Flakhelfer - Hitlers letztes Aufgebot - Teil 1
Shownotes
In den letzten zwei Jahren des Zweiten Weltkrieges werden 15-jährige zum Dienst an den Flugabwehr-Kanonen verpflichtet. In einzigartigen Tonaufnahmen schildern ehemalige Flak-Helfer ihre Erlebnisse in diesem Geschichts-Podcast.
Gefunden hat diese Ton-Aufnahmen WDR-Kollegin Michaela Natschke. Nach jahrelangen Recherchen konnte sie 45 Stunden historisches Audio-Material sichern: Ehemalige Flak-Helfer schildern Schülern im Jahre 1974, wie sie die Zeit als "Hitlers letztes Aufgebot" erlebt haben.
Wichtige Links zu diesem Podcast:
Grundlage von Michaelas Recherche war ein Buch, das sie auf dem Flohmarkt in Aachen fand, und das mittlerweile komplett online nachlesbar ist: "Mit 15 an die Kanonen". ´ Das WDR-Zeitzeichen, das Michaela zusammen mit unserer Kollegin Irene Geuer, aus den O-Tönen gebaut hat, lief in Erinnerung an den 26.01.1943 - Jugendkriegshilfseinsatz verordnet. Dieses WDR-Zeitzeichen findet ihr hier.
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Transkript anzeigen
GM Flakhelfer Teil1 DOWNMIX.wav
00:00:03: Marko Hoppala. Wo sind wir heute gelandet, Martin?
00:00:05: Martin Wir sind auf dem Katschhof in Aachen. Das ist der große Platz zwischen dem Dom und dem Rathaus. Sehr, sehr schön. Und da ist heute Flohmarkt.
00:00:14: Marko Und wir sind nicht allein hier. Kollegin Michaela Natschke hat uns mitgenommen.
00:00:17: Michaela Ja. Hallo.
00:00:18: Marko Was machen wir hier?
00:00:19: Michaela Schön, dass ihr da seid. Ja. Ich stehe hier vor einem Tisch, Antiquariat - Bücher - sehe ganz viele alte Einbände und entdecke auf einmal dieses Buch hier: "Mit 15 an die Kanonen". Ich denke mir. Interessant. Irgendwie untypisch. Ich kauf das für 10 €.
00:00:36: Marko Wir nehmen es mit? Und was ist mit dem Buch auf sich hat, das erfahrt ihr heute bei...
00:00:39: Intro Die Geschichtsmacher. Von Autorinnen und Autoren des Zeitzeichens.
00:00:56: Marko In Wahrheit ist diese Flohmarkt-Szene schon eine ganze Weile her, nämlich im Jahr 2014 hast du dieses Buch gekauft: "Mit 15 an die Kanonen". Was hat es mit diesem Buch auf sich?
00:01:07: Michaela Ja, ich habe das dann zu Hause mal in Ruhe angeguckt bzw erstes Durchblättern. Das ist eine Schulstudie von 1974 vom Aachener Kaiser-Karls-Gymnasium. Da hat ein Lehrer, der Herr Emunds und ein anderer Lehrer, der Herr Friebe, die haben mit Schülern damals eine Schulstudie gestartet. Und zwar haben diese Schüler ehemalige Flakhelfer interviewt. Und daraus sind 45 Stunden Tonband-Aufzeichnungen entstanden, eine Schulstudie in Buchform. Und die habe ich da halt gekauft.
00:01:39: Marko Und diese Studie hat deine Neugier geweckt, Michaela, du hast ja dann eine unglaubliche Recherche gestartet, und zwar für ein Zeitzeichen. Und wie ihr alle da draußen ja wisst, machen wir jedes Mal bei uns - bei die Geschichtsmacher - nehmen wir eine Kollegin und laden die ein und du bist es heute. Du hast dann aus diesem Buch ein Zeitzeichen gemacht. Aber das Buch allein hat dir nicht gereicht. Du hast ja gesagt. Okay, die haben damals Flakhelfer befragt. Du hattest jetzt aber erst mal nur ein Buch.
00:02:07: Michaela Richtig. Also in dem Vorwort des Buches ist halt eine ganz interessante Textstelle, die mich sofort gecatched hat, warum ich dachte: Da muss ich irgendwie dranbleiben. Sollen wir das mal eben vorlesen, oder...
00:02:21: Martin Ja, ja, lies mal gerne vor.
00:02:23: Marko Es ist ein sehr unscheinbares kleines Büchlein, muss man ja sagen.
00:02:26: Michaela Ja, also das Cover.
00:02:27: Martin Es sieht so ein bisschen selbst gemacht aus...
00:02:31: Michaela Gezeichnet - da sieht man halt einen jungen Mann drauf, mit Drillichanzug, wie ich dann später erfahren habe. Im Hintergrund sind mehrere andere Männer, die an einer großen Kanone stehen und Flugzeuge. Und mehr ist da auch nicht drauf zu sehen. Außer dem Titel halt. Na dann habe ich halt damals auf dem Flohmarkt, hab ich halt aufgemacht, Vorbemerkungen standen da, da steht: Die zur Dokumentation herangezogenen Tonband-Ausschnitte sind circa 45 Stunden qualitativer Interviews. Jetzt muss man Luftholen mit 52 Gesprächspartnern entnommen und 95 Einzelinformationen von ehemaligen Flakhelfern, ihren Eltern, Lehrern und Dienstvorgesetzten.
00:03:11: Martin Und als du das gelesen hast, warst du angefixt.
00:03:13: Michaela Ja, also ich dachte halt: Okay, Tonbänder, die müssen ja irgendwo noch existieren. Also das war für mich so der der Catcher. Und ich habe das Buch dann erst mal zu Hause liegen gelassen, durchgestöbert. Aber diese Idee, diese Tonbänder zu finden, die ließ mich halt nicht los.
00:03:28: Marko Kaiser-Karls-Gymnasium ist ein altehrwürdiges Gymnasium in Aachen.
00:03:32: Martin Das älteste, glaube ich, in Aachen und geht jetzt nicht auf Kaiser Karl selber zurück. Aber...
00:03:37: Marko Aber fast. Ich nehme an, du hast wahrscheinlich da angerufen und gefragt: Wo sind die Dinger?
00:03:41: Michaela Nachdem ich es dann wirklich durchgelesen habe, bin ich zur Schule hin und wollte wissen, ob die Tonbänder dort vielleicht liegen, weil das lag für mich nahe, dass die irgendwo im Schul-Archiv sind. Aber das war ein bisschen schwierig. Der Direktor war behilflich, aber er hatte dann wohl auch keine Zeit. Keine Ahnung. Also die Bänder, sagt er mir, sind nicht im Archiv und na, da bin ich erst mal wieder von dannen gezogen und habe dann über eigene Netzwerke mit Lehrern, die an der Schule waren, da habe ich dann quasi ein Rundruf gestartet und die gefragt, ob die noch irgendwas zu dieser Studie, zu diesen Tonbändern wissen. So. Und dann kamen mit und mit Kontakte. Dann ging da eine WhatsApp in der WhatsApp-Gruppe der Lehrer rum und irgendwann kamen dann Rückmeldungen. Die waren dann sehr spannend.
00:04:26: Martin Das war dann aber mehrere Jahre, nachdem du das Buch gekauft hattest. Jetzt muss man sagen, wir haben bisher nur den Titel erwähnt: "Mit 15 an die Kanonen". Worum geht es denn überhaupt?
00:04:35: Michaela Also Schüler der damaligen Oberprima - ja 1974 - vom Kaiser-Karls-Gymnasium, das waren Geschichtsschüler und ihr Lehrer, der Herr Emunds, die haben ehemalige Flakhelfer ausfindig gemacht aus diversen Aachener Schulen. Das waren ja alles Männer, die Jahrgänge 1926 bis 28 geboren waren, ausfindig gemacht und interviewt zu ihrer Zeit als Flakhelfer im Zweiten Weltkrieg.
00:05:01: Marko Man muss mal wissen: Eine Flak ist ein Flugabwehr-Geschütz.
00:05:04: Martin Also Flak, Flugabwehr-Kanone....
00:05:05: Marko Kanone, ja, natürlich.
00:05:08: Martin ak- Flak - Flugabwehr-Kanone. Ja genau. Und das waren im Prinzip ja Schüler, sagst du, aus den Jahrgängen 26 bis 28, die dann wann - 1943? - zu den, ja zu den Kanonen gerufen wurden im wahrsten Sinne des Wortes als - ja, kann man das sagen: Hitlers letztes Aufgebot.
00:05:28: Michaela So wurden sie dann auch bezeichnet in der Tat, also das waren... Ja innerhalb der letzten anderthalb Kriegsjahre sind ja schätzungsweise 200.000 im gesamten Deutschen Reich - Jugendliche - also es waren dann meisten Jungs im Alter von 15 bis 17 zu diesem Kriegsdienst einberufen worden. Und da waren auch vereinzelt Mädchen dabei, die nannte man Blitz-Mädels, die wurden halt als letzte Möglichkeit für die Soldaten, die eben aufgrund von Stalingrad nun fehlten an den heimischen Flak-Stellungen, hat man dann eben um die 200.000 Jugendliche als Ersatz für diese Soldaten, die dann an der Heimatfront fehlten, eben eingezogen. Das war ganz offiziell mit Einberufungsbefehl.
00:06:14: Martin Wie das im Einzelnen genau gelaufen ist, darüber wollen wir gleich noch sprechen. Jetzt aber erst mal noch die Frage nach den Bändern, weil das war ja der zentrale Bestandteil deiner Recherche. Wie bist du denn da jetzt dran gekommen?
00:06:27: Michaela Dieser WhatsApp Kontakt über die Lehrer, der brachte dann den Kontakt zu dem ehemaligen Kunstlehrer, der dieses Buch mit den Schülern auch mitgestaltet hat. Das war der Herr Kipp, der noch in Allendorf bei Aachen halt wohnt. Der hat mir dann eine Mail geschickt, weil er darauf angesprochen wurde, dass ich da am Suchen bin. Und der Herr Kipp hat mir eine ganz nette Mail geschickt und mir gesagt: Frau Natschke bei mir sind Sie genau richtig. Die Bänder existieren noch, die sind in Eilendorf beim Heimatverein und der Herr Kipp, der Kunstlehrer, ist selber auch Mitglied im Heimatverein. Und er hatte dann für mich schon einen Kontakt zum Archivar hergestellt. Und ich wusste dann eben: Super, abends um zehn habe ich diese Mail von dem Mann bekommen und da war ich ein wenig aufgeregt.
00:07:12: Martin Kann ich mir vorstellen. Also ich bin ehrlich gesagt auch so ein bisschen neidisch, weil das natürlich für Journalisten und vor allen Dingen auch natürlich für historisch arbeitende Journalisten wie wir das sind, natürlich immer so der der große Wurf ist, dann so Material zu finden, was eben noch keiner vorher wirklich in den Fingern gehabt hat. Und du hast dann gleich 45 Stunden Material gefunden und durftest das dann auch gleich anhören, mitnehmen oder wie ist das dann?
00:07:37: Michaela Leider nicht. Ich habe also Kontakt mit dem Archivar aufgenommen vom Heimatverein, bin ich hin. Und dann hatte er schon angefangen, die Bänder zu digitalisieren. Das war bisher noch gar nicht geschehen. Also wirklich: Die lagen da von 1974 bis 2021, also fast 50 Jahre ungehört seitdem.
00:07:54: Martin Da hat sich keiner drum bemüht oder...
00:07:56: Michaela Das wusste keiner, dass die überhaupt existieren. Und es war anscheinend auch kein Interesse. Ich weiß es nicht, aber es hat bisher irgendwie nie jemanden interessiert, ob diese Stimmen noch mal gehört werden könnten. Und ich wollte natürlich wissen: Stimmt die Qualität noch? Und ich habe mir das von ihm vorspielen lassen, vom Herrn Reinhardt und ja dachte: Super! Also die die meisten Bänder hatten noch eine gute Qualität und daraufhin wurden die Bänder komplett digitalisiert vom Heimatverein und mir dann als CDs vor die Tür quasi gelegt. Das war wirklich ganz, ganz toll, was die Leute da gemacht haben.
00:08:30: Marko Es ist ja normalerweise so, wenn wenn so was 50 Jahre lang rumliegt, dann kopieren sich diese Bänder gerne durch. Das heißt, man kann die gar nicht mehr richtig anhören. Es war also erst mal ein großes Glück. Oder klangen die ganz schrecklich?
00:08:42: Michaela Ne, die klangen nicht schrecklich? Also da waren ein paar Spratzer dabei, will mal sagen: der übliche Verschleiß. Aber alles in allem, ich würde sagen, 80 bis 85 % des Materials waren so wirklich hörbar.
00:08:55: Martin Wie war das für dich da rein zu hören? Zum ersten Mal seit, ja fast 50 Jahren diese Bänder in die Hand zu kriegen - in dem Fall CDs. Aber in diese Töne zum Ersten Mal reinzuhören.
00:09:03: Michaela Ja, das ist total beeindruckend gewesen. Also man muss dazu sagen, die Schüler von der Schule, die hatten so eine Art ja nicht standardisierten Fragenkatalog. Aber die haben halt immer die gleichen Fragen gestellt, an denen sie sich entlang gehangelt haben. Wie heißen Sie? Wann sind Sie eingezogen worden? Wie war die Einberufung? Was haben Ihre Eltern gesagt? Wo waren sie? An welcher Stellung? Was für Erinnerungen haben Sie an die Großangriff auf Aachen? Und was für Lehren ziehen Sie jetzt daraus? Und wie würden Sie es im Nachhinein betrachten? Das war so ungefähr der rote Faden. Also, was mich sehr beeindruckt hat, das waren zwei Sachen. Das waren zum einen wirklich diese Stimmfarben dieser Männer. Man hört Aachener Platt, also die Aachener sagen Öcher Platt, man hört ja leichte, ja fast so Eifler Anklänge und man hört auch Ostbelgischen Akzent. Da kamen ja auch Flakhelfer her. Das begeisterte mich zum einen, aber der Inhalt war auch extrem spannend. Man war so live dabei wie die Schüler, also eine Generation von Schülern, die ja selber im gleichen Alter waren wie die Herren, als sie eben in den Zweiten Weltkrieg gezogen sind. Ich hatte den Eindruck, das hat bei diesen Herren Dinge auch eröffnet, die sie sonst vielleicht so gar nicht erzählt hätten, weil sie da quasi ihr eigenes Ich gespiegelt sahen von den jungen Leuten, die ihnen gegenüber saßen als Interviewer. Also man, man hört teilweise wirklich emotionale Stimmen, ernsthaft emotional. Die Leute ringen manchmal darum mit dem, was sie sagen und die Erinnerungen aufkommen. Und man hört aber auch teilweise sehr gewählt sich ausdrückende Menschen.
00:10:40: Marko Ich will das jetzt mal hören, ich möchte da jetzt reinhören: Bitte. Wen hören wir zuerst?
00:10:47: Michaela Also ich muss noch ganz kurz was sagen. Man hört, ich, ich, ich weiß teilweise, wie diese Herren heißen im Buch sind sie alle anonymisiert. Das ist bewusst so gehalten, damit sie damals in der Interviewsituation frei von der Leber weg reden konnten. Das war klar, dass diese Namen nicht unbedingt bekannt gegeben werden sollten. Von daher, ich weiß es teilweise oder weiß es komplett. Aber ich möchte es hier auch ehrlich gesagt nicht sagen, weil ich es im Sinne dieser Studie damals auch anonym belassen möchte. Also man weiß nicht mit Nachkommen, Nachfahren, wie die das fänden, wenn der Name dann bekannt wird.
00:11:22: Marko Wir hören also einen anonymen Flakhelfer, befragt von einem jungen Menschen, damals im selben Alter wie er, als er einberufen worden ist. Ein O-Ton aus den 70er Jahren.
00:11:33: O-Ton Flakhelfer Die Kinder gehören dem Staat und der Staat ist jetzt in höchster Gefahr, und die Kinder werden euch weggenommen, und sie haben dem Vaterland zu dienen. Und so weiter. Und das ist mir noch sehr gut in Erinnerung, dass meine Mutter heulend vor Wut vom Blücherplatz bis nach Hause gegangen ist, also mit Tränen in den Augen ankam und das schilderte und sagte: So, Jung, du musst auch jetzt zu den Soldaten.
00:12:01: Marko Die Zeit, über die dieser Mann berichtet, das ist das Jahr 1943 hast du gesagt.
00:12:08: Michaela Ja, die sind ab 15.03. sind sie dann offiziell eingezogen worden. Das waren die Jahrgänge 26 und 27, also die waren damals dann in der sechsten Klasse sagt man.
00:12:19: Marko So, da mussten die Jungs in den Krieg.
00:12:22: Michaela Richtig.
00:12:22: Marko Was bedeutete das?
00:12:24: Michaela Die haben also eine Benachrichtigung an die Eltern, dass die alle in die Aula zum Beispiel des Kaiser-Karls-Gymnasiums kommen sollten. Und dann wurden also auch die Eltern erstmal informiert, dass ihre Söhne eingezogen werden. Und dann hatten diese Söhne sich Klassenweise war das einzufinden in der Villa Springsfeld in Aachen. Dort wurden die gemustert. Also alles, guckten sie: Wie groß sind die, wurden abgetastet, mussten sich vorn überbeugen, dass man auch wirklich den Po sehen kann und alles. Also das war schon, glaube ich mal, für die ersten ein bisschen entwürdigend, diese Erfahrungen zu machen. Und dann wurden die auf die verschiedenen Flak Stellungen um Aachen verteilt. In Aachen gab es sechs Flak.
00:13:06: Marko Stellungen, das heißt es war aber nicht freiwillig, jeder musste da hin.
00:13:09: Michaela Die mussten hin. Es gab auch die Möglichkeit von Eltern, dass sie eben ihre Söhne versuchten freizustellen. Das haben halt oft auch irgendwie Arztfamilie probiert, um zu sagen: Ja mein Sohn kriegt ein Attest. Das war aber für die Jungs eigentlich undenkbar, die wollten ihren Dienst tun. Also die Eltern wussten natürlich durch den Vater oder ältere Brüder, die schon in den Krieg gezogen sind, dass das nicht unbedingt erstrebenswert ist. Aber die Jungens waren ein bisschen anders drauf mit ihren 15 Jahren.
00:13:39: Martin Jetzt muss man natürlich sagen, da muss es ja irgendwie eine gesetzliche Grundlage oder irgendwas gegeben haben, um die überhaupt einziehen zu können. Also was gab es da?
00:13:49: Michaela Ja, also rechtliche Grundlage war halt 1938 gelegt mit der Notdienst-Verordnung, wo sage ich mal weit gefasst es legitim war, dass eben auch ab 15-jährige zum Kriegsdienst eingezogen werden durften.
00:14:03: Marko Das war noch vor dem Krieg, also dementsprechend, hatte man sich das schon so präpariert, dass im Zweifelsfalle auch die Jungs müssen.
00:14:11: Michaela Gut vorbereitet - von längerer Hand geplant, ja, in dem Sinne ja. Und dann gab es dann halt am 16. Januar 43, da gab es ein geheimes Rundschreiben aus dem Führerhauptquartier, ja und dieses geheime Rundschreiben, das habe ich euch mal mitgebracht. Und ja, daraus könnte jetzt mal vorlesen, bitte.
00:14:26: Martin Also das geheime Rundschreiben Nummer 4/ 43 G vom 16. Januar 1943 aus dem Führerhauptquartier. Betrifft: Kriegs-Hilfe-Einsatz der deutschen Jugend bei der Luftwaffe. Der Führer hat entschieden, unter den nachgenannten Voraussetzungen könne eine teilweise Einziehung der Schüler der sechsten und siebten Klassen höherer und mittlerer Schulen der Geburtsjahrgänge 1926 und 1927 zum Kriegs-Hilfe-Dienst als Luftwaffenhelfer stattfinden. Erstens: Der Einsatz der Schüler als Luftwaffenhelfer hat nur örtlich, das heißt am Schul- oder Heimatort bzw. in dessen Nähe zu erfolgen. Drittens: Der Einsatz der männlichen Jugend ist klassenweise und in Begleitung ihrer bisherigen Lehrer durchzuführen. Also Sie sind da mitgekommen?
00:15:11: Michaela Richtig. Also die sollten vor Ort Schulunterricht bekommen.
00:15:15: Martin Den Klassen - das steht auch hier ja: Den Klassen ist weitgehend Schulunterricht in den wichtigen Fächern und nach Richtlinien des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung zu geben. Die Dienststellen der Luftwaffe haben Vorsorge zu treffen, dass für den Unterricht wöchentlich mindestens 18 Stunden zur Verfügung stehen. Also, das heißt, Sie haben in der Nacht Einsätze gehabt, wenn die Bomber kamen und am Tag sollten sie Schule machen?
00:15:38: Michaela Ganz genau. Also am Anfang war es auch noch so, dass sie in die Schulen gehen konnten und dann später mit Zunahme der Bombardierungen, sollten dann teilweise noch die Lehrer noch kamen dann in die Flak-Stellungen. Ja, das war ein Wechsel aus Dienst an der Waffe und eben Schulunterricht.
00:15:54: Martin Viertens: Den Luftwaffenhelfer ist möglichst oft, mindestens einmal wöchentlich Urlaub zu einem mehrstündigen Besuch des Elternhauses zu gewähren. Fünftens: Die außerdienstliche Betreuung der Luftwaffenhelfer hat laufend durch die Hitlerjugend zu erfolgen. Und siebtens: Die Luftwaffenhelfer sind im rechtlichen Sinne nicht als Soldaten anzusehen. Sie haben auch während des Kriegs-Hilfe-Einsatzes als Schüler zu gelten. Gezeichnet Martin Bormann, Leiter der Reichskanzlei ist der damals gewesen und enger Vertrauter Hitlers.
00:16:25: Marko Das heißt die Schüler sind zu dieser Flak Stellung gezogen und haben dann da auch gelebt und gewohnt?
00:16:31: Michaela Ja, die durften eben auch nach Hause. Also wie gesagt, 43 waren die, die Bombardierung natürlich durch die Engländer und die Amerikaner noch nicht so massiv. Die konnten zwischendurch nach Hause, die durften am Anfang vier Wochen wurden so ausgebildet, da durften sie keinen Besuch empfangen, durften die Eltern gar nicht hin, da wurden die richtig einkaserniert. Aber theoretisch hätten sie immer wieder Heimaturlaub beantragen dürfen und die Eltern hätten sie auch besuchen dürfen. So, die Theorie. Richtig.
00:16:59: Martin Wie haben das denn? Du hast gesagt, die Jungs fanden das eigentlich ganz toll. Fanden die das alle super, dass die jetzt eingezogen werden.
00:17:07: Michaela Das war für die meisten selbstverständlich. Und das ist das, dass kann man, sag ich mal, ist es nachvollziehbar durch die ganze HJ-Indoktrination. Also die waren ja alle seit dem zehnten Lebensjahr mussten die die Kinder ja alle in die HJ. Und von daher war, sage ich mal, der Dienst am Vaterland für alle Jugendlichen eine Selbstverständlichkeit. Also der Dienst am Vaterland, das war für die Jungs wichtig. Und es war auch, sage ich mal am Anfang eine willkommene Ablenkung von der Schulzeit, dass sie einfach mal was ein bisschen den Abenteuer-Aspekt da im Vordergrund hatten. Also...
00:17:44: Marko Alles besser als im Kaiser-Karls-Gymnasium zu sitzen?
00:17:47: Michaela Oder an anderen Schulen. Ja, aber am besten hören wir mal rein, wie die das selber empfunden haben.
00:17:53: O-Ton Flakhelfer Dass wir Soldaten werden konnten. Das war damals was Besonderes. Wir waren ja die kleinen dummen Jungens und man erlebte das ja so ständig aus der Klasse oder die höheren Klassen, die wurden eingezogen. Dann kamen die in einer todschicken Uniform mit einem Ritterkreuz wieder. Dann wurde hier große Schule-Versammlung gemacht. Dann wurde also so ein Abiturient geehrt, der da, was weiß ich, 20 Flugzeuge abgeschossen hatte. Das waren ja damals die Helden nicht. Und da standen wir dann in eurem Alter und dachten: Mein Gott, ob wir da auch noch mal hinkommen und das noch mal schaffen?
00:18:27: O-Ton Flakhelfer Dann sind wir nach Hause gekommen und haben gesagt: Ja, wir kommen mit der ganzen Klasse weg. Ich kann mich noch entsinnen, dass meine Mutter sehr entsetzt darüber war und sagte: Du bist doch noch viel zu jung, kann man sich denn nicht dagegen wehren. Wobei ich mich auch noch entsinnen kann, dass ich das für unmöglich empfunden hatte, sich überhaupt dagegen zu wehren, wenn das Vaterland ruft. Das möchte ich im Rückblick wieder in Anführungsstrichen setzen. Und wir jungen Leute, zumindest ich für meinen Teil, zum damaligen Zeitpunkt stand trotz der ganzen Misere um uns herum der Endsieg fest. Das war ganz klar, dass wir siegen würden aus der damaligen Sicht. Wir kannten es nicht anders. Und dann sind wir hingekommen zur Flak. Und dann war das zunächst mal das Neue sehr beeindruckend. Da standen also die großen Kanonen. Ich bin bei der acht-acht Flak-Artillerie gewesen, dann stand einFunk-Messgerät da und dann stand ein Kommando-Gerät da. Das waren also alles Dinge, die technisch uns sehr interessierten. Und dann wurden wir also zunächst mal vom Kompaniechef begrüßt, nicht wahr. Und dann wurden wir eingekleidet und dann kamen wir in Baracken rein, und dann waren wir immer zusammen. Dann bildeten wir also innerhalb der Klasse, wir wurden auf drei Baracken verteilt, bildeten wir Freundeskreise und waren dann an für sich sowohl - Sport wurde in der Batterie getrieben, natürlich auch sagen wir mal Infantrie Dienst zur Ausbildung. Das war für uns aber alles ein Spaß, nicht. Und wenn die Unteroffiziere da rumschrieen, nicht wahr, das war für uns nicht etwas, worüber wir uns ärgerten, sondern auf der einen Seite wussten wir, das gehört zur Ausbildung dazu, auf der anderen Seite haben wir das als Sport betrachtet. Und ich sage mal aus der Perspektive der damaligen Erziehung und der damaligen Jugendlichen heraus konnten wir es gar nicht erwarten, bis wir das erste Mal losballern konnten. Das ging sehr schnell.
00:20:18: Martin Ja, losballern. Aber ich glaube, das war ein bisschen komplizierter. Die sind da nicht hingeschickt worden und sind da an die Kanonen gesetzt worden. Die sind da erst mal so was wie eine Ausbildung gemacht.
00:20:27: Michaela Ja, die sind halt vier Wochen trainiert worden, wurde exerziert. Vor allen Dingen wurden ja die Abiturienten an den Messgeräten eingesetzt. Also die haben, sage ich mal, die Aufgaben übernommen, die, wo man ein bisschen Grips für braucht in Anführungsstrichen, also so eine, so eine Flak-Batterie, wovon er jetzt eben gesprochen hat, diese 8,8 Flak Batterie, das ist dann schon ein schweres Geschütz.
00:20:50: Marko Du hast hier ein Bild mitgebracht. Ja, das ist eine ziemlich dicke Wumme möchte ich mal sagen.
00:20:55: Michaela Also man sieht hier: An einer in einer Batterie gibt es sechs Geschütze bei der acht-acht Batterie und an jedem Geschütz sind um die zehn Leute eingesetzt. Also da gehören Kanoniere dazu und da gehören diverse Leute dazu, die die Messgeräte bedienen und da musste ja berechnet werden: Wie hoch fliegen die? In welchem Abstand fliegen die? Wie ist der Wind? Wie sind die Windverhältnisse? Wie muss ein Geschütz eingestellt sein, damit der der Ziel- Winkel, um diese Bomber zu treffen, dass dann eben der der Winkel des Geschützes, dass das richtig eingestellt wird. Und an diesen Messgeräten sind meistens dann die Flakhelfer auch eingesetzt worden. Also um jetzt die Kanonen zu bestücken, da hat man dann eher die Stärkeren, also die Männer, die Soldaten halt eingesetzt, die Kanoniere. Und an den Messgeräten der Geschützstellungen selber - davon gab es dann wie gesagt sechs - da hat man die Flakhelfer eingesetzt.
00:21:51: Marko Also auf diesem Bild hier sind an einer solchen Kanone 123456789 oder zehn Männer zu erkennen. Und diese Kanone selber ist ja auch so ein Riesen-Ding, muss man sagen.
00:22:05: Michaela Ja, absolut. Die hat man halt in Wellen in den Boden gebaut, damit eben auch, wenn geschossen wurde, eben durch den Rückstoß, die ja händelbar bleiben, da in diesen ja in diesen Vertiefungen halt stehen können.
00:22:17: Martin Das heißt, das war nicht einer ein einzelnes Geschütz, sondern das waren eine ganze Komposition von sechs hast du gesagt, sechs Geschützen. Und das heißt, wenn da an jedem einzelnen zehn Leute waren, heißt das, da waren 60 Leute in so einer Flak-Stellung?
00:22:33: Michaela Ja, das hatte schon fast einen Dorf-Charakter in Anführungsstrichen. Die haben halt auch Baracken gebaut an solchen großen Flak-Stellungen. Und das ist richtig, das musste halt total Hand in Hand gehen. Also die Berechnung der Werte, das sofort befüllen, sag ich mal, der Geschütz-Rohre mit den Geschossen, das immer wieder das Nachladen und Richten und ausrichten, das musste ja immer wieder korrigiert werden, weil man konnte mit solchen Geschossen wie diesen Acht / Achtern, die eben die Flugzeuge in den höheren Höhen auch erwischen konnte, war das fast nicht möglich. Man konnte mit so einem Geschoss nicht ein Flugzeug abschießen. Deswegen war war das nötig, dass eben sechs von solchen Geschoss- Stellungen eine Flak bilden, damit man ein sogenanntes Sperrfeuer abgeben konnte. Also quasi ein Netz an an Granaten, an an Bomben, die dann halt dazu führten, dass im besten Fall in Anführungsstrichen ein amerikanisches oder englisches Flugzeug abgeschossen werden konnte und eben auch so hoch diese Flieger, diese Bomber zu bringen, dass die eben in höhere Höhen ausweichen mussten. Das war so das Ziel.
00:23:38: Martin Dieses Sperrfeuer.
00:23:40: Michaela Ja, ja.
00:23:41: Martin Das heißt aber auch, dass die Schüler, die da eingesetzt worden sind, diese Jugendlichen im Alter von 15 Jahren, das waren jetzt keine Laufburschen, sondern die hatten da tatsächlich verantwortungsvolle Aufgaben.
00:23:51: Michaela Also wir haben hier noch ein Bild, da sieht man einen Jungen inmitten von eben erwachsenen Soldaten. Ja klar, die waren, weil sie eben halt, ja, das sag ich mal intellektuell gut hinbekommen haben mit den Berechnungen der Werte und der Einstellung an den Geräten, hatten die wirklich eine Verantwortung.
00:24:12: Marko Und dann klang ja so ein bisschen durch, dass dieser Zeitzeuge durchaus sehr stolz war, da da dienen zu dürfen auf auch so technikbegeistert war. Im Moment sind wir noch bei der Ausbildung, das heißt zum Ernstfall ist es in dem Moment bislang noch gar nicht gekommen.
00:24:27: Michaela Ja, also ich habe hier mal einen Ausbildungsplan für Marine-Helfer heißt das hier. Also die sind... Die Flak ist ja zu Wasser auch eingesetzt worden. Also überall da, wo feindliche Flieger, na ja, deutsche Ziele halt bedrohten - und das galt ja auch zu Wasser - hat man eben Flak-Stellungen eingesetzt.
00:24:47: Marko Das heißt, die Jungs kamen auch auf Schiffe?
00:24:48: Michaela Nein, das war eher selten. Das war eher selten. Die meistens sind natürlich auf dem Land gewesen. Aber ich habe jetzt den Ausbildungsplan für Marine-Helfer. Das ist von der Bedienung her und von dem Einsatz ja genauso wie auf dem Land, was die Flak-Stellung angeht. Also da ist dann zum Beispiel in der ersten Woche: Theorie des Flak-Schießens, also diese ganze Ballistik, also Themen wie Flugbahn berechnet werden oder "Ermittlung von Ziel-Geschwindigkeiten und Verzugs-Zeit". So, also in der zweiten Woche haben wir dann zum Beispiel "Plan-Feuer nach bestimmten Messwerten". Also Funk-Messgeräte bedienen, "Ermittlung von Dachpunkten". Das sind halt alles so spezielle Berechnungs-Praktiken, die die dann beigebracht bekommen haben.
00:25:30: Marko Das heißt, das heißt, die sitzen da und müssen sozusagen gucken, wie ist die Flugbahn dieses, dieses Flak-Geschützes, dieser Flak? Und müssen gucken, okay, da kommt ein Flieger-Verband und man muss ausrechnen, wie trifft man den am besten?
00:25:41: Michaela Ganz genau.
00:25:42: Martin "Flugzeugerkennungsdienst" sehe ich da gerade - wie die überhaupt erkennen, was ist Freund und was ist Feind. Und wie sehen die aus?
00:25:48: Michaela Ganz genau. Also man hat, man hat wirklich einen ganz klassischen Tagesablauf. 8:30h bis 9:30h eben noch mal "Theorie des Flak-Schießens". 9:45h bis 11:30h "Praktische Übungen" und "Ausbildung im Vermittlungs-.Dienst", also wie man dann die Geräte mit dem korrekten Vokabular bedient, damit es alle verstehen. Und dann ist 12:30 bis 13:45h erst mal Bettruhe, ja da können die Jungs erst mal schlafen und dann geht es weiter wie an so einem Schultag. Also das ist total durchgetaktet gewesen. 14:00 bis 15:15 noch "Flugzeug-Erkennungsdienst".
00:26:25: Marko Also sie sollen, sie sollen wie Soldaten sein. Aber sie werden auch ein bisschen wie Schüler behandelt.
00:26:29: Michaela Richtig, ja. Und das war am Anfang, die ersten vier Wochen ging das so, dass sie da erst mal komplett diese Techniken und Theorien und Bedienbarkeiten der Geräte das eben halt drauf hatten. Da durften die Eltern die auch nicht besuchen, da war auch kein Heimaturlaub, die waren ja zu Hause, aber sie durften eben auch nicht nach Hause. Und die wurden wie Schüler behandelt, fühlten sich aber nicht so. Und diese Diskrepanz, die kommt eigentlich mit einem Zitat aus einer Anweisung eigentlich sehr schön rüber.
00:26:56: Anweisung Die Ausstattung der Unterkünfte mit Wandschmuck ist durch die Luft-Gau-Kommandos zu sichern. Das heißt, da haben sie jetzt irgendwie bunte Bilder aufgehangen?
00:27:05: Martin Wahrscheinlich.
00:27:07: Anweisung Die Alkohol und Tabak-Portionen dürfen für die Luftwaffenhelfer nicht empfangen werden. Stattdessen sind Vitamin-Drops und Süßigkeiten auszugeben.
00:27:16: Michaela Da ist sehr makaber eigentlich. Das ist eine Dienstanweisung des Reichs-Luftfahrt-Ministers über den Kriegseinsatz der Jugend in der Luftwaffe.
00:27:25: Marko Das war Göring.
00:27:27: Martin Ja, ja, ja, richtig.
00:27:28: Marko Der dicke Göring sagt Drops für die Kinder.
00:27:30: Michaela Bitter.
00:27:32: Martin Wie haben die Jugendlichen das aufgenommen, dass es Alkohol und Zigaretten für sie nicht gab. Ja, klar. Aber ich meine Vitamin-Drops?
00:27:42: Michaela Das war eine totale Schere für die. Sie haben sich ja nicht als als kleine Kinder empfunden, sondern eben als Soldaten. Die haben gesagt, wir machen Dienst am Vaterland, also sind wir Männer. Ja, das ist das hört man eigentlich auch sehr schön bei dem nächsten O-Ton.
00:27:57: O-Ton Flakhelfer Wir standen ja nun im militärischen Einsatz. Wir waren den militärischen Gefahren ausgesetzt und wollten als Soldaten voll genommen werden. Und das tat man von der HJ-Seite nicht. Man wollte uns als Pimpfe halten. Und diese Diskrepanz, nicht wahr, die verstieß irgendwie gegen unser Ehrgefühl. Und das Ehrgefühl war damals sehr, sehr stark ausgeprägt. Da waren wir sehr leicht verletzlich.
00:28:22: Zwischenfrage Nach dem Tode Ihrer beiden Kameraden, verflog da nicht ihre jugendliche Begeisterung für den Krieg?
00:28:28: O-Ton Flakhelfer Jugendliche Begeisterung für den Krieg - das ist nicht ganz richtig ausgedrückt. Abenteuerlust würde ich auch als unterschwellig bezeichnen. Im Vordergrund stand damals die Ehre, dass man fürs Vaterland da zu sein hatte. Sie müssen sich das - ich glaube das, das kann man Ihnen gar nicht mehr heute gar nicht mehr erklären. Den Begriff gibt es heute nicht mehr. Im Übrigen habe ich ihn heute auch nicht mehr. Ein Vaterland oder einen Vaterlands-Gedanken haben wir später an der Ostfront in Russland im Schützengraben gelassen. Das sind Dinge, die existieren später auch nicht mehr. Ich müsste also, auch wenn ich Ihnen Heldengeschichten erzählen sollte, sind Sie bei mir völlig falsch. Ich bin also durch meine Erlebnisse, um das hier einzuschieben, absoluter Pazifist. Ich bin also gegen alles Militärische, im Gegensatz zu meinem damaligen Engagement. Ich habe es damals für richtig gehalten. Das sind zwei Dinge, das sind zwei Zeiten, da liegt eine Lebenserfahrung dazwischen, da liegt sowohl eine politische Veränderung drin wie auch sagen wir mal eine Einstellung, eine menschliche Veränderung. Das muss man sehen. Als wir damals die Toten in der Batterie hatten und die Verwundeten in der Batterie haben. Das hat eigentlich eine andere Wirkung gehabt. Ich würde sagen, das löste bei uns in Bezug auf den angreifenden Feind, also damals die Engländer und Amerikaner, eher noch den Widerstand aus: Jetzt erst recht. Jetzt schießen wir noch besser. Jetzt habt ihr uns auch noch unsere Kameraden gestohlen.
00:30:02: Marko Da hat sich ja offenbar etwas gewandelt, auch bei diesen jungen Leuten und dann später bei dem älteren Herr, der es dann wiederum den Schülern erzählt. Das heißt, am Anfang gab es diese Begeisterung, diese Technikbegeisterung und auch diese soldatische Begeisterung. Und am Ende sagt er - als älterer Herr zum Schüler: Ich bin darüber Pazifist geworden. Das heißt, diese Eindrücke haben in denen etwas ausgelöst, was diese Begeisterung, die anfänglich da war, komplett zerstört hat.
00:30:28: Michaela Also was ja ziemlich klar war, dass sehr schnell, sage ich mal, dieser Punkt mit dem Schulalltag, dass das in so einer Flak-Stellung auf Dauer nicht funktionieren konnte, je mehr die Bombardierungen an Fahrt aufnahmen, was bereits im Juli 43 schon der Fall war. Das ist so der eine Aspekt, dass Sie sich nicht als Schüler gefühlt haben mehr, sondern alleine durch ihre Tätigkeiten waren sie für sich vollwertige Soldaten.
00:30:52: Marko Sie waren immer an der Flak.
00:30:53: Michaela Richtig? Ja, und ein anderer Aspekt ist auch, dass sich das Thema oder was, was der Herr eben gerade auch gesagt hat. Die fühlten sich überhaupt nicht zur Hitlerjugend zugehörig. Die haben sich zum Beispiel auch immer die HJ-Binde vom Arm genommen, wenn sie eben da an der Flak-Stellung waren. Die haben sich ganz anders wahrgenommen. Die waren keine, keine Pimpfe mehr, wie der eine auch sagte, sondern wollten eben auch als vollwertige Soldaten gesehen werden. Und diese ganze Indoktrination, die haben einfach gemerkt, das ist, das hier ist Realität. Das, was man uns da an Sprüchen und an Überzeugungen einimpfen wollte, das das haben sie zwar zwar gelebt, aber das, was real stattfand auf dem Schlachtfeld, das wich natürlich total total ihrem eigenen Empfinden, was sie da wirklich tun, als Männer.
00:31:44: Martin Aber haben sie die HJ-Binden aus ideologischer Überzeugung abgenommen? Oder haben die einfach nur gesagt wir sind halt keine, wir sind keine Pimpfe mehr, wir sind keine Jugendlichen, sondern wir sind Soldaten. Also hatte das irgendwas mit inhaltlicher Überzeugung zu tun oder einfach eben dieses Ehrgefühl. Wir sind dem entwachsen.
00:32:00: Michaela Das war eine Wahrnehmung: Wir sind gereift, wir sind Männer. Das hatte was auf jeden Fall damit zu tun. Also diesen Spielereien, sag ich mal, Zeltlagern, die man in der HJ gemacht hat, das das haben sie alles zwar mitgenommen, aber nun sind sie wirklich in einem Umfeld, was total männlich geprägt ist. Und das war dann für die ganz klar: Auch wir sind jetzt Männer. Also sie sind sehr schnell sehr erwachsen geworden, mussten es, um überhaupt auch da überleben zu können. Und das hat sie auch mit einem gewissen, ja, Ehrgefühl, Stolz auch erfüllt.
00:32:33: Marko Wenn wir über sie reden, dann sind es ja nur die, die die Schüler in den 70er Jahren befragt haben. Wie viele wurden befragt damals in dieser Studie?
00:32:43: Michaela Das ware um die 50 Männer, also Flakhelfer. Plus - jetzt habe ich die Anzahl von den von den Eltern nicht mehr im Kopf und eben auch ehemalige Soldaten waren auch dabei. Also so um die 50 Flakhelfer sind da befragt worden.
00:32:57: Marko Und wenn man sich die Region Aachen anguckt, wie viel Flakhelfer gab es da, war das ein Massenphänomen?
00:33:02: Michaela Also es sind in der Region Aachen und eben Ostbelgien um die 770 junge Leute eingezogen worden, von 43 bis 44.
00:33:12: Marko Jetzt stelle ich mir vor, da kommt ein Bomber-Geschwader angeflogen und will vielleicht gar nicht Aachen bombardieren, sondern gleich weiter nach Köln und die fangen an zu schießen. Dann wird es ja Gegenwehr geben. Das heißt dann werden auch die ersten Bomben gefallen sein und irgendwann wird es die ersten Toten bei diesen 770 Jungen ja gegeben haben.
00:33:31: Martin Diese Flak-Stellungen werden wahrscheinlich auch einfach Ziele gewesen sein, um diese Abwehr auszuschalten.
00:33:37: Michaela Ja, ganz klar. Das haben natürlich irgendwann Amerikaner und Engländer gewusst, von wo aus von unten geschossen wurde. Und es gab eben die sechs großen Flak-Stellungen um Aachen und es gab auch kleine Stellungen mit kleineren Geschützen und die waren dann wirklich auf Gebäuden oben, auf Dächern, teilweise auch auf Bunkern aufgestellt. Und das ist natürlich total beängstigend. Wenn dann bei einem Großangriff, wie das zum Beispiel am 11.04.44 in Aachen passiert ist, wenn dann oben die Bomber über die Stadt fliegen und die Sirenen heulen, alle rennen in den Bunker oder in Keller und man ist da als Junge, als 15-jähriger oben auf dem Dach, also dem Feind am nächsten und erlebt dann ein Bombardement. Und die haben zum Beispiel auch, um diesen Ablauf mal ein bisschen zu erläutern, die Bomber, also die Amerikaner und die Engländer, haben zum Beispiel eben Lichtzeichen gesetzt. Das nannten die Christbäumchen, das hört man. Oder Christbäume. Das hört man auch gleich mal im O-Ton. Und um eben genauer zu sehen: Wo sind Flak-Stellungen, die wir bombardieren müssen, um das sichtbar zu machen in der Nacht bei einem Nacht Angriff...
00:34:43: Marko Also erstmal, um das Gebiet wahrscheinlich so zu kartieren und so wurde da bombardieren wir jetzt.
00:34:47: Michaela Um das sichtbar auch zu machen für die für die Piloten, um genau dort die Bomben abzuwerfen.
00:34:53: Marko Das heißt, wenn so ein Christbaum neben mir glüht, weiß ich jetzt, irgendwie ist kein guter Ort zu sein.
00:34:56: Michaela Es ist nicht mehr viel Zeit, um wirklich zu reagieren. Und bei dem Flakhelfer, den wir gleich hören werden, der ist auf einem, auf einem Dach mit seiner leichten Fla, so nennen die Militärexperten das, und erlebt genau das, dass dann dort oben auf einmal, dass es hell wird. Und dann bleibt eigentlich kaum noch Zeit zu reagieren. Und das beschreibt er jetzt.
00:35:16: O-Ton Flakhelfer Wir haben den Angriff am elften April erlebt, der kam sehr kurzfristig kam der Alarm, da weiß ich mich noch zu erinnern. Das war ungefähr so 10:40h und ungefähr 350 Maschinen flogen da ran. Und nachdem die Markierungzeichen, die so genannten Christbäume, gesetzt wurden, da wussten wir, dass wir dran waren. Und die Maschinen flogen auch nicht allzu hoch. Und wir hatten auch Feuer frei bekommen und versucht, ja noch zu feuern aus irgendeiner Reaktion raus, ja. Aber in dem Moment tauchte schon oben der Dreck rein und dann sind wir direkt vom Geschütz runter auf den Boden, auf die Eichenbohlen und haben uns die Plane über den Kopf gezogen. Und dann haben wir mehr oder weniger gebetet bis dann die ganze Chose da vorbei war. Das war so ungefähr 40 Minuten ist das gewesen. Das wollte und wollte nicht enden. Und das Grässliche war, dass man natürlich durch die Spalten der Boden und was auch immer das das Aufflammen ja mitbekam. Ja, man spürte den Luftdruck und so weirter, man konnte sich nicht festkrallen. Wir befürchteten, jeden Moment von dem Dach weggeblasen zu werden. Und obwohl 5 Meter neben dem Bunker ne Bombe runter gegangen ist, uns ist da oben nichts passiert, hat keiner von uns eine Schramme mitbekommen. Bis lediglich auf den einen Kameraden, der sich noch im Treppenaufgang befand vom Nebenhaus, wo die Bombe durchschlug und im Keller zerschellte. Vor dessen Augen ist die Bombe durch den Dachboden geschlagen und dann nicht explodiert. Das hatte in dem Fall einen sehr schweren nachhaltigen Nerven-Schock, sodass man ihn später, 14 Tage später dann hat enlassen müssen. Da war nichts mehr drin. Der weinte bei jeder Gelegenheit und zitterte dauernd. Ja bei uns in unserer Batterie, wir hatten noch einen zweiten Fall gehabt aber mehr nicht. Es war erstaunlich, wie hart wir als Jungens doch da im Nehmen waren. Also ich kann mich noch erinnern: Nach diesem Angriff an diesen eigenartigen süßlichen Geruch, der nachher über der Stadt lag, zu dem Brandgeruch noch, das war noch der Leichen-Geruch, der aufkam, sondern praktisch der Geruch dieser explodierenden Bomben. Das werde ich nie vergessen. So ein ganz spezifischer Geruch ist das.
00:37:50: Martin In dieser Situation ist keiner der jugendlichen Flakhelfer ums Leben gekommen. Aber es ist nicht ausgeblieben, dass da auch Flakhelfer ums Leben gekommen sind.
00:38:03: Michaela Das ist ja je nach Stellung, wie er das jetzt gerade beschrieben hat, war es pures Glück. Ja, und aber in dem gleichen Angriffs sind natürlich in diversen anderen Stellungen sind Jungs gestorben und ums Leben gekommen. Und Soldaten. Also jetzt hier in dem Fall, wo er war, eben nicht. Da hat er Glück gehabt. Ja.
00:38:22: Marko Wie es mit den jugendlichen Flakhelfer weiterging, wie sie den Krieg überlebt haben und wie sie danach mit diesem Trauma umgegangen sind, das erfahrt ihr in der nächsten Folge von.
00:38:32: Martin Die Geschichtsmacher. Wir bedanken uns bei der Kollegin Michaela Natschke, die uns diese Geschichte nicht nur erzählt hat, sondern diese eindrucksvollen O-Töne auch ausgegraben und mitgebracht hat. Erst mal vielen Dank!
00:38:45: Michaela Ich danke euch beiden.
00:38:46: Marko Wenn euch diese Folge gefallen hat, dann sagt es euren Freunden, Bekannten, Verwandten.
00:38:52: Martin Und wenn euch die Folge nicht gefallen hat, dann sagt es bitte uns.
00:38:57: Marko Aber bitte nur uns. Unter www.diegeschichtsmacher.de findet ihr alle Kontaktdaten von uns und noch viele weitere Folgen dieses Geschichts-Podcasts. Bis dahin sagen wir Tschüss.
00:39:07: Martin Tschüss.
00:39:08: Michaela Auf Wiederhören.
00:39:10: Marko Sehr gut.
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