Von Eingeborenen und Menschenfressern: Der Trizonesien-Song

Shownotes

Kanzler Konrad Adenauer war amüsiert und empört zugleich: Ein Karnevals-Hit wurde ihm als deutsche Nationalhymne präsentiert. Der Trizonesien-Song von Karl Berbuer, einem singenden Bäckermeister aus Köln, sorgte im Rheinland für Karnevals-Stimmung, und von Moskau bis New York für Verwirrung.

In diesem Podcast über die Geschichte eines nur scheinbar harmlosen Karnevals-Liedchens erklärt die geborene Kölnerin Irene Geuer ihren Kollegen Martin Herzog und Marko Rösseler wie es zu derlei diplomatischen Verwicklungen kommen konnte, warum ein Bäckermeister sein Handwerk aufgab und als "singendes Hefeteilchen" plötzlich Karriere machte und welches Geheimnis hinter dem bis heute beliebten Karnevalslied "En unserem Veedel" aus den 1970er Jahren steckt.

Wissenschaftlichen Beistand bekommen die drei durch die Brauchtumsforscherin Gabriele Dafft und den Kölner Karnevals-Kenner Reinold Louis.

Wichtige Links zu dieser Folge:

Irene Geuer hat ein WDR-Zeitzeichen zum Thema gemacht: 11.11.1948 - Ein Karnevalshit als Fast-Nationalhymne. Der Trizonesiensong.

In diesem Podcast wird über verschiedene Karnevalslieder gesprochen. Die entsprechenden Links zu den Liedern im Netz findet ihr hier:

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Transkript anzeigen

Transkript Trizonesien

00:00:11: Marko Ein Rätsel. Um was handelt es sich? A: Um einen Kölner Karnevals-Song? Oder B: Um die deutsche Nationalhymne?

00:00:21: Irene Ich würde sagen, es handelt sich um beides. Und es ist eine ganz spannende Geschichte mit einem furchtbar aufgeregten Bundeskanzler, mit einem Hefeteilchen, was sprechen kann, und mit einer Stadt Köln, die wegen dieses Liedes außer Rand und Band war.

00:00:36: Martin Herzlich willkommen bei...

00:00:37: Intro Die Geschichtsmacher. Von Autorinnen und Autoren des Zeitzeichens.

00:00:54: Martin Die Zeitzeichen-Kollegin Irene Geuer entstammt ja nicht nur, wie wir in einer früheren Folge gelernt haben, einer Schmugglerfamilie aus der Grenzregion.

00:01:06: Marko Sie kommt sogar noch aus Köln - gebürting, ne.

00:01:07: Martin Und ist damit Karnevalistin durch und durch.

00:01:13: Irene Na ja, also Karnevalistin durch und durch bin ich nicht. Ich bin ein kölsches Mädchen, bin auch in Köln geboren, im Evangelischen Krankenhaus. Aber sage ich mal so, dass ich jetzt ein Karnevalist wäre, bin ich nicht. Obwohl, ich gehe dieses Jahr im Schul- und Veedels-Zoch mit.

00:01:32: Martin Aha. Also das ist doch: mehr Karneval kann man doch nicht mehr werden.

00:01:36: Irene Ja, das ist richtig. Aber das ist eigentlich eher Entwicklungshilfe. Der Karnevalsverein ist sehr klein und damit das eben nach was aussieht, gehen ein paar Leute, die jetzt nicht dem Verein angehören, mit. Aber ich weiß schon, das wird eine schöne Sache, weil diese Leute, die da mitgehen und die das Ganze gebastelt haben vorher und und und. Die sind wirkliche Karnevalisten, das sind Menschen, die haben das Herz auf dem richtigen Fleck. Die können, wie gesagt, basteln, die können zusammestonn, die können Kölsch, die könne kölsche Leeder singe, , die können bütze.

00:02:08: Marko So für alle, die nicht aus dem Rheinland kommen. Während ihr das hier hören könnt, hat in Köln der Straßenkarneval begonnen. Wir sind im Moment noch eine Woche vor Aufzeichnung, deswegen kann Irene Geuer hier überhaupt nur noch sitzen, sonst würde sie ja dauernd schunkeln und sie hätte eine Pappnase auf. So ist es heute noch nicht. In einer Woche geht's im Prinzip erst los. Wir aber reden heute über ein Karnevalslied.

00:02:31: Martin Und damit bist du die Richtige, die sich für dieses Zeitzeichen, das du darüber gemacht hast, qualifiziert hat. Worum geht's?

00:02:39: Irene Es geht um Trizonesien. Wir erinnern uns. Es war nach dem Krieg, Da hatten wir zuerst eine Bizone gehabt. Und dann gab es in Köln einen Mann, der hieß Karl Berbuer, und der war nicht nur Bäcker, sondern der war auch musikalisch gut drauf. Und dann hat er mit irgendwelchen Leuten Kölsch getrunken, und irgendwie kam er so drauf, dass man sagte: Na ja, wir sind hier eigentlich ja wie in Bizonesien.

00:03:04: Marko Bizonesien?

00:03:07: Irene Bizonesien zunächst. Dann änderte sich das aber, die Franzosen kamen dazu, zu den Amerikanern und den Engländern, und dann waren wir eine Trizone. Also wurde das Lied Trizonesien genannt. Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien.

00:03:19: Marko Also man muss sagen, Westdeutschland war besetzt durch diese drei Nationen, während der Osten zur Sowjetunion gehörte. Diese drei, der Martin lacht schon wieder.

00:03:31: Martin Sowjetzone, wir sind schon wieder da. Sowjetzone.

00:03:33: Marko Natürlich, natürlich. Ich mache hier jemanden nach, der gleich auch noch kommen wird, nämlich Adenauer, der ja auch bei diesem Lied eine wichtige Rolle spielen wird...

00:03:41: Martin So ist es.

00:03:42: Marko ...und in dieser Geschichte. Also Westdeutschland unterteilt in drei Zonen.

00:03:47: Irene Und er macht das Lied Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien. das war eine Verballhornung natürlich auf die Verwaltung. Er singt ja auch darin: Ein Häuflein Diplomaten soll die Geschicke lenken hier im Rheinland.

00:03:59: Marko Vielleicht gucken wir uns den Text gleich mal genauer an. Aber Trizonesien - wir sind in welchem Jahr?

00:04:04: Irene 1948.

00:04:04: Marko 48.

00:04:04: Irene 48

00:04:06: Martin Das heißt, der Krieg ist drei Jahre vorbei. Es hat gerade eine Währungsreform gegeben, die D-Mark ist eingeführt worden, aber es gibt noch keine Bundesrepublik, die kommt erst ein Jahr später.

00:04:17: Irene Genau.

00:04:18: Marko Köln liegt in Trümmern, und dann gehen sich ein paar Leute besaufen, und sie.

00:04:22: Irene Also sie trinken ein gepflegtes Kölsch.

00:04:23: Marko Und denken sich dabei ein Lied aus.

00:04:26: Irene Also Berbuer denkt sich dieses Lied aus.

00:04:29: Marko Wie heißt der Mann, Berbuer.

00:04:32: Irene Berbuer. Karl Berbuer.

00:04:32: Marko Dieser Bäcker?

00:04:33: Irene Karl Berbuer, der Bäcker. Und er macht sich nicht nur lustig über die Besatzer, wie es ja damals noch hieß, nicht Befreier. Und sagt, die wollen uns jetzt hier verwalten usw.. Und er macht auch gleichzeitig Werbung für die Menschen, denn er sagt ja, wir sind keine Menschenfresser, doch wir küssen um so besser.

00:04:53: Marko Vielleicht sollten wir einfach mal, wir haben das ja eben nur instrumental gehört, vielleicht wäre es mal an der Zeit, Text und Melodie zusammenzuführen. Wir sind natürlich ein wenig auf unsere eigenen Künste angewiesen, denn wir haben ja kein Geld. Deswegen: Herr Kapellmeister...

00:05:08: Martin Ja, ich greife mal selbst in die Saiten. Hier - ein Moment mal. Mein lieber Freund, mein lieber Freund, die alten Zeiten sind vorbei. Ob man da lacht? Ob man da weint? Die Welt geht weiter. 123. Ein kleines Häuflein Diplomaten macht heut die große Politik. Sie schaffen Zonen, ändern Staat. Und was ist hier mit uns im Augenblick? Wir sind die Eingeborenen, von Trizonesien. Heiditschimmela, tschimmela, tschimmelabumm. Wir haben Mägdelein mit feurig wilden Wesien. Heiditschimmela, tschimmela, tschimmela, tschimmelabumm. Wir sind zwar keine Menschenfresser, doch wir küssen umso besser. Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien, Heiditschimmela, tschimmela, tschimmela, tschimmelabumm.

00:06:07: Martin Oh, geht ganz gut.

00:06:21: Irene Das ist auf Hochdeutsch geschrieben.

00:06:23: Martin Was ja erstaunlich ist. Er hat es nicht im kölschen Dialekt geschrieben.

00:06:26: Irene Das gab es damals. Es gab dieses Sowohl-als-auch und das hat er eben halt auf Hochdeutsch geschrieben. Mein lieber Freund, mein lieber Freund, die alten Zeiten sind vorbei. Ob man da lacht? Ob man da weint - die Welt geht weiter. 123.

00:06:38: Marko Die alten Zeiten. Was meint er damit? Das Dritte Reich wahrscheinlich.

00:06:40: Irene Die alten Zeiten, das waren natürlich die Nazizeiten, die sind vorbei. So, ob.

00:06:44: Marko Ob man da lacht, ob man da weint?

00:06:45: Martin War ja auch schon heiß.

00:06:47: Marko Ja, ja.

00:06:49: Irene Wir sind zwar keine Menschenfresser, doch wir küssen um so besser. Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien. Also er macht auch Werbung für die Menschen und sagt: So schlimm waren wir doch gar nicht.

00:06:59: Martin Was ja auch mal eine steile These ist. Also ich meine, es ist noch nicht fünf Jahre her, da hatten sich die Deutschen diesen Ruf als Menschenfresser redlich erarbeitet. Und jetzt kommt da der Herr Berbuer und sagt: Ist ja alles nicht so schlimm gewesen.

00:07:14: Marko Wir bützen ja nur, wir küssen nur.

00:07:16: Irene Ja, wir küssen. Aber das war damals auch ein bisschen die Politik von einem Theodor Heuss, der erster Bundespräsident wurde, dass man von einer Kollektivscham, von Verantwortung gesprochen hat, nicht unbedingt von Kollektivschuld, weil man Verantwortung übernehmen wollte, aber auch nach vorne gehen wollte, wieder in eine Situation, da es eine Demokratie gibt, da die Menschen wieder zusammen leben können. Heuss hat das auch mal in einer Rede genannt als "Mut zur Liebe". Er hat gesagt, wir müssen uns wieder lieben, um nach vorne gehen zu können,.

00:07:52: Martin Also die Deutschen sich wieder selbst lieben - oder?

00:07:56: Irene Mut zur Liebe, die Menschen sollten sich gegenseitig wieder lieben. Es sollte nicht eben halt den Schwarzen, den Weißen, den Juden, den Christen, den Armen, den Reichen geben, sondern dass die Menschen sozusagen in Liebe miteinander leben. Das war eine der ganz wichtigen Reden von Heuss.

00:08:10: Marko Das hat Theodor Heuss gesagt.

00:08:11: Irene Das hat Theodor Heuss gesagt, das hat nicht Karl Berbuer gesagt, der hätte es auch wahrscheinlich anders gesagt, wenn er es hätte sagen sollen.

00:08:16: Martin Es ist aber trotzdem ganz schön frivol. Also wir sind keine Menschenfresser. Also das ist schon so sehr, sehr kokettieren damit.

00:08:23: Marko Ja, man hat bis gerade noch KZs betrieben und man war also sozusagen bis knapp vor Moskau vorgestoßen, aber man ist kein Menschenfresser.

00:08:30: Irene Ja, ja, genau. Da gab es auch Kritik aus dem Ausland. Die Times schrieb damals: Die Deutschen werden wieder frech. Und die Prawda, die schrieb: Die Deutschen denken wieder an die erste Strophe ihrer Hymne: Deutschland, Deutschland über alles.

00:08:43: Marko Und das mit so einem auf dem ersten Blick harmlosen Karnevalslied.

00:08:47: Martin Jetzt frage ich mich natürlich: Wieso interessiert sich die New York Times dafür, was im Kölner Karneval gesungen wird und die Prawda auch noch? Also wer hat denn da in den USA davon gehört und in Moskau und warum?

00:09:01: Irene Ja, das liegt daran, dass dieses Lied sozusagen durch die Decke geschossen ist. Also das haben alle gesungen und das Ding ging tatsächlich, heute sagen wir viral. Es war in aller Munde, es wurde überall gespielt. Im Karnevalszug, im Rosenmontagszug 1949 sind die Roten Funken, ein ganz bedeutender Karnevalsverein in Köln, sind als Eingeborene von Trizonesien gegangen, haben sich sozusagen dazu bekannt. Auch wir sind die Eingeborenen von Trizonesien. Ja, und so ging das Lied um die Welt. Der Text dazu ist sogar auf Postkarten gedruckt worden, damit man den verschicken konnte.

00:09:38: Martin Ach. Also, das heißt, das war kein lokales Kölner Phänomen, sondern das wurde in ganz Deutschland gehört. Also wahrscheinlich auch wegen des hochdeutschen Textes.

00:09:47: Irene Genau. Ja, und dann war das so bekannt, dass auch unser Bundeskanzler, unser erster Mann Konrad Adenauer, damit in Berührung kam, denn.

00:09:57: Martin Der war ja aus Köln, also insofern lag das nahe.

00:10:00: Marko Der war lange Bürgermeister von Köln, bevor er Bundeskanzler wurde.

00:10:03: Irene Und das Problem war ja damals, wir hatten ja keine Hymne. Die erste Strophe unserer alten Hymne war verboten. Adenauer wollte ja immer schon die dritte Strophe haben für die Hymne, aber das war zu dieser Zeit noch nicht irgendwie spruchreif, da musste er noch ein bisschen rumdiskutieren, auch mit Heuss, also mit dem ersten Bundespräsidenten usw. Ja, und dann.

00:10:28: Marko Also Adenauer wollte dieses, was wir heute haben: Einigkeit und Recht und Freiheit.

00:10:31: Martin Das Deutschlandlied von Fallersleben.

00:10:34: Marko Ja, der Text ist von Hoffmann von Fallersleben. Die Melodie war von Haydn.

00:10:37: Martin Genau so.

00:10:38: Marko Aber Deutschland, Deutschland über alles war verboten?

00:10:42: Irene Ja, war verboten, weil es nicht mehr diese alte Interpretation hatte: Wir wollen aus dieser Kleinstaaterei heraus, deswegen hatte Fallersleben das ja geschrieben. Also wir wollen ein einiges Deutschland sein. Deutschland, Deutschland über alles sollte eben nicht dieses...

00:10:54: Marko So war es mal gemeint.

00:10:55: Irene ...genau, dieses Nationalsozialistische bedeuten, sondern es sollte bedeuten: Mensch, ihr vielen Kleinstaaten, jetzt tun uns mal alle zusammen und werden eine Nation. Das stand dahinter.

00:11:05: Martin Trotzdem ist es nach wie vor natürlich schwierig gewesen, weil von der Maas bis an die Memel, von dem Etsch bis an den Belt - das ist schon sehr, ja, auch für Großdeutschland sehr groß. Also ist ja Quatsch.

00:11:13: Irene Es passte nicht mehr. Und es ist tatsächlich ja von den Nazis auch missbraucht worden. Deswegen hat aber Adenauer gesagt: Ja, vielleicht können wir es ja mit der dritten Strophe versuchen.

00:11:21: Marko Wir kürzen zusammen. Das war seine Idee.

00:11:24: Irene Ja.

00:11:24: Marko Okay.

00:11:25: Martin Das heißt, wir hatten eine Bundesrepublik, wir hatten eine Bundesregierung, aber wir hatten keine...

00:11:29: Irene Wir hatten keine Hymne. Und als zum Beispiel Heuss Bundespräsident wurde, da ist er ja auf dem Bonner Marktplatz gefahren, um sich sozusagen direkt dem Volk vorzustellen. Das war damals für ihn total wichtig, und da hatten die ja auch keine Hymnen. Da haben die damals das Kirchenlied Großer Gott, wir loben dich gesungen stattdessen. Also es wurde immer wieder Ersatz, irgendwas anderes gesucht und dann auch gefunden. Und das Schlimme war, dass auch mal Trizonesien gesucht und gefunden wurde. Und das kann uns der erste Bundeskanzler erzählen. Er hat nämlich damals eine Pressekonferenz gegeben in Berlin, eine internationale Pressekonferenz. Und da können wir uns mal anhören, was Adenauer da gesagt hat.

00:12:08: O-Ton Konrad Adenauer Ich glaube, es war im vorigen Jahr, da war im Kölner Stadion eine sportliche Veranstaltung gegenüber Belgiern. Es war manches belgische Militär in Uniform da vertreten, und schließlich wurden Nationalhymnen angestimmt. Und die Musikkapelle, die offenbar einen sehr tüchtigen und geistesgegenwärtigen Kapellmeister gehabt hat, die hat ohne besonderen Auftrag, als die deutsche Nationalhymne angestimmt werden sollte, das schöne Karnevalslied angestimmt: Ich bin ein Einwohner von Trizonesien. Und was ich jetzt sage, insofern vertraue ich auf Sie. Das ist nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Dann sind zahlreiche belgische Soldaten aufgestanden und haben salutiert, weil sie glauben, es wäre die Nationalhymne der Deutschen. Das sind ja nun doch, wenn auch etwas belustigende, ja im Grunde doch unmögliche Situationen.

00:13:23: Irene Ja unmögliche Situationen. Das war ein Radrennen in Köln. Um das noch kurz zu sagen, diese sportliche Veranstaltung, die ihm dann nicht mehr eingefallen ist.

00:13:32: Marko Gegen die Belgier.

00:13:32: Irene Genau, gegen die Belgier. Und ja, das war für Adenauer ein Unding im Grunde genommen. Und dabei blieb es leider nicht. Dann ist er noch in die USA geflogen und war da zum Staatsbesuch. Und in Chicago stand da wieder eine Kapelle zur Begrüßung. Und die haben auch ein Karnevalslied gespielt. Allerdings nicht "Wir sind die Eingeborenen", sondern "Heidewitzka, Herr Kapitän".

00:13:57: Marko Auch schön.

00:13:58: Martin Also schönes Liedchen.

00:14:00: Irene / Martin / Marko singen Heidewitzka, Herr Kapitän! Im Müllemer Bötche fahre mer so jäh. Und so weiter.

00:14:05: Marko Also im Mülheimer Bötchen. Das ist also ein Stadtteil von Köln. Fahren wir so gerne. Ja. Für alle die, die nicht aus Köln kommen.

00:14:12: Irene Übrigens auch ein Song von Karl Berbuer.

00:14:14: Martin Ach, das hat er auch geschrieben.

00:14:15: Irene Ja.

00:14:15: Marko Der hätte vielleicht eine neue Nationalhymne schreiben sollen, das wäre wahrscheinlich sehr erfolgreich gewesen.

00:14:20: Irene Ich sage mal so: Warum werden solche Lieder genommen, wie zum Beispiel der Trizonesien Song? Das liegt natürlich daran, dass es erstens sozusagen eine Marschmusik ist, also einen guten Takt hat.

00:14:29: Marko Was ja zu den Deutschen passt.

00:14:32: Irene Was zu vielen Nationen passt, aber natürlich auch zu den Deutschen. Und es hat auch was, das muss ja auch bei der Nationalhymne stimmen, was Identitätsstiftendes. Also von daher sind zwei Punkte für eine Nationalhymne durch den Trizonesien-Song erfüllt.

00:14:48: Marko Durchaus jejeben, wie der Bundeskanzler gesagt hätte.

00:14:51: Irene Hätte.

00:14:52: Martin Also das heißt der Trizonesien Song hat beide Kriterien im Prinzip erfüllt.

00:14:56: Irene Ja, es gibt noch mehr Kriterien.

00:14:56: Martin Der Marsch und die identitätsstiftende Wirkung. Wir sind Trizonesier, wir sind alle in dieser komischen Situation.

00:15:01: Irene Wir gehören alle zusammen.

00:15:03: Marko Jetzt muss man das, glaube ich, aber noch mal einordnen. Der Adenauer ist ja in Berlin, wie du gesagt hast.

00:15:08: Irene Ja.

00:15:09: Marko Und der will ja letztendlich die dritte Strophe des Deutschlandliedes haben. Das heißt, es klingt ja auch so ein bisschen Bitterkeit darin: Das kann dochnicht wahr sein, dass wir jetzt, ne...

00:15:20: Irene Und diese Auswüchse sozusagen helfen ihm ja auch, dass er sich dann letztendlich mit der dritten Strophe des Deutschlandliedes dann durchsetzen kann.

00:15:28: Marko Wer weiß. Also hätte es dieses Lied der Einwohner von Trizonesien nicht gegeben. Wer weiß, welche Hymne wir heute hätten.

00:15:36: Irene Hätte, hätte, hätte... hätte es auch nicht einen kölschen Bundeskanzler gegeben, der dieses Lied ja kannte, auch. Hätte ja auch sein können, was weiß ich, dass wir ein Bundeskanzler aus dem tiefsten Bayern bekommen hätten, jetzt mal so rein theoretisch, und der hätte dieses Lied noch nie gehört hinter den sieben Bergen oder so, dann wäre dem das ja wahrscheinlich gar nicht so aufgefallen, sondern der hätte wahrscheinlich gesagt: Das ist ein wunderschöner Marsch. Prima.

00:15:58: Marko Den nehmen wir.

00:16:01: Irene Nein, wegen des Textes natürlich nicht. Weil eine Nationalhymne darf natürlich nicht veralbern. Nationalhymne darf nicht polarisieren und darf nicht Leute auf den Arm nehmen und so. Und auch mit Küssen usw. Und mit lecker Mädchen. So ungefähr, ne.

00:16:14: Marko Menschenfresser.

00:16:15: Irene Ja, das passt nicht in der Hymne. Da muss natürlich dann tatsächlich ein anderer Text zu. Und Heiditschimmela, tschimmela, tschimmela, tschimmelabumm ist auch nicht so die Lautmalerei, die eine Nationalhymne haben sollte.

00:16:27: Marko Aber "Heidewitzka, der Kapitän" wäre vielleicht gegangen.

00:16:29: Irene Heidewitzka auch nicht. "Herr Kapitän" vielleicht.

00:16:31: Marko Hat Heidewitzka eine Bedeutung?

00:16:35: Martin Ich glaube ungefähr so viel wie Heiditschimmela, tschimmela, tschimmelabumm.

00:16:37: Irene Nein, das ist so ähnlich. Heidewitzka! Mensch, also: Holla, die Waldfee!

00:16:42: Marko Ja. Holla die Waldfee! Man kann es mit "Holla, die Waldfee" übersetzen. Vielleicht.

00:16:45: Martin So, jetzt hat dieser Herr Berbuer ja offensichtlich einen Nerv getroffen. Das Ding war ein Hit, ist durch die Decke gegangen. Selbst in den USA und in Russland hat man davon Notiz genommen, wenn auch mit kritischem Unterton. Aber offensichtlich konnte der Herr Berbuer ja was. Und zwar Musik schreiben, komponieren. Heidewitzka, haben wir eben gehört. Was war das für einer?

00:17:05: Irene Genau, das war eigentlich gar kein Musiker im Hauptberuf, sondern der war Bäcker. Der hatte eine Bäckerlehre gemacht. Und weil der so aussah, wie er aussah, nannten ihn alle "et Hefeteilchen".

00:17:17: Martin Okay, da kann man sich was drunter vorstellen, da kann man.

00:17:20: Martin Sich was drunter vorstellen. Und ich habe mit Reinold Louis über ihn gesprochen. Reinold Louis ist auch, sage ich mal, rheinisches Original, ist Buchautor, sehr verdient um die Geschichte des Karnevals. Er hat auch zum Beispiel im Westdeutschen Rundfunk Karnevalsveranstaltung moderiert, den Rosenmontagszug, der ja die Hauptsache fast des Karnevals ist, den hat er auch kommentiert. Und er war für die Sparkasse Geschäftsführer von Kulturstiftungen für die Pflege von Brauchtum usw. Der kannte und kennt bis heute sozusagen jeden und der kannte auch eben den Berbuer von klein auf. Und das hat er mir mal auf seine kölsche Art erzählt. v

00:17:57: O-Ton Reinold Louis Wir wohnten ja in der Elsaßstraße und der Berbuer hatte seine Bäckerei in der Metzerstraße, Ecke Vondelstraße. Und immer wenn ich von der Schule kam, kam ich bei ihm an der Bäckerei vorbei. Und das war jeden Tag das Gleiche. Ob man nun um 12:00 von der Schule kam oder um 11:00 oder was, der stand immer in seiner Bäckertracht in der Tür. Na, der stand da und ich wusste, wer er war, dasss er also ein Sänger war und diese Reibeisen-Stimme hatte usw. Und wie das so damals war, die Leute haben also sehr schnell geurteilt, meine Mutter sagte also damals: Der het sin stimm versoffe, weil der so eine krächzende Stimme auch hatte und da war natürlich nicht der Fall. Aber er hat so eine Stimme entsprechend, etwas heiser, und ich konnte mir da als Kind nix drunter vorstellen, was das ist: Die Stimm versoffen. Deswegen: Ich musste ihn also immer komisch angeguckt haben, wenn ich da vorbei kam. Und der hat immer freundlich gegrüßt und ich auch, bis dass ich erst dahintergekommen bin, was damit gemeint war, ne.

00:18:58: Marko Das heißt aber, dass der Reinhold Louis jetzt nicht so alt ist, dass er sich sozusagen an Vorkriegszeiten erinnert, sondern das ist dann nach dem Krieg noch gewesen, Da hat er auch noch seine Bäckerei gehabt.

00:19:10: Irene Nee, der ist auch schon was älter. Der hat nämlich im Krieg seine Bäckerei verloren, der Karl Berbuer. Ja, und dann war das eben Schutt und Asche. Und dann hat er sich gedacht: Hm, was machst du denn jetzt? Und da war schon "Heidewitzka, Herr Kapitän" ein Erfolg. Und was er so früher eben solche Sachen nebenher geschrieben hat. Und dann hat er sich überlegt. Okay, dann mache ich das jetzt zum Hauptberuf.

00:19:33: Marko Okay, also bevor seine Bäckerei weggebombt wurde, hatte er schon Heidewitzka am Laufen. Und das heißt, der war schon länger, sagen wir mal, so, ein kölsches Karnevalsoriginal.

00:19:44: Irene Ja, haben ja viele früher auch gehabt. Heute ist das weniger so, dass sie einen Hauptberuf hatten. Es gibt ja auch heute noch Karnevalsredner oder gab es Büttenredner, die waren zum Beispiel Polizist im normalen Leben oder im Hauptberuf. Und so war er eben halt Bäcker und hat nebenher immer für den Karneval diese Lieder geschrieben. Denn man muss ja sagen, der Karneval war früher viel mehr als heute so ein Saisongeschäft. Da gab es nicht das Jahr über wie heute, dass die Kölner Karnevalsgruppen im Sommer ein Konzert gaben oder sonst was, sondern diese Lieder wurden tatsächlich in der Karnevalszeit nur gesungen. Und manche sind dann auch für diese Zeit aus ihrem Hauptberuf ausgestiegen und haben dann Karneval sozusagen gemacht, indem sie Büttenreden gehalten haben oder eben halt Musik gemacht haben. Aber wollt ihr nicht mal wissen, wie der sich anhört, der Herbert Bür Wenn man jetzt schon so viel darüber seine komische Stimme gehört haben? Ja und zwar - pass auf - der hat mal eine Einladung bekommen von deutschen Emigranten aus Amerika. Das waren Kölner, die da eine Karnevalsgruppe gegründet hatten, Zuppegröns hießen die, also Suppengrün. 1955 und Karl Berbuer hatte gerade den Campingsong rausgebracht.

00:20:55: Marko Den kenne ich auch.

00:20:57: Irene Das war der letzte Schrei, weil wir ja bis dato von Zelten immer gesprochen haben. Und jetzt hieß das Ganze Camping. So. Und die da in Amerika, die hatten das gehört. Und dann hören wir mal, was er denn dazu erzählt.

00:21:11: O-Ton Reporter Wir müssen Abschied nehmen, Herr Berbuer.

00:21:12: Berbuer Ja, natürlich. Ja, ich habe ja Bescheid gekriegt und werde also fliegen am Sonntag. Sonntag fliegt das Sabena Flugzeug nach New York.

00:21:21: Reporter Und wer ist auf die diabolische Idee gekommen, sie uns wegzuholen?

00:21:25: Berbuer Ja, das war ja doch am 13. November - da ging eine Sendung über die Deutsche Welle, das haben die wohl gehört da unten, die Rheinländer. Die haben mir direkt ein Telegramm geschrieben: Do lahtst du dich dapott, dat nennste Camping. Wir wünschen Sie nach New York. Ja, nu, also.

00:21:40: Reporter Die fühlen sich angesprochen mit ihrem Camping.

00:21:42: Berbuer Jo, jo, jo, jo jo. Ja, nu war's ja klar. Nun ist das ja für mich auch mal interessant da rüber, der briefliche Verkehr, ist der Vertrag gemacht worden.

00:21:51: Reporter Nun sprechen sie hier, Herr Berbuer, so echt Kölsch, ich denke, in Amerika wird man sie auch verstehen. Aber ist es mit ihren eigenen Sprachkenntnissen. Wissen Sie, so ganz ohne dieses oder jenes englische Wort werden sie doch kaum auskommen können.

00:22:02: Berbuer Nein, das habe ich denen gesagt, geschrieben, ich könnte kein Wort Englisch. Da haben die mir zurückgeschrieben, das wäre auch nicht nötig. Englisch hörten sie genug. Sie wollten Kölsch hören oder wenigstens Deutsch. Und ich spreche ja auch kein Wort, nicht wahr. Ich werde da noch Anrede gebrauchen. Wenn ich die zum Schunkeln aufforderte, da werde ich sagen: Ladies and Schunkelmen werde ich sagen und so.

00:22:24: Reporter Im Übrigen scheint es mir sicher zu sein, Herr Herr Berbuer, dass man mit Kölsch beinahe auf der ganzen Welt schon auskommt.

00:22:30: Berbuer Ja, man soll das wahrhaftig glauben.

00:22:32: O-Ton Karl Berbuer im Interview Ladies and Schunkelmen.

00:22:33: Martin Do lahtsde dich kapott, datt nennt ma Camping...

00:22:33: Martin Das ist fast wie Heidewitzka.

00:22:36: Marko Oder wie Heiditschimmera, tschimmera, tschimmerabumm.

00:22:45: Martin Aber er hat offensichtlich da ein Händchen für gehabt, auch für Melodien, die eben im Ohr bleiben. Also jetzt haben wir schon Heidewitzka, wir haben den Trizonesien-Song, jetzt den Camping-Song, der ist nicht ganz so bekannt, aber wo hat denn der das her? Also ich meine, wir haben jetzt gerade gesagt, der hat eine Bäckerei betrieben, also hat er in irgendeiner Form eine musikalische Ausbildung oder.

00:23:05: Irene Er war einfach musikalisch, konnte Instrumente spielen, ich glaube, da konnte sogar auch Noten lesen. Obwohl da hatte man das oft, dass sich die Karnevals-Liedermacher auch mit anderen zusammengetan haben. Die haben nicht immer alles selber geschrieben. Aber was eigentlich das Wichtigste war, er hatte eingängige Melodien, die man sich sehr leicht merken muss. Das ist bis heute übrigens das Geheimnis von Karnevalsliedern, die in den Charts ganz oben stehen, dass man spätestens beim zweiten Mal den Refrain mitsingen kann, den Refrain und.

00:23:37: Marko Do laachs do dich kapott, dade dich kapott, dat nennt mer Camping.

00:23:38: Irene Genau...

00:23:38: Marko Do laachs do dich kapott, dat fingk mer schön.

00:23:41: Marko Ja, genau so. Ja, das hört man einmal und zack, dann kann man es mitsingen. Also das hat er sehr gut hinbekommen, dass die Lieder sehr schnell im Kopf waren. Und dann hat er den Leuten nicht nur auf den Mund geschaut, sondern auch mal tief ins Herz, hat Heimat thematisiert, Romantik. Er hatte auch Humor. Er konnte eben halt den Menschen so aus der Seele sprechen. Und Reinold Louis hat mit ihm, kurz bevor er gestorben ist, eine letzte Aufnahme noch gemacht vor seinem Tod. Das ist eine ganz bewegende Geschichte. Hören wir uns die mal an!

00:24:17: O-Ton Reinold Louis Ich hab auch mit ihm noch Aufnahmen gemacht im Studio. Es ging mir damals darum, dieses wunderschöne Lied "Nor am Dreikünnigepötzche", für mich eines der schönsten Lieder, da gab es keine komplette Fassung von. In dem Lied wird geschildert die alte Oma in Köln, die sich nicht mehr zurechtfindet. Das war ja damals so die Zeit, wo ich sage jetzt mal durch den schnellen Wiederaufbau Köln sich total verändert hat. Und sie beklagt jetzt, wo ist das alte Köln geblieben? Hier findet sich ja niemand mehr zurecht. Das ist auch die letzte Aufnahme, bevor er gestorben ist. Wissen Sie, eins hat mich überrascht: Ich hab ja nun von Willy Schneider angefangen, über Jupp Schmitz, Karl Berbuer und alle wie sie heißen, ich habe sie alle kennengelernt. Die Interpreten untereinander waren sich nicht sehr gut gesonnen, aber erstaunlicherweise über den Karl Berbuer habe ich nie ein schlechtes Wort seiner Konkurrenten gehört, sondern alle haben den Karl Berbuer in den höchsten Tönen gelobt. Er muss also unwahrscheinlich tolerant gewesen sein, auch im Umgang mit seinen Kollegen. Sie haben alle akzeptiert, dass er so absolut die Nummer eins war. Ne, und normalerweise will ja jeder vorne sein, nicht? Nein. Aber Karl Berbuer da will ich nichts drauf kommen lassen, der Karl - ein toller Mann. Und er hat ja auch tolle Lieder gemacht.

00:25:36: Marko Nun ist der Kölner Karneval ja letztendlich, ich sag mal ganz vorsichtig: Das ist ja auch eine Gelddruckmaschine heute. War das damals auch schon so, war der Berbuer reich?

00:25:48: Irene Das habe ich den Reinold Louis auch gefragt und er sagte: Nee, eher nicht. Also man kann damit reich werden. Ich kenne die genauen Hintergründe nicht, aber es gibt eben halt Menschen, die investieren dann auch ihr Geld. Und andere vielleicht nicht so sehr und geben es vielleicht mehr aus. Ich will da über Berbuer nichts weiter sagen, weil ich es nicht, weil wir es alle nicht wissen. Aber es ist nicht so gewesen, dass er im absoluten Reichtum gestorben wäre.

00:26:16: Marko Sein Leben lang kleine Brötchen gebacken?

00:26:18: Irene Ja, finanziell vielleicht, aber eben halt mit den Liedern an sich hat er natürlich das dicke Graubrot rausgehauen.

00:26:25: Marko Aber hat er irgendwann noch mal weiter als Bäcker gearbeitet oder war der ab da sozusagen Komponist und Sänger?

00:26:32: Irene Genau, der war ab da Komponist und Sänger. Viele seiner Lieder waren auch deswegen auch so in aller Ohren, weil sie die Menschen einfach bewegt haben. Und wir haben ja eben gesagt, ja, Hymne. Ist als Hymne gebraucht worden. Und wenn man es jetzt mal auf den Karneval überträgt, dann werden solche Lieder von einem Karl Berbuer auch zur Hymne, weil sie die Gefühlslage der Menschen aufgreifen, gleichzeitig aber auch politisch sind oder gesellschaftskritisch sind oder auch gesellschaftsbegleitend sind. Die Menschen können sich da immer alle gut wiedererkennen, zumindest wir Kölner hier.

00:27:05: Martin Ja, aber das ist ja etwas, was man zumindest außerhalb von Köln nicht so sehr auf dem Schirm hat. Also Gesellschaftskritik und Karneval, das denkt man normalerweise so nicht zusammen.

00:27:15: Irene Ja, gibt ja auch viele Lieder, die das nicht vermuten lassen. Aber es gibt zum Beispiel ein Lied. Ich glaube, das werden auch viele Menschen außerhalb Kölns kennen, das heißt "In unserem Veedel" - also in unserem Stadtviertel, das ist von 1973, und das ist zu einer Zeit entstanden, da in Köln ein bisschen so wie heute ganz viel gebaut wurde. Und die Stadtplaner hatten sich überlegt, eine Autostraße zu bauen, die den Süden der Stadt mit dem Norden sehr schnell verbindet. Also dass man vom Süden ganz schnell in der Nordstadt ist und nicht die Ringe, die ja tatsächlich kreisförmig in Köln laufen, langfahren muss.

00:27:53: Marko Also die autofreundliche Innenstadt, das war ja damals ja das Ideal der 50er, 60er Jahre.

00:27:59: Irene Ja, und das hat aber tatsächlich die Stadt durchschnitten. Also es gibt entlang der Nord Süd Fahrt noch heute kleine Stadtviertel, da gibt es kleine Straßen oder so, ich war da mal durch Zufall und hab gedacht: Boah, was ist das schön hier. Und dann habe ich davon erzählt im Bekanntenkreis und da haben ganz viele gesagt: Dat kenner mer gar nicht. Da wissen wir gar nicht, wovon du redest. Da wohnen Leute - so ungefähr.

00:28:22: Martin Weil da keiner hinkommt.

00:28:22: Irene Weil da keiner hinkommt. Weil man nämlich dann von dieser Nach-Süd-Fahrt irgendwie abbiegen muss. Dann muss man einen U-Turn machen und dann kann man da - je nachdem von wo man kommt jetzt, ne - und dann kann man da in diese Viertel reinfahren und das ist eigentlich sehr schade. Aber das war auch eine Geschichte, die sogar den Autor Heinrich Böll dazu gebracht haben, große Kritik zu üben, aufzustehen und zu sagen, was ihr hier macht, Ihr Stadtplaner, das ist: Ihr schafft eine Wunde, ihr reißt eine Wunde in diese Stadt, die einzelne Viertel zu Friedhöfen machen. So schlimm ist es jetzt nicht gekommen.

00:28:56: Marko Aber es ist in der Tat, es ist schon hässlich. Also die Nord-Süd-Fahrt, muss man ja sagen, also jeder, der sie nicht kennt, ist eine sechsspurige Straße, richtig?

00:29:05: Martin Ja, größtenteils sechsspurig. Genau.

00:29:07: Marko Die einmal quer durch die Innenstadt läuft, dann unterm Westdeutschen Rundfunk durchführt und letztendlich die Stadt völlig zerteilt in zwei Teile.

00:29:15: Martin Für Autofahrer ist das tatsächlich super. Man ist wirklich schnell vom Norden im Süden, vom Süden in den Norden. Also das ist schon sehr nett. Aber die Innenstadt ist tatsächlich - auch der Platz vor der Oper, wo eben die Nord-Süd- Fahrt auch entlangfährt - dieser Platz ist tot, also der war auch schon tot, bevor da gebaut wurde.

00:29:33: Irene Soll ja jetzt wiederbelebt werden, wenn denn jemals die Oper in Köln fertig wird.

00:29:39: Marko Man muss da sagen, egal was der Kölner baut, es ist ja meistens ein Problem, ne.

00:29:43: Martin Ja, dauert sehr lange. Kölner Dom als bestes Beispiel. Und klar soll wiederbelebt werden. Was aber eben heißt, der Platz ist tot. Da passiert nicht viel. Es ist ziemlich furchtbar und das sehen nicht nur wir heute so, sondern das wurde damals dann auch - du hast Böll zitiert - auch schon bekämpft.

00:29:58: Irene Ja, das wurde bekämpft, allerdings erfolglos. Die Stadtplaner in Köln haben sich immer wieder durchgesetzt. Aber die Bläck Fööss haben eben halt 1973 dieses Lied gemacht. In uns`rem Vedel, dat es doch klar, dat schönste wat m´r hann, schon all die lange Johr, is unser Veedel. Denn he hällt m´r zesamme.

00:30:15: Martin Das ist so diese Hymne, die im Karneval immer gespielt wird im Kölner Kneipenkarneval, einmal, zweimal, dreimal am Abend. Und immer ist es das Gleiche. Also auch wenn ich das mitbekomme.

00:30:28: Irene Ja.

00:30:29: Marko Jeder, jeder grölt es mit.

00:30:31: Martin Ja, es ist - am Anfang denkt man so: Ach nee, nicht schon wieder das. Und dann dauert es bis zum Ersten Refrain und dann steht alles im Kreis und man denkt: Ach ja, so, und das ist natürlich eine, das ist die Kölner Hymne überhaupt.

00:30:45: Irene Und ja, das ist so, es ist so ja auch so ein bisschen was gegen eine zu schnelllebige Zeit auch. Ein bisschen denken an die gute alte Zeit auch, was ja immer die Menschen bewegt: Wenn es anfängt mit: Wie soll dat nur wigger jonn? Also wir sind in einem Leben, wie soll das nur wigger jonn, wie soll das weitergehen, ne. Wat bliev dann hück noch stonn? Ist ja auch hochaktuell in unserer Zeit.

00:31:07: Martin Was bleibt noch stehen heutzutage? Wir müssen das übersetzen...

00:31:11: Irene Die Hüßsch unn Jasse - also die Häuser oder Häuschen und Gassen - die Stündche beim Klaave - also dieses: Man trifft sich auf der Straße und erzählt ein Ründchen, ne. Iss dat vorbei? Und nein, egal was passiert, das eine ist klar das Schönste, was wir haben, schon all die langen Jahre, ist unser Veedel, unser Viertel. Denn he hält m´r zesamme, ejaal wat och passet.

00:31:34: Martin Also es klingt jetzt erst mal wirklich nicht nach Protestsong. Und ich muss ehrlich gesagt gestehen, das Lied kenne ich natürlich auch seit Ewigkeiten. Aber dass das jetzt sich gegen den Bau der Nord-Süd-Fahrt richten soll, das hat mich dann doch ein bisschen überrascht. Aber wenn man diese Zeilen dann halt liest: Wat bliev dann hück noch stonn? Ich hab mich schon früher gewundert, was soll diese Zeile? Was bleibt denn noch stehen? Steht doch alles. Aber es ist tatsächlich so: Für die Nord-Süd-Fahrt ist ja auch Platz freigeräumt worden, damit man da eben mit sechs Spuren durchrauschen konnte.

00:32:03: Irene Genau. Aber diese ganze Sache - und das ist das Schöne an diesem Lied. Und deswegen gehört es zu diesen Hymnen auch die, sagen wir 50 Jahre später, über 50 Jahre später, immer noch funktionieren, dass sie eben halt auch in anderen Zusammenhängen für einen großen Zusammenhalt sorgen können. Darüber habe ich mit Gabriele Dafft gesprochen. Die arbeitet beim Landschaftsverband Rheinland, ist da Kulturanthropologin und beschäftigt sich hauptberuflich mit dem Karneval.

00:32:33: Marko Solche Menschen gibt es, ja? Beruf Karneval, Karnevalsforscherin.

00:32:40: Irene Ja, das ist ja Brauchtum.

00:32:42: Marko Ja Brauchtum, ja.

00:32:42: Irene Du hast eben davon gesprochen. Es ist ein Riesengeschäft. Können wir gleich noch mal drüber sprechen? Aber es ist natürlich ein uraltes Brauchtum. Und Gabrielle Dafft war mit Aufnahmegerät und so weiter 2022 beruflich unterwegs in einem anderen Zusammenhang und hat da Folgendes erfahren.

00:33:03: O-Ton Gabriele Dafft Ein sehr gutes Beispiel, finde ich, ist da die Rosenmontagsdemo 2022, der abgesagte Rosenmontagszug aufgrund des Angriffskriegs gegen die Ukraine. Stattdessen hat das Festkomitee und andere sehr schnell eine Demo organisiert, Start am Chlodwigplatz, Zentraler Platz in Köln. Es gab Kundgebungen, ein musikalisches Programm, es gab internationale Songs, natürlich Imagine von John Lennon wurde gespielt, andere ruhige Lieder, aber eben auch kölsche Lieder. Und ich war da tatsächlich forschend unterwegs in der Demo und habe erlebt, dass tatsächlich auch Menschen gesagt haben: So, jetzt doch auch mal was Kölsches, was Rheinisches spielen, aber nicht so: Hey, jetzt kommen hier die Feier-, die Party-Songs, sondern dass man sich danach sehnte nach genau diesen Liedern, die auch Zusammenhalt, Solidarität transportieren. Und da ist natürlich das Veedel-Lied von den Bläck Fööss wieder ganz vorne dabei. Hier stonn mer zusamme. Das ist was, was dann in dieser Situation auch funktioniert hat, um selber zu verarbeiten: Wir haben auf einmal einen Krieg. Karneval wird abgesagt. Natürlich ist das für Jecken auch ein einschneidendes Erlebnis, aber der Krieg ist das Schlimme gewesen und das musste man ja auch irgendwie verarbeiten, wollte kollektiv ein Zeichen der Solidarität für die Menschen in der Ukraine, für den Frieden schicken. Und da hat so etwas wie das Veedel-Lied auch sehr gut gegriffen und genau so eine Aussage getroffen, an die man anknüpfen konnte. Also mit den Mitteln des Karnevals.

00:34:42: Irene Ja, mit den Mitteln des Karnevals. Und Martin. Wir beide waren ja auf der großen Demo gegen Rechtsextremismus vor ein paar Wochen in Köln, wo über 70.000 Menschen waren. Und da haben die Bläck Fööss als letztes Lied "Unser Veedel" gespielt. Und da stand mir ehrlich gesagt das Pipi in den Augen, weil es ging mir tatsächlich wie vielen, vielen anderen Menschen auch, bevor diese Correctiv-Recherche rauskam, da war es ja sehr still im, sag ich mal, bürgerlichen-demokratischen Lager. Und man hatte manchmal in den sozialen Medien, aber auch in irgendwelchen Vereinen oder wie auch immer das Gefühl, das, was die AfD oder das, was Rechtsextreme auch sagen wird gesellschaftsfähig. Und ich habe tatsächlich auch so gedacht, bevor Correctiv rauskam. Wo sind denn all die anderen? Gibt es die eigentlich noch? Wie viele sind von denen da, außerhalb jetzt meines Freundeskreises oder meines beruflichen Umfeldes? Und als ich diese Menschen da gesehen habe und eben halt das Lied angestimmt wurde "In unserem Veedel, denn he, hält m´r zusamme", ja, hier halten wir zusammen. Da stand mir ehrlich gesagt Pipi in den Augen. Ja, ich fand das schön. Und das ist das, was eben Gabriele Dafft beschreibt. Ich kann euch jetzt ehrlich gesagt nicht sagen, ob man das verallgemeinern kann, auch für Menschen, die als Immigranten nach Köln kommen, also erst sozusagen im Erwachsenenalter sozialisiert werden, was Karneval angeht. Aber bei Kölnern funktioniert das auf jeden Fall. Bei den anderen müsste man jetzt das ausprobieren. Ich kann euch aber auch sagen, Gabriele Dafft ist ganz traurig, weil es bisher noch keine Forschung gibt über die Karnevalslieder, also...

00:36:29: Marko Das kann ich nicht glauben. Doch. Ach.

00:36:31: Irene Es ist so.

00:36:32: Marko Es gibt keine Forschungsarbeit, die sich mit Karnevalsliedern beschäftigt?

00:36:36: Irene Vielleicht mal mit dem ein oder anderen. Aber dass man sozusagen mal eine große Arbeit darüber macht. Das gibt es bisher nicht. Und man kann diese Karnevalslieder schon sozusagen ein bisschen katalogisieren oder unterteilen in. Es gibt also die Lieder, die fürs Herz sind. Dann gibt es zum Beispiel gesellschaftsbegleitende Lieder, also die eben halt gucken, was passiert jetzt gerade gesellschaftlich. 1977 gab es das Rollbrettlied, ja.

00:37:01: Martin Von den Bläck Fööss.

00:37:02: Irene Von den Bläck Fööss. Also da wurden diese Dinger als Skateboard in Deutschland populär. Und der kleine dicke Dieter, der durfte das nicht haben, weil er hatte ja schon eine Carrera-Bahn und andere Sachen, da hat die Mutter gesagt: Dat jiddet net. Das gibt es nicht. Und dann hat der sich aus dem kleinen Bügelbrett seiner Mutter und den Rollschuhen seiner Schwester Claudia ein Rollbrett gebaut.

00:37:25: Marko Das erzählt das Lied.

00:37:26: Irene Das erzählt das Lied. Also das war damals, das war total in, ein Rollbrett zu haben, das war der letzte Schrei. Und da haben die Bläck Fööss dann so was gemacht oder aber auch der lange Samstag in der City - einkaufen gehen, wenn es Geld gegeben hat, machen bis heute ganz viele Menschen und geben manchmal auch ein bisschen mehr aus, als sie eigentlich wollten. Man macht sich einen schönen Tag in der Stadt, man gönnt sich mal wat.

00:37:48: Martin Aber sind das denn wirklich Karnevalslieder im eigentlichen Sinne? Also das sind doch eher, sagen wir mal so kleine Gesellschaftsminiaturen, Beobachtungen aus dem Sozialen...

00:37:59: Irene Aber die werden zu Karneval, die werden zu Karneval gesungen, das sind Karnevalslieder.

00:38:03: Marko Aber man hat oftmals, wenn man jetzt heutzutage in Köln ausgeht, schon oftmals eher das Gefühl: Okay, es wird mehr gesoffen als gesellschaftlich über irgendwas nachgedacht.

00:38:13: Irene Ja.

00:38:13: Marko Es wird gesoffen, es wird gekotzt, es wird gepoppt. Suffe, Poppe, Danze, dat kannste.

00:38:17: Martin Ja, um ein anderes Karnevalslied der hiesigen Gruppe Brings zu zitieren. Vielleicht ist es so ein bisschen eher nostalgisch, wenn du so auf diesen Karneval guckst.

00:38:27: Irene Nee, du hast mich ja einfach auch nicht aussprechen lassen, denn es gibt eben halt auch noch mehr Karnevalslieder. Es gibt zum Beispiel einfach so lustige Lieder. Die Karawane zieht weiter, der Sultan hät Dosch.

00:38:38: Marko Habe ich immer früher verstanden. Hält durch.

00:38:40: Martin Ja, so ist das, wenn man nicht in Köln geboren ist. Der "hät dosch" heißt "der hat Durst". Nicht er hält nicht durch, sondern Durst.

00:38:49: Irene Deshalb zieht die ja auch weiter, weil es da eben halt, wo sie da gerade sind, nix zu Trinken gibt, nichts Vernünftiges und deswegen zieht die Karawane weiter. Oder wir haben.

00:38:56: Marko Es jetzt auch nicht so politisch.

00:38:58: Irene Das ist nicht so politisch, nicht politisch, ja, aber politisch und gesellschaftskritische Lieder gibt es eben halt auch. Das ist zum Beispiel das Stammbaum-Lied von den Bläck Fööss oder kein Kölsch für Nazis von Querbeet. Ja, also solche Lieder gibt es auch. Wie gesagt, man kann tatsächlich diese Karnevalslieder unterteilen und ich würd mir tatsächlich wünschen, das würde mal zu so einer Studienarbeit werden, vielleicht auch mal zu einer Doktorarbeit.

00:39:25: Martin Ein wissenschaftliches Desiderat.

00:39:27: Marko Also da draußen: Wenn es jemanden gibt, der Kölsch versteht. Das ist, glaube ich, Grundvoraussetzung, wenn man darüber promoviert oder eine wissenschaftliche Arbeit schreiben will und ein Herz für, sagen wir mal kölsche Lieder hat, der könnte sich noch wissenschaftlich richtig nach vorne pushen, in dem er na ja, da was...

00:39:46: Irene Da so ein Komplettwerk raus gibt, muss man vielleicht zeitlich ein bisschen eingrenzen, dann wird's zu dick. Ja, also - weil es gibt ja auch zum Beispiel zusammenhaltsbeschwörende Lieder - Drink doch eine mit von den Bläck Fööss - Trink doch einen mit, stell dich nicht so an, du stehst die ganze Zeit hier rum. Haste auch kein Geld? Das ist ganz egal. Drink doch mit und kümmer dich nit drüm.

00:40:09: Martin Da sind die Linien zum Sozialkitsch aber auch sehr, sehr dünn, muss man ehrlicherweise sagen. Man hakt sich untereinander ein und schunkelt mit. Aber es ist schon natürlich so und es ist schon ein bisschen Tränendrüse. Muss Mal ehrlicherweise sagen. Ich sing ja auch mit, ist ja in Ordnung. Aber es ist schon...

00:40:23: Irene Man wirf den Kölnern auch vor eine gewisse Oberflächlichkeit zu haben. Heute schunkeln wir zusammen, morgen kennen wir uns auf der Straße vielleicht gar nicht mehr so richtig. Ja, aber für den Moment und für bestimmte Zeiten sind das schon, wie ich finde, wichtige Lieder. Und wenn du das so als kitschig bezeichnest, dann tut mir das auch ein bisschen am Herzen weh, will ich nur mal sagen...

00:40:43: Marko Aber haben sich diese Lieder nicht so ein bisschen, also diese modernen Karnevalslieder, habe ich so ein bisschen das Gefühl, die haben das immer mehr aus den Augen verloren. Dieses auf die Gesellschaft guckende. Ich Ich kenne auch so so alte Kölner Schnulzen, weiß ich was, irgendwie. Das finde ich ja auch super. Also immer wenn ich das Meiers Kättche höre, das das ist also ein Liebeslied. Wo also ein junger Mann singt, wie er mit dem Meiers Kättche mit dem Fahrrädche fährt.

00:41:07: Martin Kättchen ist das Käthchen.

00:41:07: Marko Käthchen genauso? So. Und das ist die große Liebe. Und dann kommt halt der Peter, der hat ein Auto, und dann ist es vorbei. Und dann geht das Kättche mit dem Pitter. Es bricht mir auch das Herz. Aber ein eher langsames, eher ruhiges Lied. Aber diese Art von Liedern werden doch immer weniger. Es wird immer mehr gebrüllt, es wird immer mehr Polka, Polka, Polka von hier bis an der Wolga oder ich weiß es gar nicht.

00:41:32: Irene Ja doch, stimmt.

00:41:32: Marko Ja, das finde ich. Das packt mich nicht. Ich sehe da eher den hierher Kommenden. Und der will sich besaufen. Und der liegt am frühen Vormittag schon im Rinnstein, in der eigenen Kotze.

00:41:43: Irene Ja, aber nein, du hast nicht recht, weil du kennst nicht alle Lieder. Es gibt heute wirklich welcher.

00:41:47: Marko Niemand kennt alle Lieder. Du kennst sie wahrscheinlich auch nicht.

00:41:49: Irene Das ist wirklich wahr. Ich kenne auch nicht alle Lieder.

00:41:51: Martin Also was auf jeden Fall ja erstaunlich ist, ist, dass dieses kölsche Liedgut, was eben meistens dann auch auf Kölsch getextet ist, über die Grenzen Kölns hinaus nicht nur bekannt ist, sondern wirklich auch Hits generiert. Also ich erinnere mich an das Oktoberfest 2005, das erste und einzige Mal, dass ich beim Oktoberfest war, und ich war völlig verwundert, als dann die Kapelle - die haben ja immer so eine Blaskapelle, die dann alles Mögliche spielt - als die dann mit Viva Colonia anfingen, dann alles natürlich im tiefsten Bayerisch. Desch is prima, Viva Colonia. So. Also ganz, ganz furchtbar, dass sich einem Kölner sicherlich die Zehennägel aufrollen. Aber das ganze Zelt hat mitgesungen. Und das war eben in Bayern, in der Institution der bayerischen Hauptstadt München, dem Oktoberfest. Also offensichtlich funktioniert das Zeug nicht nur in Köln, sondern.

00:42:40: Irene Nicht nur in Köln, nicht nur in München. Aber was heute noch viel mehr gilt, ist natürlich, dass aus dieser ganzen Sache auch ein Geschäft entstanden ist, ein Riesengeschäft. Heute ist es also nicht mehr so, dass die Karnevalsgruppen, die Musikgruppen nur an Karneval mehr oder weniger spielen. Die haben auch im Sommer ihre Open Air Konzerte. Die können auch Hallen füllen mit weiß ich nicht, wie viel 1000 Zuhörern.

00:43:04: Martin Auch da wieder war ich erstaunt, wie weit das geht. Als Corona war, da wurden Konzerte ja abgesagt, reihenweise. Die konnten nicht durchgeführt werden. Und dann habe ich mitbekommen, dass die Kölner Karnevalsband Kasalla - in Köln, dachte ich, weltbekannt, aber sonst eben nirgendwo - dass die ihre Konzerte in Wien abgesagt haben. Also das heißt Kölner Karnevals-Gruppen auch da riesig bekannt. Und zwar das war irgendwann im Sommer.

00:43:30: Marko Also das finde ich eigentlich auch vom Karneval das Schöne, dass er eigentlich vorbei ist am Aschermittwoch. Aber das ist nicht mehr so und das nervt, finde ich. Das wird so eine Sauf-Stadt Und ich habe so das Gefühl - dat alte hillije Köln, das gibt es ja gar nicht mehr.

00:43:45: Irene Also in Teilen hast du da sicherlich recht. Wenn du heute siehst, dass man an Weiberfastnacht eigentlich kaum noch rausgehen kann, also nicht spontan rausgehen kann. Man muss es echt gut vorplanen monatelang vorher. Oder auch wenn ganze Städtviertel...

00:43:56: Martin Karten kaufen, um in eine Kneipe reinzukommen.

00:43:58: Irene Stadtviertel wie das Zülpicher Viertel werden abgesperrt. Ab morgens um 9:00 kann man da schon nicht mehr hingehen. Ab 9:00 Uhr um 9:15h liegen da die ersten Schnapsleichen rum. Das ist nicht Karneval in dem Sinne. Das gefällt auch vielen Kölnern nicht, die sich immer weiter auch in ihre Viertel ganz tief hinein begeben, um da noch spontan feiern zu können mit einem Quetschebüggel. Also hier mit einem - wie heißt das Quetschebüggel - Schifferklavier, mit einer Gitarre usw. Musik in den Kneipen machen, das ist auch noch wunderschön. Da kann man auch mal ein Kölsch und zwei und drei trinken. Aber das, was sozusagen jetzt stattfindet, das ist nicht mehr so schön. Da habe ich auch mit Gabriele Dafft drüber gesprochen, die das ja auf ihre Weise sieht.

00:44:43: O-Ton Gabriele Dafft Weiß nicht, vielleicht frisst der Karneval da seine Kinder. Das ist natürlich ein Massenphänomen geworden, das auch durch eine gewisse Schnelllebigkeit, auch durch eine Medienlandschaft, durch die Möglichkeit, sich auch auszutauschen. Viele Hotspots, die sich im Karneval entwickeln, werden dann auch schnell weitergetragen. Leute von außerhalb kommen da her, um das auch mal zu erleben. Es wird immer, immer wieder größer. Und es geht natürlich mit den Schattenseiten einher, mit Entwicklungen, die man nicht haben will: Vandalismus, Wildpinkeln, Alkoholisierung, Übergriffigkeit, sexuelle Übergriffigkeiten. So, aber jetzt haben wir da Entwicklungen, da ist der Karneval ja auch wieder Spiegel seiner Zeit, wenn Sie in bestimmte Stadien gehen oder zu anderen Festen, da geht es ja auch viel, viel rauer und entgrenzter zu als vielleicht noch vor 20 Jahren, vor zehn Jahren. Also dieses Grenzüberschreitende, das haben wir bei anderen Festen mit Sicherheit auch, wo wir gesellschaftlich schon auch anderweitig vor Herausforderungen stehen, dass das ja ein Verhalten ist, was nicht mehr Menschen zusammenführt, sondern eher das Destruktive nach oben spült.

00:45:55: Martin Also die Ballermannisierung des Karnevals schreitet unaufhörlich fort, höre ich da raus.

00:46:02: Irene Ja. Und ehrlich gesagt, manche, sage ich mal traditionellen Karnevalisten, die wünschen sich fast, dass solche Umweltorganisationen wie der BUND usw. Recht bekommen, wenn es darum geht, die Uniwiesen Karneval nicht mehr zu bespielen, damit sich da eben halt nicht so die Mengen von Menschen treffen können, die eng auf eng stehen. Und man kann eigentlich da nur trinken. Und das Blöde ist, man kann da eigentlich auch nur Schnaps trinken, deswegen sind die Leute auch alle so schnell betrunken, weil für so ein Kölsch muss man sich anstellen, das muss dann gezapft werden usw. Und meistens kommt man aus diesen Mengen so viele Leute sind das überhaupt nicht mehr raus. Dass die jungen Leute dann alle eine Schnapsflasche dabei haben, denn die hält dann einen halben Tag oder so.

00:46:45: Marko Und da wünscht sich wahrscheinlich so mancher zurück in die Zeiten von Trizonesien.

00:46:51: Martin Die Zeiten von Trizonesien waren ja jetzt so rosig auch nicht, muss man ehrlicherweise sagen.

00:46:55: Marko Nachkriegszeit.

00:46:55: Martin Ja, also so richtig.

00:46:57: Marko Ab jetzt ging es nur noch bergauf.

00:46:58: Martin Ja, Wirtschaftswunder usw. Ja, ob man dahin zurück möchte, bin ich mir nicht so ganz sicher. Aber vielleicht gibt es ja auch noch irgendwie einen Weg dazwischen.

00:47:08: Irene Ja Mittelweg. Das ist ehrlich gesagt schwierig, wo wir heute sozusagen eine Polizei haben, die jetzt schon Regeln rausgeben und auch Werbespots drehen mit Kölner Prominenten, dass man zum Beispiel den Frauen nicht an die Wäsche gehen soll Karneval, sondern nur dann, wenn sie wirklich dem zustimmen. Dass es Werbung gibt: Keine Kurzen für die Kurzen, also keinen Schnaps für Kinder, Glasverbot und und und. Ehrlich gesagt, Leute, ich weiß es nicht, wohin der Karneval geht. Ich würde mir wünschen, er hätte ein bisschen von dem, was wir früher hatten, dass wir nämlich spontan Karneval in die Kneipe gehen können, treffen Leute, singen irgendwie nette Sachen zusammen, tanzen zusammen. Das fände ich schön, wenn es das wieder gäbe. Aber ich glaube, das wird nicht so einfach sein, weil auch durch die sozialen Medien und dadurch, dass dieser Karneval ja mittlerweile wirklich weltweit und bis in die letzte Ritze dieser Erde bekannt ist, doch immer viele Menschen anziehen wird. Und eigentlich ist das ja auch schön, denn dieser Karneval ist etwas Besonderes, ein besonderes Phänomen, an dem auch solche Leute wie Karl Berbuer teilgehabt haben und den Leute wie Karl Berbuer genutzt haben, um uns schöne Musik zu machen, um uns, ja, ein bisschen zu einen und uns frohe Stimmung zu machen.

00:48:23: Marko Wenn euch diese Folge über das Schunkeln in Köln gefallen hat und über das Lied, dass beinahe einmal die deutsche Nationalhymne geworden wäre...

00:48:32: Martin ...dann sagt es allen Karnevalisten, allen Karnevalshassern, allen Menschen mit und ohne Pappnase, euren Freunden und Bekannten und der ganzen Familie. Und wenn es euch nicht gefallen hat...

00:48:45: Marko ...dann sagt es uns aber bitte wirklich auch nur uns. Unter www.diegeschichtsmacher.de findet ihr alle Möglichkeiten, mit uns in Kontakt zu kommen.

00:48:54: Martin Und da freuen wir uns über Kommentare. Hinterlasst reichlich davon. Wir freuen uns über jeden einzelnen und wir antworten auch. Versprochen! All das auf unserer Homepage.

00:49:06: Marko So, jetzt bleibt uns nur noch zu danken, Irene Geuer, dass du da warst. Hast du ein Lieblingslied?

00:49:13: Irene Ja, habe ich tatsächlich. Und es ist in unserem Veedel.

00:49:16: Marko Als hätten wir es geahnt. Haben wir da was vorbereitet.

00:49:22: Lyrik des Transkriptions-Tools :-) Wie Soldat John. War Brief an Höke noch an die Hülse und jagte die Stöcker. Beim Affen ist das vorbei. In der Wirtschaft. Ob der EG dann die Männer an der Theke, die Frau Ledersitze bei einem Schwätzchen zusammen ist dat vorbei. Warum? Das ist doch klar. Der schönste Batman von all dem. Lange her ist unser Federn. Der hält mal zusammen. Ja, aber doch auch.

Kommentare (1)

Irene Geuer

Es war mir ein Anliegen, in feierlaunigen Zeiten, mit Wildpinkeln und Schnapsleichen in unerfüllten Naturschutzgebieten, mal aufzuräumen mit blöden Klischees über Kölner Karneval im eigentlichen Sinne!🥳

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