Gladbeck: Geiseldrama live - Teil 2

Shownotes

Sommer 1988 - die Republik hält den Atem an. Im zweiten Teil des Podcasts über die Geschichte des Geiseldramas von Gladbeck geht es um die letzten dramatischen Stunden. Von Köln aus wollen Degowski, Rösner und Löblich mit ihren Geiseln nach Frankfurt. Auf der A3 kommt es zum tödlichen Showdown.

Zu Gast bei Martin Herzog und Marko Rösseler ist Herwig Katzer, der über das Geiseldrama ein WDR-Zeitzeichen gemacht hat und einen Zeitzeugen zum Sprechen bringen konnte, der eigentlich nicht mehr vor ein Mikrofon treten wollte: Udo Röbel stieg damals als Reporter des Kölner Boulevard-Blatts EXPRESS zu Tätern und Geiseln in den Wagen und lotste sie hinaus aus Köln.

Wichtige Links: Hier geht es zum WDR-Zeitzeichen vom 16.08.2023 "Banküberfall wird zum Gladbecker Geiseldrama" - Autor: Herwig Katzer.

Martin Herzog aber hat sich mit der Geiselnahme im Rahmen seiner Recherchen zu seinem Buch "GSG 9 - ein deutscher Mythos" beschäftigt. Hier geht es zum Buch) - und hier zum Hörbuch.

Eine ausführliche Online-Reportage mit vielen Details und Dokumenten über die Geiselnahme von Gladbeck haben die Kollegen vom Redaktionsnetzwerk Deutschland erstellt (RND).

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Transkript anzeigen

Die Geschichtsmacher: Gladbeck, Teil 2

00:00:00: Udo Röbel Das war so irreal. Es gab ein paar Passanten, die die Fußgängerzone hoch und runter gegangen sind. Aber die haben das gar nicht realisiert und auch nicht mitgekriegt. Es war auch keine Polizei zu sehen, gar nichts. Es war wie als wenn sich ein Auto irgendwie in der Fußgängerzone beim Parken verirrt hätte.

00:00:18: Marko Dabei ist die Situation alles andere als normal. In dem Auto sitzen drei Geiselnehmer, zwei davon schwer bewaffnet und zwei Geiseln.

00:00:25: Martin Es ist der 18. August 1988 vormittags.

00:00:30: Herwig Und der Höhepunkt eines der spektakulärsten Verbrechen der deutschen Nachkriegszeit, das am Ende zwei Geiseln das Leben kostet.

00:00:39: Martin Herzlich willkommen bei.

00:00:40: Intro Die Geschichtsmacher von Autorinnen und Autoren des Zeitzeichen.

00:00:57: Martin Eine Geschichte über die Faszination des Bösen, Polizeiversagen und Pressemoral. Eine unglaubliche Geschichte, deren Details wir in der ersten Folge schon angefangen haben zu aufzufächern. Herzlich willkommen bei den Geschichtsmachern, auch heute wieder mit Herwig Katzer.

00:01:16: Herwig Schönen guten Tag!

00:01:17: Marko Und es geht um die Geiselnahme von Gladbeck. Du hast darüber, Herwig, ein Zeitzeichen gemacht. Und Martin hat sich damit beschäftigt, weil er ein Buch über die GSG9 geschrieben hat. Ich habe also zwei Experten am Tisch sitzen und selbst keine Ahnung. Fangen wir an mit dir, Herwig. Du hast dich reingearbeitet und hast einen wichtigen Zeitzeugen zum Sprechen gebracht, der das eigentlich gar nicht mehr wollte. Das ist der Mann, den wir eben am Anfang gehört haben.

00:01:40: Herwig Genau. Udo Röbel war damals stellvertretender Chefredakteur des Kölner Boulevardblatts EXPRESS und ist insofern eine der wichtigsten Figuren bei diesem Gladbecker Geiseldrama, weil er in das Geschehen eingegriffen hat, wenn man das so sagen kann. Er war jedenfalls wirklich involviert.

00:01:56: Marko Ein Geschehen, was am 16 August 1988 um 8:00 morgens begann, mit einer Geiselnahme in einer Bank in Gladbeck. Und was sich dann zog über eine Flucht, über Bremen, die Niederlande, wieder zurück ins Ruhrgebiet, Wuppertal bis nach Köln, wo dieser Wagen jetzt steht, mit noch zwei Geiseln und einer Traube von Reportern drum herum.

00:02:21: Martin Also es ist der dritte Tag dieser Geiselnahme und man muss sagen, es hat schon einen Toten gegeben. In Bremen ist ein 14-jähriger Junge erschossen worden. In einem spontanen Wutausbruchs-Akt des einen Geiselnehmers. Eine tagelange Verfolgung hat schon stattgefunden und jetzt stehen die da in Köln. Und obwohl das alles schon passiert ist, ja, passiert von Seiten der Polizei anscheinend immer noch nichts, denn da steht ein Wagen auf der Breite Straße. Wer die Kölner Innenstadt kennt, das ist eine beliebte Einkaufsstraße, eine Fußgängerzone. Und da bildet sich dann direkt wieder eine Traube aus Menschen und aus Reportern.

00:03:00: Herwig Jede Menge Reportern. Einer bringt seine Leiter mit, damit er besser fotografieren kann über die Traube der Menschen hinweg. Andere versuchen, Kontakt aufzunehmen zu den Geiseln, zu den Geiselnehmern. Es waren öffentlich-rechtliche Sender, es waren private Sender, Hörfunksender, Rundfunksender jeder Couleur. Zeitungsleute waren da vor Ort und haben die Story ihres Lebens gewittert.

00:03:25: Martin Und einer davon war Udo Röbel.

00:03:27: Herwig Jetzt muss man dazu sagen: Das klingt ja völlig irre. Liveübertragungen von einer Geiselnahme, das kann man sich heute nicht mehr vorstellen. Aber damals waren die Zeiten anders, hat mir der Udo Röbel erklärt.

00:03:40: Udo Röbel Wir sind damals, muss ich vielleicht sagen, ja, journalistisch ganz anders aufgewachsen. Für uns Reporter galt damals ein Gesetz, eigentlich nur "Gesetz" in Anführungszeichen. Du gehst so nah ran, wie es die Polizei erlaubt. So, und von der Polizei war erstens nichts zu sehen, und zweitens sind wir groß geworden mit Liveübertragung vom Fernsehen zum Beispiel bei der Schießerei und Verhaftung des Kerns der Baader Meinhof Gruppe in Frankfurt damals. Wir sind groß geworden mit Kamera-Bildern wie der erste Geisel-Gangster in Hamburg in Sankt Georg vor laufender Kamera erschossen worden sind. Und was ich auch noch persönlich in meinem Gedächtnis hatte, war, dass Jahre zuvor ein Kollege von Bild im Auftrag der Polizei sich bei einem ähnlichen Banküberfall mit Geiselnahme hat austauschen lassen gegen eine schwangere Geisel. Also das war die journalistische Welt, in der wir lebten. Dazu gehörte auch, dass also ein Mörder, der verhaftet worden ist, natürlich kein mutmaßlicher Mörder war. Das Wort kannten wir damals gar nicht, dass Tatbeteiligte oder Verdächtige mit vollem Namen in der Zeitung standen, geschweige denn, dass man vielleicht das Gesicht geschwärzt hat. Das war für uns der journalistische medialer Alltag.

00:04:56: Marko Also in dem Sinne für ihn eine Traum-Situation. So nah dran konnte man sonst nie.

00:05:03: Martin Ja, aber eben auch eine außergewöhnliche Situation, also journalistischer Alltag, sagt er hier. Aber das war ja deutlich jenseits jeden journalistischen Alltags. Also es war ja für ihn auch, hat er uns erklärt, im ersten Teil, direkt vor seiner Redaktion, direkt vor dem Pressehaus. Er musste nur runtergehen und da war's.

00:05:21: Udo Röbel Also das war eine Mischung aus versuchter Rationalität und natürlich auch mit sehr viel Adrenalin im Blut. Wann hat man das schon mal gehabt, dass man also hautnah face to face mit einem Geisel-Gangster oder mit Geisel-Gangstern spricht, die schon Menschenleben auf dem Gewissen hat? Ich habe mich dann damals ganz vorsichtig genähert und habe meine Visitenkarte gezückt und sie dem Rösner gegeben und mich vorgestellt und ja fast demütig gefragt: Kann man mit Ihnen sprechen? Und so weiter und so fort. Und zu meinem größten Erstaunen hat er überhaupt keine Berührungsängste gehabt. Im Nachhinein war er mittlerweile ja auch ein Medienprofi, was die zwei Tage vorher da gelaufen ist. Ja, und dann versucht mit dem zu sprechen, natürlich auch immer auf einem gewissen Niveau, was mir dann später auch zum Vorwurf gemacht worden ist. Aber man kann in so einer Situation mit Leuten wie mit Rösner und Degowski natürlich nicht über Moral und Ethik ihres Handelns sprechen. Das wäre wahrscheinlich der falsche Ansatz gewesen. Also hat man dann gefragt: Ja, wie soll das jetzt nun weitergehen und was habt ihr vor? Und so weiter und so fort. Im Grunde genommen relativ belangloses Zeug. Man versucht sich da heranzutasten und die Situation irgendwie in den Griff zu kriegen selbst. Ja, und dann passiert dann das paar Minuten später natürlich einen Journalisten, ein anderes Medium nach dem anderen, an das Auto gekommen ist. Und da spielte sich immer wieder - wie eine Endlosschleife - das gleiche Frage- und Antwortspiel ab.

00:06:54: Marko Stellt sich die Frage: Wo ist die Polizei zu diesem Zeitpunkt? Also heute wäre das abgeriegelt. :

00:06:59: Martin Natürlich. Ja, klar, natürlich. So ist es. Aber in dieser Situation war die Polizei ja schon da, aber nicht sichtbar. Ich habe mich mit dem damaligen Kommando-Führer des SEK Köln unterhalten. Nachdem der Wagen mit den Geiselnehmern wieder nach NRW gekommen ist. Die haben dann übernommen, die Verfolgung übernommen, und die waren auch da vor Ort, und zwar in zivil ist man da tatsächlich auch an das Auto rangegangen und hat versucht, die Lage aufzuklären durch diesen Pulk von Journalisten, Pressevertretern, Kameraleuten, aber auch einfach Schaulustigen, die da standen, sich da durch zu drängen und zu eruieren: Wie ist die Lage? Und kann man da einen Zugriff durchführen? Es gab die Überlegung tatsächlich auch, obwohl es zu dem damaligen Zeitpunkt keinen finalen Rettungsschuss in NRW gab, also es gab keine Gesetzgebung dazu, dann tatsächlich auch die Geiselnehmer mit einem gezielten Schuss außer Gefecht zu setzen und gegebenenfalls dann auch zu töten. Davon, so sagte mir dieser Kommando-Führer aber, haben sie abgesehen, weil die Situation dermaßen unübersichtlich war und so gedrängt und auch die Geiselnehmer stets mindestens einer der Geiselnehmer die Waffe auf die Geiseln gerichtet hatten, dass die gesagt haben, das ist keine Situation, in der wir irgendeine Form von Zugriff oder eben auch einen Schusswechsel riskieren können. Da hat sich der Kommando-Führer auch tatsächlich geweigert. Er hatte die Anordnung, sobald wie möglich zuzugreifen. Und da hat er gesagt: Nein, das mache ich nicht. In dieser Situation mache ich das nicht. Aber das ist natürlich eine Situation gewesen, die schon völlig verfahren war, weil eben die Leute dicht gedrängt um dieses Auto herum standen. Und da war dann von der Seite aus nichts mehr zu wollen.

00:08:53: Herwig Vielleicht sollte man, um diese Situation mal zu illustrieren, einen Ausschnitt aus diesen Reportagen, die da live gesendet wurden teilweise, mal kurz anspielen.

00:09:02: O-Ton - Reporter Gibt es noch zusätzliche Geldforderungen?

00:09:04: Rösner Nein, das wollen wir aus dem einfachen Grunde nicht haben, sonst werden die noch bestußter. Da werden die ja immer heißer hinter uns her. Obwohl ich schon einen umgelegt habe.

00:09:04: Degowski Da in Recklinghausen oder wo sind sie am beratschlagen, wie sie uns fertig machen, ne. Und dann sind die Mädchen tot, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche, so sicher wie wir dann auch tot sind.

00:09:22: Silke Bischof Ich hab auch Angst, dass die Polizei nicht darauf eingeht und nochmal so was passiert - dass man umgebracht wird oder so.

00:09:30: Marko Die beiden Mädchen, das sind Silke Bischoff und Ines Voitle, beide, glaub ich, 18 Jahre alt.

00:09:37: Martin Aus Bremen.

00:09:38: Marko Wissen wir, wen wir da gerade eben gehört haben von den beiden?

00:09:40: Herwig Ja. Silke Bischoff.

00:09:42: Marko Die wird das Ganze nicht überleben, das weiß man heute, wenn man sich vorstellt, dass man eigentlich in so einer Situation so eng beieinander steht mit all diesen Menschen. Drumherum, wird ja auch beschrieben, laufen ganz normale Passanten. Es hätte ja auch ich weiß nicht was passieren könnte. Die hätten ja irgendwann einfach austicken können. Also bei so vielen Menschen drumherum, hätte es dann vielleicht sogar viele Tote gegeben?

00:10:05: Herwig Das stand sogar zu befürchten, wie mir der Udo Röbel erzählt hat.

00:10:08: Udo Röbel Ja, also die Situation ist dann von Minute zu Minute in der Form eskalier, dass natürlich nicht nur das Medien-Aufgebot immer größer wurde, sondern natürlich auch die Passanten dann stehen geblieben sind. Da waren ja zum Schluss fast ein paar hundert Leute dicht gedrängt um dieses Auto gestanden. Und das wurde dann auch für den sich so cool gebenden Rösner wohl offensichtlich dann doch etwas risikobehaftet. Er stieg nämlich dann aus dem Auto, hielt die Pistole in die Menge und sagte: Weg da, weg da! Und als die Menge dann zurückflutete, dann sah er, dass die Poller hochgezogen worden sind, wer auch immer das gemacht hat. Jedenfalls war der Fluchtweg für die Gangster versperrt. Und das war eigentlich der Augenblick, wo ich dann vom Beobachter wieder in Anführungszeichen zum "Akteur" wurde. Denn dann sprach mich Rösner direkt an: Sorgt dafür, dass die Poller runterkommen! Brüllte er. Ich kann für nichts mehr garantieren. Das - das können Sie heute auf den Bildern auch nocn sehen - führt dann dazu, dass ich dann auch hektisch an irgendwelche Adressaten - vermutete ja, dass die Polizei vielleicht in zivil doch vor Ort war, sagte: Macht die Poller runter, macht die Poller runter. Irgendjemand machte dann die Poller runter und dann kam praktisch der nächste folgerichtige Schritt, in dem Rösner dann sagte: Wo geht's hier zur Autobahn? Und dann habe ich versucht, denen zu erklären, wie sie fahren müssen. Und dann unterbrach er mich und fragte mich: Kannst du uns da Autobahn bringen? Und dann habe ich im Bruchteil einer Zehntelsekunde entschieden, mich ins Auto mit zu setzen und sie aus der Innenstadt zu lotsen.

00:11:52: Marko Das ist natürlich eine Entscheidung, die er da als Reporter fällt. Was hättet ihr getan?

00:11:59: Martin Also ich meine: Wir sind nun drei Journalisten, die in so einer Situation sein könnten?

00:12:03: Marko Ja, eben drum. Also, wir sind drei Journalisten. Wir könnten in derselben Situation sein. Wir sind heute, 30 Jahre später, wer wäre eingestiegen - Martin?

00:12:12: Martin Ich kann sagen, mit Sicherheit wäre ich da nicht eingestiegen. Ich kann nicht ausschließen, dass ich da auch in, ich sage mal in so einer Art Jagdfieber an dieses Auto rangegangen wäre, um da ein Interview mit dem Typen zu bekommen. Ich glaube, dass wenn man da so vor Ort ist als Reporter und hat dann ja im wahrsten Sinne des Wortes die Blutspur aufgenommen. Dann können einem da schon die Pferde durchgehen. Ich glaube, da braucht es dann eine gute Redaktion im Hintergrund, die dann irgendwann auch sagt: Jetzt ist aber Schluss.

00:12:45: Marko Na ja, du stehst jetzt da ohne Redaktion.

00:12:47: Martin Ich stehe jetzt..

00:12:48: Marko Du stehst da alleine und er fragt: Steigst du mit ein und zeigst mir den Weg raus?

00:12:50: Martin Und ich glaube, dass das hätte ich nicht getan. Das kann ich mir schlecht vorstellen.

00:12:56: Marko Herwig?

00:12:57: Herwig Also ich bin sehr froh, dass ich nicht in diese Situation gekommen bin. Ich glaube auch nicht, dass ich eingestiegen wäre. Ich kann es mir nicht vorstellen. Ich kann aber den Impetus natürlich verstehen zu sagen: Das ist die Story meines Lebens. Ich habe gerade die Chance, einen richtigen Coup zu landen.

00:13:18: Marko Jetzt klingt es klingt zynisch, aber natürlich, wenn er sagt: Natürlich, als Reporter will man ja dicht dran sein. Das kann ich auch verstehen. Und auf der andern Seite könnte man sich ja auch denken: Wenn die Situation so verfahren dort war, ja vielleicht ist es besser, ich steig mit ihnen ins Auto und vielleicht würde das die Situation sogar entschärfen. Das könnte ja auch ein Impetus sein, dass man daran denkt.

00:13:40: Herwig Das könnte eine Möglichkeit sein. Darüber hat sich der Udo Röbel ja wirklich auch Gedanken gemacht. Der hat sein Handeln hinterfragt, hat das dann wirklich kritisch noch mal Revue passieren lassen. Und ich finde diesen Gedanken, den er da entwickelt hat, auch interessant.

00:13:54: Udo Röbel Dass ich mich jahrelang selbst mit der Frage gequält habe: Welcher Röbel war denn da eigentlich vor Ort damals? War es der Reporter, der geil war auf die Geschichte seines Lebens. Oder gab es da auch den Menschen Udo Röbel, der versucht hat, irgendwie die Situation zu entschärfen und irgendwie was beizutragen, damit die die Mädchen da aus dieser Situation rauskommen? So, die Frage konnte ich mir selbst nie beantworten. Jedenfalls für für lange Zeit. War immer der Hintergedanke. Redest du dir nur das schön, dass du versucht hast, den Mädchen zu helfen? War das denn wirklich so?

00:14:36: Martin Na ja, er hatte ja auch, wenn ich das richtig im Kopf habe, den Rösner gefragt, ob er denn bereit wäre, Geiseln auszutauschen gegen andere. Und dann hat der gesagt: Ja. Wer schwebt dir denn so vor? Und Röbel hat dann gesagt: Der [00:14:50]Hengsbach, [0.0s] das war damals der Bischof, der Ruhrgebiets-Bischof, glaube ich. Und dann hat man das tatsächlich auch weitergeleitet, das ist an die Polizei, glaube ich, weitergeleitet worden, um da nachzufragen, ob der sich als Austausch-Geisel zur Verfügung stellen würde. Und dann ist das aber im Sande verlaufen.

00:15:08: Herwig Da muss man natürlich sagen: Die Wege waren natürlich viel länger, es gab ja keine Handys, da musste dann einer irgendwo hin gehen, mit der Polizei sprechen, die Antwort abwarten und so und es hat sich aber nichts getan. Also der Rösner hat zur Überraschung vom Röbel gesagt: Ja, können wir machen.

00:15:23: Martin Das heißt, diese Frage, habe ich mir das nur schön geredet oder war da wirklich was dran? Die ist tatsächlich nicht so ganz einfach zu entscheiden, weil er schon irgendwas versucht hat. Aber er ist natürlich, und das muss man ja sagen, er ist zu einem Handelnden geworden vom reinen Beobachter. Aber das war natürlich eine Situation, in der im Prinzip da alle Journalisten standen.

00:15:43: Marko Na ja, gut, und er musste sich binnen von Sekunden entscheiden. Es ist ja nicht so, dass man da irgendwie eine lange Güterabwägung machen kann, sondern du stehst vor der Geschichte deines Reporter-Lebens. Und da fragte dich einer: Steigst du ein oder bleibst du draußen? Und dann musst du entweder springen oder lässt es halt bleiben? Und er ist gesprungen und hat es sein Leben lang bereut.

00:16:04: Herwig Es gab ja dann noch eine interessante Geschichte: Der Röbel ist zugestiegen und die sind losgefahren. Und dann wurde berichtet, der Röbel hätte zu dem Rösner gesagt: Ey, ihr zieht das Ding doch durch! So wurde er zum "Reporter des Satans", wie andere Kollegen über ihn geschrieben haben. Tatsache war aber: Wie nämlich das Aufnahmegerät, dass in diesem BMW, der von der Polizei Deutschlands den Gangstern untergejubelt wurde, zu hören war. Er hat genau das Gegenteil gesagt. Er hat gesagt: Ihr wollt das Ding doch nicht wirklich durchziehen?

00:16:39: Marko Die Frage ist natürlich, Was würde durchziehen bedeuten? Welche Chance haben zwei oder drei Geiselnehmer mit zwei Geiseln, die sich in Deutschland, mitten in Europa, mit einem BMW befinden? Wie wollen die wegkommen? Es gäb doch gar keine realistische Chance.

00:16:55: Martin Vermutlich haben sie sich darüber genauso wenig Gedanken gemacht, wie über alles andere, was in diesen zweieinhalb Tagen zuvor passiert ist. Das waren ja alles ad hoc Entscheidungen, alles moment-impulsive Entscheidungen. Also das ist alles eine völlige Irrfahrt gewesen, die immer nur aus dem Moment heraus weiter entschieden wurde. Wo geht es denn als nächstes hin? Und dann war eben das Ziel Frankfurt. Und Udo Röbel hat sich tatsächlich in das Auto gesetzt, um die Geiselnehmer aus Köln raus zu lotsen. Auf die A3.

00:17:28: Marko Richtung Frankfurt. Wusste er das schon vorher? Also haben die das schon gesagt, während sie da so standen in der Fußgängerzone. Ach jetzt möchten wir mal nach Frankfurt. Oder wie war das? Ich meine die...

00:17:38: Herwig die wollten nur auf die Autobahn.

00:17:39: Marko Allein schon, dass die in Köln waren.

00:17:41: Herwig Also das war wohl ein Impuls von dem Rösner, der in Köln den Dom mal sehen wollte.

00:17:47: Marko Ach, deswegen waren die überhaupt in Köln....

00:17:48: Herwig Deswegen sind die nach Köln gefahren.

00:17:50: Marko Touristisches Interesse?

00:17:51: Herwig Im Grunde ja. Und dann rollen die in die Fußgängerzone. Und dann passiert das, was wir hier besprechen.

00:17:58: Marko So in Frankfurt, weil er Frankfurter Würstchen essen will. Man weiß es nicht. Wollen die zum Flughafen?

00:18:01: Martin Ich glaube, das ist nie klar geworden, was die eigentlich da in Frankfurt wollten. Ja, weiß ich nicht: Zum Flughafen, um dann einen Flug ins Ausland zu kriegen? Keine Ahnung. Jedenfalls ist Udo Röbel zugestiegen, hat denen den Weg zur Autobahn gezeigt und ist dann in Siegburg, an der Autobahnraststätte von den Geiselnehmern tatsächlich wieder auf freien Fuß gesetzt worden.

00:18:25: Herwig Jetzt könnte man annehmen, das ist ein richtig abgebrühter Hund, Der setzt sich da rein und hat die Story seines Lebens. Aber das war nicht so.

00:18:34: Udo Röbel Das Bewusstsein, in welcher gefährlichen Situation ich dann selbst war, das kam erst später, als die Gangster mich - wie versprochen - an der Autobahnraststätte Siegburg rausließen, weiter fuhren und dann kurze Zeit später ein Team von den Tagesthemen kam mit Ulrich Deppendorf. Und Deppendorf mich anfing zu interviewen und da merkte ich plötzlich, wie mir fast die Beine wegsackten, die Knie weich wurden.

00:19:01: Marko Das heißt, auch jetzt sind wieder Reporter hinter diesem Wagen her. Ulrich Deppendorf, sicherlich ein Urgestein öffentlich-rechtlicher Berichterstattung. Auch mit dabei!

00:19:12: Martin Ja, der hat den dann interviewt, während die Geisel-Gangster dann sich Richtung Frankfurt weiter aufgemacht haben. Und ich sage mal böse: Den Luxus der weichen Knie konnten sich die Geiseln nicht leisten, weil die eben immer noch in diesem Gefährt saßen und eben nicht auf freien Fuß gesetzt worden sind.

00:19:32: Herwig Dazu muss man aber vielleicht sagen, dass die Stimmung, nachdem der Röbel, der ausgestiegen war und der BMW seine Fahrtrichtung Frankfurt aufgenommen hatte, gelöst war. Die Geisel-Gangster haben wohl den beiden Mädchen gespiegelt. Also wir hätten euch sowieso nichts getan. Und man muss sich ja mal diese Todesangst vorstellen dieser beiden Mädchen, die über viele, viele Stunden in der Hand dieser beiden zu allem entschlossenen Gangster waren.

00:20:00: Marko So, und dann sagst du, es habe sich die Situation entspannt. Unter dem Motto: Alles wird gut. Woher weiß man das?

00:20:07: Herwig Weil die mitgehört haben.

00:20:08: Marko Die haben mitgehört.

00:20:09: Herwig Die haben mitgehört.

00:20:09: Marko Der Wagen war noch komplett verwanzt.

00:20:12: Herwig Genau. Es gab Überwachungs anlagen in diesen BMW. Also, man konnte hören, was die reden. Es wurde aufgezeichnet. Und da kam dieser Dialog auch zustande, dass der Rösner den beiden Geiseln, die ja über Stunden wie gesagt in Todesangst waren, die Angst nehmen wollte und gesagt hat: Jetzt wird alles gut und wir hätten euch sowieso nichts getan, macht euch keine Sorgen.

00:20:38: Marko Wir haben nur so getan, als ob. Den Jungen, den wir erschossen haben, vergesst mal.

00:20:42: Herwig Was die jetzt genau gesagt haben, ist nicht klar. Aber es wird davon gesprochen, dass die Atmosphäre gelöster war, weil die dachten wirklich, wir kommen mit der Nummer durch.

00:20:51: Marko Richtung Frankfurt.

00:20:52: Herwig Richtung Frankfurt.

00:20:53: Marko Nun hat der BMW ja immer noch - wir haben im ersten Teil darüber berichtet, eine spezielle Einrichtung, die die Polizei dort verbaut hat. Man hätte also auf ein Knöpfchen drücken können und dann wäre per Fernbedienung die Zündung des BMW ausgegangen.

00:21:07: Martin Ja.

00:21:07: Marko Jetzt sind wir auf der A3 irgendwo Richtung Hennef. Warum drückt man nicht das Knöpfchen?

00:21:13: Martin Na ja, weil sie dann Verdacht geschöpft hätten und sofort die gelöste Atmosphäre, von der Herwirg gerade gesprochen hat, natürlich zunichte gewesen wäre. Also man muss dann schon ganz genau wissen, wann man so etwas einsetzt. Aber es kommt noch etwas anderes hinzu. Der Kommando-Führer, der diesen Einsatz also koordiniert hat und eben auch anführen sollte, der hatte das Gerät gar nicht dabei.

00:21:36: Marko Wie jetzt?

00:21:37: Martin Nein, das war im Wagen eines MEK Teams, also eines mobilen Einsatz-Kommandos. Das war für die Überwachung des Geiselnehmer-PKW zuständig. Und die hatten das Gerät. Also er hat es gar nicht einsetzen können, weil er es nicht dabei hat. Aber selbst wenn, hat mir der Kommando-Führer gesagt, er hätte es wahrscheinlich nicht eingesetzt, um eben diesen Überraschungseffekt nicht zu verspielen. Wir müssen vielleicht an der Stelle sagen: Was ist da geplant? Also die Situation ist mittlerweile so zugespitzt, man hat die Erfahrung gemacht in Bremen, man hat die Erfahrung gemacht in Holland, man hat die Erfahrung gemacht in Köln -völliges Chaos und Desaster, keine Möglichkeit, da einen Zugriff zu machen. Und nach drei Tagen, wo man wusste, die Geiselnehmer sind völlig übermüdet, völlig unter Drogen und immer noch alkoholisiert. Wir müssen jetzt irgendwann den Sack zumachen, wir müssen irgendwann zugreifen und wir können nicht zulassen, dass die vielleicht dann eben jetzt in Frankfurt auftauchen und noch mal so eine Nummer abziehen wie in Köln. Also gab es den Auftrag an den Kommando-Führer so schnell wie möglich oder bei der erstmöglichen Gelegenheit zuzugreifen. Und nachdem das in Köln eben nicht möglich war, war dann die Überlegung, mit einer Reihe von Verfolgungs-Fahrzeugen den Wagen abzudrängen bzw. zu rammen und dann zuzugreifen. Und der Kommando-Führer hat dann noch mal zum Ausdruck gebracht seinem Einsatzleiter gegenüber, dass das eine sehr hohe Gefährdung der Geiseln bedeuten würde und dass dann auch damit zu rechnen wäre, dass eventuell Geiseln dabei ums Leben kommen bei einem solchen Zugriff. Und ihm wurde gesagt, es ist zu vermeiden, dass die Geiseln geschädigt werden. Aber im Zweifel ist auch das in Kauf zu nehmen.

00:23:32: Herwig Vielleicht sollte man auch diesen politischen Aspekt noch mal kurz beleuchten. Ich habe auch mit einem Mitglied des Untersuchungsausschusses in Bremen gesprochen, der aber sich natürlich über den ganzen Fall informiert hatte. Und der sprach davon, dass es eine unausgesprochene nicht Weisung, es gab keine wörtliche Weisung, es gab keinen Befehl. Aber die Stimmung in der Einsatzleitung war: Wir müssen dieses Ding in NRW beenden. Niemand hat aus dem Ministerium gesagt: Ihr müsst das jetzt machen. Wahrscheinlich hat der Innenminister damals . Herbert Schnoor - dieser Stimmung keinen Riegel vorgeschoben. Sagen wir mal so.

00:24:17: Martin Also die Situation, muss man kurz dazu sagen, wer da regional nicht ganz so bewandert ist: Die A3 Richtung Frankfurt bei Siegburg, Hennef ist kurz vor der Landesgrenze zu Rheinland Pfalz. Und in der Tat: Auch ich habe mit Polizisten gesprochen, Polizeiführern, die auch sich im Nachgang zu dieser Geschichte umgehört haben. Und die spiegeln exakt das, was du mir gerade gesagt hast. Es gab niemanden, der gesagt hat: Ihr müsst vor der Landesgrenze zugreifen. Aber es gab so einen unausgesprochenen Wunsch, einen sehr dringenden Wunsch, doch bitte die Geiselage A zu beenden und B bevor die Geiselnehmer nach Rheinland-Pfalz gehen. Der Kommando-Führer hat dem vehement widersprochen. Also ich habe mich mit dem lange unterhalten und der hat gesagt: Nein, wir hatten keinerlei Auftrag, wir hatten nicht einmal einen Gedanken daran, dass wir dann unsere Verfolgung vor der Landesgrenze beenden müssen. Wir haben an der Raststätte Siegburg sogar noch mal kurz vollgetankt und das mache ich ja nicht, wenn ich damit rechne, dass ich jetzt in den nächsten drei Minuten zugreifen muss. Also wir wären irgendwann abgelöst worden, aber für uns war das kein Gedanke, dass wir da sagen würden: Ohjeh, wir, wir sind jetzt gleich an der Landesgrenze und müssen deswegen zuschlagen. Er hat das vehement abgelehnt. Aber - wie gesagt - es gab wohl zumindest in den in den Führungsetagen gab es so einen wabernden Wunsch, dass das doch bitte in NRW gelöst wird diese Geschichte.

00:25:44: Marko Was ist der Quell dieses Wunsches. Unter dem Motto: Wir haben doch die Super-Polizei und wir kriegen das schon gebacken?

00:25:50: Herwig Oder möglicherweise: Wir haben es so verbockt in Gladbeck und in Köln. Jetzt wollen wir das gut machen.

00:25:57: Martin Also natürlich spielen da, das ist die böse Vermutung, die finstere Vermutung, spielen da Landes-Eitelkeiten eine Rolle. Es gab eben auch - und das ist ja der Grund, weswegen ich mich mit dem Thema auch auseinandergesetzt habe. Es gab da ja eine Spezialeinheit, die einen Steinwurf entfernt gesessen hat, nämlich in Sankt Augustin. Das ist Luftweg ein paar Kilometer entfernt mit dem Hubschrauber sind das wenige Flugmminuten. Die haben da gesessen und hatten ihre Dienste angeboten. Es waren Einheiten in Bereitschaft.

00:26:28: Marko Wir reden über die GSG9.

00:26:31: Martin Die haben im Hubschrauber gesessen und haben darauf gewartet, gerufen zu werden. Und das war eben die GSG9 von der vom damaligen Bundesgrenzschutz, heute Bundespolizei. Und die böse Vermutung liegt eben nahe, dass auch da es eben eine Frage von Länder-Eitelkeit war - nein, das kriegen wir selber geregelt. Dafür brauchen wir den Bund nicht. Oder wir kriegen das eben selber geregelt, bevor es irgendeine andere Landes-Polizei regelt. Das klingt völlig wahnsinnig. Aber es gibt eben Berichte aus unterschiedlichsten Ecken und du bestätigst das ja auch, dass es tatsächlich so gewesen ist.

00:27:07: Marko So, jetzt ist dieses Auto - offenbar ein ziemlich dicker BMW - unterwegs auf der A3. Was ist jetzt denn der Plan? Was haben die denn jetzt vor von Seiten der Polizei?

00:27:16: Martin Also der Plan ist mit einer ganzen Flotte von Verfolgungs-Fahrzeugen, schnellen Verfolgungs- Fahrzeugen - also die sind mit dem BMW teilweise mit 200 unterwegs hinterherzujagen. Und es ist inzwischen die Nachricht gekommen, dass eben der BMW rechts ran gefahren ist. Rösner ist heiß geworden, der wollte seinen Blaumann, den er immer noch anhatte, loswerden, ist zum Kofferraum gegangen, hat den Kofferraum aufgemacht, hat sich da was anderes rausgeholt. Und in der Zeit, als klar wurde, die haben angehalten, wurde die Entscheidung getroffen. Okay, wir schlagen zu. Wir verfolgen die mit dieser Angriffs-Flotte und haben vorne ein Rammfahrzeug mit einem speziell ausgebildeten Stunt-Fahrer, kann man sagen, der das Fahrzeug vorne an der linken Vorderseite rammen sollte, um das Fahrzeug, um dem BMW einen so harten Schlag zu versetzen, dass der nicht nur von der Autobahn runter geschoben und fahruntüchtig ist, sondern in eine Drehung versetzt wird, so stark, dass die Insassen dadurch verwirrt werden. Die nachfolgenden Fahrzeuge sollten dann bremsen und stehen bleiben und die Geiselnehmer verhaften. Das war der Plan.

00:28:22: Marko Klingt ja nach einem super Plan, aber der bleibt ja nicht. Der zieht ja nur seinen Blaumann aus und und fährt dann weiter.

00:28:27: Martin Das ist ja, das ist genau der Fall. Aber überraschenderweise ein paar Kilometer später bleibt der Wagen wieder stehen, fährt wieder an den rechten Rand, weil Rösner sich verfolgt gefühlt hat und kontrollieren wollte, ob da ein Fahrzeug, was ihn verfolgt hat. Ob das tatsächlich Polizei ist oder Journalisten oder wie auch immer.

00:28:45: Marko Und was war es?

00:28:46: Martin Es war ein Journalisten-Fahrzeug. Das ist dann irgendwie auch ein paar Meter weiter vor ihm zum Stehen gekommen. Und dann hat Rösner geguckt und hat gesagt: Das sind Journalisten. Alles in Ordnung.

00:28:55: Marko Meine Freunde?

00:28:57: Martin Ja, und dann wollten die wieder anfahren und in dem Moment ist über die Kuppel hinter ihnen diese Flotte von SEK-Fahrzeugen angeflogen gekommen.

00:29:08: Marko Ich muss mir jetzt eine Flotte vorstellen. Ich meine, ich denke jetzt mal die heutige A3, die ist ja immer voll. Abgesehen davon ist da auch immer Stau. Aber damals offenbar noch nicht. So. War diese Autobahn gesperrt. War der da allein unterwegs?

00:29:23: Martin Also man hat rückwärtig den Verkehr zurückgehalten und dafür gesorgt, dass da kein Auto mehr zumindest schneller fahren kann als das Fluchtfahrzeug.

00:29:32: Marko Also das heißt, das Journalisten Fahrzeug, das war da sozusagen schon durch diese Sperre durch.

00:29:35: Martin Das ist da durchgeflutscht noch, ja, genau

00:29:37: Marko Und ansonsten ist die Autobahn jetzt aber nach hinten dicht. Dann müsste ja auch den dreien vielleicht auffallen, diesen drei Geiselnehmern. Irgendwas ist doch hier nicht in Ordnung, oder?

00:29:46: Martin Ist ihnen aber offensichtlich nicht. Also das ist auch im Urteil. Es gab ja dann später einen Gerichtsprozess ist das sehr eindeutig festgestellt worden, dass die heranrauschenden SEK Fahrzeuge nicht gesehen haben, im Prinzip erst das wahrgenommen haben. In dem Moment als sie wieder losfahren wollten auf die Autobahn und dann das Ramm-Fahrzeug, weil sie wieder losgefahren sind, nicht vorne eingeschlagen ist, sondern nur hinten und den Wagen nur so ein bisschen zur Seite gedrückt hat.

00:30:17: Herwig Möglicherweise waren die auch euphorisiert, dass die Sache jetzt gelaufen ist und dass die wirklich nach zweieinhalb Tagen ohne Schlaf, aufgeputscht mit allem Möglichen, dass die dann gar nicht mehr so fokussiert waren auf ihr Ding.

00:30:33: Marko So, jetzt kommt dieses Auto. Rummst da in die Seite. Spätestens jetzt ist aber klar: Das ist kein Unfall, oder?

00:30:40: Martin Nein. Und das ist der Punkt. Also dieser Aufprall, dieses Rammen ist nicht so gelaufen, wie Sie sich das vorgestellt haben. Offensichtlich konnten beide relativ, also beide Geiselnehmer relativ schnell reagieren, waren auch nicht verwirrt, weil das Fahrzeug eben nicht ins Schleudern getrieben worden ist und insofern war der Überraschungseffekt, mit dem das SEK gerechnet hat, auch nicht richtig wirksam. Und dann entfaltete sich eben - ah ja, man kann es nicht anders beschreiben als eine wilde Schießerei, was da folgte mit tragischen Konsequenzen. Und wir haben hier das Urteil aus dem Prozess vom Essener Landgericht von 1991. Da ist noch mal ganz detailliert aufgeschlüsselt, wie diese ganze Geiselnahme abgelaufen ist und eben auch diese letzten Momente beim Zugriff des SEK Köln.

00:31:33: Marko Nachdem Degowski seine Revolver-Trommel verfeuert hatte, fühlte er sich wie gelähmt und war zu keiner Bewegung mehr fähig, er sackte zusammen, die Füße im Fußraum mit dem Oberkörper auf den Knien von Silke Bischoff liegend. Infolge übermächtig werdender Angst erlitt er einen sogenannten Stupor oder Stupor.

00:31:50: Martin Stupor, glaube ich, ja.

00:31:53: Marko Er verfiel in Bewegungslosigkeit. Rösner hatte durch den Aufprall seine bis dahin auf seinem Schoss liegende Pistole verloren. Er warf sich sofort nach dem Ramm-Stoß nach rechts auf den Schoss von Marion Löblich. Diese drückte sich in die rechte Beifahrertür, um so Schutz vor den Schüssen der Polizeibeamten zu finden. Mit einer Hand suchte Rösner nach seiner auf dem Fahrzeug-Boden liegenden Waffe. Er fand sie. Er erwartete, dass in Höhe des linken Seitenfenster SEK-Beamte auftauchten und auch auf ihn schießen würden. Er war in diesem Augenblick jedenfalls entschlossen, auf jeden Beamten zu schießen. Als sich jedoch kein Beamter zeigte, richtete er die Waffe auf Silke Bischoff, die an dieser Stelle in der Schuss Richtung nur etwas tiefer, den Kopf vornübergebeugt, über Degowski auf dem Rücksitz saß. Dabei hielt er die Waffe nicht senkrecht, sondern infolge der Verdrehung seines Armes mehr oder weniger mit dem Griffstück schräg nach oben, dessen Boden der linken Fahrzeugseite zugewandt. Er hoffte, dass die Bedrohung der Geisel ausreichte, die möglicherweise heranstürmenden SEK-Beamten von einem weiterem Zugriff abzuhalten.

00:33:04: Martin Also er hat die Hoffnung immer noch nicht aufgegeben zu diesem Zeitpunkt, wo das Auto gerammt ist, völlig fahrunfähig, wo geschossen worden ist, er umringt ist von SEK-Beamten und trotzdem will er immer noch versuchen, aus der Nummer rauszukommen.

00:33:21: Marko Silke Bischoff rief Ines Voitle zu, aus dem Wagen zu springen. Das wollte Ines Voitle auch tun. Daraufhin herrschte die Angeklagte Löblich sie an: Du bleibst hier! Ines Voitle unternahm erneut den Versuch, das Fahrzeug zu verlassen. Während sie noch nach vorne geduckt saß, öffnete sie die rechte hintere Autotür, schaute dabei nach links hoch und sah den Kopf der Angeklagten Löblich in der Höhe der Kopfstütze des Beifahrersitz. Dann sprang Ines Voitle aus dem Wagen. So, das heißt die erste Frau, die erste Geisel ist raus.

00:33:55: Martin Sie springt dann in die seitliche Böschung und da sind bereits SEK-Beamte und die nehmen sie in Empfang und führen sie weg.

00:34:03: Marko Als die SEK-Beamten bemerkten, dass aus dem Täter-Fahrzeug keine Schüsse mehr fielen, riefen sie den Angeklagten erneut zu, die Waffen heraus zu werfen, um sich zu ergeben. Rösner hatte nicht vor aufzugeben. Er wollte sich stattdessen weiter zur Wehr setzen. Er hoffte immer noch, einen Ausweg aus dieser Situation zu finden und die Beute sichern zu können. Er beschimpfte die SEK Beamten laut als Schweine und Bullen. Dabei hielt er die Pistole in der zuvor beschriebenen Weise entsichert mit gespanntem Hahn auf dem Zeigefinger am Abzug nach hinten auf Silke Bischoff.

00:34:38: Martin Also, er hat auf sie gezielt.

00:34:40: Marko Als die Angeklagten nicht reagierten, feuerten die SEK-Beamten von ihren Positionen links hinter dem Fahrzeug erneut Schüsse auf das Täter-Fahrzeug ab. Von einem dieser Schüsse wurde Rösner am linken Oberschenkel im Hüft-Bereich getroffen. Rösner zuckte zusammen und drückte ab. Es war nicht festzustellen, ob Rösner absichtlich schoss oder aufgrund dieses Zusammenzuckens oder aufgrund des nachfolgenden Schmerzes den am Abzug seiner Pistole liegenden Zeigefinger reflexartig krümmte und dabei den Druckpunkt überzog, so dass sich ein Schuss löste. Dieser Schuss traf Silke Bischoff, die in seiner Zielrichtung saß, den Oberkörper nach vorne gebeugt, den Kopf etwas zwischen den Vordersitz, die Arme vor der Brust gekreuzt. Sie verstarb unmittelbar darauf, weil sie unrettbar tödlich verletzt war.

00:35:33: Martin Tja, und nach diesem tödlichen Schuss sieht dann endlich auch Rösner ein, dass das alles keinen Sinn mehr macht. Der gesamte Zugriff, also diese gesamte Passage, die du da gerade vorgelesen hast, dauert insgesamt weniger als eine Minute. Und in dieser Zeit fallen mindestens 65 Schüsse aus Polizeiwaffen.

00:35:53: Herwig Und da gibt es jetzt wieder einen Dreh zur Presse und zu der wirklich ausufernden Pressearbeit, die da gemacht worden ist. Denn der Fotograf, der sich vor das Auto der Geisel-Gangster gesetzt hatte, hat den Zugriff als einziger übrigens fotografiert, indem er seine Kamera auf Automatik gestellt hat und quasi jede halbe Sekunde, glaube ich, hat er Bilder gemacht. Also man sieht, wie Ines Voitle aus dem Wagen springt. Man sieht diese Rauchschwaden, man sieht das ganze Geschehen - also das ist dokumentiert und durch die Audioaufnahmen in dem BMW, die gemacht werden konnten. Das Urteil stützt sich auf Beweis Indizien.

00:36:34: Marko Nun ist natürlich für mich die Frage: Der hat die Waffe im Anschlag auf die Geisel gerichtet. Aber er drückt ab - eventuell, so sagt ja auch das Urteil - gar nicht, weil er es will, sondern weil er zusammenzuckt, weil er getroffen ist. Wollte er sie töten? Wollte er sie nicht töten, was ja für ein Urteil vielleicht nicht ganz unerheblich ist.

00:36:56: Martin Das kann wahrscheinlich nur Rösner selber beantworten. Es ist auch die Frage, wie ausgeprägt in so einer Situation dann der Vorsatz, der Wille ist. Also das ist, glaube ich, sehr, sehr schwierig herauszufinden, wenn man bei den Tatsachen bleibt. Er hatte seine Waffe auf Silke Bischoff gerichtet und er hat geschossen. Wie weit da Vorsatz eine Rolle spielte oder eben Reflex aufgrund von Schmerzen oder was auch immer, glaube ich, wird sich nicht lösen lassen. Er ist nicht wegen Mordes verurteilt worden.

00:37:29: Marko Tatsächlich nicht?

00:37:30: Martin Nein. Der italienische Junge ist von Degowski erschossen worden. Und Silke Bischoff ist infolge des Schusses aus seiner Pistole gestorben. Er ist verurteilt worden wegen erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit Geiselnahme - jeweils mit Todesfolge. Schwere räuberische Erpressung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und noch eine Reihe von anderen Delikten. Aber er ist nicht wegen Mordes verurteilt worden.

00:37:58: Marko Das blutige Ende dieser Geiselnahme ist auf jeden Fall. Die drei ergeben sich jetzt, und damit ist dieses Trauerspiel zu Ende.

00:38:09: Martin Schließlich und endlich sieht dann auch Rösner ein, dass es keinen Sinn mehr hat. Und er wirft dann seine Pistole auf die Straße und werden dann entsprechend verhaftet und abgeführt. Die Frage ist jetzt natürlich nach diesen 54 Stunden der Geiselnahme, dieser völlig chaotischen Verfolgungsjagd mit all den Implikationen, die wir da besprochen haben, ist: Ja was folgt daraus denn dass das folgenlos bleiben würde, das hat zu dem Zeitpunkt dann auch keiner mehr geglaubt, dass da Diskussionen - mindestens Diskussionen folgen würden über das, wie die Polizei agiert hat, aber auch natürlich, wie die Presse agiert hat. Das war zu dem Zeitpunkt dann auch schon klar.

00:38:55: Marko Na ja, die ersten, die sich natürlich fragen müssen Ist ja alles richtig gelaufen. Das ist sicherlich die Polizei.

00:39:00: Martin Ja, und da sind auch tatsächlich Konsequenzen gezogen worden nach Gladbeck. Zunächst mal vielleicht auch als aller Wichtigstes, hat man als Konsequenz gezogen eine Änderung in der Polizeitaktik. Nämlich weil man gesehen hat, was passiert und wie völlig chaotisch und unkontrollierbar von Seiten der Polizei so etwas abläuft, wenn eine statische Lage - wie eben diese Geiselnahme in der Bank in Gladbeck - zu einer dynamischen Lage wird, das die ein Fluchtfahrzeug nehmen und dann quer durch die Republik fahren, ohne Plan offensichtlich und ohne dass man da wirklich hinterherkommt. Deswegen hat man die Konsequenz gezogen: Wir müssen unter allen Umständen verhindern, dass aus einer statischen Lage eine mobile Lage wird. Und zwar in aller Konsequenz, und das heißt auch unter Inkaufnahme, dass den Geiseln etwas passiert.

00:39:54: Marko Gab es danach Präzedenzfälle, die in diese Richtung gingen, wo man dann gesagt hat okay, das lassen wir auch nie wieder, noch mal geschehen?

00:40:00: Martin Also es gibt einen relativ bekannten Fall, der eben auch hier in Nordrhein-Westfalen passiert ist, nämlich dann elf Jahre später in der Landeszentralbank in Aachen, war das eine Geiselnahme, die sehr, sehr dramatisch verlaufen ist. Und da war die Maßgabe tatsächlich: Egal was passiert, der Täter darf mit seinen Geiseln die Örtlichkeit nicht verlassen. Und das ist auch entsprechend durchgezogen worden und, vermute ich, einer der Gründe, weswegen das so strikt auch gehandhabt worden ist, war, dass es sich bei dem Einsatzleiter um einen gewissen Herrn Granitzka handelte, der in Gladbeck oder bei der Geiselnahme in Gladbeck...

00:40:41: Marko In Köln der stellvertretende Einsatzleiter war.

00:40:44: Martin Der hatte die Erfahrung gemacht und hat diese Konsequenz daraus gezogen. Also nicht er alleine, sondern das ist als Polizei insgesamt ist man dazu gekommen, dass man gesagt hat: Das dürfen wir nie wieder zulassen, dass sich so eine Lage entwickelt, wo wir überhaupt keine Kontrolle mehr haben und wo wir nur noch als Polizei hinterherhecheln und reagieren können und nicht mehr agieren können. Im Polizei-Jargon heißt das vor die Lage kommen, also etwas planen, bevor irgendetwas passiert. Eine Situation eben so unter Kontrolle zu haben, dass man agieren kann und nicht darauf angewiesen ist zu gucken, was machen sie denn jetzt und was machen wir dann jetzt?

00:41:21: Marko Dann gab es natürlich diesen Punkt: Die GSG9 ist nicht zum Einsatz gekommen. Dann gab es den Punkt: Haben die Innenminister richtig reagiert? Also dieses Gerücht, man wollte das in NRW beenden. Gab es da Konsequenzen?

00:41:35: Herwig Ich wollte woanders hin. Ich wollte dahin, dass das alles nicht passiert wäre, wenn der Rösner nach seinem Haftbefehl nicht noch sechs Monate hätte rumlaufen können in Gladbeck und ihn niemand festgenommen hat. Und ein Polizist sagt zu seinem Kumpel: Wenn du den mal siehst, sag dem Bescheid, dass wir den holen. Dann sagst du mir, wo der ist.

00:41:59: Marko Das wäre das, was man heute Prävention nennt. Rösner hätte eigentlich hinter Gitter gehört. Schon. Schon damals.

00:42:06: Herwig Genau. Gegen Rösner lag ein Haftbefehl vor. Also, man hätte den einkassieren können, aber das ist nicht passiert. Und dann gab es natürlich den Untersuchungsausschuss in NRW, und da gab ein Leitender Kriminaldirektor aus dem Polizeipräsidium Recklinghausen zum Besten. Ich zitiere: Wenn wir natürlich geahnt hätten, dass Herr Rösner am 16. August diese Tat begehen würde, wären größere Anstrengungen unternommen worden.

00:42:38: Marko Entschuldigung, aber es ist natürlich schon ziemlich blöd. Also. Aber gut, man kann den Leuten immer nur vor den Kopf - wer hätte das denn gedacht? Wer hätte das denn geahnt? Und ich meine, hinterher sind wir von der Presse sowieso immer schlauer.

00:42:54: Martin Wir sind die schlausten.

00:42:56: Die Allerschlausten und sagen: Warum habt ihr den nicht einkassiert? Wenn du ihn einkassierst heißt es: Ja, Polizeistaat. Warum gebt ihr dem keine Chance? Also das ist doch immer auch eine Abwägung.

00:43:04: Herwig Na ja, der war ja aber eine ziemlich lange Zeit mit Haftbefehl gesucht. Also der hat sich auch in einem Krankenhaus wegen eines Bandscheibenvorfall behandeln lassen und hat die Rechnung an die Justizvollzugsanstalt schicken lassen, weil er ja eigentlich Insasse ist.

00:43:20: Martin Also ich glaube, in dem Fall ist es auch relativ eindeutig. Also er hätte die Haft antreten müssen, hat das nicht getan und es wurde einfach nicht weiter. Man hätte ihn einkassieren müssen, ja.

00:43:30: Marko Gut - aber zurück zu meiner Frage. Auf politischer Ebene hätte man auch vielleicht anders reagieren sollen?

00:43:36: Herwig Ganz bestimmt. In Bremen, wo auch so wahnsinnig viel schief gelaufen ist, ist der Innensenator zurückgetreten. Der hat die Verantwortung übernommen für die falsche Führung, für seine Order, für seinen Polizeipräsidenten, der nicht da war, für einen Einsatzleiter, der im Grunde zwar da war, aber nichts gemacht hat. Der hat gesagt, ich trete zurück.

00:44:01: Martin Da kann man sich natürlich immer fragen: Wie viel hat der Innenminister da in dieser Situation wirklich jetzt persönlich damit zu tun gehabt? Aber er steht eben diesem Beamtenapparat, diesem Polizeiapparat vor.

00:44:10: Marko Und musste die Konsequenzen...

00:44:12: Martin ...dann tragen für das wirkliche Chaos und die Inkompetenz, diese geballte, die sich da gezeigt hat.

00:44:19: Herwig Während in NRW der Innenminister gesagt hat: Es ist nichts falsch gemacht worden, es ist nur nicht viel richtig gemacht worden. Also das ist jetzt frei zitiert. Aber, aber ich könnte das Zitat raussuchen, aber das ist genau das, was er gesagt hat. Es ist nichts Falsches getan worden, sondern nur nicht das Richtige. So ist es richtig.

00:44:40: Marko Auf Seiten der Presse ist ganz viel falsch gemacht worden. Mit Sicherheit heute total verwerflich. Aber wir würden heute nicht über diesen Fall reden, hätte es nicht diese spektakulären Bilder damals gegeben, hätte es nicht diese ganze Berichterstattung gegeben. Und wäre man damals nicht so nah dran gewesen, dann säßen wir heute auch nicht hier und würden darüber sprechen.

00:45:04: Martin Da kann man natürlich sehr, sehr tiefschürfend, auch geschichtstheoretisch werden: Was konstituiert denn ein historisches Ereignis und was muss da vorhanden sein? An Quellen und in dem Sinne sind die Bilder und die O-Töne, die Interviews, die Rösner gegeben hat usw. das sind Quellen für uns. Inwieweit sind die essenziell, um dann daraus Geschichte zu schreiben, Geschichte zu machen, um den Titel dieses Podcasts mal nach vorne zu bringen. Und da kann man sich fragen: Hätte es die Bilder nicht gegeben, wäre das quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit passiert. Würde sich da heute noch jemand drum kümmern, der nicht gerade sich mit Verwaltungsstrukturen im Polizeiapparat beschäftigt? Die sind dann anschließend auch noch geändert worden. Das ist sicherlich intern sehr wichtig gewesen, aber ob das jetzt für uns so wahnsinnig interessant gewesen wäre, ist eine gute Frage.

00:45:53: Marko Es ist eine gewisse Lust auch am Verbrechen. Es ist auch eine gewisse Lust, sich das anzugucken. Ich glaube, das kann man gar nicht leugnen, oder? Von diesen Bildern geht ja auch eine gewisse Faszination aus.

00:46:06: Martin So ein faszinierender Ekel oder eine eklige Faszination - ja.

00:46:11: Marko Ist es dasselbe, was viele Menschen stoppen lässt an der Autobahn, um sich den Unfall gegenüber anzugucken. Es ist ungefähr das?

00:46:18: Martin Spielt sicherlich auch eine Rolle. Ich würde jetzt aber nicht unterschätzen, dass eben da auch so etwas wie schlicht und ergreifend Mitleid mit den Geiseln eine Rolle spielt. Also dieses sich hineinversetzen in eine solche Situation, die existenzieller gar nicht mehr sein kann. Das darf man vielleicht auch nicht unterschätzen, dass das auch jenseits von Gaffertum eine Rolle gespielt hat. Also ich glaube, es ist es wie immer so ein Mix an an Emotionen und Motiven.

00:46:46: Herwig Na ja, für die Presse hatte das ja auch Folgen. Die Arbeit der Presse wurde aufgearbeitet. Am nächsten Tag, am 19. August, sind die ja wie aus einem Rausch aufgewacht, mit einem Kater. Und wie konnte das passieren? Wie kommen wir in so eine Situation, das so journalistisch- reißerisch aufzumachen, wie das da in Gladbeck und Bremen und Köln passiert ist. Viele haben da vielleicht weniger drüber nachgedacht, welche Rolle sie da spielten. Es gibt ja auch mehr oder weniger bekannte Namen, die sich da jetzt nicht groß hervorgetan haben in Selbstreflexion.

00:47:22: Marko Wollen wir sie nennen?

00:47:24: Herwig Ja, das können wir sagen. Zum Beispiel Frank Plasberg war ja an vorderster Linie in Köln dabei für die Aktuelle Stunde. Der hat zwar gesagt, damals war das okay. Wie er heute darüber denkt, kann ich nicht beurteilen, das weiß ich nicht. Ich habe nichts von ihm weiter gehört. Aber es gab andere, die ihre Rolle reflektiert haben, die ja auch immer noch sagen: Das war völlig in Ordnung. Man muss ja auch sagen, es gibt immer noch eine Redaktion, die dazwischengeschaltet ist. Die sagt: Moment, diese Live Aufnahmen, die senden wir nicht, das machen wir nicht.

00:47:57: Marko Wenn man es live überträgt, dann ist es ja manchmal schon passiert.

00:48:01: Herwig Ja dann bricht man ab. Kann man auch machen.

00:48:02: Marko Kann man machen.

00:48:04: Herwig Kann man machen. Hat zum Beispiel der Bürgermeister von Bremen in Bremen während einer Live-Schalte, wo es darum ging, dass ein Reporter sagt: Hier, die haben jetzt einen Bus gekapert. Und wer sich ein bisschen in Bremen auskennt, der weiß, wo das ist. Das heißt, da sind noch mehr Schaulustige hingebracht worden, und da hat der Regierende Bürgermeister, der Erste Bürgermeister heißt das, glaube ich, in Bremen, hat dann gesagt Das ist nicht in Ordnung, was Sie hier machen, das ist nicht in Ordnung. Darüber wird noch zu reden sein. Also auch in dem Ton. Die haben bestimmt die Ohren langgezogen bekommen.

00:48:35: Martin Das war live auf Sendung.

00:48:36: Herwig Das war live auf Sendung, in buten un binnen.

00:48:40: Marko Von Seiten der Presse. Wurde denn da irgendetwas gemacht? Haben wir neue Richtlinien, an die wir und auch unsere Kollegen sich halten, Auch bis heute?

00:48:51: Herwig Es gibt ja einen Pressekodex, an den wir und auch unsere Kolleginnen und Kollegen sich halten sollten.

00:48:57: Marko Wenn sie sauber arbeiten.

00:48:58: Herwig Wenn sie sauber und journalistisch ethisch, sagen wir mal so, arbeiten.

00:49:02: Marko Da kann man auch ausscheren, ne.

00:49:04: Herwig Da kann man auch ausscheren. Und es gibt ja auch Zeitungen mit großen Buchstaben, die gerne sich eine Rüge einfangen vom Presserat, die das nicht weiter juckt. Das ist leider das schärfste Schwert, das der Presserat, der Deutsche Presserat in der Scheide hat, um damit mal ein bisschen zu drohen. Also das ist jetzt eine öffentliche Rüge, das heißt aber für das entsprechende Blatt, für den entsprechenden Sender gar nix.

00:49:26: Marko Gut, aber es ist sozusagen die Richtschnur für uns Journalisten: Wenn wir sauber arbeiten wollen, dann halten wir uns irgendwie an diese Regeln.

00:49:34: Herwig Richtig. Und diese Regeln wurden geändert, nämlich wurde da aufgenommen. Du darfst dich nicht gemein machen mit Verbrechern, du darfst sie nicht unterstützen, du das keine Informationen weitergeben. In so einem Fall.

00:49:46: Martin Ist ja erstaunlich, dass das dann erst niedergeschrieben werden musste.

00:49:51: Herwig Und das ist ja passiert aber auch.

00:49:53: Martin Ja, ja, wir haben ja drüber gesprochen, dass da teilweise Journalistenkollegen mag ich gar nicht sagen in dem Bus in Bremen die Geisel-Gangster darauf hingewiesen haben. Der dahinten, das ist gar kein normaler Passant, sondern das ist ein Polizist.

00:50:08: Marko Also das ist so ein Punkt gewesen, wo ich dachte, das ist doch auch justiziabel, hätte ich gedacht. Aber da ist niemand verurteilt worden.

00:50:15: Herwig Nein, es gab einen tatsächlich. Der Udo Röbel hatte ein Verfahren am Hals, was aber dann nicht weiterverfolgt wurde.

00:50:24: Marko Nun muss man sagen Udo Röbel hat ja eingesehen, dass er es falsch gemacht hat.

00:50:28: Herwig Ja, das hat er eingesehen. Und er hat das auch immer wieder öffentlich gesagt, dass das nicht in Ordnung war, was er gemacht hat. Und man merkt, glaube ich auch, im persönlichen Gespräch, dass das auf seinem Gewissen tonnenschwer, will ich sagen, immer noch liegt. Er sagt, er hat davon nie geträumt. Das Mag den einen oder anderen verwundern, aber was Ihn, glaube ich, auszeichnet vor den anderen, ist, dass er damit offen umgeht. Ich habe einen Fehler gemacht, das war nicht in Ordnung. Ich habe mich da in das Auto dazugesetzt, das war nicht okay.

00:51:03: Udo Röbel Wenn mich heute noch was mit Scham erfüllt, also mit wirklich ganz persönlicher Scham, dann ist es die Tatsache, dass ich danach mich auch noch hingesetzt habe - und ich weiß, wie ich mich gequält habe dabei - und versucht habe, diese exklusive Situation, in der ich war, auszuschlachten, journalistisch, und mir da einen abgebrochen habe. Also praktisch die letzten Minuten von Silke Bischoff da in Worte zu kleiden. Das ist für mich eigentlich die eigentliche Perversion also meiner Geschichte.

00:51:32: Marko Worüber wir jetzt noch gar nicht gesprochen haben, sind die, die überlebt haben und die mit dem Ganzen ihr Leben lang irgendwie zurechtkommen mussten. Weißt du etwas darüber, wie es denen ergangen ist, Herwig?

00:51:47: Herwig Ja. Viele Geiseln haben sich komplett im Stich gelassen gefühlt von den Behörden, von denen sich niemand gemeldet hat. Die wurden da quasi aus dieser Situation raus gekegelt, hatten keinerlei Unterstützung, keine Ansprache, nichts. Also da haben die wirklich drauf gewartet, dass jemand kommt und sagt, was ihr erlebt habt, das ist schrecklich. Wir besorgen euch einen Seelsorger, wir machen, wir tun und machen vielleicht eine Entschädigung oder irgendwas.

00:52:15: Marko Eine Entschädigung?

00:52:16: Herwig Ja, für diese vielen Fehler, die gemacht wurden.

00:52:18: Marko Ja, vielleicht. Okay.

00:52:18: Herwig Es sind viele ganz klare Fehler seitens der Polizei gemacht worden, seitens der Politik, seitens der Ministerien. Da kann man dann schon mal eine Entschädigung, glaube ich, rausgeben.

00:52:28: Marko Stimmt.

00:52:29: Herwig Aber ich glaube, dass das Seelische, also diese Unterstützung, dass man sagt: Das, was dir zugestoßen ist, da begleite ich dich in den nächsten Wochen, Monaten, vielleicht Jahren. Die Ines Voitle, die zweite Geisel neben Silke Bischoff, die Gott sei Dank überlebt hat, die ist schwerst traumatisiert. Also die spricht auch nicht mehr über das, was da war. Das, glaube ich, ist für sie einfach eine zu starke Emotion, die da immer wieder hochkommt. Und das alle fünf Jahre. Und wir sind ja Teil des Ganzen, dass wir das auch wieder neu formulieren, was da passiert ist und so, aber ich glaube im Mittelpunkt sollte da wirklich das Leid auch der Opfer stehen. Man muss über die Täter sprechen und man muss über dieses Verbrechen sprechen. Aber ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Punkt, dass viele Geiseln sich da im Stich gelassen fühlten und auch von der deutschen Justiz nicht erwartet hätten, dass die den Degowski 2018 freigelassen haben, Dass vor allem die Familie von Emanuele di Giorgi, die nagt da wahnsinnig dran, dass der.

00:53:31: Marko Der Junge, der mit 14 erschossen worden ist.

00:53:33: Herwig ...dass der tot ist und die Schwester, der stand neben ihr, schützend immer und er ist erschossen worden und sinkt dann quasi sich ein bißchen festhaltend zu Boden vor ihren Augen, vor diesem 9-jährigen Mädchen. Und in einer Dokumentation spricht sie da auch drüber, die Schwester und das, das packt einen wirklich an, dass die das nicht vergessen kann.

00:53:57: Martin Bis heute ist glaube ich auch noch die Mutter von Silke Bischoff traumatisiert. Die hat ja auch das eine oder andere Interview gegeben, auch schwere Vorwürfe erhoben gegen vor allen Dingen die Polizei auch. Und da merkt man auch bei den Aussagen, dass das auch 35 Jahre später immer noch ein Trauma für sie ist.

00:54:17: Herwig Ja, du verlierst dein einziges Kind und auf so eine Weise und du bist quasi Augenzeuge dadurch, dass die Medien ja ständig dabei waren. Du bist Augenzeuge dieses Verbrechens, das mit dem Tod deines Kindes endet. Das wird, glaube ich, schwer zu verwinden sein.

00:54:32: Marko Einer der beiden Täter ist jetzt wieder auf freiem Fuß. Was ist aus den anderen beiden geworden?

00:54:38: Herwig Der Degowski ist 2018 freigelassen worden, lebt unter neuer Identität. Niemand weiß wo - also jedenfalls niemand der zur Presse gehört oder sich damit befasst hat. Marion Löblich ist zu neun Jahren verurteilt worden und auch schon auf freiem Fuß. Und Hans Jürgen Rösner sitzt immer noch ein. Der wurde in verschiedene Justizvollzugsanstalten gebracht, weil er, wo auch immer er war, so ein kriminelles Netzwerk aufgebaut hat. Da ist von Drogenhandel die Rede und alles Mögliche. Ob der noch mal rauskommt? Das ist eine Frage, die ich nicht beantworten kann.

00:55:21: Martin Bei ihm ist ja auch schon im Urteil 1991 dann Sicherheitsverwahrung festgestellt worden, also Sicherheitsverwahrung nach Absitzen seiner eigentlichen Strafe. Und Rösner ist ja nicht wegen Mordes, haben wir eben gesagt, verurteilt worden. Degowski, der wegen Mordes verurteilt worden ist, ist auf freiem Fuß. Rösner sitzt noch. Und ja, ob er jemals in seinem Leben die Freiheit sehen wird, das ist die große Frage.

00:55:48: Marko Das war die zweite Folge der Geschichtsmacher zum Geiseldrama von Gladbeck.

00:55:53: Martin Wir hoffen, dass euch beide Teile gefallen haben, so man das sagen kann bei so einem doch eher depressiven Thema. Wenn es euch gefallen hat, dann sagt es bitte euren Freunden, Verwandten, der Familie und allen, die ihr kennt.

00:56:08: Marko Wenn es euch nicht gefallen hat, sagt es dem Herwig Katzer, dem wir an dieser Stelle ganz herzlich danken wollen und uns.

00:56:14: Martin Unter der Adresse www.diegeschichtsmacher.de findet ihr alle Informationen rund um unseren Podcast. Da könnt ihr auch unsere E-mail-Adresse finden, wenn ihr uns schreiben wollt und viele weitere Episoden hören und wenn ihr wollt auch uns über Steady unterstützen.

00:56:33: Marko Herwig, Danke dass du da warst.

00:56:35: Herwig Ich kann mich bei euch bedanken, weil ich diese Geschichte erzählen konnte und die mich - muss ich sagen - bei der Recherche auch wirklich immer noch angepackt hat.

00:56:45: Martin Vielen herzlichen Dank. Wir sagen Tschüss. Bis zum nächsten Mal.

00:56:48: Marko Tschüs!

00:56:49: Herwig Adieu.

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