Schulden, Zins und Wucher
Shownotes
Im Jahr 1603 beschließt die Stadt Augsburg, ein Pfandleihhaus zu gründen - das erste offizielle in Deutschland. Es sol die notleidende Bevölkerung mit billigen Krediten versorgen. Was das mit den damals herrschenden Klimaverhältnissen zu tun hatte? Warum sich das erste Pfandhaus vor allem gegen Juden richtete? Wie Inflation und Hexenverbrennung zusammenhängen? Das verraten Euch Martin Herzog und Marko Rösseler in diesem Podcast über die Geschichte der Pfandleihhäuser.
Dabei nehmen euch die beiden mit auf eine Reise nach Italien zum Patron der Geldverleiher. Sie borgen sich Geld im letzten noch verbliebenen städtischen Pfandleihamt in Mannheim. Und sie erklären euch, wie Gold gefälscht wird.
Wichtige Links zu dieser Sendung: Zum Zeiteichen von Marko Rösseler "1603 - Das erste deutsche wird Leihhaus eröffnet" bitte diesem Link folgen. Wer das städtische Leihamt in Mannheim im Netz besuchen will - bitte hier entlang.
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Transkript anzeigen
Die Geschichtsmacher - Pfandleihhaus
00:00:00: Marko So, Martin, stell dir mal vor: Du bist pleite.
00:00:03: Martin Brauche ich mir nicht vorzustellen. Bin ich eh immer.
00:00:04: Marko Habe ich mir gedacht. So, was machst du denn dann jetzt?
00:00:09: Martin Ja, Also jetzt jenseits von meinen Freund und Kollegen Marko Rösseler anpumpen.
00:00:14: Marko Der hat auch nix. Keinen Cent kriegst du von dem. Der hat nix.
00:00:17: Martin Weiß ich nicht. Muss du halt zur Bank gehen.
00:00:19: O-Ton Jürgen Rackwitz Wenn Sie Not haben, gehen Sie da zuerst hin, wo man Ihnen am schnellsten und am effektivsten hilft, ohne blöde Fragen zu stellen.
00:00:25: Marko Gut, ne - und wo ist das?
00:00:27: Martin Ähhhh...
00:00:27: Marko Wir gehen heute ins Pfandleihhaus.
00:00:29: Martin Ins Pfandleihhaus... da kommen wir mal mit.
00:00:31: Marko Herzlich willkommen bei...
00:00:34: Intro Die Geschichtsmacher. Von Autorinnen und Autoren des Zeitzeichens.
00:00:51: Martin Ja. Kein Wunder, dass wir pleite sind. Wir verdienen ja immer noch kein Geld mit dem Quatsch, den wir hier veranstalten.
00:00:55: Marko Deshalb müsst ihr mehr für uns werben. Ihr müsst uns nur empfehlen. Ihr müsst uns Sternchen geben...
00:01:01: Martin Auf den Plattformen, wo ihr unterwegs seid. Das hilft uns nämlich und am Ende auch euch. Denn dann kriegen wir mehr Hörer und wir können noch mehr Folgen machen, von denen wir hoffen, dass sie euch dann auch gefallen. Sollte das nicht passieren, dann müssen Marko und ich wahrscheinlich tatsächlich irgendwann mal ins Pfandleihhaus.
00:01:19: Marko Ich war ja schon mal da, habe schon mal vorgefühlt.
00:01:20: Martin Warum? Was hast du denn da gemacht? In weiser Voraussicht, dass wir hier mit dem Podcast nicht weiterkommen, oder?
00:01:28: Marko Nein, nein, nein, nein. Also jeder, der uns kennt, weiß ja, dass wir eigentlich beide Autoren des Zeitzeichens sind. Und auch die Gäste, die wir einladen, sind in der Regel ja Autoren / Autorinnen des Zeitzeichens. Und ich musste ein Zeitzeichen machen über das erste Pfandleihhaus, was in Deutschland eröffnet wurde. Und das war im Jahre 1603, also ein rundes Jubiläum, 420 Jahre. Und das ist jetzt auch gerade gelaufen am 26. November als Zeitzeichen. Und ja, da war ich einfach auch mal, um zu wissen, wie ein modernes Pfandleihhaus funktioniert, in Mannheim.
00:01:59: Martin In Mannheim?
00:02:01: Marko Ja, ich bin extra nach Mannheim.
00:02:02: Martin Ist da das erste Pfandleihhaus eröffnet worden?
00:02:04: Marko Nein, das erste Leihhaus ist in Augsburg eröffnet worden. Aber in Mannheim ist das letzte städtische öffentliche Pfandleihamt - so.
00:02:14: Martin Also Moment - die gab es öffentlich? Oder gibt es eins gibt es noch öffentlich. Also ich kenne die nur den Pfandleiher. So halt in so einer Nebenstraße, der dann halt so den Krempel verhökert, den Omma und Tantchen dahin tragen. Das ist ein offizielles Amt, wo du gewesen bist.
00:02:32: Marko Das ist ein offizielles Amt und das ist das letzte seiner Art! Es gab mal 34 Leihämter in Deutschland, also wirklich von Städten oder Kommunen betriebene Ämter, wo die Bürger, wenn sie pleite sind, ihre Sachen hintragen können, um sich Geld auszuleihen gegen Pfand. Und das in Mannheim ist das allerletzte öffentliche Pfandleihamt, was es in Deutschland noch gibt. Und das erste Pfandleihhaus, was in Deutschland gegründet worden ist, war auch ein öffentliches. Also hab ich mir gedacht, guck dir mal so ein öffentliches Amt an! Und da hab ich dann da angerufen und dachte erst, die sind vielleicht ein bisschen skeptisch, aber ich bin sofort an Jürgen Rackwitz weiter verbunden worden. Und der ist da der Leiter.
00:03:10: O-Ton Jürgen Rackwitz Ja, was bin ich denn? Beamter, 63 Jahre alt und habe Verwaltungswissenschaften studiert und jetzt 44 Jahre im öffentlichen Dienst. Bin der letzte Beamte in Deutschland, der ein öffentliches Pfandhaus leitet. Die anderen haben aufgegeben. Ja, wir sind der letzte Mohikaner.
00:03:26: Martin Die anderen haben aufgegeben. Warum?
00:03:28: Marko Offensichtlich hat sich's nicht gelohnt. Kommen wir später noch dazu. Man muss natürlich jetzt erst mal fragen: Wie funktioniert so ein Pfandleihhaus? Also ich war ehrlich gesagt privat noch nie in einem.
00:03:37: Martin Ich gestehe, ich auch nicht.
00:03:39: Marko Und jetzt muss man sich mal überlegen: Du brauchst ja Geld, Martin. Was hättest du denn, was du verpfänden könntest? Wenn du mal so deinen Hausstand hier anguckst?
00:03:49: Martin Wohl eher nicht so wahnsinnig viel. Also ich mein, ich glaube ganz klassisch wäre: Also wenn es mir jetzt wirklich dreckig gehen würde. Ich habe natürlich eine goldene Uhr, die mir mein Vater vermacht hat, also die er von seinem Vater und dessen Vater, von seinem Vater, also von meinem Urgroßvater, geerbt hat. Anfang 20. Jahrhundert. Eine goldene Uhr.
00:04:08: Marko Das wär ein gutes Pfand.
00:04:10: Martin Das also, das weiß ich nicht. Der hat die mal schätzen lassen bei einem Juwelier. Und er sagte: Also materieller Wert ist sehr übersichtlich. Ich glaube irgendwie so 300, 400 € würde man dafür kriegen. Das ist keine supertolle uhr. Die hat natürlich vor allen Dingen ideellen Wert. Klar ist ein Familienstück und das gibt man ungerne aus der Hand.
00:04:29: Marko So ist es ja oftmals. Aber ideellen Wert kann man natürlich nicht verleihen. Also Goldpreis wäre dann oder wenn es halt eine besondere Uhr ist. Aber in der Tat haben die Deutschen - und oftmals wissen sie es gar nicht - zu Hause wirklich noch Schätze liegen, die sie in einem Pfandleihhaus zu Geld machen können.
00:04:45: O-Ton Jürgen Rackwitz Sie glauben gar nicht, wie viel Goldbarren, Krügerränder und teure Uhren in den Tresoren und in den kleinen Schächtelchen zu Hause liegen. Jede Frau hat daheim mit Sicherheit ein kleines Körbchen oder ein kleines Tütchen. Alle lachen drüber. Aber fragen Sie mal Ihre Frau, die hat bestimmt auch ein Tütchen. Da ist noch Schmuck von der Oma drin, vom ersten Ehemann, von der Konfirmation oder wo der Mann zu Weihnachten einen Fehlkauf getätigt hat. Die sammelt sie da. Und wenn sie dann zu uns kommen, wird manche Frau sich wundern, geht sie mit 1000 bis 2,000 € wieder nach Hause.
00:05:14: Martin Okay, also die Ehefrau mit dem Schmuckstück vom verblichenen Ehemann geht dahin und kriegt 1000 oder 2.000 €.
00:05:21: Marko Du könntest ja mal deine Frau fragen. Vielleicht hat die ja sowas auch - von dem Ehemann davor weißt du noch gar nix. Aber vielleicht. Und von dem Gold vielleicht auch nicht.
00:05:31: Martin Das könnte zu Schwierigkeiten führen. OK - anderes Thema.
00:05:37: Marko Also nehmen wir mal an, du hast jetzt etwas, was du dahin tragen kannst: sei es die Uhr deines Opas oder deines Vaters, oder du nimmst halt den Schmuck deiner Frau, jetzt gehst du dahin. Was passiert nun als nächstes? Also nach den Statuten des Pfandleihamtes in Mannheim hast du jetzt ein halbes Jahr Zeit. Also du kriegst dann Geld dafür. Es wird geschätzt. Nun sagen die Ja, gut, die Uhr von deinem Vater, die ist jetzt sagen wir mal 400 € an Gold wert. Das Ding selber als Uhr ist nicht mehr viel wert. Aber du kriegst den Goldpreis. Dann kriegst du halt 90 % etwa von diesen 400 €. Bisschen Sicherheitsreserve müssen sie sich nämlich lassen.
00:06:09: Martion Also 360 €.
00:06:10: Marko Ja, so ungefähr. Dann hast du ein halbes Jahr Zeit, dieses Geld wieder auszulösen. Also du kannst musst dann deine 360 € dahin tragen plus Zinsen plus eine gewisse Gebühr und dann kriegst du deine Uhr wieder zurück. Wenn nicht, dann halt nicht.
00:06:26: O-Ton Jürgen Rackwitz Die Pfandleihe funktioniert anders als ein anderes Kreditgeschäft. Wenn Sie zu einer Bank gehen, verschulden Sie sich als Person und Sie als Person haften für den Kredit, müssen ihn persönlich zurückbezahlen. Beim Pfandkredit haftet das Pfand für das gegebene Darlehen. Sie verschulden sich nicht. Das heißt, wenn Sie einem Pfandleiher ein Pfand geben und holen es nicht mehr ab, verwertet er es und ist safe. Hat er Verlust gemacht, ist es sein Risiko. Macht er einen Gewinn, muss er Ihnen den zurückzahlen. So ist es heute. Deswegen war die Pfandleihe anders als die Bankkredite. Sie haben sich nicht verschuldet. Sie haben etwas gegeben, haben dafür Kredit bekommen. Und dieses Pfand hat für ihr Darlehen gehaftet. Die Leute haben sich nicht verschuldet. Eine ganz andere Qualität.
00:07:05: Martin Also Moment - das heißt: Nach dem halben Jahr, ich habe es nicht geschafft, das wieder auszulösen, geht das dann in den Verkauf irgendwie.
00:07:12: Marko Es wird versteigert. Es gibt eine Versteigerung.
00:07:15: Martin Versteigerung und dann nimmt das Pfandhaus Geld ein. Entweder weniger als das, was ich jetzt bekommen habe für meine Uhr. Dann ist das Risiko beim Pfandhaus?
00:07:24: Marko Richtig, dann haben die Pech gehabt.
00:07:25: Martin Und wenn es mehr gibt, dann wird der Gewinn, also das, was es mehr gibt, das bekomme ich dann.
00:07:31: Marko Das bekommst du.
00:07:33: Martin Ah toll. Gar nicht schlecht.
00:07:34: Marko Und das ist in der Tat, das wusste ich auch nicht, ich dachte immer, dann machen die einen riesen Reibach, weil die dann sagen: In deiner Notsituation, wo du dann da stehst und muss die Uhr deines Vaters verkaufen, dann sagen die: Ja, Herr Herzog, da kriegst du noch einen Hunni für. Und du musst es mir dann geben. Aber wenn sie es dann versteigern und die kriegen ihr vier Hunnis dafür, dann bist du die Schulden los und du kriegst - abzüglich natürlich der Zinsen und einer Bearbeitungsgebühr - kriegst du das Geld was überschüssig ist.
00:07:59: Martin Ja, nur die Uhr ist halt weg,
00:08:01: Marko Die Uhr ist halt weg. Aber du kriegst das Geld dafür. Ist ja erst mal gar nicht so schlecht. Es klingt erst mal nach einem einigermaßen fairen Deal. Wobei natürlich die Zinsen und die Bearbeitungsgebühren - darüber reden wir mal später drüber. Die Idee, dass man so etwas macht, ist natürlich uralt. Also man hat schon vor 3000 Jahren so Kredite vergeben. Du hast eine Sicherheit, du gibst mir diese Sicherheit. Wenn du den Kredit nicht bedienst, dann gehört mir das. Das ist ein uraltes Prinzip.
00:08:29: Martin Machen Banken ja auch. Also wenn man dann sagt, ich möchte gerne einen Kredit aufnehmen, ja, was haben Sie denn als Sicherheit? Also das ist dann aber meistens nicht der komplette Gegenwert des Kredits, den man kriegt, sondern man...
00:08:39: Marko Ja, und gibst es in der Regel ja nicht ab. Sondern dann, dann ist das halt sozusagen die Sicherheit. Aber du hast ja die Schulden bei der Bank, beim Pfandleiher hast du keine Schulden, du hast es hingetragen. So. Im Zweifelsfalle kriegst du noch was, wenn es mehr erlöst. Und das ist erst mal gar nicht schlecht. Nun muss man sich natürlich fragen. 1603 war mein Zeizeichen. Warum ist denn so was so spät überhaupt erst in Deutschland gegründet worden? Und warum ist es um 1603 gegründet worden? Das erste Pfandleihhaus gab es in Augsburg. Da habe ich erst mal beim Stadtarchiv angerufen und da sagten die - ja Pfandleihhaus. Ja, stimmt, das hat es bei uns auch immer gegeben. Wir gucken einfach mal nach. Und dann hatte ich eine sehr engagierte Archivarin, Frau Barbara Rajkay. Und die ist für mich extra ganz tief in den Keller gegangen, hat mal geguckt: Was gibt es denn zu diesem Pfandleihhaus, was es da in Augsburg mal gab? Und die ist erst mal auf eine ganz erstaunliche Sache gestoßen. Die hat nämlich erst mal festgestellt, in welcher Zeit sie da landet.
00:09:33: Martin Also ganz kurz noch mal: Da hat sich vorher bei denen noch nie jemand mit beschäftigt mit dem Thema.
00:09:37: Marko Nicht groß.
00:09:37: Martin Ist das mal irgendwie behandelt worden?
00:09:39: Marko Es ist ja, ja. Man wusste, dass es dieses Pfandleihhaus gab. Es gibt auch ein paar Schriften dazu, aber es ist jetzt nicht so, dass es irgendwie ein bestimmendes Thema wäre in diesem Stadtarchiv von Augsburg. Also in Augsburg sind offenbar noch ganz andere Dinge und wichtigere Dinge passiert, als dass ein Pfandleiher gegründet worden ist. Aber die Frau Rajkay hat sich für mich in diese Zeit reingekniet und ist dann über mehrere Tage im Archiv verschwunden und ist aufgetaucht mit einer für mich auch völligen Neuigkeit. Sie hat nämlich gesagt: Wissen Sie was, Herr Rösseler: Dass dieses Pfandleihhaus gegründet worden ist in dieser Zeit das ist kein Zufall. Wir sind in einer Zeit der Krise. Und wissen Sie, was das für eine Krise war? Das war eine Klimakrise.
00:10:16: Martin Hm.
00:10:16: Marko Wir sind also in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, und da passiert mit dem Klima in Europa etwas ganz Erstaunliches. Also ab der Reformation geht es schon los, also ein bisschen früher, und wird dann aber immer virulent, da in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Es wird kalt.
00:10:33: Martin Aha, die kleine Eiszeit. Das habe ich schon mal gehört.
00:10:36: Marko Es gibt diese kleine Eiszeit. Man weiß nicht, woran es liegt. Also: Wenn der Golfstrom zum Beispiel nachgelassen hat damals. Wir wissen nicht, warum er es getan hat. Es gab Vermutungen, dass es vielleicht einen Vulkanausbruch gab, aber der lässt sich irgendwie nicht wirklich fassen. Aber was man sagen kann, auch anhand von Wachstumskurven bei Bäumen. Es gibt Regionen in Europa, da wurde es plötzlich um bis zu zwei Grad kälter.
00:11:00: Martin Klingt nach nicht viel, aber wir wissen ja - nach dieser ganzen Klimakrisendiskussion: Zwei Grad können eine Menge ausmachen, wenn es der Durchschnitt ist.
00:11:06: Marko Zwei Grad ist eine ganze Menge und vor allem hat das in so mikroklimatischen Begebenheiten gravierende Auswirkungen. Frau Raykaj hat es mir erklärt:
00:11:14: O-Ton Barbara Rajkay Wir haben lange, eisig-kalte Winter. Wir haben Sommer, in denen es zum Teil schneit und dadurch natürlich dann die Ernte, wenn überhaupt nur minimal ausfällt. Wir haben 1570 / 71 bis 73 dann eine große Hungersnot nicht nur in Augsburg, sondern in weiten Teilen Europas. Die Preise galoppierten in die Höhe und entsprechend kamen natürlich viele Menschen, die eben kein Sparhafen-Geld hatten, wie das in Augsburg so schön hieß, sehr schnell an den Rand ihrer Möglichkeiten.
00:11:47: Martin Also 1603 hast du gesagt ist das Pfandleihhaus gegründet worden und das hat sich aber dann offensichtlich schon jahrzehntelang angebahnt. Wenn Sie jetzt hier von 1570 / 73 spricht. Also das hat eine lange Rampe genommen.
00:11:59: Marko Es hat eine lange Rampe genommen, und man hat in der Tat, also bevor dieses Pfandleihhaus gegründet worden ist, mehrere Anläufe genommen, um sich was zu überlegen. Man muss sagen, dass gerade für die einfache Bevölkerung - also Leute, die viel Geld hatten, die waren nicht so wahnsinnig betroffen, aber Leute, die wenig Geld hatten, da merkten die Stadtväter schon so: Ah, das wird langsam ein Problem. Also diese Missernten führen zu diesen steigenden Lebensmittelpreisen. Wir haben eine Inflation, die ist gigantisch und das funktioniert im Prinzip genau wie heute. Also Überfall Russlands auf die Ukraine, der Weizenpreis steigt. Heute sind wir einer globalisierten Welt. Wer leidet am meisten darunter? Entwicklungsländer, die den Weizen brauchen. Bei uns steigen die Gaspreise. Das ist aber nicht lebensbedrohlich. Aber Weizen, wenn er nicht da ist, die Leute verhungern. Und genau so war es damals auch. Es droht eine regelrechte wirtschaftliche Abwärtsspirale, weil die Ernten ausbleiben. Und im Prinzip ist es so ähnlich wie bei uns heute.
00:12:57: O-Ton Barbara Rajkay Es ist exakt wie heute. Weil einfach die Lebensmittelpreise in die Höhe schossen. Und dann natürlich die Handwerker oder die Leute, die das Geld für die Lebensmittel ausgeben mussten, hatten dann natürlich kein Geld mehr für andere Gebrauchsartikel. Das heißt, wir haben dann natürlich gleichzeitigen Rückgang bei der Nachfrage nach Konsumartikeln zum Beispiel - ob das jetzt Stoffe sind oder Schmuck oder was auch immer.
00:13:22: Martin Also das heißt, da gab es so eine richtige wirtschaftliche Abwärtsspirale.
00:13:25: Marko Ja, so ähnlich wie heute. Also wenn die Leute sich da nichts mehr leisten können, dann halten sie sich im Konsum zurück und dann geht es irgendwie abwärts. Aber damals war natürlich das Gefälle viel, viel geringer als heute. Heute sind wir - wenn Krieg in der Ukraine kommt, sind wir nicht vom Hunger betroffen. Wir müssen uns vielleicht Gedanken machen, ob wir die Gaspreise noch zahlen können. Aber damals schlägt das halt direkt durch und es wird mehr als ein soziales Problem. Es wird ein Lebens- ein Überlebensproblem. Und die Lebensmittellage ist so schlecht, dass sich auch die Gesundheitslage verschlechtert. Und wir haben es mit einer Folge von Epidemien und Krankheiten zu tun. Wir haben die Influenz, haben die Pocken, wir haben Typhus, die Ruhr verbreitet sich, die Tuberkulose...
00:14:02: Martin Das komplette Programm.
00:14:04: Marko Ja, und die Leute wissen natürlich nicht: Warum ist es kalt geworden? Ich meine, wir wissen es ja heute auch schon...Es gibt ja heute auch Leute, die den Klimawandel nicht verstehen wollen. Und damals ist es wie eine Gottesstrafe. Die Leute wissen nicht, warum sie krank werden, warum das alles so passiert.
00:14:18: Martin Also braucht es einen Schuldigen.
00:14:20: Marko Genau, irgendein Depp muss gefunden werden. Und im Stadtarchiv Augsburg hat mir Frau Rejkay ja dann erzählt, gibt es dann ganz viele Zeugnisse auch davon, wie die Leute nach Schuldigen gesucht haben. Ich habe hier mal was dabei. Kannst du vorlesen?
00:14:34: Martin Okay.
00:14:34: Marko Aus dem Stadtarchiv Augsburg. Wir sind in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts.
00:14:39: Martin Chronik: 63 Hexen und Unholde sind verbrannt worden, welche sich alle dem bösen Geist ergeben und mit ihnen an allen Orten und Enden wie mit einem natürlichen Mann Werk der Unkeuschheit vollbracht und sonst viel Menschen am Leib verletzt. Auch viel Kinder gar umbracht, auch das Viech hart beschädigt, viel Hagel, Regen und Wetter gemacht, damit sie die Frucht auf dem Feld verderbt haben und sonst andere viel bös Stück gebraucht.
00:15:09: Marko So, das heißt, die Leute denken sich: Ach, es muss Hexen geben, die all diesen Mist hier verursachen. Und dann gibt es in der Tat Hexenverfolgungen, Hexenverbrennungen, eine richtige Kette von Morden an Menschen, die man jetzt dafür verantwortlich gemacht hat. Aber du kannst dir vorstellen, man hat die Hexen verbrannt, es hat trotzdem nichts geholfen.
00:15:28: Martin Okay, also 63 Hexen und Unholde verbrannt. Wahrscheinlich noch ein paar mehr als da in diesem Text erwähnt werden.
00:15:34: Marko Ja - es ist nur ein Beispiel.
00:15:34: Martin Ja, klar. Hat aber offensichtlich nichts gebracht. Was denn jetzt? Also, wer kann denn jetzt noch schuld sein?
00:15:41: Marko Also die Preise galoppieren nach oben und das erste, was die Leute brauchen, ist natürlich erst mal Geld. Nur wo kriegst du Geld her? Da gibt es damals eigentlich nur eine einzige Möglichkeit und das betrifft eine Volksgruppe, denn die macht mit Geld Geschäfte.
00:15:53: O-Ton Barbara Rajkay Die einzige Möglichkeit damals an kurze, kleine Kredite zu kommen, waren eben die Juden mit entsprechend hohen Zins-Forderungen.
00:16:02: Martin Okay, jetzt begeben wir uns aber auf dünnes Eis.
00:16:06: Marko Ja, es ist schwierig. Also Juden waren auch in Augsburg, im Mittelalter und auch in der frühen Neuzeit nicht gerne gesehen. Man muss es so sagen. Die Juden hatten aber ein großes Privileg. Anders als Christen, für die ein Zinsverbot gilt, dürfen Juden Zinsen nehmen. Und in diesen Finanzgeschäften waren die ganz schnell führend, weil sie natürlich Zinsen nehmen konnten. Das war ein Privileg, mit dem sie sozusagen - was soll man sagen "wuchern" - nein "wuchern konnten" kann man nicht sagen. Also das war ihre Insel, womit sie Geld verdienen konnten. Sie waren aus den Zünften ausgeschlossen. Also Handwerker durften sie nicht werden. Sie sind schon relativ früh, also im Spätmittelalter, frühe Neuzeit sind sie aus Augsburg auch vertrieben worden. Es gab keine Juden mehr, die in Augsburg selbst lebten. Die lebten also alle vor den Toren der Stadt und die Leute pilgerten jetzt dahin, um sich Kredite zu holen. Was passiert, wenn viele Leute Geld wollen? Das Geld wird natürlich knapp, das heißt, die Zinsen steigen. Das ist nun mal so, die Frage ist: Wären Sie auch gestiegen, wenn es christliche Verleiher gewesen wären? Also es hat, glaube ich, nichts mit Religion zu tun, aber so funktioniert das Geschäft. Auf jeden Fall: Wer zahlen muss, sind die, die sich Kredite besorgen. Und das trägt ja auch natürlich nicht gerade zur Beliebtheit von Juden im Mittelalter bei. Schon klar, viele Judenpogrome wurden genau dafür genutzt, dass man sich halt der Schulden entledigt hat. Also hat man die Juden vertrieben oder umgebracht, da war man die Schulden los. Wie praktisch, ne.
00:17:35: Martin Also man hat einerseits ein christliches Werk vollbracht, weil die Juden ja Schuld am Tode unseres Herrn Jesus Christus sind und hat nebenbei dann auch noch sich seiner Schulden entledigt. Das ist natürlich sehr praktisch.
00:17:48: Marko Das ist erst mal sehr praktisch und so zynisch wie praktisch ist es. Aber man muss sagen: Also in Augsburg wurden die Juden zum Beispiel 1440 aus der Stadt vertrieben. Das hat bis 1813 gedauert bis die wiederkommen durften. Das heißt, in der Zwischenzeit gab es keine jüdische Gemeinde in der Stadt Augsburg. Aber die Leute waren immer noch davon abhängig, dass sie denen Geld geliehen haben. Weil Geld gegen Zinsen, das war eigentlich ein Geschäft, das Christen nicht machen durften. So. Aber gegen was sollst du denn was leihen? Und das ist genau das Dilemma, in dem man sich befindet. Also es ist auch dieses Bild, was damals entsteht, das Wucherzins nehmenden Juden. Da muss man sich schon mal fragen, woher kommt dieses Wort "Wucher"? "Wucher" kommt aus dem Althochdeutschen und bedeutet so viel wie "Frucht" oder "Nachwuchs". Kann aber auch "Gewinn" bedeuten. Das heißt, wenn ich dir was leihe und du gibst mir mehr zurück, dann ist das Frucht oder Nachwuchs, dann ist das Wucher.
00:18:43: Martin Also hatte ursprünglich gar keine negative Konnotation. Das ist erst damit gekommen.
00:18:47: Marko Am Anfang war das ganz normal. Wenn ich dir Geld gegen Wucher leihe, dann heißt das, ich leihe dir das gegen Zinsen. Ob die jetzt hoch oder ob die gering waren, das spielt gar keine Rolle. Diese negative Konnotation des Wortes "Wucher", die gab es im frühen Mittelalter noch gar nicht. So. Aber da das den Christen verboten war, Wucher, Zins zu nehmen, entstand so das Bild des Wucher-Zins nehmenden Juden. Was völlig Quatsch ist, der hat einfach Zinsen genommen, was ja auch okay ist, weil in der Zeit fehlt ihm ja das Geld und der braucht wir eine Sicherheit und daraus besteht ja das Zinsgeschäft, nicht wahr.
00:19:20: Martin Aber so funktioniert das Business.
00:19:21: Marko Ja, so funktioniert es bis heute. Heute mittlerweile gibt es natürlich dieses Zinsverbot für Christen längst nicht mehr. Aber damals - frühe Neuzeit - ist es noch sehr weitverbreitet. Und in deutschen Landen ist es sehr streng noch. Wir werden gleich sehen. Woanders ist das anders. Die Frage ist, wenn wir über diese hohen Zinsen bei den Juden reden, waren die denn wirklich hoch? Ich habe das versucht rauszufinden und Frau Rajkay noch einmal ins Archiv runter geschickt. Die konnte es aber nicht rausfinden. Es gibt also keine Zahlen, wie viel, wie viel Zinsen die tatsächlich genommen haben. Aber sie gibt auch noch mal zu bedenken, dass das nicht irgendwie eine bösartige Geschichte war, dass die Juden jetzt sich bereichern wollten anhand einer Notlage, sondern dass das halt deren Geschäft war. Und sie hatten auch nicht besonders viel andere Dinge.
00:20:04: O-Ton Barbara Rajkay Die Juden hatten ja auch keine andere Möglichkeit des Broterwerb, das muss man ja dazu sagen. Die durften weder Handwerker werden noch studieren. Das heißt, die Möglichkeiten für die Juden, ihrerseits Geld zu generieren, waren sehr beschränkt und eben auf den eigentlich Finanzmarkt.
00:20:20: Martin Jetzt müssen wir, glaube ich, mal ganz kurz so eine Klammer einfügen. Wir sprechen hier über die historischen Zustände, wie es im späten Mittelalter, in der frühen Neuzeit zugegangen ist und welche Möglichkeiten Juden hatten, Geld zu erwerben und welche nicht. Wir müssen, glaube ich, ein bisschen vorsichtig sein, dass wir hier nicht sozusagen den Precht und den Lanz machen und das auf die Gegenwart übertragen. Wir reden hier über geschichtliche Zusammenhänge. Ich glaube, das ist noch mal wichtig herauszustellen.
00:20:48: Marko Ja, natürlich. Also es gibt das Privileg, dass sie Zinsen nehmen dürfen. Allein die Möglichkeit, dass ich Zinsen nehmen darf, ermöglicht es mir, mit Geld Finanzgeschäfte zu machen. Denn wenn ich dir Geld gebe und du gibst mir das selbe zurück, kann ich damit nicht leben. Dann habe ich nur das wieder, was es vorher wert war. So, und diese kleine Insel nutzen einige Juden, muss man sagen. Es gibt auch Juden, die sind tatsächlich irgendwie im Viehhandel tätig. Also sowas, all das gibt es. All das gibt es auch. Wenn wir über Juden im Mittelalter reden, dann reden wir ja...und über finanzkräftige Juden, die sich es leisten konnten, dir Geld zu leihen und auch eventuell dieses Risiko einzugehen, dass sie es nie wieder zurückbekommen oder Opfer eines Pogroms werden oder was auch immer. Das sind ja sehr wenige. Also es gibt eine Schicht von Juden, die es sich leisten können, als Geldverleiher zu arbeiten, die genug Patte haben, um das überhaupt zu machen.
00:21:38: Martin Und die kommen aber auch zu großem Reichtum, teils.
00:21:41: Marko Die kommen zum Teil auch zu großem Reichtum. Auf der anderen Seite, manchmal auch, kommen sie ja auch in die Not, dass sie zum Beispiel einem Fürsten aushelfen müssen. Am Ende ist das ganze Geld weg, weil der Fürst wieder das nächste Pogromen ins Leben ruft. Man darf da auf keinen Fall Ursache und Wirkung verwechseln. So, das ist total wichtig. Aber es hat natürlich etwas damit zu tun, welchen, welches Geschmäckle sozusagen an dieser jüdischen Religion klebt. Die dürfen was, was wir nicht dürfen, nämlich Geld nehmen dafür, dass sie uns Geld leihen. Und das ist sicherlich den Juden immer schlecht ausgelegt worden.
00:22:11: Marko Und das steht ja auch schon in der Bibel, dass das Sünde ist.
00:22:14: Marko Ja, so ganz steht es da nicht drin, es ist es eine Auslegungsfrage. Aber man hat sich dann relativ früh schon von Seiten der christlichen Päpste, die haben beschlossen: Nee, Geld leihen ist nicht. Es gibt diesen lateinischen Spruch "fenus pecuniae, funus est animae", das heißt übersetzt: "Des Geldes Zinsgewinn ist der Seele Tod", und das heißt für Christen Zinsverbot.
00:22:33: Martin Fegefeuer.
00:22:35: Marko Ja, Fegefeuer nicht. Aber wir werden sehen. Es gibt auch Ausnahmen davon. Aber dazu später. Nun sind wir trotzdem noch beim Wechsel vom 16. zum 17. Jahrhundert. Und man muss sagen, die Sache ist ja nicht besser geworden. Und da beschließt der Rat der Stadt Augsburg im Jahre 1603, dass man irgendwie etwas schaffen muss, wo sich die Leute billiger Geld leihen können. Und sie beschließen, ein Pfandleihhaus zu gründen. Und zwar vielleicht liest du noch mal, Martin?
00:23:07: Zitat Damit nun solchem Unheil und verderblichen wucherlichen Judenkontrakten hinfürdero heils amtlich gesteuert und dieselben gänzlich abgestellt werden, auch der arme Bürger allhie, wo er in der Not hilft zu suchen und Pfande geld uffzubringen wissen möge, hat der Rat dero lieben Bürgerschaft und Inwohner zu Guetem ein Leihhaus für ein Zeit lang allhier angerichtet.
00:23:31: Marko Ein Leihhaus, damit die Leute nicht mehr bei den Juden Kredite aufnehmen.
00:23:36: Martin Ist das eine deutsche Erfindung, sage ich jetzt mal.
00:23:39: Marko Nein, es ist keine deutsche Erfindung, es ist eine italienische Erfindung.
00:23:45: O-Ton Barbara Rajkay Die Italiener waren ja sozusagen nach den Juden auch die zweiten Könige auf dem Finanzmarkt. Und die Augsburger Kaufleute waren ja fast alle irgendwann in Italien zur Ausbildung. Also das war hier für jeden, der im Großhandel tätig sein wollte, sozusagen ein ungeschriebenes Gesetz.
00:24:02: Marko Also die Augsburger sind nach Italien und in Italien haben sie etwas gefunden, was sie aus Mitteleuropa nicht kannten. In Italien gibt es nämlich - wir sprachen drüber über das Zinsverbot für Christen - in Italien aber gibt es Christen, die machen das trotzdem, die nehmen trotzdem Zinsen, und die verdienen damit auch gar nicht so schlecht. Da gibt es ganze Familien, die es mit Finanzgeschäften ganz nach oben gebracht haben, christliche Familien, das sind die Bardi, die Frescobaldi, die Peruzzi und die Ricardi, die kommen alle aus Florenz. Dann gibt es die Bonsignori, die kommen aus Sienna. Lauter christliche Bankiers-Sippen, die es zu riesigem Reichtum bringen und selbst dem Papst Kredite einräumen. Und weil der Papst auch schon mal Kredit braucht, nimmt er es auch von Christen. So ist die Welt nämlich. Aber das kostet in der Tat. Also die Zinssätze sollen enorm gewesen sein, angeblich bis zu 50 % pro Jahr. Klar, wenn man das eigene Seelenheil aufs Spiel setzt, das ist.
00:24:58: Martin Das ist jetzt aber mal Wucher, würde ich sagen. 50 Prozent Jahreszins.
00:25:03: Marko Ja, so ist es. Aber daran sehen wir: Auch Die Christen wissen die Hände aufzuhalten. So ist es nicht. Und diese christlichen Familien sind bald unglaublich einflussreich. Die arbeiten in einem europaweiten Geldwechselsystem, weil sie nämlich auch für den Papst Finanzgeschäfte machen mit den Klöstern. Klöster müssen ja Abgaben leisten, und die müssen ja irgendwie nach Rom, damit der Papst was davon hat. Und das organisieren die für den. Und haben aber auch Einnahmen eingetrieben. Und es gibt auch einige Landesherren, die diese Italiener sozusagen ja dafür benutzen, dass sie auch in Deutschland so, so Geschäfte für sie machen. Sowas wie zum Beispiel Einnahmen an Zöllen oder so was, das übernehmen die Italiener dann und führen dann das entsprechende Geld an die Landesherren ab. Die sind hier relativ bekannt, auch bei uns. Die gibt es bis zum Niederrhein rauf, solche Leute, solche Italiener. Und weil der Deutsche von Italien nicht besonders viele Vorstellungen hat, denkt er, die kommen alle aus der Lombardei, und deshalb werden die auch Lombarden genannt.
00:26:02: Martin Okay.
00:26:02: Marko Das hat sich bis heute übrigens gehalten. Es gibt die eine Lombardenstraße, es gibt mehrere. Eine gibt zum Beispiel in Aachen, wo wir beide herkommen, fängt gleich hinterm Ludwigforum an und geht dann rauf. Da haben wir in Lombarden gesessen. Es gibt aber auch den Lombardsatz.
00:26:16: Martin Den Lombardsatz - Schulwissen, ganz dunkel - der Lombardsatz. Das war nochmal was? .
00:26:22: Marko Das ist der Zinssatz, mit dem die Zentralbank Kreditinstituten Geld leiht, und zwar gegen Wechsel von Papieren. So, das ist der Lombardsatz. Ja, also ich kann es. Ich kann selber auch nicht so ganz aktuell. Ich bin kein Finanzexperte, aber das hat sich als Wort bis heute gehalten. Die Lombarden.
00:26:37: Martin Die gar nicht aus der Lombardei kommen, sondern aus der Toskana.
00:26:41: Marko Genau so ist es. Und die sind aber eher für Großgeschäfte tätig. Aber es ist ein Beispiel, wie Christen auch genauso mit Geldverleih und Zins gute Geschäfte machen. Nur deren Sache sind Kleinkredite nicht unbedingt. Also die sind nur Big Player. Und dann gibt es aber die Franziskaner in Italien, der klassische Bettelorden der Franziskaner.
00:27:03: Martin Und was haben die mit Geld zu tun?
00:27:04: Marko Ja, erst mal, gar nichts. Aber die haben natürlich viel mit Wohlfahrt und gutem Tun zu tun. Und die überlegen sich halt: Ja was machen wir eigentlich mit Leuten, die jetzt so Klein-Kredite brauchen? Und da gibt es einen, den Bernardin von Feltre. Das liegt also in Norditalien Feltre. Der wird auch später seliggesprochen und gilt bis heute als Patron der Pfandleiher.
00:27:26: Martin Die haben einen Patron?
00:27:26: Marko Ja, die haben einen Patron, das ist der Bernardin von Feltre, übrigens ein Judenhasser vor dem Herrn. Der hat ständig gegen die Juden gepredigt. Auch sicherlich ein Grund, warum er sich was ausdenkt, um billige Kredite zu ermöglichen und damit natürlich auch die Juden zu schädigen. Das findet er gut. Und der gründet sogenannte Pfandleihanstalten. Das ist der erste mit den Franziskanern. Und diese Pfandleihanstalten werden Monti di Pietá, Berge der Barmherzigkeit genannt, und die gibt es bald in mehreren Städten Italiens. Es ist im Prinzip das schon, was wir am Anfang vorgestellt haben, nämlich eines Pfandleihhauses. Du trägst irgend etwas hin, bringst das als Sicherheit und kriegst dafür Geld. Und du hast damals noch ein Jahr Zeit, um das Geld wieder auszulösen. Nun gibt es natürlich ein Problem. Diese Pfand-Leihhäuser müssen ja auch von irgendwas leben.
00:28:10: Martin Ja.
00:28:10: Marko Zinsen?
00:28:10: Martin Dürfen sie nicht.
00:28:13: Marko Nein. Die nehmen aber eigentlich Zinsen, nämlich 5 %. Das ist relativ wenig, muss man ja sagen. Also wenn man überlegt, dass die Lombarden teilweise bis zu 50 % pro Jahr nehmen. Die nehmen nur 5 %. Ja...
00:28:24: Martin Aber es sind Zinsen.
00:28:25: Marko Aber es sind Zinsen. Nein, es sind eigentlich keine Zinsen.
00:28:29: O-Ton Barbara Rajkay Jährlich wird 5 % mehr genommen, wobei man das dann eben nicht als Zinsen nennt, sondern Unkostenbeitrag oder so was in der Richtung. Also zur Deckung der Unkosten werden dann eben 5 % genommen. So kann man natürlich auch diskret christlich das Ganze abwickeln.
00:28:49: Martin Unkostenbeitrag heißt das so schön. Wunderbar. Also Zinsen, die keine Zinsen sein dürfen. Deswegen Unkostenbeitrag.
00:28:55: Marko Und zwei Ratsherrn aus Augsburg gucken sich das Ganze an und sie finden das eine gute Idee. Weil zu Hause geht es ja wirtschaftlich bergab und viele Leute sind am Hungertuch. Und dann überlegen sie sich: Sowas brauchen wir in Augsburg auch. Und Sie empfehlen dem Rat folgendes, Martin, lies mal:.
00:29:11: Zitat Es für ratsam zu einem Anfang und ersten Modell eines künftigen größeren und ersprießlicheren Werks jetzo in der Eil die Verordnung zu tun, dass an einem gewissen Ort allen Mitbürgern, die es begehrten, auf genugsame Pfand bis zu zehn Gulden auf einmal, wohl darüber aber nit geliehen würden, mit solcher Maß, dass einer, der also entlehnt, sein Pfand zum längsten in 13 Monaten wieder lösen und inzwischen, solange er es stehen lässt, 5 von 100 dem Jahr nach nit zu Zins, sondern zur Ablegung der Unkosten so auf die Diener und sonst auf das ganze Werk geht bezahlen.
00:29:55: Marko Ja.
00:29:55: Martin Ja. Also keine Zinsen, Unkosten halt.
00:29:58: Marko Genau so. Und so wird im Jahre 1603 in Augsburg das erste öffentliche städtische Leihhaus in deutschen Landen gegründet. Ja.
00:30:07: Martin Also und dann geht es wahrscheinlich, weil es den Leuten in Augsburg ja recht schlecht geht zu der Zeit, gehts da wahrscheinlich relativ schnell rund. Also was, was wurde da so hingetragen?
00:30:17: Marko Ja, da gibt es also noch Listen, da kann man also gucken, was die Leute hin getragen haben. Kannst du mal reingucken? Hier hast du eine. Kannst du mal lesen?
00:30:24: Martin - Zitat Na, was haben wir da? Magdalena Schönauer...
00:30:27: Marko ...so heißt die.
00:30:28: Martin Ja. Ein vergultes Becherlin. Vergultes...
00:30:30: Marko Vergoldet.
00:30:33: Martin Vergoldet, Ja, vergoldet. Ein vergultes Becherlin wiegt drei Loth. Zwei Gulden hat sie dafür bekommen. Apollonia Märklin - die mit der Eisenbahn, nehme ich mal an.
00:30:46: Marko Genau die.
00:30:47: Martin Zwei Silberlöffel. Drei Gulden. Ja, also die hat da noch mehr. Sieben Ellen Leinwand für einen Gulden, ein purpurfarbener Unterrock für zehn Gulden. Ein schwarzer wullener Mantel - also wollender Mantel für fünf Gulden. Und dann gibt es noch hier einen Elias Ehrhardt. 3 hemeter. Was ist das denn?
00:31:10: Marko Hemden. Hemden.
00:31:11: Martin Ah, okay. Drei Hemden zu zwei Gulden.
00:31:15: Marko Also fällt schon auf. Es gibt viele Dinge, die aus Stoff abgegeben werden. Das ist nicht ganz verwunderlich, denn wenn wir heute an Augsburg denken, dann denken vielleicht viele an diese reichen Kaufleute. Die Fugger zum Beispiel, die sitzen ja in Augsburg. Die Wahrheit aber ist, dass es zwar auch reiche Kaufleute in Augsburg gibt, aber die Schere zwischen Arm und Reich ging auch damals schon gigantisch auch durch die Inflation immer weiter auseinander. Und die Ärmsten, die in Augsburg lebten, die hatten viel mit Stoff zu tun.
00:31:44: O-Ton Barbara Rajkay Ja, wir haben auf der einen Seite zu dieser Zeit ungefähr 40.000 Einwohner und grob die Hälfte, würde man heute sagen, knabberte am Existenzminimum. Das Problem in Augsburg war eben, dass wir eine kleine, dünne Schicht von extrem reichen Kaufleuten hatten. Und demgegenüber stand eine riesige Menge an Handwerkern, und zwar in erster Linie Weber, die sehr geringes Einkommen hatten und dann natürlich Taglöhner auch noch. Und das war eben das Hauptproblem, die Angst, dass diese Weber dann in solchen schwierigen Jahren mit einer galoppierenden Inflation, dass die dann völlig an den Almosensäckel der Stadt fallen, also sozusagen - heute würden wir sagen Sozialhilfe brauchen - die war groß und man hat eben geglaubt, dass man durch die Einführung eines Leihhauses hier das Problem etwas mildern kann. Ganz dahinter steckt natürlich die Angst, dass die Weber irgendwann solche Schwierigkeiten haben, dass sie anfangen, ihre Handwerksutensilien zu verkaufen und dann ja auch hinterher, wenn es wieder losgeht mit besseren Zeiten, gar keine Möglichkeiten mehr haben, wieder zu produzieren.
00:32:53: Marko Und dann haben sie gesagt okay, gerade die müssen durch ein solches Leihhaus gestützt werden. Und es gab in der Tat auch am Anfang bei diesem Leihhaus auch eine Obergrenze. Du konntest also maximal zehn Gulden leihen.
00:33:05: Marko Ja. Wie viel ist das? Zehn Gulden, sagt mir nix.
00:33:08: Marko Zehn Gulden, habe ich auch gefragt: Wie viel ist das ungefähr wert? Es entspricht ungefähr dem Gegenwert von sechs Wochen Arbeit bei einem Maurer. Also sechs Wochen Arbeit. Maurer. Das sind zehn Gulden ungefähr.
00:33:18: Martin Aber das war ja keine ungelernte Kraft, sondern das waren Maurermeister. Ja, das heißt, die haben auch schon gute Handwerker, auch damals gut verdient. Also das war nicht wenig.
00:33:26: Marko Das war okay. Aber es ist halt ein sechs Wochen Verdienst. Das würde man auch heute schon noch als Kleinkredit laufen lassen. Also da kam jetzt am Anfang zumindest niemand hin, der irgendwie seine Diamanten versetzt hat oder so was, sondern deswegen auch diese Dinge, die man da so am Anfang findet: Ein Mantel, Hemden und so, das haben die Leute halt abgegeben, haben relativ geringe Beträge dafür bekommen. Wobei ein Hemd damals auch noch mehr wert ist als heute und die tragen das ins Pfandleihhaus und das ganze Unternehmen ist tatsächlich so erfolgreich, dass es in Augsburg sehr schnell wächst. Also am Anfang war das. Es gibt in Augsburg ein oder es gab in Augsburg ein Almosenamt, wie man heute ein Sozialamt hat. Dieses Almosenamt, da konnten sich zum Beispiel arme Leute, wenn sie nicht betteln gegangen sind, und wenn sie Augsburger Bürger waren, dann konnten sie sich da zum Beispiel verbilligten Weizen abholen oder Gutscheine dafür oder oder so was. Da war das Leihamt am Anfang untergebracht.
00:34:18: Martin Finde ich interessant, dass es das damals schon gab.
00:34:21: Marko Wusste ich auch nicht.
00:34:22: Martin Meine Vorstellung war, dass das alles so eher Almosen der Kirche waren. Also das, was man eben beim Sonntagsgottesdienst gegeben hat und das, was nicht an die Kirche in Rom abgegeben wurde, das haben dann eben die Armen bekommen. Aber dass das sozusagen institutionalisiert war, dass es ein Amt dafür gegeben hat, zu diesem frühen Zeitpunkt schon, das finde ich sehr überraschend.
00:34:40: Marko Ein Almosenamt - genau - fand ich auch erstaunlich. Aber in der Tat, in Augsburg hat es gegeben und da in diesem Almosenamt war am Anfang auch das Leihamt untergebracht, und das war so erfolgreich, dass das schon zwei, drei Jahre später so groß war, dass sie in ein neues Gebäude umziehen mussten, weil die ganzen Pfänder, die da abgegeben wurden, die passten da gar nicht mehr ins Almosenamt, da hat sich offenbar schon bis unter die Decke alles gestapelt und dann mussten die umziehen. Und das Vermögen auch dieses Pfandleihamtes wuchs an, denn man hat offenbar, auch wenn man nur 5 % Zinsen genommen hat, damit doch ganz gute Geschäfte gemacht. Erstaunlicherweise. Das lief. Und bereits 1632 haben die 44.000 Gulden Überschuss gemacht. Das heißt, das war für die Stadt in der Tat...
00:35:24: Martin Da freut sich der Stadtkämmerer, der damals wahrscheinlich noch anders hieß.
00:35:28: Marko Aber das war eine lukrative Nummer. Das haben sich natürlich auch andere Städte abgeguckt und haben auch Pfandleihe Häuser gegründet. Also in Hamburg gab es schon eins, in Nürnberg gab es dann später eins und im Laufe der Geschichte wurden das dann irgendwann 34 Pfandleihämter, die von Städten betrieben wurden, um erst mal aus karitativen Gründen die Ärmsten der Armen mit Krediten zu versorgen. Nun muss man sagen, wir sind in einer äußerst ungünstigen Zeit. Also wenn ich irgendwo geboren werden wollte, dann bitteschön nicht zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Denn was kommt jetzt?
00:36:01: Martin Der 30-jährige Krieg?
00:36:02: Marko Der 30-jährige Krieg. Er setzt ein, und das heißt neben dem ganzen Mist, den wir eh schon an der Backe haben mit den Problemen, die dieser kleine Klimawandel da irgendwie verursacht hat, haben wir jetzt auch noch einen Krieg an der Backe. Ein Religionskrieg und einen der schrecklichsten, den man sich überhaupt vorstellen kann. Und man muss sagen, Augsburg wird relativ spät getroffen. Als es da losgeht, sind wir schon in den 1630er Jahren, also Ausbruch des 30-jährigen Krieges 1618. Aber bis es den Süden Deutschlands erreicht und auch Augsburg erreicht, sind wir in den 1630er Jahren. Aber dann geht es da richtig ab. Der schwedische König fällt ein und mit seinen Truppen, stößt bis zur Donau vor, erobert Schwaben und wie wilde Tiere gehen die da auf die Katholiken los. Und die Reichsstadt Augsburg wird dann auch irgendwann erobert. Wechselt dann nochmal ein Besitzer. Ich kürze es ab. Es ist ein riesengroßes Leid. Es dauert gar nicht lange, dann sind von 40.000 Einwohnern nur noch 20.000 übrig.
00:37:03: Martin Glatt halbiert.
00:37:05: Marko Die sind entweder erschlagen worden, die sind im Krieg gefallen oder die sind irgendwo einfach abgeblieben. Das heißt, Augsburg schrumpft sich zusammen auf die Hälfte. Und das bedeutet natürlich, dass sich auch die Stadt, die ist natürlich pleite, also durch... Wenn da ein paar Mal die Soldateska drüberzieht, dann bleibt nicht mehr viel übrig. Und das heißt, sie muss sich an den Rücklagen von dem Pfandhaus bedienen. Das macht die auch. Und damit ist das Pfandhaus pleite. Das heißt, da gibt es nichts mehr zu leihen. Und dann geht das Pfandleihhaus in Augsburg den Bach runter und wird geschlossen. Aber was interessant ist, ist, dass die Idee überlebt hat und man hat lange rum überlegt, das Leihamt wieder neu zu gründen. Nun braucht man natürlich dafür Geld, sozusagen als Startkapital. Und dann haben irgendwann tatsächlich Augsburger Kaufleute und diverseste Stiftungen noch einmal 20.000 Gulden zusammengebracht, die sie unverzinst der Stadt zur Verfügung gestellt haben, nur um dann noch mal ein Leihamt zu gründen. Ja, bevor andere Leute das Geschäft machen.
00:38:03: O-Ton Barbara Rajkay Also die Kaufleute argumentieren eigentlich natürlich wieder mit den Juden und das war ihr rotes Tuch. Und mit diesem roten Tuch konnte man sie sozusagen immer aus der Reserve locken. Also den Kaufleuten ging es darum, dass man die Juden im Grunde wieder ja aus dem Kredithandel verdrängt.
00:38:23: Martin Also es geht hier nicht um Barmherzigkeit und Wohltätigkeit den armen Menschen ihrer Stadt gegenüber, sondern da gibt es Konkurrenz.
00:38:31: Marko Es gibt Konkurrenz. Aber man hat ja auch gemerkt, eigentlich in der Frühzeit dieses Amtes, dass man mit dem Amt auch Geld verdienen konnte. Und in der Tat - auch beim zweiten Mal, nachdem das Leihhaus wieder gegründet worden is in Augsburg ging das steil mit dem bergauf. Also 1750 zum Beispiel haben 10.000 Leute ein Pfand abgegeben. 1770 sind aber schon 30.000 Pfänder da abgegeben worden. Das heißt, es geht richtig...Ja, das wächst, ne. Hab ja eben schon erzählt. Es gibt mehrere Gründungen in anderen Städten, wo Leihhäuser gegründet worden sind, und auch das scheint ganz gut zu funktionieren und scheint im Zweifelsfalle auch auf die Stadtkasse immer einzuzahlen. Also man macht mit diesen Dingern Gewinn.
00:39:11: Martin Jetzt müssen wir aber natürlich dazu sagen es ist ja im Prinzip umgekehrt wie die allgemeine Wirtschaftslage. Also immer dann, wenn besonders viel da abgegeben wird, scheint es den Leuten besonders schlecht zu gehen. Also eigentlich ist es ja eher ein Indikator dafür, wie gut oder schlecht die allgemeine wirtschaftliche Lage gewesen ist. Wenn du sagst, dass das gut gelaufen ist, dann muss man wahrscheinlich annehmen, dass es insgesamt weniger gut gelaufen ist wirtschaftlich.
00:39:32: Marko Genau. Aber für die Stadt bedeutete es dann natürlich trotzdem Einnahme.
00:39:36: Martin Klar.
00:39:38: Marko Aber es ging natürlich auch immer darum, auch zu steuern. Es hatte immer eine karitative Aufgabe. Es war nie dieses reine: Wir wollen jetzt aber Geld verdienen. Wir schrauben die Zinsen in die Höhe oder so was. Nee, nee. Es hatte auch immer diesen karitativen Gedanken. 1809 zum Beispiel wird das städtische Leihamt in Mannheim gegründet. Und in der Tat, Jürgen Rackwitz, das ist der Leiter des heute letzten städtischen Leihamtes, nämlich dem in Mannheim, der sagte auch: Ja, das war früher ganz normal. Die Leute sind halt mit dem, was sie hatten, zum Leihhaus gekommen, und das war relativ verbreitet.
00:40:12: O-Ton Jürgen Rackwitz Die Mannheimer haben früher das Lehramt als der Schrank von Mannheim bezeichnet. Früher hatten die Leute keine Rolex, da gab es auch keine, da gab es auch keine Fernseher oder Videorekorder oder sonst irgendwelche Dinge. Die Leute hatten Kleidung. Da haben die ihren Sonntagsanzug in der Kirche getragen. Und nach der Kirche haben sie den ins Pfandhaus gebracht, das Geld geholt und am Samstag haben sie ihn wieder geholt.
00:40:33: Martin Der Schrank von Mannheim - ein schöner Ausdruck.
00:40:36: Marko Ja, aber. Es war natürlich ein Problem. Du merkst also 1809 ist es auch noch so, dass Klamotten verpfändet werden. Da muss man sich ja auch als Leihamt drum kümmern. Das heißt, weißt du, was das bedeutet, wenn du da die Motten rein kriegst?
00:40:49: Martin Das war mein Gedanke gerade? Um Gottes Willen? Je nachdem, was es ist, hast du da die Motten sitzen.
00:40:53: Marko Und in dem alten Lehramt, also wirklich alte Leihamt, da gab es einen extra Raum, da wurden erst mal die Klamotten sozusagen einmal durchs Gift gezogen, damit das ganze Ungeziefer da raus geht, ja, damit man nicht irgendwie den Kleiderschrank sozusagen versaut. Und wenn die Leute ihre Klamotten wieder auslösen wollen, da so ein Ding mit Löchern vorhalten muss. Ja, Riesenproblem. Hat sich natürlich mittlerweile geändert.
00:41:18: Martin Also die Leute tragen nicht mehr ihren Sonntagsanzug zum Pfandleiher.
00:41:22: Marko Nee, Klamotten sind weniger geworden. Wobei es gibt immer noch so auch modische Accessoires, die abgegeben werden. Ich bin mal durchs Haus geführt worden. Und zwar muss man sich ja vorstellen, in einem Leihhaus muss es ja auch Leute geben, die sich mit den Dingen auskennen, die sie beleihen. Das sind die sogenannten Schätzer. Und der Anton Mainzer ist einer von den Schätzern im Mannheimer Pfandleihamt, und der hat mir mal so ein bisschen den Fundus gezeigt.
00:41:46: O-Ton Anton Schätzer Ja, hier sind wir jetzt im B-Lager. Das sind alles Pfänder, die nichts mit Schmuck zu tun haben. Also hier haben wir jetzt Kameras. Werkzeuge. Ja, da sehen Sie, haben wir eine Kettensäge sogar. Und wir können mal hier ein bisschen durch die Reihen gehen. Was wir jetzt auch neu annehmen, sind Handtaschen. Also hier haben wir jetzt Louis Vuitton, Hermes-Handtaschen und genau Märklin-Eisenbahnen und Porzellan-Sachen, also Figuren. Wenn Sie dahinter schauen, haben wir Musikinstrumente: also Gitarren, Flöten, Querflöten, Akkordeons, Trompeten. Genau.
00:42:26: Marko Und natürlich müssen die Schätze von allem so ein bisschen Kenntnis haben. Also wenn da jetzt jemand kommt und will was abgeben, musst du ja sagen können: Ja, das ist eine wertvolle Uhr oder das ist irgendwie Schrott. Und der Anton Mainzer ist so ein Schätzer, der hat zum Beispiel selber Goldschmied gelernt und hat sich weiterbilden lassen mit Diamanten, andere machen halt anderes.
00:42:43: O-Ton Anton Schätzer Wir sind hier alles gelernte Goldschmiede, Uhrmacher, Diamantgutachter. Also wir kommen alle aus dem Schmuckbereich und Uhren-Bereich und jeder hier hat noch, ich sage mal wie eine Art Hobby oder so. Einer kennt sich gut bei Musikinstrumenten aus, weil er da eine Affinität für hat oder selbst etwas spielt. Der andere bei Porzellan, weil er da selbst mal was gesammelt hat oder so. Jeder hat irgendwie was noch dazu und einer fährt zum Beispiel gern Fahrrad und kennt sich gut mit Fahrrädern aus. Und so ergibt das Ganze einfach eine gute Kombination hier.
00:43:19: Martin Na ja, macht ja auch Sinn. Muss ja auch so sein. Die Leute müssen sich ja mit dem Kram auskennen, damit sie einschätzen können, was es jetzt nun tatsächlich wert ist. Also den Zeitwert ja schätzen.
00:43:28: Marko Und das ist ja ganz erstaunlich. Das muss innerhalb von wenigen Minuten passieren. Also es ist nicht so, dass die Leute da erstmal stundenlang irgendwie rumrätseln, was kriegst du denn dafür. Sondern innerhalb von wenigen Minuten wird entschieden: Ja, gebe ich dir so und so viel, dafür, gebe ich dir so und so viel dafür. Und wenn man da jetzt deutlich zum Beispiel drunter liegt, was sich der Kunde wünscht, da gibt natürlich auch Trara. Ist ja klar, logisch. Und wenn man jetzt weit drüber liegt, dann ist es aber nicht so, dass das dem Pfandleihhaus zugute kommt, sondern diese Regel: Wenn bei der Versteigerung mehr herauskommt, als du bekommen hast, dann wird das verrechnet, der Kunde bekommt es. Also man muss als Schätzer schon relativ genau sagen können, was so ein Ding bringt und was es nicht bringt.
00:44:06: Martin Das ist ja, kann ich mir vorstellen und das hast du ja eben auch schon angedeutet, dass das nicht immer ganz angenehm ist. Das heißt, der Kunde oder der Verpfänder steht dann daneben, während derjenige, der Schätzer dann guckt und sagt: Ja, das sieht zwar alles sehr schön aus ihr Collier da, aber das sind Swarovski Steinchen, die sind leider nur 39,80 wert.
00:44:24: Marko Ja oder der guckt auf die Uhr von deinem Vater, an der du mit Emotionen klebst und sagte dir dann ins Gesicht: Ja, dein Vater ist mit einer gefälschten Rolex durch die Gegend gelaufen, für den Schrott zahle ich dir jetzt aber mal gar nichts. Kannste nen Zehner für haben. .
00:44:37: Martin Dann springe ich dem ins Gesicht. Das ist wahrscheinlich nicht immer ganz angenehm.
00:44:41: Marko Es ist nicht immer ganz angenehm und man muss, so sagt der Leiter des Pfandleihhauses, auch echt genau kalkulieren, damit das Pfandleihhaus halt auch wirtschaftlich läuft.
00:44:52: O-Ton Jürgen Rackwitz Da schauen, was hat es für einen Anschaffungswert und welchen Wiederverkaufswert hat es und was könnten wir dafür erlösen, wenn sie es nach sechs Monaten nicht abholen würden - das ist der Risikoabschlag. Zu diesem Preis beleihen wir es. Technik, muss man bedenken: technische Fortschritt beinhaltet einen hohen Werteverfall. Dann macht man Abschläge. Man kann aber sagen, zwischen 50 und 90 % des Marktwertes wird als Pfanddarlehen gegeben. So das Risiko heißt natürlich - das Risiko trägt der Pfandleiher. Gibt es eine Inflation, hat man Pech gehabt. Stürzt der Goldpreis ab, hab ich Pech gehabt. Und dieses Risiko trägt der Pfandleiher. Und da haftet er dafür. Er kriegt es von seinem Pfandkunden nicht. Und deswegen müssen die Fahnder ganz andere Gebühren nehmen als Banken.
00:45:34: O-Ton Jürgen Rackwitz Andere Gebühren als Banken. Wie hoch sind die dann jetzt? Also früher hieß es, wie war das 5 %?
00:45:40: Marko Ja, ja, davon, muss man sagen, hat man sich mittlerweile verabschiedet. Es kostet schon mehr als 5 %. Wenn du etwas beim Pfandleihamt in Mannheim abgibst. Im Vergleich zu einem Bankkredit, den du ja vielleicht so im Moment - ja vier, fünf bekommst, musst du schon ordentlich in die Tasche greifen und man könnte beim ersten Blick auf Gebühren und den Zins, den man da nimmt, ja, ich habe dann von Wucher gesprochen, aber dann hat Herr Rackwitz natürlich vehement widersprochen.
00:46:11: O-Ton Jürgen Rackwitz Das höchste was wir, glaub ich, haben, sind 1 % Zinsen im Monat und 3 % Gebühren ist das Höchste, was wir haben. Das Geringste bei 5 € fand - aber wenn sie ein 10.000 € Pfand haben sind es 1 % Gebühren im Monat und 0,5 % Zinsen - 1,5 % im Monat.
00:46:27: Marko So viele Zahlen...
00:46:28: Martin Zins, Zinseszins.
00:46:29: Marko Ne, ne, Zinseszins. Also fangen wir mal, fangen wir noch einmal an. Das heißt, wenn ich ein Pfandstück abgebe und sagen wir mal für 5 €, das habe ich jetzt mal durch - das ist das geringst Mögliche. Also due könnte irgendwie - keine Ahnung - also die Uhr von deinem Vater ist gar nichts wert. Dann sagt der Pfandleiher vielleicht, weil er es gut mit der meint, komm hier hast du einen Fünfer.
00:46:48: Martin Da würde ich sie wieder mitnehmen. Aber gut, nehmen wir es mal.
00:46:50: Marko Du brauchst die 5 € aber - Kühlschrank ist leer, du hast nichts. Kann ja passieren. Dann zahlst du im halben Jahr jeden Monat 1 % Zinsen. Macht schon mal 6 % auf dem halben Jahr, das macht bei 5 Euro 30 Cent. Und du zahlst ja für jeden Monat auch noch mal 3 % Gebühren. Macht sechs mal 3 %. Sechs mal drei sind achtzehn. Das macht dann noch mal 0,90 €. Das heißt, du zahlst 1,20 €, wenn du dein Pfand wieder auslösen willst plus das, was du bekommen hast, nämlich die 5 € - macht also 6,20 €.
00:47:32: Martin Also 1,20 € Gebühren und Zinsen auf 5 €, die ich mir leihe.
00:47:36: Marko So ist das - das ist natürlich schon mal, es ist echt üppig, also vor allem für ein halbes Jahr. Da könnte man ja sagen: Hey, das ist aber echt viel, ist doch billiger bei der Bank, warum geh ich dann nicht zur Bank? Aber geh mal zur Bank und sage, ich hätte gern 5 €.
00:47:50: Martin Ja?
00:47:53: O-Ton Jürgen Rackwitz Der Bank-Kredit ist halt schwieriger. Wenn Sie älter sind, bekommen Sie keinen Bankkredit mehr. Und wenn Sie keine Sicherheiten haben, bekommen Sie auch kein Bankkredit mehr. Der alte Spruch. Die verkaufen ihnen nur einen Schirm, wenn es nicht regnet, hat was. Und der nächste Punkt ist: Die Leuten helfen sich selbst. Sie müssen sich nicht verschulden. Sie müssen nicht irgendwo Freunde fragen, Familienangehörige fragen. Sie helfen sich selbst.
00:48:20: O-Ton Führung Stimme im Fahrstuhl: Ebene Null.
00:48:21: O-Ton Anton Mainzer So, jetzt gehen wir mal hinter die Schalter. Also hier haben wir immer die Schätzer-Schalter und jeder Schätze hat seinen eigenen Platz, so einen eigenen Arbeitsbereich. Und der Kunde sitzt praktisch auch gegenüber. Also wir gehen nicht hinten ins Eck oder so, sondern wir versuchen alles vor ihnen zu machen, dass sie sehen, was arbeiten wir hier jetzt eigentlich und wie bewerten wir? Und natürlich haben wir jetzt hier im Hintergrund auch Gerätschaften, wenn wir Dinge testen müssen, weil es gibt immer mehr Fälschungen und die müssen natürlich ausfindig gemacht werden. Genau. Da wird jetzt gerade Besteck sortiert und ja, ist immer die Frage ist es Silber oder ist es nur versilbert.
00:49:13: Martin Oder eine komplette Fälschung? Aber ich nehme mal an, die Leute laufen da nicht hin, um das, was sie selber gefälscht haben, dem Pfandleihhaus unterzujubeln, sondern sie glauben wahrscheinlich selber, dass das echt ist.
00:49:25: Marko Ja, es ist in der Tat aber ein Problem. Sie glauben, dass es echt ist und am Ende ist es das halt nicht. Zum Beispiel bei der Uhr deines Vaters könnte es ja sein, dass man deinem Vater schon damals eine gefälschte Rolex angedreht hat. Der ist sein Leben lang stolz mit der Rolex rumgelaufen und Sohnemann hat geglaubt, das könne er mal später zu Geld machen. Aber beim Pfandleihhaus fällt es dann eventuell auf, dass es das halt nicht ist. Und in der Tat haben die echt eine ganze Menge Sachen, um das zu testen. Also vielen Leuten werden auch viele Dinge angedreht. Es gibt zum Beispiel gefälschte Goldbarren, die werden jetzt zum Beispiel gerne auf Autobahnraststätten angedreht. Hat er mir erzählt.
00:49:59: Martin Was?
00:49:59: Marko Ja, da kommt einer auf dich zu, sagt so: Ah, Scheibenkleister, ich habe mein Portemonnaie vergessen, ich muss tanken. Wir haben ein Todesfall in der Familie. Ich muss da dringend hin. Ich habe Gold dabei. Das ist meins, oder hier, nehmen Sie meinen Ring. Das ist ein Gold-Ring. Was geben Sie mir dafür? Komm 50 € ist gut. Ist aber dann nur aus Messing. Ist dann vielleicht sogar ein Goldstempel drin. Du denkst. Ach ja? Okay, ich. Mache ich mal, der arme Mann. Oder bist sogar vielleicht ein bisschen geldgierig und denkst: Ja, geil, super Geschäft. So. Und dann haste dieses Ding und dann ist ein Wolframkern drin. Wenn du einen Goldbarren verkauft kriegst - und Wolfram hat dieselbe Dichte ungefähr wie Gold.
00:50:33: Martin Gold ist ja sauschwer.
00:50:35: Marko Ist sauschwer - aber Wolfram halt auch. Und das heißt, wenn du das auf eine Waage legst, kannst von außen nicht sehen, ob das jetzt ein Wolframkern hat oder nicht. Aber Wolfram ist magnetisch und jetzt gibt es eine Magnetwaage und bei der Magnetwaage stellt du dann halt fest: Okay, ist ein gefälschter Goldbarren oder so was. Das kommt relativ häufig vor. Deswegen gibt es natürlich auch so eine Magnetwaage da. Es gibt sogar - um dann zum Beispiel die Rolex von deinem Vater auseinander zu nehmen, extra Equipment.
00:51:00: O-Ton Anton Mainer Hier sind wir jetzt an unserem Uhrmachertisch. Den haben wir uns jetzt frisch eingerichtet, weil die Fälschungen bei den Uhren immer besser werden und immer schwerer zu erkennen sind. Also teilweise von außen können sie es gar nicht mehr erkennen. Deshalb: Wir machen jede hochwertige Uhr, machen wir auf und dafür haben wir hier das entsprechende Equipment wie in der Uhrmacherwerkstatt. Und unsere zwei neuesten Mitarbeiter sind auch Uhrmacher-Meister, die uns das Ganze hier beibringen und uns dabei unterstützen, weil das wird ein immer wichtigeres Thema.
00:51:33: Marko Und ich muss sagen, als ich da war. Die Bude war gerammelt voll. Also vor jedem Schalter standen Leute und wollten irgendwas abgeben. Unterschiedlichste Sachen. Das einfachste ist natürlich irgendwie Schmuck und Gold. Schmuck wird in der Regel eingeschmolzen.
00:51:47: Martin Okay, das überlebt gar nicht.
00:51:48: Marko Das überlebt nicht, wenn du es nicht auslöst. Also weil es ist meistens Moden unterworfen. Und wenn es jetzt nicht wirklich etwas Antikes oder was wirklich ja schon auf den ersten Blick besonders Wertvolles ist, kommt das normalerweise in den Schmelzofen. Das heißt du kriegst normalerweise den ganz normalen Goldwert. Da waren zum Beispiel zwei Damen an der Kasse mit Unmengen an Schmuck. Das war alles von der verstorbenen Mutter und das wollten die beiden loswerden. Und dann war da der Schätzer und dann wurde dann da geklappert.
00:52:15: O-Ton Schätzer So, hier haben wir 585er Gold. - Klapper - Und da haben wir 140,89 Gramm, dann kommen wir auf 4.333 €.
00:52:26: O-Ton Kundinnen Frau: Also ich bin zumindest überrascht, weil ich nicht mit so viel gerechnet hätte.
00:52:30: Frau:. Mit so viel hätte ich auch nicht gerechnet. Genau.
00:52:35: Martin Donnerlottchen 4.333 €. Das ist schon mal nicht ganz wenig.
00:52:39: Marko Na ja, wie sagte Herr Rackwitz, der Leiter, am Anfang. Jede Frau hat ein kleines Schächtelchen. Und - ja - bei dem Schächtelchen hat es sich offenbar gelohnt. Also man muss sagen, das städtische Leihamt in Mannheim ist ja das letzte seiner Art, auch das von Augsburg, also das erste, hat relativ lange existiert, nämlich bis 2018.
00:52:59: Martin Das fehlt heute vielleicht, in der aktuellen Situation, in der wir sind.
00:53:03: Marko Ja, das könnte sein. Also ich meine natürlich viele Private haben das übernommen. Ich weiß nicht, wie viele Leihhäuser mittlerweile es in Köln gibt, ich glaube über ein Dutzend. Es gibt ja auch Leihhäuser, die sind spezialisiert auf Autos zum Beispiel, kannst du dein Auto verleihen oder was auch immer. Das Mannheimer Leihhaus macht es in dem Sinne nicht. Die Frage war für mich aber, wenn Private damit eigentlich Geld verdienen können und ja auch städtische Leihämter, nämlich das von Mannheim, das schreibt jedes Jahr in der Regel schwarze Zahlen. Und das ist für den Haushalt der Stadt Mannheim förderlich, weil alles, was an Überschuss erwirtschaftet wird, fließt in den Sozialetats der Stadt Mannheim, das heißt, es muss auch wieder für wohltätige Zwecke ausgegeben werden. Und für mich war immer die Frage: Ja, wenn das doch so gut funktioniert und wenn ihr hier schwarze Zahlen schreibt und wenn es doch auch ganz förderlich ist und die Leute ganz zufrieden sind wie die beiden Damen da mit dem Goldschmuck, warum gibt es das eigentlich nicht mehr überall? Warum sind die anderen alle Pleite gegangen? Es gab ja mal 34 deutschlandweit, habe ich natürlich gefragt. Herr Rackwitz hat darauf so geantwortet.
00:54:04: O-Ton Rackwitz Weil öffentliche Pfandhäuser nicht wirtschaftlich betrieben wurden von den Gemeinden. Man hat auch nicht auf den Markt geschaut, sich nicht den Kunden zugewendet, sondern das wie ein Amt betrieben. Und es war nicht wirtschaftlich. Und dann wurden sie geschlossen. In Mannheim ist man da einen anderen Weg gegangen. Das Leihamt war immer selbstständig, hat eigenständig gewirtschaftet. Die Stadt hat sich da nicht eingemischt. Und das hat dazu geführt, dass wir überlebt haben, weil wir uns wirtschaftlich verhalten haben, wie auch private Pfandleiher. Aber halt doch anders als die Privaten.
00:54:30: Martin Nun sagt ja die reine marktwirtschaftliche Lehre, dass es auch so sein soll, dass wenn mit einem Bereich in einem Bereich Geld gemacht werden kann, wenn da Geld verdient werden kann, soll sich der Staat oder die Stadt in dem Fall raushalten.
00:54:45: Marko Na ja, also heute ist es auch so, man würde kein neues Leihamt mehr gründen dürfen.
00:54:52: Martin Gründen dürfen?
00:54:52: Marko Ja, auch das von Mannheim existiert eigentlich nur, weil es 1809 gegründet worden ist und seitdem nie zu Grunde gegangen ist. Würde das seine Pforten schließen, weil die Gesetzeslage gäbe es nicht her, dass eine Kommune ein Pfandleihamt eröffnen darf. Also wenn jetzt die Stadt Heidelberg oder die Stadt Köln sagen würde: Super Konzept, so was machen wir auch. Die Gemeindeordnung gibt es nicht mehr her, ist einfach so!
00:55:16: Martin Sollte es das denn deiner Meinung nach geben? Also sollte es die Möglichkeit geben, dass Städte das machen. Weil du hast ja eben sehr betont, dass eben auch der karitative Zweck da im Vordergrund steht. Und da weiß man natürlich nicht, ob das bei privat betriebenen Pfandleihhäusern da immer der Fall ist. Also wäre das eine gute Sache eigentlich.
00:55:36: Marko Ich weiß es nicht. Man muss natürlich sagen, auch die nicht öffentlich betriebenen Pfandleihhäuser, das sind ja nun fast alle in Deutschland bis auf dieses eine, sind relativ strengen Gesetzen unterworfen. Also diese Regel zum Beispiel, dass wenn ein Pfandleihamt bei der Versteigerung mehr erwirtschaftet als es dir eigentlich geliehen hat, dann gebührt dir der Gewinn. Das gilt auch für private Pfandleihhäuser per Gesetz. Das ist so. Und die sind teilweise gesetzlich mindestens genauso streng reglementiert wie das Pfandleihhaus, was noch öffentlich betrieben wird in Mannheim. Die Frage ist: Muss man als Gemeinde da wieder einsteigen in dieses Geschäft? Fakt ist...
00:56:13: Martin Sie dürfen es nicht.
00:56:14: Marko Sie dürfen es nicht. Aber da wo es noch existiert, schad drum, da wirft es noch Gewinn ab. Und die Gewinne? Das finde ich halt ganz interessant in Mannheim kommen in den Sozialetat der Stadt, das heißt, die werden nicht irgendwie dafür verbraten, eine Umgehungsstraße zu bauen oder sowas, sondern die werden dafür benutzt, dass man halt soziale Projekte fördert. Und wenn die jedes Jahr Gewinne abwerfen, dann kann das für die Stadt Mannheim nicht ganz schlecht sein.
00:56:38: Martin So, jetzt sind die beiden Damen, die da ihren Schmuck hingetragen haben, sind da mit einem ordentlichen Betrag an Geld wieder rausgegangen. Ich nehme mal an, dass das eben alles nicht nur Modeschmuck gewesen ist, sondern dass das durchaus auch eben wertvolle Sachen gewesen sind. Das heißt, die können nicht ganz arm gewesen sein. Zumindest die verstorbene Mutter war es nicht. Wer geht denn da so hin in so ein Pfandleihhaus? Also meine Vorstellung vor unserem Gespräch jetzt war so, dass da halt die hingehen, die nun wirklich gar nichts mehr zu verlieren haben und da sozusagen das Letzte noch, was sie irgendwie haben, dahin tragen. Aber nach dem, was wir jetzt gehört haben, scheint das nicht so zu sein.
00:57:12: Marko Das ist auch nicht so. Also in der Tat kommen ins Pfandleihhaus sämtliche Bevölkerungsgruppen. Was zugenommen hat, erzählte mir der Jürgen Rackwitz, ist, dass gerade große Beträge abgefordert werden. Und das heißt, Du musst auch ein relativ wertvolles Pfand abgeben. Und das hat gerade seit der Corona-Krise, in der übrigens Pfandleihhäuser überhaupt nicht gefragt waren, was ganz erstaunlich war, ich dachte auch: Bei Corona haben sie denen die Bude eingerannt. Nee, nee, nee, da sind die Leute zu Hause geblieben, haben das Geld beisammen gehalten und haben nichts ausgegeben. Seit aber die Wirtschaft wieder anläuft, seit wir aber diese ganzen Lieferengpässe haben, seit die Wirtschaft sozusagen wieder versucht, in die Gänge zu kommen. Seitdem brummt das Geschäft und seitdem ist es auch wieder so, dass die Leute große Beträge abfordern.
00:57:57: O-Ton Jürgen Rackwitz Früher hat es immer geheißen: Naja, das sind die armen Schlucker. Wenn am Ende des Geldes noch viel Monat übrig ist, geht man ins Pfandhaus. Es sind aber mittlerweile auch Handwerker, die, wenn sie einen Auftrag bekommen, schnell Material kaufen müssen. Gehen Sie zur Bank, sagt die Bank: Och nö, das geht jetzt schnell nicht, kommen Sie in 14 Tagen wieder, geht der an den Schrank, holt seine Rolex raus, legt sie hier hin und hat zehn Minuten später sein Geld, kann sein Material kaufen, seine Leute bezahlen und wenn die erste Abschlagszahlung eingeht, bringt er es wieder zurück. Und das merken wir gerade. Wir haben einen Boom im oberen Bereich. Das heißt, es sind Gewerbetreibende, Leute, die arbeiten, die Umsätze haben, aber die Liquiditätsprobleme haben. Das heißt, sind keine armen Schlucker, die nicht wissen, wie sie mit Geld umgehen, sondern es sind Leute, die Geld brauchen, um zu arbeiten, gehen zur Bank, kriegen das nicht in der Geschwindigkeit oder auch nicht so, dann kommen die hierher, legen ihre Werte auf den Tisch und die wissen genau: In sechs Wochen haben sie wieder Geld, da holen sie ihre Uhr wieder ab oder ihren Krügerrand oder ihren Goldbarren.
00:58:53: Martin Ja, ich kann mich dran erinnern an die letzte große Wirtschafts- und Finanzkrise 2007 / 2008. Da habe ich mal einen Beitrag gemacht und dann mit Mittelständlern gesprochen, die genau von diesem Problem berichtet haben. Die Auftragsbücher eigentlich voll, aber kein Geld, um das Material zu finanzieren, was sie brauchen, um diese Aufträge zu erfüllen und die Arbeitskräfte zu bezahlen. Und die Banken haben dann eben, weil sich die ganzen Banken auf dieses hochspekulative Geschäft spezialisiert haben, wo sie sich schnelle Gewinne versprochen haben, haben die halt mit dem kleinen Mittelständler nichts mehr anfangen können und haben denen keine Kredite mehr gegeben. Und entsprechend waren die in der Klemme. Und das scheint ja jetzt hier so was Ähnliches zu sein.
00:59:35: Marko Das hat es immer wieder in der Geschichte gegeben. Ich meine, wenn wir jetzt im Moment, wo die Lieferketten zum Beispiel durch den Ukrainekrieg, den Überfall auf die Ukraine zusammengebrochen sind, wo du teilweise auf Dinge lange wartest, biste als Handwerker aufgeschmissen, als Mittelständler aufgeschmissen. Irgendwo muss das Geld ja herkommen. Wenn das ein zu kleiner Betrag ist oder für eine Bank irgendwie uninteressant. Ja, wo gehst du hin? Und so passiert es dann halt auch, dass da im Leihhaus eine Hilti abgegeben wird als Pfand.
01:00:04: Martin Oder die Kettensäge.
01:00:04: Marko Oder die Kettensäge. Also es ist ja schon interessant. Es kommen natürlich auch die Fälle, wo es dann wirklich tragisch ist. Das hat auch Herr Rackwitz erzählt, wo klar ist, das sind Leute, die siehst du jeden Monat wieder, weil es wirklich in der Tat am Ende des Monats nicht reicht.
01:00:19: O-Ton Jürgen Rackwitz Das muss man sehen wie ein Arzt, der Patienten behandelt, die eine schwere Erkrankung haben. Man muss schon Empathie und Mitleid haben. Man darf es aber nicht zu nah an sich heranlassen, weil es sonst einen kaputt macht. Es ist natürlich schlimm, wenn ich sehe, dass Anfang Januar Eltern den riesengroßen Teddybär, den sie ihren Kindern zu Weihnachten geschenkt haben, ins Pfandhaus bringen, weil sie Geld brauchen. Das geht schon ans Eingemachte. Das geht den Leuten schon nahe, ja. Und da reden die auch miteinander. Und ja, die Leute schütten dann eben ihr Herz aus. Es ist schon ein bisschen so wie ein Beichtvater oder Beicht-Mutter, die müssen sich schon viel anhören. Ja. Aber das darf man zu nah an sich n nicht dran lassen, sonst kann man den Job auch nicht machen, wenn man alles persönlich nimmt und jedes Schicksal zu nah an sich heran lässt. Ein Pfandleiher darf niemals jemandem etwas geben. Also wenn ich etwas nicht beleihe, kann ich auf jeden Fall nicht sagen. Da hast du 10 €. Nimm Sie mit. Das darf man nicht tun. Todsünde. Weil damit zeigen Sie, dass Sie sein Pfand nicht wertschätzen, ihn nicht wertschätzen. Das kann man auf der Straße machen, wenn Sie einem Bettler ein paar Euro in den Hut schmeißen. Aber ein Kunde, der reinkommt, den müssen sie wie einen Kunden behandeln. Entweder Sie haben etwas für ihn, was Sie ihm verkaufen können, oder Sie haben es nicht. Dann muss er aber hoch erhobenen Hauptes wieder rausgehen können. Deswegen: Ein Pfandleiher schätzt seinen Kunden, gibt kein Almosen.
01:01:31: Martin Ehrenkodex für Pfandleiher. Das war mir auch nicht klar.
01:01:35: Marko Aber den gibt es halt auch. So muss es halt sein. Und ja, klar, man hat halt mit vielen Schicksalen zu tun, weil hinter jeder Finanzmisere und hinter jedem Engpass steckt natürlich irgendwie auch ein Schicksal. Also ganz tragisch ist natürlich: Kind verstorben und dann wird das Zeugs, was im Kinderzimmer steht, zum Pfandleiher getragen, weil es braucht ja auch eh keiner mehr und so - sowas gibt es halt auch.
01:01:59: Martin Also viel Tragik dabei. Nicht immer lustig, aber gibt es denn auch lustige Ereignisse oder gibt es denn auch lustige Geschichten, die sich um diese Pfande - wie sagt man Pfänder.
01:02:09: Marko Pfänder, Pfänder sind die Gegenstände.
01:02:11: Martin Also Pfand-Stücke.Gibt es da lustige Geschichten?
01:02:13: Marko Es gibt auch lustige Geschichten, erzählt Jürgen Rackwitz, der bis heute ja seit einigen Jahrzehnten schon dieses Pfandleihhaus in Mannheim leitet. Er ist aber ein ganz seriöser Typ, muss man sagen. Er würde niemals dir etwas erzählen, was auf einen Kunden irgendwie Rückschlüsse ziehen, wo du raten könntest, wer das sein könnte. Das würde er nie, niemals tun. Aber eine Geschichte, die hat ihn wohl so beeindruckt. Die hat er mir erzählt. Und die ging so.
01:02:38: O-Ton Rackwitz Ich war gerade wenige Tage hier. Da hat eine Dame von einer Stadt angerufen, die ist weiter weg. Und die wollte die Eheringe hierher bringen und versetzen. Hab ich gesagt: Das können sie machen. Aber das, was sie dafür bekommen, geht gerade wieder darauf raus für ihre Fahrtkosten. Hat sie gesagt: Ich weiß, dass ich da keinen Gewinn mache, wenn ich die Pfandringe bringe. Mein Mann ist fremdgegangen? Ich hab ihn erwischt, der ist mit seiner Freundin jetzt in Urlaub gefahren. Wenn der wiederkommt, ist die Wohnung leer und der Pfandschein liegt auf dem Boden. Fand ich gut.
01:03:06: Martin Ja, die Rache ist mein, sprach der Herr, in dem Fall die Dame.
01:03:10: Marko So ist es. So.
01:03:10: Martin Ein Besuch im Pfandleihhaus. Das hätte ich mir vorher auch nicht vorstellen können, dass das so spannend sein kann. Und die Geschichte des Pfandleihhauses, über das du, Marko, ein Zeizeichen gemacht hast. Und wir haben hier noch mal ausführlich die Hintergründe ausgewalzt. Sehr, sehr spannend. So was machen wir jetzt, damit wir nicht morgen ins Pfandleihhaus gehen müssen, um unser letztes Stück zu versetzen.
01:03:34: Marko Wir sagen noch einmal: Wenn euch diese Folge der Geschichtsmacher gefallen hat, dann sagt das euren Freunden, sagt es Bekannten und vor allem...
01:03:42: Martin Den Erbtanten - ganz wichtig.
01:03:42: Marko Die mit dem Schächtelchen, wo das Gold drin ist...
01:03:42: Martin Und lobt uns und verteilt Sternchen auf euren Plattformen. Am besten hinterlasst ihr auch noch einen Kommentar. Das lesen wir immer sehr gerne....
01:03:56: Marko Und der Algorithmus freut sich. Der Algorithmus...
01:03:59: Marko liest das noch viel gerner.
01:03:59: Marko Gerner. Noch viel gerner.
01:03:59: Martin Ja, genau.
01:04:04: Marko Wenn wir euch aber nicht gefallen haben, wenn euch diese Folge wieder aufgestoßen ist und ihr sagt: Es war voller Fehler oder Mist. Dann sagt es uns...
01:04:12: Martin Und bitte nur uns.
01:04:14: Marko Unter www.diegeschichtsmacher.de findet ihr alle Möglichkeiten, um mit uns in Kontakt zu kommen.
01:04:20: Martin Und darüber hinaus auch die Möglichkeit, euch für unseren Newsletter einzutragen. Dann erfahrt ihr jedes Mal rechtzeitig, wann eine neue Folge rauskommt. Mit einer Vorschau.
01:04:30: Marko Die nächste in zwei Wochen. Dann wird der Martin euch nämlich einen Bären aufbinden.
01:04:34: Martin Jawoll! Einen aus Stoff und einen echten. Und der kann auch noch sprechen.
01:04:38: Marko Bis dahin. Tschüss.
01:04:39: Martin Tschüss.
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