Reliquien-Inszenierung: Obendrauf steht Danneckers Marmor-Büste Schillers, unten, wenn man dann im Holz-Sockel so ein Türchen aufmacht, da wurde dann feierlich niedergelegt der Schädel.

00:10:36: Martin Also das war nicht eine Verlegenheitslösung nach dem Motto wir wissen jetzt auch nicht genau, wo wir mit dem hin sollen, sondern das war wirklich so gewollt, das heißt so als Denkmal und Reliquie der deutschen Literatur, dann eben auch in der Anna Amalia Bibliothek, da, wo die Literatur.

00:10:53: Christoph Schmälzle Das war so gewollt. Man muss sich das so vorstellen, das kann man auch heute noch sehen. Da stehen die vier großen Weimarer Dichter an vier Pfeilern des fantastischen Rokoko Saals. Wir haben da Goethe, Schiller, Herder und Wieland, alle auf Holz-Podesten und in diesen Holz- Podesten waren Reliquien, persönliche Erinnerungsstücke, Handschriften, Dinge, mit denen diese Dichter umgegangen sind. Also man hat das wirklich kombiniert: oben das Bildnis, unten die materiellen Erinnerungsstücke. Und im Falle Schillers eben den Schädel. Also, wenn Sie jetzt an Sankt Peter denken in Rom, da sind ja auch die großen Pfeiler, auf denen die Kuppel ruht. In jedem dieser Pfeiler ist eine wirklich bedeutende Reliquie.

00:11:41: Marko Und dann sind wir bei den vier Geistesgrößen. Bei den anderen sind es aber keine Knochen. Da sind andere Gegenstände, Tintenfass oder.

00:11:48: Christoph Schmälzle So? Genau. Und bei Schillers Knochen ist auch noch mal ein bisschen komplizierter, weil die hat man nicht da rein gemacht. Da hat man so ein schönes Holz-Kistchen mit Samt ausgeschlagen, da die Knochen rein gepackt und das in einem anderen Raum der Bibliothek würdevoll deponiert. Also in seiner Bibliothek sind ja nicht nur Bücher, da sind auch allerhand andere Memorabilien, Kunstkammer-Gegenstände. Alles, was zur Memoria der Dynastie wichtig ist. Und in einem dieser Räume war dann eben auch das Kistchen mit Samt ausgeschlagen mit den zugehörigen Knochen.

00:12:20: Marko Und jetzt muss man sich vorstellen, ist der Herr Geheimrat Goethe, weil er nichts Besseres zu tun hatte, in die Anna-Amalia-Bibliothek, hat sich Schillers Schädel rausgenommen und mal angeguckt. Und dabei ist dann das Gedicht entstanden "Beim Anblick von Schillers Schädel".

00:12:32: Christoph Schmälzle Er hat das nicht nur angeguckt, er hat diesen Schädel mit zu sich ins Goethehaus am Frauenplan, also Wohnhaus am Frauenplan genommen, den in seinem Arbeitszimmer über eine längere Zeit aufbewahrt.

00:12:43: Marko Er ist vor nix fies.

00:12:46: Christioph Schmälzle Und wirklich von allen Seiten studiert und dann eben dieses großartige Gedicht entworfen, was Sie am Anfang auch zitiert hatten.

00:12:54: Martin Jetzt frage ich da mal ganz empört im Brustton der bürgerlichen Empörung: Darf der das denn einfach den Schädel aus der, nun ja, letzten Ruhestätte in der Amalia-Bibliothek einfach mal mitnehmen nach Hause und als Briefbeschwerer auf den Schreibtisch stellen?

00:13:10: Christoph Schmälzle Durfte er, er hatte die Schlüssel zu allen diesen Institutionen. Er hat ja auch später noch eine Zeit lang den Schlüssel zu Schillers Sarg. Er war ja als höchster Hof-Beamter und Freund des Fürsten in einer Position, dass er im Prinzip alle Institutionen, die an so einem Vorgang beteiligt sind, gleichzeitig ja auch beaufsichtigt hat. Und es war von seiner Machtfülle, die er innehatte, tatsächlich relativ unproblematisch. Das heißt aber nicht, dass das alle gut fanden.

00:13:38: Marko Gut, jetzt müssen wir mal überlegen: Würden Sie sich ihren besten Freund zuhause auf den Schreibtisch stellen?

00:13:45: Christoph Schmälzle Also, ich würde ihn mir angucken.

00:13:47: Marko Ach.

00:13:47: Christoph Schmälzle So, wie man das, wenn jemand stirbt, im Krematorium oder im Leichenschauhaus ja heute auch nocht tut.

00:13:51: Martin Nun hat er den auf dem Schreibtisch stehen gehabt. Aber warum? Warum macht er das? Diesen Schädel seines besten Freundes bei sich auf dem Schreibtisch zu verwahren?

00:14:02: Christoph Schmälzle Man muss sich auch klar machen, dass Schädel-Forschung damals nichts Anrüchiges war, sondern extrem up to date. Also, dass es von Schiller überhaupt eine Ganz-Kopf-Totenmaske gibt, hängt mit dem Wiener Arzt Gall zusammen, der sozusagen eine Disziplin erfunden hat, die Phrenologie hieß, wo man unterstellt hat, ja auch so aus der physiognomischen Tradition des 18. Jahrhunderts Lavater und so kommend, dass man an der Form des Schädels etwas über die Person ablesen kann. Oder andersrum, dass die intellektuelle Physiognomie einer Person sich auch in der Form des Schädels ausdrückt. Das heißt, das war erst mal viel selbstverständlicher als wir das heute wissen, dass man sich mit so einem Schädel quasi wissenschaftlich auch beschäftigt und versucht, dem Wesen des Verstorbenen, vor allem wenn es so eine intellektuelle Größe war, über die Form seiner Kalotte und anderer Zonen des Totenschädels näher zu kommen.

00:15:03: Martin Das heißt, er hat ihn auch vermessen, den Schädel. Das ist, glaube ich, das habe ich im Kopf, Phrenologie, das ist dann auch, da ist man dann mit Millimeter-Maß zugange, irgendwie Länge, Breite, Höhe, Größe der Augenhöhlen. Und so weiter und so fort. Das hat Goethe dann auch gemacht.

00:15:18: Christoph Schmälzle Er hat dann auch einen Gips-Abguss davon machen lassen und in seine naturwissenschaftliche Sammlung inkorporiert. So wie man auch nach der Exhumierung Raffaels im Pantheon in Rom Gips-Abgüsse von Raffaels Schädel angefertigt und europaweit verbreitet hat. Das war so, wie es nach Einsteins Tod ja auch so eine Forschung an Einsteins Gehirn gab. Das war damals durchaus im naturwissenschaftlichen Diskurs irgendwie eine naheliegende Frage: Wie sehen eigentlich diese Schädel aus? Also da gibt es auch Schädel-Forschung, wo dann der Schädel Kants untersucht wird. Oder Talleyrand. Also da gibt es eine rege Publizistik, die im 19. Jahrhundert auch noch viel, viel mehr Bedeutung gewinnt. Also da ist Goethe eigentlich an der Spitze einer Bewegung, die dann auch in den 1840ern bis 1880ern noch viel, viel dominanter wird und die ja auch im Kolonialismus noch nachwirkt, wo man ja auch diese heute verstörenden Bilder kennt wie Kolonialbeamten mit dieser.

00:16:14: Martin Diese Wochenschau, teilweise auch Wochenschauen.

00:16:15: Christoph Schmälzle Mit so Mess-Apparaturen in Afrika die unterjochten Völker irgendwie versuchen in eine Statistik zu bringen.

00:16:23: Martin Also Goethe hat sich offensichtlich da intensiv mit beschäftigt. Die Ironie bei der ganzen Geschichte ist natürlich, dass es ja gar nicht Schillers Schädel war. Woher wissen wir das denn überhaupt, dass es nicht der Schädel war?

00:16:34: Christoph Schmälzle Das ist das Ergebnis einer Gen-Untersuchung, welche Volten die genommen hat, kann ich auch gleich noch noch ausführen. Aber man muss auch noch mal anders überlegen: Wenn wir heute wissen, dass es nicht Schillers Schädel ist, ist ja trotzdem die Frage wo wird da die falsche Abzweigung genommen? Wo geht der Schädel verloren? Wird vielleicht auch bewusst ausgetauscht, gestohlen, nicht gefunden, weil im Moment seiner Bestattung war ja alles in Ordnung. Dann gibt es den Moment, wo das Kassengewölbe geräumt wurde, da ist immer noch die Frage: Der richtige könnte ja dabei gewesen sein.

00:17:09: Marko Bei den 23...

00:17:10: Christioph Schmälzle Bei den 23.

00:17:11: Marko Wo sind denn die dann wieder hingekommen? Die 23...

00:17:13: Christioph Schmälzle Die übrig gebliebenen 22 sind dann wieder ins Kassengewölbe. Es gibt dann später auch noch einen Herrn, der dann noch mal im Kassengewölbe quasi archäologisch gräbt - 1913, glaube ich. Also das ist ein bleibendes Thema und es gibt in dieser komplizierten Geschichte, wie mit dieser Bestattung umgegangen wird, immer wieder Momente, wo was hätte schiefgehen können. Es hätte ja auch theoretisch sein können, dass Goethe den echten Schädel hat, den unters Bett legt und einen anderen zurückgibt. Also da ist viel Spekulation drauf zuzutrauen.

00:17:43: Marko Sie trauen dem alten Mann aber vieles zu.

00:17:45: Christioph Schmälzle Wir wollen da nicht so spekulieren, aber wir müssen spekulieren, weil wir haben ein Problem. Morphologisch passt der Schädel, der 2006 aus dem Sarg in der Gruft genommen wurde, perfekt zur Totenmaske, perfekt zu anderen Dokumenten, die wir von Schiller haben, also von der von der Form, von den Abmessungen von...

00:18:08: Marko Hat der Bürgermeister gar nicht so einen Mist gebaut.

00:18:11: Marko Der hat gar nicht so Mist gebaut. Wenn man jetzt rein morphologisch rangeht, ist das auch mit einer hohen statistischen Evidenz ein absolut passendes Artefakt. Und es sind die Gentechniker, die sagen: Kann nicht sein. Und um das sagen zu können, das ist heute vielleicht auch noch mal eine Volte wert, musste man ja die komplette Familie um Schiller erst mal exhumieren. Also unter Fragen der Pietät ist das ja auch hochdramatisch. Also wir wollten wissen: Ist Schillers Schädel wirklich Schillers Schädel? Und um das zu wissen hat man seine Schwester, seine Kinder, man hat sozusagen ringsrum eine komplette Familie exhumiert.

00:18:48: Marko Aber da wusste man schon genau, wo die liegen.

00:18:50: Christioph Schmälzle Da wusste man, wo die liegen. Die sind ja auf historischen Friedhöfen. Da ist auch nie jemand rangegangen. Da muss man natürlich, wenn Mutter und Tochter liegen auch ein bisschen sortieren, wenn das im Laufe der Zeit sich alles so ein bisschen auflöst und mischt. Aber man hat da ganz viel Drumherum exhumiert, untersucht, aus Zähnen und Knochen erst mal Untersuchungsmaterial rausgebohrt, um dann festzustellen das passt nicht.

00:19:17: Marko Tja, bitter. Jetzt kann man natürlich sagen: Okay, haben die Genetiker Mist gebaut, wenn der Rest doch schon passt.

00:19:23: Christioph Schmälzle Man kann man immer sagen. Also die Nicht-Passung, dass wir auf der einen Seite eine morphologische Evidenz haben, die wirklich statistisch extrem überzeugend ist, also da gibt es bestimmte Maße an diesem Schädel, die so einer von 10.000 hat, also wo es lange auch die Überlegung gab, vielleicht hat jemand bewusst die Schädel ausgetauscht, um sozusagen eine Trophäe für sich zu haben, Schillers Schädel mit nach Hause zu nehmen und einen anderen, der genauso außergewöhnliche Maße hat, an seiner Stelle da platziert. Und da gibt es mehrere Momente, wo das passiert sein könnte. Vielleicht stimmt auch die Genanalyse nicht, Aber.

00:19:59: Martin Ja, aber normalerweise sagen wir hier so heute: Die DNA, das ist der Fingerabdruck, das ist kriminologische, sozusagen...

00:20:09: Marko Kriminologisch wasserdicht...

00:20:09: Martin Ja, genau.

00:20:10: Christioph Schmälzle Also im ersten Schritt hat man Schiller, also den Schädel aus der Fürsten-Gruft genetisch abgeglichen mit Schillers Schwestern Christophine und Luise. Und man hat festgestellt Christophine und Luise, seine beiden Schwestern, haben dieselbe Mutter. Aber der Schädel aus der ersten Fürstengruft passt da nicht rein. Also hat eine andere Mutter. Könnte man irgendwie auflösen, wenn man sagt: Ist ein Adoptivkind....

00:20:33: Marko Wäre aber ungewöhnlich.

00:20:35: Christioph Schmälzle Wäre ungewöhnlich...

00:20:35: Marko Müsste man die Schiller-Biografie umschreiben.

00:20:38: Christioph Schmälzle Wäre ungewöhnlich, ist aber grundsätzlich denkbar. Es gibt zwei Schwestern und dann noch einen Knaben in der Familie, der eine andere Mutter hat.

00:20:45: Marko Da könnten ja auch die beiden Schwestern adoptiert worden sein.

00:20:48: Christioph Schmälzle Oder so rum. Davon gehen wir aber erst mal erst mal nicht aus. Dann, im nächsten Schritt, hat man sich seine Söhne angeguckt. Auch da ist alles in Ordnung. Schillers Söhne Ernst und Karl haben genetisch denselben Vater und auch dieselbe Mutter. Also da ist sozusagen in der Kleinfamilie alles in Ordnung. Derselbe Vater, dieselbe Mutter, beide Söhne, Ernst und Karl. Jetzt könnte man natürlich rein hypothetisch sagen.

00:21:13: Marko Es war der Nachbar, der Postbote.

00:21:15: Christioph Schmälzle Schiller wäre sozusagen. Es ist ja komplizierter. Also ein Adoptivkind, also nicht der Bruder seiner Schwestern, sondern ein Adoptivkind und, wie Sie sagen, nicht der Vater seiner Söhne.

00:21:28: Marko Tja.

00:21:29: Christioph Schmälzle Und der Vater seiner Söhne müsste in beiden Fällen dann aber derselbe Postbote gewesen sein.

00:21:33: Marko Ja, das kann ja sein.

00:21:35: Christioph Schmälzle Und jetzt wird es spannend. Also.

00:21:37: Martin Ich hab schon verloren, ich bin raus...

00:21:37: Christioph Schmälzle Ziemlich unwahrscheinlich, aber es ist unwahrscheinlich, aber rein hypothetisch denkbar. Adoptivkind, das nicht Vater seiner Söhne ist. Jetzt stellen wir aber fest, dass Schillers Schwester genetisch die Tante seiner Söhne ist.

00:21:53: Marko Moment: Schillers Schwester ist die Tante seiner Söhne. Das ist doch wirklich nicht ungewöhnlich.

00:22:00: Christioph Schmälzle Wenn wir aber postulieren, Schiller war ein Adoptivkind und nicht Vater seiner Söhne, dann kann diese genetische Verwandtschaft seiner Schwester zu den Söhnen nicht über diesen Schädel kommen.

00:22:11: Marko Damit ist der Postbote entlastet.

00:22:14: Christioph Schmälzle Ja, und damit - das versteht man besser, wenn man das an einem Schaubild zeigt.

00:22:19: Marko Hammer nicht...

00:22:20: Christioph Schmälzle Aber es gehen uns dann im dritten Schritt die Hypothesen aus. Also es passt alles zusammen. Die Söhne haben den gleichen Vater, die gleiche Mutter und sind noch mit der Tante verwandt. Und da passt dieser Schädel aus der Fürstengruft genetisch nicht rein, obwohl er von seiner Form her perfekt zur Totenmaske und zu anderen Quellen, die wir über seine Morphologie haben, sich fügt.

00:22:39: Marko Den Schädel haben wir aber noch.

00:22:40: Christioph Schmälzle Den Schädel haben noch.

00:22:41: Marko Den haben wir noch und den gibt es auch noch. Der ist nicht neu bestattet worden, sondern der liegt jetzt wo?

00:22:45: Christioph Schmälzle Der liegt jetzt... Ich weiß nicht sicher, ob er da noch liegt, aber er wurde erst mal ins Thüringische Landesamt für Archäologie, ins Museum für Ur- und Frühgeschichte gelegt.

00:22:54: Martin Muss man ja auch sagen. Wenn wir in anderen Zusammenhängen über Restitution sprechen, dann ist das natürlich auch, ich sage mal ganz mild, ein Kuriosum. Da liegt ein Schädel, von dem wir nicht wissen, wem er gehört, und er liegt aber dann irgendwo in einer Sammlung, der wird nicht wieder bestattet. Also eigentlich gehört er ja in dieses Kassengewölbe.

00:23:12: Christioph Schmälzle Der gehört eigentlich wieder in die Erde. Man ist da in den letzten Jahren auch sehr viel pietätvoller geworden als noch vor kurzer Zeit. Gleichzeitig ist dieser Schädel, wann auch immer da was verwechselt wurde, ja das Objekt, was über einen langen Zeitraum Gegenstand von Verehrung und Kulturgeschichte war. Wahrscheinlich hat ja Goethe selber schon den falschen Schädel in der Hand, hat sozusagen über ein Objekt reflektiert, was mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit gar nicht der Freund war. Hat gemeint, an den Wachstumsnähten der Kalotte etwas über seinen Freund abzulesen. Und vielleicht war das gar nicht sein Freund.

00:23:54: Marko Also wahrscheinlich war er es nicht.

00:23:56: Christioph Schmälzle Sondern der unbekannte Tote aus dem Kassengewölbe.

00:23:57: Marko Der Mann aus dem Kassengewölbe. Na gut.

00:24:00: Martin So also: Goethe sinniert darüber, den Schädel in der Hand, und schaut, was sein Freund da wohl ihm erzählen kann. Post mortem. Und es ist gar nicht sein Freund. Das weiß aber Goethe nicht, und das weiß niemand. Und irgendwann wandert dieser Schädel auch wieder zurück in die Anna-Amalia-Bibliothek. Aber da scheint es ja auch nicht wirklich wohlgelitten gewesen zu sein, denn in Weimar, da gab es dann auch wieder eine Menge Klatsch und Tratsch und Unwillen, was dann auch bei Hofe zu hören war. Und da gibt es dann ein Zitat, einen Brief von Herzog Karl August an Goethe von 1827.

00:24:38: Marko Am 24 September. Es wird so verschiedentlich über die Aufbewahrung der Schillerschen Relikten seines Kopfes und Skeletts auf hiesiger Bibliothek hin und her geurteilt und meistens wohl mißbilliget, da ich es für ratsam halten möchte, selbige in die Familiengruft einstweilen setzen und aufheben zu lassen.

00:25:02: Marko Karl August lässt es ja ein bisschen offen, was da passiert, aber er meint den Besuch des bayerischen Kronprinzen Ludwig. Ludwig, der spätere Ludwig der Erste, der auch bei Regensburg dann später die Walhalla als Ruhmeshalle der Deutschen bauen lässt und ein großer Verehrer der Weimarer Dichter war.

00:25:20: Martin Und und der war zu Besuch in Weimar.

00:25:22: Christioph Schmälzle War zu Besuch in Weimar und utopischer Fürst.

00:25:25: Marko Da ist dem Karl August unangenehm, dass er da diese Leichenreste rumliegen hat in der Bibliothek.

00:25:29: Christioph Schmälzle Und dem war das einerseits als Katholik, andererseits als Verehrer Schillers unangenehm und unangemessen, dass sozusagen eine Leiche in einer Bibliothek liegt, also ein Heiliger in der Kirche unterm Altar, das ist für Katholiken vollkommen in Ordnung, aber das.

00:25:45: Marko Ist nicht nur in Ordnung, dass ist ein Muss.

00:25:46: Christioph Schmälzle Das muss so sein. Und - genau - aber ein Dichter unter der Büste, umgeben von seinen gedruckten Werken, so schön und erbaulich dieser Gedanke ist, das schien Ludwig unangemessen, und Karl August hat sich diesen Gedanken zu eigen gemacht. Wichtig ist dieser Hinweis Familiengruft und vorläufig oder erst mal, weil das war nicht so geplant.

00:26:09: Marko "Einstweilen setzen und aufheben zu lassen". Das heißt, jetzt kommt Schiller in die Familiengruft von Karl August. Seines Fürsten.

00:26:17: Christioph Schmälzle Seines Fürsten.

00:26:18: Marko Eigentlich kein schlechter Ort.

00:26:19: Christioph Schmälzle Das ist kein schlechter Ort, und das war nie so geplant. Das entsteht wirklich aus dieser Dynamik.

00:26:24: Marko Im Vergleich zum Kassengewölbe - gigantischer Aufstieg.

00:26:26: Christioph Schmälzle Das ist ein Upgrade sondergleichen und das hat auch wieder viel mit Sepulkral-Kultur und Weimarer Geschichte zu tun. Weil nachdem das Schloss schon im 18 Jahrhundert abgebrannt war, hatte man keine Schlosskapelle, wo man üblicherweise die Toten der Dynastie ablegt. Da gab es sozusagen Jahrzehnte ein Provisorium und man hat dann, als man im Zuge einer Neuausrichtung des Friedhofswesens hat man dann außerhalb der Stadt am Poseckschen Garten einen neuen Parkfriedhof gebaut. Das passiert in der Zeit ja überall, dass man die Toten nicht mehr innerstädtisch um die Kirchen bestattet, sondern große Friedhöfe in parkähnliche Anlagen außerhalb der Stadt anlegt. Und da sollte es eine Fürstengruft geben, dass man sozusagen eine repräsentative Grablege für die Dynastie neu schafft, die eben mit dem Schlossbrand 50 Jahre vorher zerstört worden war.

00:27:21: Marko Das ist die Gruft, die man heute also auch noch kennt.

00:27:24: Christioph Schmälzle Die man heute noch kennt.

00:27:25: Marko Und wann ist die gebaut worden?

00:27:27: Christioph Schmälzle Die ist genau in der Zeit fertig.

00:27:29: Marko Ah, okay...

00:27:29: Christioph Schmälzle Das ist das, was da so zusammenkommt. Man errichtet einen neuen Friedhof außerhalb der historischen Stadt, man errichtet eine repräsentative Gruft für die Dynastie. Und dann kommt ein befreundeter Fürst und sagt: Ihr könnt doch diesen Toten da nicht in der Bibliothek liegen. Dann kommt der sozusagen mit einer gigantischen Standeserhöhung in die Gruft neben den ganzen Großeltern und Urgroßeltern des regierenden Herzogs.

00:27:56: Martin Das heißt, das ist dann auch schon so gebaut worden, dass Schiller da dann hinkommen sollte.

00:28:01: Christioph Schmälzle Es ist so gebaut worden, dass die Dynastie in die Zukunft denkt und da genügend Platz für viele Generationen kommender Fürsten einplant. Da stört es dann nicht, auch noch so einen Dichter unterzukriegen.

00:28:14: Martin Also wird sozusagen aus der Fürstengruft dann eine Dichterfürsten Gruft.

00:28:19: Christioph Schmälzle Ja, das ist aber genau das, was dann auch später zum Problem wird. Also in der DDR hat man dann diese Fürsten-Gruft, weil man es mit den Fürsten nicht so hatte unter Kommunisten in Goethe- und Schiller-Gruft umbenannt und in einer gewissen restaurativen Tendenz im wiedervereinigten Deutschland hat man diese DDR Umbenennung wiederum rückgängig gemacht und die Fürsten-Gruft wieder zur Fürstengruft sozusagen die Goethe- und Schiller- Gruft wieder in ihre ursprüngliche Funktion zurückgesetzt. Also auch der im Moment amtierende Chef des Hauses Sachsen-Weimar-Eisenach behält sich ja auch vor, dass er da durchaus überlegt, seine Urne diskret noch platzieren zu lassen. Das ist Tradition.

00:28:59: Martin Jetzt haben Sie es eben schon gesagt. In der DDR hieß es Goethe- und Schiller-Gruft, das heißt, Goethe kam da auch zu liegen. War das auch von Anfang an klar?

00:29:10: Christioph Schmälzle Das kann man mutmaßen. Es gibt Entwürfe des Hof-Architekten Coudray, der auch das Gebäude entworfen hat für den Sarg Schillers. Dieser wunderbare klassizistische Eichen-Sarg mit den eleganten Metall-Buchstaben, wo einfach nur Schiller steht. Und es gibt einen Entwurf, wo der Architekt eben, als er den klassizistischen Sarg Schillers entwirft, auch gleichzeitig den Schriftzug Goethe schon mit zeichnet. Da war der Gedanke irgendwie klar: Wenn Schiller in dieser Standes-Erhöhung neben den Fürsten liegen darf, dann darf auch der eigentliche, der wahre, der große Weimarer Dichterfürst Goethe da hin. Und das hat auch nur fünf Jahre gedauert. Also wir sind ja jetzt 27, 28 und 1832 stirbt ja Goethe und liegt dann eben im baugleichen, anders beschrifteten Sarg daneben.

00:30:05: Martin Das heißt auch schon zu Lebzeiten war dem Dichterfürsten auch klar: Wenn er heruntergestiegen ist in die Fürsten-Gruft, um seinen alten Freund zu besuchen, dann war das Plätzchen daneben für ihn reserviert.

00:30:16: Christioph Schmälzle Es muss ihm klar gewesen sein. Er war in dieser Zeit ja auch nicht nur von dieser sprichwörtlichen olympischen Kälte, die viele beklagen, sondern er war Monument seiner selbst. Er hat seine eigene Monumentalisierung ja nicht nur miterlebt, sondern auch mit der späten Werkausgabe und der Vollendung des Faust und den autobiographischen Schriften ja auch selbst gestaltet.

00:30:37: Marko Nun gut, sein Verhältnis zum Tod war trotz alledem stets ein sehr schwieriges. Also man weiß gar nicht, wie er doch über seine eigene Beerdigung nachgedacht hat. Oder hat er darüber nachgedacht?

00:30:48: Christioph Schmälzle Also ich glaube ja, dass ihn der Tod viel mehr geschreckt hat als Schiller. Von Schiller gibt es ja ein Diktum, dass er sagt: Der Tod kann eigentlich gar nichts Schreckliches sein, da er sozusagen eine philosophisch allgemeine Tatsache ist, über die wir nicht weiter lamentieren müssen, weil sie dem Menschsein innewohnt. Goethe hat einmal gesagt, ich zitiere: Wenn ich an meinen Tod denke, darf ich, kann ich nicht denken, welche Organisation zerstört wird.

00:31:16: Marko Ja, schon schrecklich...

00:31:17: Christioph Schmälzle Er hat ein Leben lang an seiner inneren Ausschmückung, an seiner inneren Bildung gearbeitet.

00:31:22: Martin Mit Organisation meint er seinen Geist, seine Seele, sein gebildetes, in jeder Hinsicht vollendetes Selbst.

00:31:31: Christioph Schmälzle Und dieses Bilden, immer wieder auch weiter Ausdifferenzieren war ihm ja sehr wichtig, sowohl auf seine eigene Kultur und innere Differenzierung als auch auf sein Haus, seine Sammlungen, seine Werke.

00:31:43: Marko Das ist ein Typ gewesen, der hätte sich auch klonen lassen.

00:31:45: Christioph Schmälzle ...oder einfrieren, so was.

00:31:47: Marko Und selbst muss man sagen: Das Verhältnis zum Tod Zeit seines Lebens war immer ein schwieriges. Also ich erinnere mich, habe mal ein Zeitzeichen gemacht über seine Frau und seine Hochzeit, als seine Frau gestorben ist. Und sie ist unter schrecklichen Qualen gestorben. Die hat sich die Zunge durchgebissen, so schrecklich war das und muss ganz furchtbar gewesen sein. Da ist er dann einfach in anderen Trakt von seinem Haus, möglichst weit weg, wo er es nicht gehört hat, und hat an seinen Liebesgedichten zu Hafis geschrieben, als Schiller gestorben ist 1805 ist er nicht zur Beerdigung gegangen. Also ein schwieriges Verhältnis zum Tod und zum eigenen Tod, wo man sagen würde: Ja, also was, was geht da verloren, wenn ich mal nicht mehr bin? Komischer Typ.

00:32:31: Martin Also zu den Beerdigungen seiner eigenen Frau ist er nicht gegangen und von seinem Freund Schiller auch nicht.

00:32:36: Christioph Schmälzle Und bei der Niederlegung der feierlichen Niederlegung der Schillerschen Gebeine in der Bibliothek hat er sich auch vertreten lassen. Das war auch so eine Zeremonie. Die hat er mitgeplant, mit organisiert, sich da Gedanken gemacht, wie die abläuft. Aber er war nicht dabei.

00:32:50: Marko Ja, und dann klaut er sich raus, dann stiehlt er sich sozusagen aus dieser Szenerie, aber klaut sich den Schiller Schädel. Das ist ja schon...

00:32:57: Christioph Schmälzle Das ist die Ambivalenz, die wir aushalten.

00:32:59: Marko Das ist unglaublich mit diesem Herrn Geheimrat.

00:33:01: Christioph Schmälzle An einer Beerdigung konnte er nicht vorbei, das war seine eigene. Als Schiller umgebettet wird in die Fürstin-Gruft, ist er auch schon Ende 70 und 1832 dann, im zarten Alter von 82 Jahren, ist es dann so weit: Goethe stirbt und.

00:33:19: Marko Ist doch unsterblich.

00:33:24: Christioph Schmälzle Eckermann kann es auch kaum glauben.

00:33:25: Marko Keiner kann es glauben. Jetzt mal ehrlich. Und was waren die letzten Worte?

00:33:34: Martin Mehr Licht.

00:33:35: Christioph Schmälzle Mutmaßlich - folgen wir Eckermann - mehr Licht.

00:33:40: Marko Mehr liecht hier so schlecht... Is ja auch egal, auf jeden Fall

00:33:40: Christioph Schmälzle Ist eine lange Debatte, was er jetzt gesagt oder nicht gesagt hat, das ist bei allen prominenten Toten so. Und immer diese Mythologie, diese Hoffnung: Vielleicht hat er noch was Bedeutsames gesagt, und weil es das Letzte war, muss es besonders bedeutsam gewesen sein. Es kann auch ganz banal gewesen sein, aber das ist nicht unser Thema.

00:33:57: Marko Der Mann, der Mann, der immer an Goethes Lippen hing, war natürlich sein Sekretär Eckermann, der sich Zeit seines Lebens fast für umme. Ich glaube, ich hat nie Geld gekriegt, um Goethe gekümmert hat und der geht ihn besuchen.

00:34:12: Martin als Eckermann Am anderen Morgen nach Goethes Tode ergriff mich eine tiefe Sehnsucht, seine irdische Hülle noch einmal zu sehen. Sein treuer Diener Friedrich schloss mir das Zimmer auf, wo man ihn hingelegt hatte. Auf dem Rücken ausgestreckt, ruhte er wie ein Schlafender. Tiefer Friede und Festigkeit waltete auf den Zügen seines erhaben edlen Gesichts. Die mächtige Stirn schien noch Gedanken zu hegen. Ich hatte das Verlangen nach einer Locke von seinen Haaren, doch die Ehrfurcht verhinderte mich, sie ihm abzuschneiden. Der Körper lag nackend in ein weißes Betttuch gehüllt. Große Eis-Stücke hatte man in einiger Nähe umher gestellt, um ihn frisch zu erhalten, so lange als möglich. Friedrich schlug das Tuch auseinander, und ich erstaunte über die göttliche Pracht dieser Glieder.

00:35:07: Marko Gottogottogott... meine Herrschaften. Ja, das ist der Herr Eckermann.

00:35:12: Christioph Schmälzle Aber es ist ganz nahe an der Realität. Also dieses Abschneiden von Locken, das hat man ja mit allen Prominenten und im Grunde auch ganz normal in der bürgerlichen Sepulkralkultur dieser Zeit gemacht. Man nimmt sich noch so ein Löckchen mit und hält das in Ehren. Und auch das Detail, dass man mit Eis kühlt, um ihn noch länger aufbahren zu können, damit er nicht so schnell verfällt, damit er nicht riecht, sich nicht zu sehr verfärbt, das zeigt eigentlich eine große Umsicht und auch ein Bedürfnis, jetzt die nächsten Schritte würdevoll zu planen.

00:35:46: Marko Die nächsten Schritte waren ab in die Fürstengruft neben seinen besten Freund und ja, da lag er dann.

00:35:53: Martin Ja, die nächsten Gott, die nächsten 100 Jahre lag er da - 100, 110 Jahre.

00:35:59: Christioph Schmälzle Mehr als 100 Jahre - also bis in die Endphase des Zweiten Weltkriegs. Als man dann unter den Bedingungen des Luftkrieges das nicht mehr länger ertragen konnte und die Dichtersärge, also Schiller und Goethe, aber eben nicht Karl August, in den Bunker nach Jena gebracht hat.

00:36:15: Marko Das haben wir in der vorigen Folge ja sehr ausgiebig beschrieben. Das Ganze ist eine sehr skurrile Geschichte, bis man dann in der Tat merkt Hoppala: Goethe gammelt, er stinkt.

00:36:28: Martin Das war in den 60er Jahren, da ist aber noch nichts passiert, sondern man hat nur geguckt, okay, da muss was getan werden. Und dann fehlte damals aber das Geld, bis man dann 1970 tatsächlich zur Tat geschritten ist. Das haben wir in der vorigen Folge ja auch geschrieben. Und daraus aus dem, was mit Goethe dann gemacht wurde, ist die Akte Mazeration Goethe entstanden. Sie haben die auch zu lesen bekommen. Wie war das für Sie, als Sie da zum Ersten Mal reingeguckt haben? Was hatten Sie da für einen Eindruck?

00:37:00: Christioph Schmälzle Das ist ja eine Akte, die im Ruf steht, Verschlusssache zu sein. Diese Akte zur Mazeration und den Geschehnissen drumherum, die liegt im Instituts-Archiv, im Goethe- und Schiller-Archiv in Weimar. Und man kann die zu wissenschaftlichen Zwecken vor Ort einsehen. Die einzige Einschränkung ist natürlich, dass die jetzt nicht vollständig digitalisiert, mit einem Mausklick von außen, mit allen Fotos des modrigen Fleisches, mit allen Fotos der mumifizierten Haut - über diese Dinge hatten wir voriges Mal gesprochen - zugänglich ist. Aber vor Ort, im Lesesaal kann man die angucken, und der Eindruck ist eigentlich erst mal in einer gewissen Weise ernüchternd, weil das ist ja ein naturwissenschaftlicher Vorgang. Also da kommen Präparatoren, Restauratoren, Mediziner gucken sich das alles an, sondern das zu erhaltende Gebein vom modernden Fleisch. Also das hat hier und da natürlich auch einen gewissen Ekel-Faktor, wenn man nicht gewohnt ist, mit Gebeinen und mit Verwesung zu tun zu haben, aber mit einer gewissen Vorbildung in diesen Dingen, mit einem Wissen um Verwesung-Prozesse und Totenkult, Bestattungswesen ist das erst mal ein ganz nüchterner, akribisch dokumentierter wissenschaftsbasierter Vorgang.

00:38:26: Martin Also Sie haben da nicht mit zitternden Händen die Akte aufgemacht und aufgeregt darin zu lesen begonnen?

00:38:31: Christioph Schmälzle Nein, das ist ja so ein bisschen das was, was der raunende Albrecht Schöne in seinem Buch über Schillers Schädel dann in den Goethe Fußnoten zur Mazeration macht.

00:38:41: Marko Man muss das vielleicht erklären: Albrecht Schöne - bekannter Goethe Kenner, Professor...

00:38:45: Christioph Schmälzle Faust-Herausgeber, Göttinger Germanist, der diese Akte so inszeniert als das Geheimnis, zu dem er als Groß-Germanist Zutritt hatte, zu dem aber der gemeine Pöbel eben keinen Zutritt habe. Und er inszeniert das dann in diesem Buch über Schillers Schädel in einer sehr langen Fußnote, so wie er andachtsvoll vor dem Bild des Schädels, der von Aaskäferlarven bedeckt ist,. Und dann sagt er: Das ist ja wie Arcimboldo. Das sind wie angenagte Buhnen auf Sylt, das ist das echteste Goethe Porträt, was wir haben. Also er überhöht das bildungsbürgerlich und inszeniert gleichzeitig das Tabu und bringt sich in die Position dessen, der es sehen darf, während wir als die Leser es nicht werden sehen dürfen. Und das ist heute viel pragmatischer, also mit einem guten Anliegen kommt man da problemlos ran. Also das ist keine Verschlusssache in dem Sinn, dass da ein Tabu aufrechterhalten wird.

00:39:46: Martin Das Anliegen war damals meinerseits das Zeitzeichen und Sie haben mir das freundlicherweise dann auch gezeigt diese Akte. Jetzt muss man natürlich fragen. Akte Mazeration. Wir haben weder in der vergangenen Folge noch bisher geklärt: Was ist denn eigentlich Mazeration? Und da ist in dieser Akte eben auch sehr detailliert beschrieben, was die da eigentlich gemacht haben. Also noch mal zur Rekapitulation: Man hat Goethe erst besichtigt, dann ist man ein paar Tage später wieder hin und hat ihn ausgebettet und hat das erst mal so grob alles von den Knochen befreit, was da so an Aaskäferlarven und ich weiß nicht was war. Und dann ist das ganze ins Labor gekommen, wo man dann diese Mazeration vorgenommen hat. Und die hat zahlreiche Punkte, die wir vielleicht mal jetzt gerade lesen wollen.

00:40:38: Marko Ein langes Zitat. Ich mazeriere: Erstens: Die bei der Ausbettung entnommenen Knochen, Glieder und Körperteile wurden zuerst trocken, mechanisch von Hautresten, Sehnen, Aaskäferlarven und festgebackenen Bettungsmaterial befreit.

00:40:54: Martin Zweitens: In einem ersten warmen Wasserbad mit Zusatz von Fein-Desinfektionsmittel und einem zweiten mit Fein-Waschmittel erfolgte eine weitere Reinigung durch Bürsten, wobei sichtbar wurde, dass die Knochen der einzelnen Körperteile einen sehr unterschiedlichen Erhaltungszustand aufweisen.

00:41:13: Marko Drittens: In Wasserdampf und aufgeschäumten Fein-Waschmittel wurden die Knochen entsprechend ihrer Festigkeit und ihres Erhaltungszustandes von Knochen-Fett so weit als möglich befreit.

00:41:24: Martin Viertens: Nach dem Dampfbad folgte eine weitere mechanische Reinigung unter fließendem Wasser, wobei die Reste von Knochenhaut, Knorpel und dergleichen abgelöst wurde.

00:41:34: Marko Fünftens: Bei langer Wässerung wurden die Knochen von Laugeresten befreit.

00:41:38: Martin Sechstens: Im Bleich-Bad, das aus einer dreiprozentigen Wasserstoffsuperoxid-Lösung mit einem Ammoniak Zusatz bestand, wurden die Knochen einzeln entsprechend ihrem Erhaltungszustand verschieden lange gebleicht.

00:41:51: Marko Siebtens: Zur abschließenden Neutralisation lagen die Knochen in fließendem Wasser.

00:41:56: Martin Achtens: Zur Vorbeugung gegen Bakterienbefall und Schimmelbildung kamen die Knochen in ein Tauchbad einer 0,05 prozentigen Lösung von Tiuram Tetra-Methyl ...hie tetra Metyl... Tetra methyl Tiri.. Tiu Tiuramdisulfat - meine Fresse. Nochmal: Tetra-Methyl-Tiurammethyl-tiuram-Di-Sulfid. Ach du lieber Himmel.

00:42:24: Marko Neuntens bei Zimmertemperatur trockneten die Knochen langsam aus.

00:42:28: Martin Zehntens: Im Vakuum-Schrank wurde bei 300 Torr. Das ist glaube ich ein Druck-Maß, ja genau bei 300 Torr innerhalb von drei Tagen Nitro-Cellulose-Lösung mit Aceton bis zur Sättigung eingebracht.

00:42:44: Marko Elftens: Der Trocken-Vorgang verlief erst bei Normal Temperatur und 40 % Luftfeuchte. Nach dem Verdunsten des Lösungsmittels erhärtete das Tränk-Mittel unter Infrarot aus.

00:42:54: Martin Zwölftens - Lange Liste - Zwölftens: Bei der Durchsicht der Knochen stellte sich heraus A: Vom rechten Fuß fehlen das Zehen-Grund-Glied vom vierten und fünften Zeh. Das des vierten fand sich bei der rechten Hand, das vom fünften Zeh. Bei der linken Hand.

00:43:11: Marko Wer hat denn da umsortiert?

00:43:13: Christioph Schmälzle Es gab ja mehrere Befundungen davor. Also man hat ja immer seit den 60er Jahren ja immer wieder reingeguckt. Von daher, man kann es nicht genau sagen, aber es ist ja keine komplett ungestörte Bestattung, sondern die gehen ja mit einer langen Vorgeschichte daran.

00:43:27: Marko Tja. 13: Der Sarg wurde mit Desinfektionslösung gereinigt. Nach dem Trocknen wurde er wiederholt mit farblosem Xylamon behandelt, das vom Holz gierig aufgesogen wurde. Diese Behandlung wurde im Verlauf von zwei Wochen achtmal wiederholt.

00:43:41: Martin Das gute Xylamon. Damit hat mein Vater auch immer die Pergola außen gestrichen.

00:43:44: Christioph Schmälzle Das funktioniert - also das ist giftig, aber es funktioniert.

00:43:47: Martin Was man so macht, ja genau. Die Punkte 14, 15 lassen wir jetzt mal weg.

00:43:51: Marko Also es wird auch arg lang, mein Gott...

00:43:54: Martin Die Blätter des Lorbeerkranzes sind in Spiritus ausgewaschen und desinfiziert worden, in Thiuramlösung vorbeugend gegen Schimmelbildung behandelt und dann in eine Polyacrylsäure- Esther Lösung getaucht worden.

00:44:08: Marko 17. Die Fingernägel sind lediglich im Alkohol gesäubert und desinfiziert worden.

00:44:12: Martin 18. Die Textilien, Totenhemd, Kissenplatte, Kopflaken wurden am 17. November 1970 dem Museum für Deutsche Geschichte in Berlin zur Konservierung übergeben. Sie sollen nach der Konservierung wieder in den Sarkophag gelegt werden.

00:44:27: Marko 19. Die Messungen der Einzel-Knochen wurden nicht vorgenommen. Lediglich der Schädel-Inhalt wurde durch Einfüllen feinen Sandes und dessen Volumen Bestimmung zu 1550 Milliliter festgestellt.

00:44:42: Martin Volumen-Bestimmung des Schädel-Inhaltes.

00:44:45: Marko Mit Sand. Sand! Goethe hatte Sand im Kopf!

00:44:49: Christioph Schmälzle Also es wundert einen nicht, wenn es um eine Geistesgröße geht, dass die erste Frage ist wie ist das Schädel-Volumen? Das ist fast schon ein bisschen banal und passt in dieses anthropologische Paradigma von vermessen.

00:45:03: Martin Ist das denn heute auch noch so? Wir haben ja am Anfang darüber gesprochen, dass Phrenologie so eine Mode-Wissenschaft des 18. und 19. Jahrhunderts gewesen ist. Aber wir sind ja jetzt 1970.

00:45:14: Christioph Schmälzle Also in dieser Form des 19. Jahrhunderts, sicher nicht. Also wie gesagt, ich halte das eher fast für ein bisschen banal, dass man, wenn man den Schädel schon mal hat, das Volumen bestimmt.

00:45:26: Martin Das hat man einfach auch gemacht, weil man gerade dabei war.

00:45:28: Christioph Schmälzle Ja, und es wird ja auch zum Beispiel ganz klar gesagt jetzt: Messungen der Einzel-Knochen hat man dann nicht mehr gemacht. Man hatte da andere Fragestellungen. Also man hat zum Beispiel an Verwachsungen der Wirbelsäule festgestellt, dass Eigenheiten von Goethes Gang, die von vielen Zeitgenossen beschrieben wurden, dass er so ein bisschen steif immer im Zimmer stand, wenn er Gäste empfing, dass das wirklich was mit so einer skoliotischen Verwachsung der Wirbel zu tun hat. Also man hat eher so eine Krankengeschichte an dem Skelett abgelesen. Man hat nicht so wie im 19 Jahrhundert gemessen, sondern man hat geguckt, was sehen wir an den Knochen noch für Spuren möglicher Leiden, die gut zu dem passen, was wir von Zeitgenossen aus seinem Tagebuch von ihm selber wissen. Und gerade diese Steife des Ganges, die lässt sich an den Wirbeln ganz gut zeigen.

00:46:21: Marko Das Ganze klingt ja, wenn man diese 19 Punkte sich anguckt, so als hätten die sich echt eine Menge Mühe gemacht. Das ist ja offenbar ein riesen Akt, diese Mazeration.

00:46:32: Christioph Schmälzle Also man, man merkt schon das Bemühen dieses Staates unter Einbeziehung aller relevanten Institutionen, das Skandalon der Verwesung dieser Nationaldichter jetzt irgendwie wissenschaftlich kompetent aufzuhalten. Und da wird eben alles aufgefahren, was sozusagen state of the art in Konservierung so zur Verfügung stand. Also es geht wirklich darum, das feuchte Holz darf nicht weiter modern und das Gebein darf, also das entfleischte, nackte Gebein darf auf keinen Fall schimmeln. Und nackt ist vielleicht auch ein ganz guter Punkt, weil die Textilien, also Totenhemd, Kissen, Kopflaken, die sollten ja kommen, die kamen aber nicht rechtzeitig. Man hat die Knochen dann sozusagen nackt und bloß in den Sarg gelegt.

00:47:21: Martin Hatte man es eilig oder war das unangenehm? Oder warum? Ich meine, ob der jetzt nun Mitte November 1970 oder im Dezember erst da eingesargt worden wäre, hätte doch keinen Unterschied gemacht.

00:47:32: Christioph Schmälzle Ja, aber man wollte so schnell wie möglich wieder einen vollen, also einen nicht leeren Sarg. Also man wollte schon so schnell wie möglich da eine stabile Normalität in der Fürsten-Gruft bzw. wie es damals hieß in der Goethe- und Schiller-Gruft.

00:47:48: Marko Und weil die DDR natürlich als sozialistischer Staat keinen wirklichen Heiligen kennt, keine katholischen, haben wir jetzt zwei Dichter da liegen.

00:47:56: Christioph Schmälzle Ja, also man hatte den Knochenmann damals dann wieder fein gemacht und ein paar Tage nachdem also diese Prozedur beendet war, von der wir da eben berichtet haben, haben diese sieben Weimarer Gelehrten knapp drei Wochen nach ihrem ersten Besuch dann zum Dritten Mal die fürstliche Gruft besucht und haben dann die Gebeine von Johann Wolfgang von Goethe in den Sarkophag gebettet.

00:48:22: Christioph Schmälzle Man hat dann nicht gewartet, bis das Gewand wieder da ist, sondern man ging weiter im Protokoll.

00:48:29: Marko Das in der im vorhergehenden Bericht geschilderte Weise behandelte Skelett wurde am 20 November wieder eingebettet, und zwar vom gleichen Restauratorenkollektiv, das auch die Ausbettung und Mazeration vorgenommen hatte. Der Stoff-Beschlag, der Sargwandung besteht aus weinrotem Perlon-Gewebe. Er ist mit einer Unterlage aus Polyethylen-Folie durch einen Kunststoff-Streifen mit Messing-Nägeln festgehalten und gegen Holz isoliert. Das Skelett wurde in den Schaumstoff so eingearbeitet, dass der Körper seine normale gestreckte Lage bekam. Schädel, Wirbelsäule und Becken mussten also ziemlich tief eingearbeitet werden. Der restaurierte Lorbeerkranz wurde wieder auf den Schädel gesetzt. Die in einen geschliffenen Glas-Zylinder gebrachten Kleinteile - Fingernägel, Nadeln, zwei Knöpfe sowie die zwischen Glasplatten gelegten und beschrifteten Gewebeproben - am linken Fußende des Sarges niedergelegt. Das Skelett ist ebenso wie im Sarge Schillers mit einer aus dem gleichen Stoff-Material hergestellten und mit Perlon-Gewebe gefüllten abgesteppten Matratze abgedeckt. Die Abdichtung des Sarg-Deckels geschieht durch selbstklebende Schaumgummi-Streifen, die in die Deckelnut eingeklebt sind. Der Sarg wurde verschlossen. Die Kanten-Beschläge und die eisernen Griffe erhielten einen Überzug aus graphitiertem Rostschutzmittel. Die Einbettung begann um 16:15h und endete gegen 21:30h.

00:50:02: Martin 1970. Da liegt er jetzt seitdem fein gemacht für die Ewigkeit, aber in einem abgeschlossenen Sarg. Es frag ich mich, der ganze Aufwand. Und dann ist da nicht mal ein Fenster drin, das man sehen kann, wo er liegt.

00:50:18: Martin Man hat das überlegt, ob man, wenn man da schon ran muss, nicht so eine Art Schneewittchen Sarg auch bauen kann. Dann hätte man ihn wirklich zur Trophäe gemacht. Also wir kennen das ja von Haydns Schädel, der kurz nach der Bestattung ja auch aus dem Grab geraubt, also abgesägt, abgeschnitten wurde und der dann später in so einer Glasvitrine in der Wiener Gesellschaft der Musikfreunde zu sehen war. Wirklich die Trophäe des Wiener Klassikers unterm Glas-Sturz in der Weihestätte der Musikkultur. Also so was hat man überlegt, aber restauratorisch verworfen. Und es hat natürlich auch memorial-politisch einen gewissen Charme, weil man dann genau diese ja irgendwo auch ein bisschen verklemmte, vielleicht auch pietätvolle Situation erhält, dass die Öffentlichkeit keine Veränderung merkt. Also von außen sah hinterher alles genauso aus wie vorher. Ich finde ja viel eher verstörend, diese brutale Nüchternheit. Also wir haben da Perlon-Stoff, wir haben so eine Kunststoff Unterlage, wo die so eingearbeitet werden. Also so, wenn man jetzt heute aus Asien billiges Porzellan oder Glas kauft, das sind ja dann auch oft solche Papp-Boxen, wo dann unter einem Kunstfaser-Stoff so ausgearbeitete Vertiefungen, wo man die Dinge reinlegt. Also es ist ja alles brutal nüchtern - in Xylamon ertränktes Holz, diese reliefierte Kunststoff Matratze, dann der Perlon-Stoff, dann die Perlon-Steppdecke oben drüber auf die nackten Gebeine und dann noch diese Phiole mit den Kleinteilen und die Gewebeproben. Also beim vorigen Mal hatten wir das ja auch besprochen, dass das alles verbrannt wurde, bis auf die wenigen Proben. Also dann legt man ihm noch so ein paar Objektträger aus dem Labor dazu mit Gewebe, also Stoff-Gewebe, Textil oder was man untersucht und zu größten Teilen verbrannt hat. Also eine ganz erstaunliche Nüchternheit, die aber in die Särge so weggeschlossen ist, dass das Publikum davon gar nichts merkt. Also das ist wirklich nur für den inner circle, ist für die Akten, ist für die Dokumentation. Wir können uns das heute angucken. Für das Publikum hat sich nichts verändert, und für das Publikum bestand auch nie ein Problem, weil das war ja Geheimsache. Das wurde nicht öffentlich diskutiert, Man hat das diskret gemacht.

00:52:41: Martin Damit könnte die Geschichte jetzt vorbei sein mit Goethes Mazeration. Aber es gibt ein Nachspiel. 1999 wurde Weimar Kulturhauptstadt. Riesen Bahnhof, Staatsgäste, Veranstaltungen. Eine Riesen-Nummer ist da gewesen. Jahrelange Vorbereitung und Herausputzen von Weimar als eben diese Kulturhauptstadt 99. Und dann erschien im März 1999 ein Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Und der hat, ja, kann man so sagen, zum Skandal gereicht.

00:53:17: Marko Ich zitiere aus der FAZ Die DDR wollte Goethe in eine Trophäe verwandeln, und das tat sie im Verborgenen, aber mit umso größerer Brutalität nicht. Dem Fortschritt der Naturwissenschaften wollte man hier dienen, sondern dem einer radikalen Philologie am Dichter. Das Merkwürdige, das zutiefst Irritierende an diesen Ereignissen liegt darin, dass sie sich überhaupt zugetragen haben. Als 1983 Lichtenbergs Grab geöffnet wurde, ließ man die Gebeine in Frieden, und auch mit den sterblichen Überresten Karls des Großen geschah nichts, als 1988 sein Sarkophag restauriert wurde. Der DDR aber erschien, getreu ihrer materialistischen Philosophie vom Menschen gerade die Vergänglichkeit Goethes wie ein Vergehen gegen den Anspruch der sozialistischen Gesellschaft auf das Erbe der klassischen deutschen Kultur. Wer sich noch an diese Debatte zwischen den beiden deutschen Staaten erinnert, der kommt nicht umhin, sich zu fragen, warum Goethe als Trophäe hergerichtet werden sollte. Und er fragt sich weiter, was mit diesem Leichnam, den man wie eine Reliquie eines Heiligen präpariert hatte, noch geschehen sollte.

00:54:31: Martin Tja, da raunt der Reporter, Was sollte mit dem noch alles geschehen? Wissen Sie da was?

00:54:37: Christioph Schmälzle Erstaunlicherweise ganz wenig. Also Skandal gab es ja dann 2008, als die Untersuchung von Schillers Schädel publik wurde. Der Sturm um Goethe hat sich relativ schnell beruhigt, das ist wahr.

00:54:51: Martin Aber hat da die Kulturverwaltung das Rotieren angefangen? Ich meine, das ist ja nun eine ziemlich wütende Kritik gewesen. Die DDR wollte Goethe in eine Trophäe verwandeln. Also das ist ja, da ist ja eine Menge Furor mit im Spiel.

00:55:05: Christioph Schmälzle Die Kulturverwaltung musste reagieren. Man merkt das ja auch an der ganzen aggressiven Diktion, mit der Schirrmacher damals aufgetreten ist, dass es hier auch um so eine Spätphase des Kalten Kriegs in Kultur-Sachen geht. Also da geht es schon um West-Ost-Konflikt, da geht es um die Wiedervereinigung und da geht es auch um so eine Form bürgerlicher Pietät, die dann zwischen West und Ost verhandelt wird, was die richtige bürgerliche Pietät ist. Aber wo die Dichter auf beiden Seiten extrem hoch gehängt werden, ist ja nicht so, dass Schirrmacher, der Autor dieses FAZ Artikels, Goethe gering achtet, sondern ganz im Gegenteil, weil er ihn so achtet, wirft er der anderen Seite vor, alles falsch gemacht zu haben. Und das war ein Riesenthema. Also da sind ja auch andere Medien aufgesprungen. Gigantische Debatte, große Aufregung und es musste sich dann auch der Stiftungsrat, damals hieß sie noch Stiftung Weimarer Klassik, heute Klassik-Stiftung Weimar mit der Sache beschäftigen. Da wurden Gutachten geschrieben, Akten gewälzt. Also da hat man sich im Goethe- und Schiller-Archiv an die von uns ja auch eingesehene Geheim-Akte gesetzt. Hat ein langes Gutachten für den Stiftungsrat geschrieben, das zu dem Ergebnis kam Es ist alles ganz undramatisch, weil nach damaligem Stand der Wissenschaft war unter der Prämisse, dass man die Gebeine erhalten will, unter der Prämisse, dass man die Särge erhalten will. Erst mal keine andere Lösung verfügbar.

00:56:34: Martin Aber wir haben uns die ganze Zeit immer gefragt. Jetzt auch, als wir diese vielen Arbeitsschritte und den Aufwand wiedergegeben haben, den die damals betrieben haben. Warum machen die das alles und warum machen die das unter solcher Geheimhaltung? Das scheint ja so ein bisschen zu sein, als ob die geahnt haben: Oje, da könnte was kommen. Und als es dann schließlich rauskam, 99, kam ja auch dann was.

00:56:55: Christioph Schmälzle Es war ja auch der Anspruch dieser Dokumentation, das eigene Handeln in seiner wissenschaftsbasierten, brutalen Nüchternheit so zu dokumentieren, dass es einer späteren Überprüfung standhält. Also so eine ganz komische Volte: Einerseits agiert man heimlich im Verborgenen, unter bewusstem Ausschluss der Öffentlichkeit, wie gesagt, unter Bedingungen des Kalten Krieges. Dass man das auch auf keinen Fall zu so einem kulturpolitischen West-Ost-Streit in den 70er Jahren kommen lassen wollte. Andererseits - bei aller Heimlichtuerei - lässt man einen Fotografen den Vorgang begleiten, der wirklich jeden Arbeitsschritt mit einem eigenen Foto dokumentiert und legt diese wirklich umfangreiche Akte an, die das alles nachvollziehbar macht. Also wir wüssten das ja alles gar nicht. Wir könnten ja auch gar nicht diesen Kontext-Bruch so feiern, dass wir aus einer nüchternen anthropologischen Beschreibung eines Vorgangs, mit dem wir sonst gar nie zu tun bekommen hätten, jetzt so zitieren, dass es so einen Verfremdungseffekt gibt. Weil da prallen ja auch verschiedene Erfahrungswelten aufeinander. Wer mit der Konservierung von Gebeinen beschäftigt ist oder auch mit mit anderen Restaurierungsfragen, der ist natürlich diese Sprache gewohnt. Der ist diese Chemikalien gewohnt, der kennt die Vorgänge. Für uns ist das ja auch erst mal irritieren, Fein-Waschmittel, Aceton, Xylamon. Für uns ist das ja komisch, aber das würde man heute nicht anders machen, dass wenn man sich entschließt, eine solche Konservierung zu unternehmen, dass man dann eine Dokumentation anlegt und auch die Produkte, die man benutzt, die Substanzen, die man einbringt, genau protokolliert, Stück für Stück.

00:58:42: Martin Aber lassen Sie uns vielleicht zum Schluss noch mal dieses Spielchen kurz spielen. Was wäre denn gewesen, wenn das in der Zeit des Ost-West-Konfliktes, also 1970 oder ein paar Jahre später herausgekommen wäre? Der Skandal wäre vermutlich noch viel größer gewesen.

00:58:56: Christioph Schmälzle Aber dann hätte man ja der DDR vorwerfen können, sich nicht ordentlich um das kulturelle Erbe zu kümmern, also sozusagen die Altstädte verfallen zu lassen, die Dichter verfaulen zu lassen, die Särge der Dichter vermodern zu lassen. Also das war ja immer auch ein Thema, das man so vom Westen so ein bisschen abschätzig auch nach der Wende auf diese nicht sanierten Altstädte geguckt hat, auf diese Schlösser, wo einfach seit Jahrzehnten nichts passiert ist. War ja teilweise sogar ein Glück, weil weil nichts passiert ist, konnte man auch nichts abräumen. Aber das hätte genauso ein Skandal gegeben, weil dann hätte man ganz klar sagen können: Der Dichter modert und keiner tut was.

00:59:37: Marko Wie man's macht, macht man es verkehrt.

00:59:40: Christioph Schmälzle Es ist ein wirkliches Patt, Man. Es gibt da keinen guten Ausweg aus der Problematik, einen National-Heiligen im Keller zu haben, in der Gruft zu bewahren und dann festzustellen: Das Holz des Sarges ist feucht, der Leichen-Saft tropft raus, es riecht irgendwie komisch. Und draußen stehen die Touristen, die gucken wollen.

00:59:59: Marko Nun haben wir hier zwei ewige Dichter, die zu ewigem Leben verdammt sind Goethe und Schiller, die beiden National-Heroen. Wäre es nicht eigentlich viel sinniger, ein bisschen mehr von ihnen zu lesen, als sich so um ihre Knochen zu kümmern?

01:00:12: Christioph Schmälzle Auf jeden Fall bleibt die Frage: Was ist der richtige Umgang mit diesen Gebeinen? Man kann, wenn es hart auf hart kommt, ganz radikal sagen: Lass die Knochen, lies die Texte. Gleichzeitig ist es aber ganz normales menschliches Verhalten, seine Verehrung, sein Interesse auch an Materiellem festzumachen. Also wir brauchen beides.

01:00:31: Martin Also die Leute pilgern ja auch nach Weimar nach wie vor und es kommen Leute und gehen ins Goethehaus und pilgern in die Fürsten-Gruft, um die beiden Särge zu besuchen. Auch wenn man nicht sieht, was drin ist.

01:00:41: Christioph Schmälzle Es braucht die Pilgerschaft und die Lektüre, und beides befruchtet sich idealerweise gegenseitig.

01:00:47: Marko Schluss mit dem gammelnden Goethe. Das letzte Kapitel über den sterblichen Überresten des größten deutschen Dichters schließt sich hiermit und damit auch diese Folge der Geschichts macher.

01:00:59: Martin Wir bedanken uns ganz herzlich bei Christoph Schmälzle. Vielen Dank, dass Sie zu uns gekommen sind bei den Geschichtsmachern heute zum zweiten Mal.

01:01:06: Marko Und wenn es euch da draußen gefallen hat, dann sagt es euren Freunden, sagt es allen Beisetzern sagt es Leuten, die Tote restaurieren, der Mazerations-Expertin, sagt es wem immer ihr über den Weg lauft.

01:01:18: Martin Schiller-Freunden, Goethe-Freunden, wem auch immer. Und wenn es euch nicht gefallen hat.

01:01:24: Christioph Schmälzle Dann schreibt doch bitte uns unter www.dieGeschichtsmacher.de findet ihr alles, auch unsere Adresse, woran ihr uns schreiben könnt und wir würden uns über jegliche Post freuen.

01:01:33: Martin So ist es und uns gibt es wieder in einem Monat dann mit vermutlich einem ganz anderen Thema und wir freuen uns darauf, dass ihr wieder einschaltet. Bis dahin sagen wir: Vielen Dank noch mal Christoph Schmälzle.

01:01:47: Christioph Schmälzle Danke.

01:01:48: Marko Und tschüss.

01:01:49: Martin Tschüss.

01:01:50: Christioph Schmälzle Tschüss.

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