Unerwarteter Nahschuss: Deutschlands letzte Hinrichtung

Shownotes

Wann wurde in Deutschland der letzte Mensch hingerichtet? Warum geschah dies heimlich? Warum wurde das "Fallschwert" durch einen "unerwarteten Nahschuss" ersetzt? Und warum forderte noch 1989 ein deutscher Politiker die Wiedereinführung der Todesstrafe? Darüber erfahrt ihr mehr in diesem Podcast über die Geschichte der Todesstrafe in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg.

Zu Gast bei Martin Herzog und Marko Rösseler ist ihr Kollege Thomas Klug, der ein WDR-Zeitzeichen über die letzte Hinrichtung in Deutschland geschrieben hat. Die wurde 1981 vollzogen. Endgültig abgeschafft wurde sie aber erst sechs Jahre später. Bis dahin hat es seit 1945 über 160 Hinrichtungen in Deutschland gegeben. Thomas kann erklären, warum wir nicht einmal die genaue Anzahl der Hinrichtungen wissen. Wie es kam, dass selbst von einem Minderjährigen ausgeführte Straftaten zum Tod durch das "Fallschwert" führten. Und wie der "unerwartete Nahschuss" zur üblichen Hinrichtungsmethode wurde.

Wenn Euch diese Folge der Geschichtsmacher gefallen hat, dann sagt es Freunden, Verwandten und Bekannten. Wir freuen uns aber auch über Sternchen und Kommentare auf Euren Podcatchern und Audioplattformen, auf Spotify, Apple, Google, Amazon & Co. Wenn es Euch nicht gefallen hat, dann sagt es uns, aber bitte nur uns: Unter www.diegeschichtsmacher.de findet Ihr alle Möglichkeiten, mit uns in Kontakt zu treten, unseren Newsletter zu abonnieren, uns über Steady zu unterstützen - und vor allem noch viele, viele weitere Folgen dieses Podcasts.

Wichtige Links zu dieser Sendung: Hier geht es zu Thomas` Zeitzeichen über die Abschaffung der Todesstrafe in Deutschland.

Zu Thomas Klugs Filmempfelung "Der Nahschuss" - bitte hier entlang.

Empfohlene Literatur: Gunter Lange: Der Nahschuss. Leben und Hinrichtung des Stasi-Offiziers Werner Teske. Berlin 2021.

Wie versprochen: Das Zitat zur Begründung der Todesstrafe in der DDR zum Mitlesen:

Die Beibehaltung der Todesstrafe ist vor allem Ausdruck der nicht zuletzt auch durch die Praxis der sozialistischen Rechtspflege-Organe vielfältig aufgedeckten Tatsache, dass die zum Abtreten Verurteilten imperialistischen, neofaschistischen und militärischen Kräfte kein noch so schweres Verbrechen scheuen, um zu versuchen, das Rad der Geschichte zurückzudrehen und die sozialistischen Errungenschaften, das friedliche Leben sowie die schöpferische Arbeit der Werktätigen der DDR und des gesamten sozialistischen Lagers zunichte zu machen.

Transkript anzeigen

Die Geschichtsmacher: Abschaffung der Todesstrafe in Deutschland

Die Geschichtsmacher: Marko Martin Todesstrafe in Deutschland. Wann wurde sie zum letzten Mal verhängt?

Die Geschichtsmacher: Martin Gute Frage. Ich würde sagen, im Zweiten Weltkrieg. Da gab es sie auf jeden Fall noch. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es die Alliierten NS-Verbrecher-Prozesse, da wurden sie, glaube ich, auch noch ausgesprochen und angewandt.

Die Geschichtsmacher: Marko Da gab es Hinrichtungen, aber in Deutschland?

Die Geschichtsmacher: Martin Ich würde mal sagen, mit der Gründung der Bundesrepublik 49 wurde sie abgeschafft.

Die Geschichtsmacher: Marko Thomas Klug weiß, dass es in Deutschland länger dauerte, richtig?

Die Geschichtsmacher: Thomas Abgeschafft wurde sie 1987 in der DDR. Und der letzte Mensch, der hingerichtet wurde, was man bis jetzt weiß, der starb 1981.

Die Geschichtsmacher: Marko Auf dem Gebiet der DDR. Herzlich willkommen bei...

Die Geschichtsmacher: Intro Die Geschichtsmacher. Von Autorinnen und Autoren des Zeitzeichens.

Die Geschichtsmacher: Martin Thomas Klug in Berlin. Herzlich willkommen bei den Geschichtsmachern diesmal - unser Mann für alles, was mit DDR- Geschichte zu tun hat. Herzlich willkommen!

Die Geschichtsmacher: Thomas Hallo ihr beiden, Danke, dass ich wieder hier sein darf.

Die Geschichtsmacher: Marko Wir freuen uns auch sehr, wenn es auch um ein düsteres Thema geht. Du hast dich mit der Todesstrafe im Zeitzeichen beschäftigt. Für alle, die es nicht wissen: Das Zeitzeichen ist eine Sendung des Westdeutschen Rundfunks, die es seit über 50 Jahren gibt und die täglich an historische Ereignisse erinnert, in Form eines 14 minütigen Features. Und weil die armen Autoren, die das machen, immer ganz viel recherchieren müssen und eigentlich viel mehr recherchieren müssen als nötig ist, um diese 14 Minuten zu füllen, haben wir uns gedacht, wir machen das anders. Bei uns dürfen Sie mal richtig lange über das Thema reden.

Die Geschichtsmacher: Martin Und bist in diesem Fall Du, Thomas, du hast dich mit der Todesstrafe in der DDR beschäftigt. Also mir war das überhaupt nicht bekannt, dass es in der DDR tatsächlich die Todesstrafe noch gegeben hat.

Die Geschichtsmacher: Thomas Da bist du, glaube ich, nicht der einzige, dem das so ging. Das ging damals vielen so, als plötzlich die Meldung verbreitet wurde: Todesstrafe in der DDR abgeschafft. Das war 1987 und die Überraschung war groß. Zumindest für diejenigen, die die DDR nicht von Anfang an kannten, sondern die dann vielleicht erst in den 60er, 70er Jahren geboren und aufgewachsen sind, weil die wussten nichts über die Todesstrafe. Natürlich kann man sagen, sie stand im Gesetz, kann man ja nachlesen. Aber wer blättert schon jeden Tag in Gesetzbüchern? Und es war nicht mehr bekannt, dass da Leute zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden.

Die Geschichtsmacher: Marko Also auch in der DDR nicht.

Die Geschichtsmacher: Thomas Nicht mehr. Also wer die DDR von Anfang an erlebt hat, der kann sich dann wahrscheinlich schon auch daran erinnern, dass es in den 50er Jahren und in den 60er Jahren einige Prozesse gegeben hat. Die waren auch sehr öffentlich. Das waren das, was man heute Schauprozesse nennt. Da gibt es Hörfunkmitschnitte von den Prozessen, die wurden im Radio gesendet und in Zeitungen wurde darüber geschrieben, weil einfach man zeigen wollte, die DDR ist ein wehrhafter Staat und mit den Feinden der DDR geht man nicht besonders zimperlich um. Das ist dann später anders geworden. Ab Mitte / Ende der 60er Jahre hat man nicht mehr über die Todesstrafe gesprochen. Alles ab ungefähr ab den 70er Jahren, kurz vor dem Beitritt der DDR zur UNO oder bevor die DDR in die UNO aufgenommen wurde, war das Thema Todesstrafe nicht mehr so ganz opportun. Deswegen hat man dann viele, viele Geheimnisse darum gemacht und die Prozesse wurden nicht mehr öffentlich geführt. Die Urteile waren zwar im Namen des Volkes, aber man hat in der Eile manchmal vergessen, das Volk über die Urteile zu informieren. Also es sollte auch keiner wissen. Die Hinrichtungen wurden auch sehr geheim vollzogen und selbst die Totenscheine wurden gefälscht.

Die Geschichtsmacher: Marko Ist ja eigentlich interessant, weil man argumentiert für die Todesstrafe zum Beispiel in den USA ja damit, dass es eine abschreckende Wirkung habe. Wenn man sie aber im Geheimen vollzieht, kann die Abschreckung nicht das primäre Ziel gewesen sein.

Die Geschichtsmacher: Thomas So ist es. Ich glaube, es waren ja auch viele Strafen, die man oder viele Prozesse, die man einfach als politische Prozesse bezeichnen kann. Und da spielte Abschreckung zwar eine Rolle, aber im Endeffekt ging es bei anderen Dingen dann später auch einfach nur um Rache. Oder man wollte sich durchsetzen und zeigen, wer die Macht in der DDR hat.

Die Geschichtsmacher: Martin Wie ist das denn verargumentiert worden, dass man an dieser Todesstrafe, die ja nun offensichtlich zu diesem Zeitpunkt international bereits geächtet war, festgehalten hat?

Die Geschichtsmacher: Thomas Es gibt da ja einen schönen Beitrag von Herrn Mielke auf einer Konferenz seiner Mitarbeiter, wo er die Todesstrafe noch 1982 explizit verteidigt hat. Vielleicht können wir uns das ja mal anhören.

Die Geschichtsmacher: O-Ton Erich Mielke Wir sind ja nicht gefeit davor, dass mal ein Schuft unter uns sein kann. Wir sind ja nicht gefeit dagegen, Genossen, - leider. Wenn ich das wüsste, dann würde der ja morgen schon nicht mehr leben. Ganz kurzen Prozess. Aber weil ich Humanist, deshalb habe ich solche Auffassung. Lieber Millionen Menschen vorm Tode reden, als wie einen Banditen leben lassen, der also uns dann die Toten bringt. Damit wir mal richtig erklären, warum man so hart sein muss, weil das Geschwafel von wegen so weiter nicht hinrichten und nicht Todesurteil alles Käse ist, Genossen.

Die Geschichtsmacher: Martin Also das ist Erich Mielke gewesen, 1982 vor seinen Mitarbeitern. Also er bezeichnet sich selber als Humanist und begründet damit, dass er ein Humanist ist, die Todesstrafe, das ist ja auch mal, wenn ich sagen darf kreativ.

Die Geschichtsmacher: Thomas Das fand ich auch, dass er sich zum einen als Humanist bezeichnet, nicht etwa als Kommunist oder Kämpfer oder Revolutionär, was auch immer. Das wäre ja normalerweise in seiner Weltsicht die bessere Wortwahl gewesen. Er nennt sich tatsächlich Humanist und das kann man einfach nur noch als Zynismus einschätzen, würde ich mal denken.

Die Geschichtsmacher: Marko In welcher Funktion hat er das damals gesagt 1982?

Die Geschichtsmacher: Thomas Damals war er natürlich auch schon Minister für Staatssicherheit, eine Funktion, die er über 35 Jahre lang ausgeübt hat.

Die Geschichtsmacher: Marko So lang, so lang war er dran. Okay, verstehe.

Die Geschichtsmacher: Thomas Und das hat natürlich einen großen Einfluss, wenn er so was sagt. Und er war ja auch derjenige, der bei den diversen Prozessen, auf die wir dann noch zu sprechen kommen, auch klar vorher schon entschieden hat, welche Strafe denn verhängt werden soll und der sich dann eben auch gerade bei der letzten Hinrichtung für diese Todesstrafe ausgesprochen hat.

Die Geschichtsmacher: Martin Und Du hast eben in der Einleitung schon gesagt: 1981 ist die Todesstrafe in der DDR zum letzten Mal vollstreckt worden, 1987 dann - sechs Jahre später - abgeschafft worden. Gibt es da einen Grund dafür, warum gerade 1987, ein Anlass. Warum ist das genau da passiert?

Die Geschichtsmacher: Thomas Der Grund ist ganz einfach: Erich Honecker wollte Helmut Kohl besuchen. Er wollte zum Staatsbesuch nach Bonn und wollte da einfach ein Thema schon mal ausschalten, nämlich die Todesstrafe. Das war ja schon zu dieser damaligen Zeit innerhalb Europas eine höchst umstrittene Strafe bzw. war in den meisten europäischen Ländern damals schon abgeschafft. Und deswegen wurde die auch in der DDR dann nun endlich beerdigt sozusagen aber Hals über Kopf. Das ist auch eigentlich ganz lustig gewesen, denn die Meldung über die Abschaffung der Todesstrafe kam im Juli und da hieß es, der Staatsrat der DDR hat die Todesstrafe abgeschafft. Das ist ungefähr so, wie wenn man heute sagen würde, der Bundespräsident hat ein Gesetz beschlossen oder hatte ein Gesetz verabschiedet, was natürlich eigentlich gar nicht gegangen wäre. Aber in der DDR hat man das alles nicht so ernst genommen. Das Parlament selbst hat dann erst ein halbes Jahr später die Todesstrafe offiziell abgeschafft, nämlich im Dezember.

Die Geschichtsmacher: Martin Und das war im Prinzip nur ein Geschenk, ein Mitbringsel von Erich Honecker an den deutschen Staat, an Helmut Kohl nach dem Motto: Wir machen ein bisschen schönes Wetter und schaffen offiziell jetzt auch die Todesstrafe ab, damit für die Gespräche da schon mal eine gute Stimmung herrscht.

Die Geschichtsmacher: Thomas Genau, ein unangenehmes Thema sollte im Voraus schon mal abgeräumt werden, damit man dann sich auf andere Themen konzentrieren konnte. Herr Honecker wollte wahrscheinlich auch ein bisschen Geld haben.

Die Geschichtsmacher: Martin Wenn wir über die Todesstrafe in der DDR sprechen, wie oft sie verhängt worden ist, wie oft sie vollzogen worden ist. Was ist denn da die Größenordnung eigentlich?

Die Geschichtsmacher: Thomas Also es gibt eine Zahl, dass zwischen 1949 und 81 227 Todesurteile verhängt und mindestens 160 vollstreckt wurden. Diese Zahlen sind nicht ganz sicher, aber die Größenordnung, denke ich, kann man so benennen. Also es ist im Vergleich zur Nazizeit natürlich relativ wenig oder auch im Vergleich zur Sowjetunion und ich glaube, auch in anderen osteuropäischen Ländern ist man weniger zimperlich damit umgegangen. Aber es sind immerhin über 160 Menschen, die da einfach getötet wurden. Da hängen ja auch noch Familien dran, Kinder, Eltern, Geschwister und das ist schon eine Zahl, die bedrückend ist, würde ich sagen.

Die Geschichtsmacher: Martin Wie wurden die Menschen getötet?

Die Geschichtsmacher: Thomas Da gibt es zwei Varianten. Zum einen gab es die berühmte Fallschwertmaschine. Dieses sehr seltsame Wort ist eigentlich eine Guillotine und die wurde angewendet bis zum Ende der 60er Jahre, ich glaube bis 1967. Und ab Ende der 60er Jahre hat man die Todesart geändert und das war dann ein unerwarteter Nahschuss. Also dem Opfer wurde - unerwartet natürlich - ins Genick geschossen.

Die Geschichtsmacher: Martin Das heißt, die ahnten nichts von dem, was dann passieren würde. Man ist zu denen hingegangen, Pistole an den Kopf gehalten, abgedrückt.

Die Geschichtsmacher: Thomas Ganz so war es nicht. Also es gab natürlich schon vorher, wie man das aus diversen Filmen auch kennt, dem Delinquenten wurde mitgeteilt, das Gnadengesuch und so weiter wurde abgelehnt und die Hinrichtung steht bevor. Herrn Teske, über den wir dann noch sprechen, der wurde an dem Tag von Berlin nach Leipzig gebracht. Dort fanden zuletzt die Hinrichtungen statt. Es war die zentrale Hinrichtungsstelle der DDR und er wurde dann in einen Raum gebeten. Und sobald er diesen Raum betreten hatte, kam der Henker von hinten und hat geschossen. Und das so schnell, dass er das, glaub ich, gar nicht erwarten konnte. Man denkt ja wenigstens, dass man da noch ein paar Sekunden länger Zeit hat und seinen Henker erst mal freundlich begrüßt.

Die Geschichtsmacher: Marko Gutes Stichwort: Es muss jemanden gegeben haben, der das ausgeführt hat. Also einen Henker der DDR, wahrscheinlich auch mehrere.

Die Geschichtsmacher: Thomas Es ist von einem die Rede, also zumindest ab der Zeit, als der Nahschuss eingesetzt wurde. Und das war auch ein, ich glaube ein Hauptmann bei der Volkspolizei, der dazu abgeordnet wurde. Und der hat sich dann pro Hinrichtung 200 Mark verdient, was jetzt nicht so viel klingt. Allerdings die Arbeitszeit war wahrscheinlich nicht so lang. Also ein relativ guter Stundenlohn, kann man so sagen.

Die Geschichtsmacher: Marko Na gut, also ein gut bezahlter Job, aber vielleicht einer, nach dem man nicht mehr besonders gut schläft?

Die Geschichtsmacher: Thomas Das weiß ich nicht. Der Herr ist sogar nach der friedlichen Revolution noch in diversen Fernsehsendungen aufgetaucht, unter anderem bei Roger Willemsen. Er hat sich da wohl mit Perücke und leicht verkleidet ins Studio gesetzt und hat darüber referiert, dass er die Leute, die er hingerichtet hatte, jetzt nicht so kannte und dass er da nicht so viel Mitleid entwickelt hat. Herr Willemsens soll anschließend gesagt haben: Das war das ruhigste Stück Materie, das er als Gast in seinem Studio begrüßt hatte. Also es war nicht unbedingt ein empathischer, emotionsgeladener Mensch offenbar.

Die Geschichtsmacher: Martin Ja es braucht wahrscheinlich auch gewisse Qualitäten, um so einen "Job" in Anführungsstrichen durchführen zu können.

Die Geschichtsmacher: Thomas Ich weiß nicht, ob Qualitäten unbedingt das beste Wort dafür ist.

Die Geschichtsmacher: Martin Es gibt ja auch negative Qualitäten.

Die Geschichtsmacher: Thomas Es fehlen vielleicht ein paar Qualitäten.

Die Geschichtsmacher: Marko Kann man denn etwas sagen zu den Gründen einer Todesstrafe? Also was muss ich in der DDR ausgefressen haben, damit ich sozusagen diese Höchststrafe erhalte?

Die Geschichtsmacher: Thomas Also es gibt da drei Kategorien. Zum einen ging es erstmal um Nazi- und Kriegsverbrecher, gegen die ermittelt wurde, gegen die Prozesse geführt wurden und die hingerichtet wurden. Und dann gab es natürlich die ganz normalen Kriminellen.

Die Geschichtsmacher: Marko Also wobei man jetzt ja der Fairness halber sagen muss, auch in Westdeutschland wurden nach den Nürnberger Prozessen zahlreiche Delinquenten ja hingerichtet. Natürlich nach einem Prozess, den die Alliierten geführt haben. Aber nichtsdestotrotz, das ist ja in der Tat auch bei uns, also im Westen, passiert.

Die Geschichtsmacher: Thomas Genau. Genau. Kriminelle wurden im Westen nicht hingerichtet, weil die Todesstrafe gar nicht erst ins Grundgesetz gekommen ist. In der DDR wurden die hingerichtet. Das nahm man dann auch noch als Ausweis dafür, dass man in der DDR rigoroser oder konsequenter mit Nazis und Kriegsverbrechern umgegangen ist. Was natürlich auch eine Legende ist. Und die dritte Delikt-Gruppe, das waren schlicht und einfach politische Verbrechen. Also alles, was so unter dem Begriff Boykotthetze fiel...

Die Geschichtsmacher: Martin Boykotthetze?

Die Geschichtsmacher: Thomas Boykotthetze. Und Boykotthetze, das war in der Verfassung der DDR geregelt, nämlich so.

Die Geschichtsmacher: Zitat "Boykotthetze" in der Verfassung: Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen und Organisationen, Mord-Hetze gegen demokratische Politiker, Bekundung von Glaubens-, Rassen-, Völkerhass, militärischer Propaganda sowie Kriegshetze und alle sonstigen Handlungen, die sich gegen die Gleichberechtigung richten, sind Verbrechen im Sinne des Strafgesetzbuches.

Die Geschichtsmacher: Marko Was meinen die mit Gleichberechtigung, Thomas?

Die Geschichtsmacher: Thomas Wahrscheinlich Gleichberechtigung. Also alles, was man irgendwie - Entschuldigung, auf die Frage, was ich jetzt nicht vorbereitet. Im Prinzip ist es so eine Art der berüchtigte Gummiparagraph, da kann man alles darunter verstehen, was man verstehen möchte. Und das Interessante ist, das war ja kein Paragraph im Strafgesetzbuch, sondern das stand in der Verfassung und man hat sich auf einen Verfassungsparagraphen in vielen Urteilen in politischen Prozessen bezogen und den zur Begründung hereingeholt. Also alles, was gegen den sozialistischen Staat oder gegen den demokratischen Staat der DDR, die sich ja selber als demokratischer Staat verstanden hat, alles, was dagegen gerichtet war, konnte dann entsprechend hart bestraft werden.

Die Geschichtsmacher: Marko Nun hast du eben gesagt, dass auch klassische kriminelle Delikte geahndet wurden. Was muss ich denn da machen, damit mir diese Strafe dräut?

Die Geschichtsmacher: Thomas Ja, also darüber, wenn du diese Absicht gehabt hättest, hättest du also ein jugendlicher Straftäter der Nachkriegszeit sein können. Das war eine Zeit, da gab es in ganz Deutschland übrigens allerlei Jugendbanden. Es herrschte Not, Elend, Trümmer und was weiß ich, wie die Zeiten damals waren. Also eher furchtbar.

Die Geschichtsmacher: Marko In der unmittelbaren Nachkriegszeit waren Jugendbanden wirklich ein schwieriges Thema? Wusste ich auch nicht. Man kann sich das vorstellen, weil in der Tat die Menschen ja wirklich Not gelitten haben. Und Not macht oftmals erfinderisch. Und bei diesem Erfindungsreichtum werden sicherlich auch Leute kriminell. Aber dass es ein deutschlandweites Problem war wusste nicht.

Die Geschichtsmacher: Thomas Und in Berlin gab es da die berüchtigte Gladow-Bande. Der Anführer, Werner Gladow, der war irgendwie Kriegsende um die 16 herum und wollte Zeichen setzen, indem er sich da ein paar Jungs gesucht hat, die dann einfach mal angefangen haben mit kleinen Überfällen auf dem Schwarzmarkt und deren Kriminalität, sich aber immer weiter steigerte. Ich habe vor einiger Zeit darüber mal mit Bärbel Fest gesprochen. Das war damals die Leiterin der Polizeihistorischen Sammlung hier in Berlin.

Die Geschichtsmacher: Bärbel Fest Die Gladow-Bande ist für meine Begriffe, wenn man sich die alten damaligen Zeitungen anschaut oder auch Zeitzeugenberichte anschaut, doch ein wenig herausstechend. Natürlich gab es eine Menge Banden, kleinerer und größerer Art, aber die Gladow-Bande zählte mit zu den brutalsten Banden Berlins und ihre Besonderheit ist, dass der Bandenchef, Werner Gladow, sehr jung ist. Als er beginnt ist er 16. Als er verurteilt wird, ist er 18. Und dass Gladow im Ostteil Berlins wohnt, also im sowjetischen Sektor, die Bande aber in beiden Teilen Berlins agiert, die Polizei beider dann schon Stadthälften, insbesondere dann ab Sommer 48, ja in Atem hält und letztendlich im Zuge dann doch einer Zusammenarbeit oder auf jeden Fall, um die Bande endlich zur Strecke zu bringen, entschließt man sich trotz der ganz unterschiedlichen Ansichten der beiden Polizeipräsidenten - Marggraf und Dr. Stumm - zu einer quasi Zusammenarbeit und bringt die Bande dann zur Strecke.

Die Geschichtsmacher: Martin Das heißt, das ist so schlimm gewesen, was die in Berlin Ost und in Berlin West angestellt haben, dass man sämtliche ideologischen Differenzen beiseite gelassen hat und hat sich zusammengeschlossen, die Polizeipräsidenten, und haben gesagt, die müssen wir gemeinsam zur Strecke bringen und haben das auch getan?

Die Geschichtsmacher: Thomas Nein, ganz so einfach war es eben nicht. Diese ideologischen Differenzen konnte man eben kaum überwinden. Das Problem war, wie jemand damals schon ausgedrückt hat, das Problem war, dass Gladow in der Ostzone festgenommen wurde, das heißt, da existierte die Todesstrafe. Wäre er in Westberlin festgenommen worden, wäre er mit dem Leben davongekommen.

Die Geschichtsmacher: Marko Es ist ja auch erstaunlich. Ich meine, der ist ja zum Tatzeitpunkt nach unserem Begriff noch minderjährig, der wäre bei uns gar nicht voll strafmündig, weil das ist man ja eigentlich erst im vollem Umfang mit 21, selbst mit 18 würde man noch als Jugendstraftäter durchgehen.

Die Geschichtsmacher: Thomas Definitiv. Also ich glaube, nach heutigen Maßstäben hätte er höchstens eine Strafe von bis zu zehn Jahren zu erwarten. Ich weiß nicht, ob anschließende Sicherheitsverwahrung - weiß nicht, ob das bei hohen Strafen möglich ist, aber die Todesstrafe hätte er definitiv nicht bekommen. Und das war ja selbst in der DDR damals umstritten, da er ja als Minderjähriger diese Straftaten begangen hat, hätte er eigentlich auch da nicht zum Tode verurteilt werden können. Die Verteidigung hat darauf hingewiesen, aber hat sich damit natürlich nicht durchsetzen können. Das lag einfach daran, dass seine Verbrechen einfach zu spektakulär waren, zu viel Aufmerksamkeit gewonnen haben und dass er das Vorbild Al Capone hatte.

Die Geschichtsmacher: Martin Du hast eben gesagt, er wollte. Er wollte ein Zeichen setzen. Was genau hast du damit gemeint? Al Capone als Vorbild? So der Superschurke von Berlin oder was ist die Idee da gewesen?

Die Geschichtsmacher: Thomas Genau. Er hat eine Pseudoautobiografie von Al Capone gelesen. Und er dachte, sowas fehlt in Berlin.

Die Geschichtsmacher: Marko Meine Marktlücke.

Die Geschichtsmacher: Thomas Ja, und diese Marktlücke hat er offenbar ausgenutzt und war damit relativ erfolgreich. Bloss dass er sich hat erwischen lassen. Und er scheiterte nicht an Steuernachzahlungen, sondern er scheitert eben daran, dass ihn wirklich die Polizei nach einer längeren Schießerei festgenommen hat. Also Werner Gladow war jetzt kein friedlicher, lieber Zeitgenosse, das ist unbestritten. Er galt zwar relativ intelligent, sein Spitzname war, glaube ich, sogar Doktorchen, aber er war auch ziemlich brutal. Also er hatte auch schon mal eine Autotür aufgerissen und einen Fahrer am Steuer einfach so erschossen.

Die Geschichtsmacher: Marko Das heißt, er hatte auch mehrere Morde auf dem Kerbholz?

Die Geschichtsmacher: Thomas Verurteilt wurde er zuletzt, glaube ich, nur wegen eines Mordes. Aber es ist auch die Rede von drei Toten, die es gegeben hat. Also er hat auch Menschen ermordet. Es ging jetzt nicht nur um Diebstähle und Überfälle. Es ging auch um Morde. Seiner Festnahme selbst war ja auch spektakulär. Da war er zu Hause. Er wohnte noch bei seiner Mutter und da mussten mehrere Polizisten kommen. Es gab eine richtige Schießerei, die ein paar Stunden gedauert hat. Seine Mutter hat ihn natürlich dabei auch noch unterstützt und hat dann immer gesagt: Da hinten ist noch ein Polizist und auf den musst du schießen. Auf jenen musst du schießen und erst nach zwei oder drei Stunden konnte Gladow festgenommen werden. Der Gladow wahrscheinlich wirklich kein besonders netter Zeitgenosse, aber man muss sich auch vorstellen, er ist also Jahrgang 1930, das heißt, er hat nur die Kriegs- und Nachkriegszeit erlebt, die Zeit also, wo in Berlin gekämpft wurde, wo jeden Tag Tote auf der Straße lagen, da ist man, glaube ich, ziemlich abgebrüht. Und er hat ja eigentlich das einfach nur ausgedrückt durch seine Taten auch, dass ihm ein Leben relativ egal ist. Man lässt auch sein eigenes Leben, er wurde ja wohl dreimal zum Tode verurteilt - Juristen haben einen seltenen Humor, den ich dann nicht so ganz nachvollziehen kann. Und von Gladow ist ja überliefert der Satz: Einmal zum Tode verurteilt, Rübe ab, das kann er ja nachvollziehen. Aber die anderen beiden Todesurteile, das wäre dann eher Leichenschändung.

Die Geschichtsmacher: Marko Da hat er offenbar sogar so etwas im Angesicht des Todes wie Humor bewiesen. Scheint mir ein seltsamer Mensch gewesen zu sein.

Die Geschichtsmacher: Thomas Vielleicht war es auch ein typischer Mensch jener Zeit, die in einer schweren Zeit aufgewachsen sind. Jedenfalls wollte er reich werden und nicht nur reich.

Die Geschichtsmacher: Bärbel Fest Er möchte auch berühmt werden. Denn ich habe mir mal ein Zitat rausgesucht, was er gemacht hat, als er festgenommen wurde dann. Er sagt selber: Mir ging es nicht ums Geld, sondern mir ging es um die Taten selbst. Die Welt sollte davon sprechen. Und das zeigt eigentlich schon ein bisschen was von der Persönlichkeit des Gladow. Er wollte also berühmt sein. Auf der einen Seite also der Drang danach, den Al Capone nachzuahmen, also berühmt zu werden. Aber auf der anderen Seite kann man auch das ziemlich sachlich feststellen: Er ist eigentlich ein Produkt der gesellschaftlichen und sozialen politischen Verhältnisse im Nachkriegsberlin. Nicht nur, dass er unter den Nazis bei den Pimpfen dann bestimmte Verhaltensmuster dann auch schon aufgenommen hat. Aber dann kommt die total verrohte Umgebung eigentlich. Ich meine, wer in Berlin gewohnt hat und er lebte im Kern-Berlin, die elterliche Wohnung war in Friedrichshain, die haben praktisch in den letzten Kriegsmonaten, muss man sagen, täglich den Tod erlebt. Also ein Menschenleben war wirklich nicht viel wert.

Die Geschichtsmacher: Marko Na ja, also man kann sich das ja in der Tat gut vorstellen. Also der letzte Häuserkampf von Berlin, das ist ja sozusagen das, was diese Jugendgeneration damals noch mitbekommen hat. Und wahrscheinlich verroht man dabei auch.

Die Geschichtsmacher: Thomas Unbedingt. Er ist in Berlin Friedrichshain aufgewachsen. Da gab es tatsächlich Häuserkämpfe, da gab es, hat man lange Zeit noch gesehen, viele Ruinen. Also dass man da in der Zeit in dem Alter Leichen auf der Straße gesehen hat, dürfte wahrscheinlich eher Normalität als Ausnahme gewesen sein.

Die Geschichtsmacher: Martin Aber das spielte alles bei der Urteilsbegründung keine Rolle. Offensichtlich.

Die Geschichtsmacher: Thomas Nein, kein bisschen. Das Problem war, glaube ich auch, wirklich, dass er sich eben Al Capone als Vorbild genommen hat, das heißt einen Amerikaner. Und in der DDR wollte man ja eher etwas anderes aufbauen, was eben antiamerikanisch war. Und wenn dann jemand so brutal ist, dann wurde das natürlich auch als westlich beschrieben. Und da gibt es auch ein schönes Zitat, was damals in der Berliner Zeitung stand. Vielleicht kann einer von euch das mal lesen.

Die Geschichtsmacher: Martin Zitat Berliner Zeitung. Die Vollstreckung der Todesurteile mag für jene Elemente eine Warnung sein, die aus Berlin ein Chicago machen wollen, und ihre aus amerikanischer Schundliteratur erlernten Gangstermanieren gegen die Bevölkerung und die Volkspolizei in Anwendung zu bringen gedenken.

Die Geschichtsmacher: Thomas Also daran sieht man schon, dass es auch so eine kleine politische Komponente hat dieses Urteil.

Die Geschichtsmacher: Martin Also es ist schon zumindest zum damaligen Zeitpunkt eben auch als Abschreckung gedacht, dieses Todesurteil.

Die Geschichtsmacher: Thomas Unbedingt. Das wurde ja auch öffentlich, der Prozess war öffentlich. Jeden Tag kamen da unendlich viele Zuschauer dazu, die Medien haben darüber berichtet und später wurde ja auch die Hinrichtung vermeldet und sehr viel später. Das wurde zwar nicht vermehrt, aber sehr viel später wurde bekannt, dass die Hinrichtung selbst auch nicht unbedingt problemlos verlaufen ist.

Die Geschichtsmacher: Zitat Zeitungsbericht über die Hinrichtung Werner Gladow preßt um 6:05 seinen Kopf unter das Fallbeil. Das Fallbeil klemmt, wird wieder hoch gekurbelt, saust erneut herab, bleibt wieder stecken. Es dauert. Der 19-jährige brüllt jetzt wie ein Tier. Erst im dritten Versuch rollt sein schreiender Kopf.

Die Geschichtsmacher: Martin Das ist ja gruselig. Meine Güte.

Die Geschichtsmacher: Marko Da hat er sein drei Mal hingerichtet werden in der Tat in der Realität fast durchleben müssen. Das ist ja wirklich furchtbar, wenn man denkt, es ist gleich der Kopf ab und dann bleibt das Fallbeil hängen.

Die Geschichtsmacher: Thomas Da gab es mehrere Zwischenfälle. Da gibt es auch in den späten 60er Jahren noch einen Fall, wo so eine Hinrichtung statt wenige Sekunden fast ein Minute gedauert hat, weil da auch das Fallbeil oder die Fallschwert-Maschine nicht richtig funktioniert hat.

Die Geschichtsmacher: Martin Das ist ja ein Punkt, der ja im Prinzip uns bis heute begleitet. Also es gibt kürzlich Nachrichten aus den USA, dass aufgrund mangels der entsprechenden Chemikalien zur Hinrichtung durch die Giftspritze jetzt ein neues Verfahren angewendet werden soll: Tötung durch Stickstoff. Und da werden dann auch die gruseligsten Varianten befürchtet, was da alles bei so einer Hinrichtung passieren kann. Also tatsächlich, die Vollstreckung ist ja auch ein wirklich grausames Instrument.

Die Geschichtsmacher: Thomas Und deswegen muss man auch schon sehr in Anführungszeichen geeignet sein, um bei so einer Prozedur mitwirken zu wollen. Und offenbar hat man ja immer Leute gefunden, aber das zieht sich ja durch Jahrhunderte, dass man immer wieder Menschen gefunden hat, die bereit sind, Henker zu sein. Ich weiß nicht, im Mittelalter wurde man dazu, glaube ich, von der Obrigkeit verdonnert und hat den Beruf weitervererbt. Aber in der DDR war das glaube ich so nicht mehr. Aber Mangel an Henkern bestand offenbar nicht.

Die Geschichtsmacher: Martin Nun muss man sagen, dass die Guillotine, also das Fallbeil, ja eigentlich erfunden worden ist in Zeiten der Französischen Revolution. Und die galt oder dieses Fallbeil galt ja sozusagen als eine sehr menschliche, weil sehr saubere und schnelle Hinrichtungsmethode, während sich so ein Henker natürlich ab und zu auch mal einfach.... ja, der kann auch daneben hauen. Und da war die Guillotine ja die die Idee einer menschlichen Hinrichtung, soweit man diese Idee heute noch nachvollziehen mag. Offenbar hat man sich ja dann in der DDR aber auch umentschieden, dass man aus diesen unmittelbaren und unverhofften oder einfach aus dem Nichts kommenden Nahschuss abzulösen. Da waren wahrscheinlich solche Erfahrungen, wahrscheinlich irgendwie prägend, oder?

Die Geschichtsmacher: Thomas Das vermute ich auch.

Die Geschichtsmacher: Marko Nun war das ein typisches Verbrecherbeispiel, wo es um Mord, um Überfall und um eine Bande geht und wo es dann in der Tat eine Hinrichtung gab. Du hast aber eben ja drei Kategorien aufgemacht. Die zweite waren politische Täter.

Die Geschichtsmacher: Thomas Politische Täter, genau. Das ging also um ganz richtig politische Prozesse, wo Menschen mit dem DDR System oder dem Sozialismus überhaupt nicht einverstanden waren und die sich dann aufgerafft haben, im Widerstandskampf unterwegs zu sein. Und wer unter so einen Verdacht geraten ist. Der hat es dann schon schwer gehabt und musste auch mit dem Schlimmsten rechnen. Diese Prozesse wurden damals aufgezeichnet und tatsächlich auch für das Radio aufgearbeitet. Und wie sowas klang könnten wir uns ja vielleicht mal anhören.

Die Geschichtsmacher: Martin Das heißt, das ist jetzt ein Originalton aus dem DDR Radio.

Die Geschichtsmacher: Thomas Ein Originalton aus dem DDR Radio mit Aufnahmen aus dem Prozess.

Die Geschichtsmacher: DDR-Radioprogramm Verehrte Hörerinnen und Hörer, wir bringen jetzt den angekündigten, zusammenfassenden Funkbericht vom Burianek- Prozess, der uns allen mit erschreckender Deutlichkeit zeigte, welcher Scheußlichkeiten der amerikanische Geheimdienst und seine Banden bei ihren feigen Anschlägen auf die Deutsche Demokratische Republik und ihre Bevölkerung fähig sind. Die nun folgenden Originalaufnahmen aus dem zweitägigen Prozess ermahnen uns alle zu noch größerer Wachsamkeit als bisher. Denn die fünfte Kolonne des Generalkriegsvertrages will unseren friedlichen Aufbau verhindern wie die Vernichtung unserer volkseigenen Betriebe, will uns unsere Arbeit, unser Brot, unser Leben nehmen.

Die Geschichtsmacher: O-Ton Richterin Die Sitzung des Ersten Strafsenats des Obersten Gerichts der Deutschen Demokratischen Republik ist eröffnet. Es wird verhandelt die Strafsache gegen Johann Burianek. Stehen Sie bitte auf! Emil Möbis. Fritz Henschel. Lydia Schirrwang. Otto Heinrich Kranz. Hermann Theodor Hofestedt und Renate König.

Die Geschichtsmacher: DDR-Radioprogramm Uns gegenüber sitzen, scheu und zusammengeduckt hinter der Schranke der Anklagebank die sieben Angeklagten. Und die Blicke des Anführers Burianek und seiner beiden Hauptkomplizen Möbis und Henschel sind zynisch-frech. Aber jetzt erhebt sich der Generalstaatsanwalt Dr. Melzheimer.

Die Geschichtsmacher: Thomas Ich finde ja übrigens, ist euch vielleicht aufgefallen, die Art der Berichterstattung finde ich ja schon sensationell. Also es ist...

Die Geschichtsmacher: Marko ...so unvoreingenommen...

Die Geschichtsmacher: Thomas Ob man das noch als Berichterstattung bezeichnen kann? Ich habe da noch mal nachgeschaut im Neuen Deutschland, der SED-Zeitung, ist auch von einem hohläugigen Angeklagten die Rede und die wurden schon in der Beschreibung so bezeichnet, als als ob sie schon verurteilt worden wären, also nicht mal der mutmaßliche Täter - sondern das war alles, stand alles von vornherein schon fest, also auch in der Berichterstattung. Herr Burianek, Johann Burianek aus Düsseldorf, er war Kriegsteilnehmer, war Wehrmachtssoldat, hat wohl am Ende des Krieges auch noch zwei Fahnenflüchtige ausgeliefert. War vielleicht auch nicht der allernetteste Zeitgenosse, das mag sein. Er hat dann später in Ostberlin als Kraftfahrer gearbeitet und hat dann Flugblätter verteilt, die er sich in Westberlin besorgt hat. Und dann wurde ihm hauptsächlich vorgeworfen, ein versuchter Brandanschlag. Es gab tatsächlich eine Planung, das ist wohl überliefert. Es sollte eine Eisenbahnbrücke gesprengt werden, aber die potenziellen Täter haben selbst davon Abstand genommen. Ist also im Prinzip nichts passiert. Aber er wurde trotzdem erwischt. Und wegen Boykotthetze, das haben wir schon besprochen, wegen Boykotthetze angeklagt.

Die Geschichtsmacher: Marko Das meint der Reporter, wenn er von der Fünften Kolonne spricht. Das ist ja heute ein Ausdruck, den haben wir ja heute nicht mehr so wahnsinnig geläufig.

Die Geschichtsmacher: Thomas Fünfte Kolonne war immer alles, was aus dem Westen kam - Geheimdienst und alles was Böses.

Die Geschichtsmacher: Marko Also etwas, was die Ordnung subversiv unterwandern will.

Die Geschichtsmacher: Thomas Das hast du schön ausgedrückt.

Die Geschichtsmacher: Martin So, also wenn ich das jetzt richtig verstanden habe: Dieser Johann Burianek aus ehemals Düsseldorf war ja so eine Art Widerstandskämpfer in der DDR, hat Flugblätter verteilt und hat einen Brandanschlag verübt oder geplant zu verüben und hat geplant, mit einigen Komplizen eine Eisenbahnbrücke zu sprengen. Und dafür wurde dann gefordert von der Staatsanwaltschaft das Todesurteil?

Die Geschichtsmacher: Thomas Genauso ist es. Also ihm wurden Verbindungen nachgewiesen zu einer Organisation aus Westberlin, der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit. Das war auch so eine Widerstandsorganisation. Und alleine der Kontakt nach Westberlin ist ihm zum Verhängnis geworden, weil das war etwas - also wir sind in den 50er Jahren, die Mauer stand noch nicht, man konnte noch die Sektorengrenzen wechseln und deswegen konnte er nach Westberlin, hat dort ein paar Flugblätter mitgebracht oder auch mit der Kampfgruppe Pläne geschmiedet. Und da wollte man in der DDR natürlich ein Exempel statuieren. Und dann kam eben der Staatsanwalt und hat gleich das Plädoyer gehalten.

Die Geschichtsmacher: O-Ton Rede des Staatsanwaltes Wie ist es möglich, dass in einem volkseigenen Betrieb ein solcher Verbrecher wie Burianek mit seiner Geliebten unkontrolliert Ausflüge nach Westberlin machen kann, um dort Flugblätter zu holen, sie dann im demokratischen Sektor zu verbreiten? Man soll die Ohren spitz halten - Augen auf! Für alle! Möge das schaffende Volk der Deutschen Demokratischen Republik seine Wachsamkeit verdoppeln und verdreifachen. Das soll aus diesem Prozess gelernt werden. Ich beantrage gegen Burianek die Todesstrafe.

Die Geschichtsmacher: Martin Das ist ein Sound, den man aus anderen Prozessen kennt. Habe ich so den Eindruck. Also dieses Geifernde kennt man aus diesen Schauprozessen der Nazizeiten.

Die Geschichtsmacher: Thomas Das hat mich auch irritiert. Man fühlt sich die ganze Zeit erinnert an Roland Freisler. Und genauso klingt Herr Melsheimer. Eigentlich auch eine sehr interessante Figur. Nicht so berühmt wie Herr Freisler, weil es eben nicht so viele Todesurteile gibt, die er gefordert hat, wie es bei Freisler der Fall war. Aber Melsheimer war der erste Generalstaatsanwalt der DDR, das heißt, der erste, der dieses Amt ausgeführt hat, stammt aus dem Saarland. Er hat in Marburg und in Bonn Rechtswissenschaft studiert.

Die Geschichtsmacher: Martin Stammte... Stammte Honecker nicht auch aus dem Saarland?

Die Geschichtsmacher: Thomas Ja.

Die Geschichtsmacher: Martin Okay, da gab es keine Verbindungen oder so.

Die Geschichtsmacher: Thomas Ob das jetzt Konsequenzen für das Saarland haben sollte, möchte ich jetzt nicht beurteilen.

Die Geschichtsmacher: Marko Man muss mal drüber geredet haben, vielleicht, ne.

Die Geschichtsmacher: Martin Okay, also entschuldigung, ich hab dich unterbrochen, war eine blöde Frage.

Die Geschichtsmacher: Thomas Ich finde, es ist eine wichtige Frage. Man muss auch darüber mal reden. Und dazu ist ja dieser Podcast da.

Die Geschichtsmacher: Marko Na ja, es könnte ja sein, dass die beiden Kumpels waren, dass man sich aus alten Zeiten noch kannte.

Die Geschichtsmacher: Thomas Wäre mir jetzt nicht bekannt.

Die Geschichtsmacher: Marko Okay.

Die Geschichtsmacher: Martin Also du hast gesagt, er kommt aus dem Saarland und er hat dann in Bonn studiert.

Die Geschichtsmacher: Thomas In Marburg und Bonn Rechtswissenschaft studiert und hat dann angefangen seine juristisch Karriere während der Weimarer Republik. Er wurde also Landgerichtsrat, war übrigens Mitglied der SPD und ist 1933. Wir erinnern uns, da war die Machtübernahme durch Hitler, ist er aus der SPD ausgetreten. Das hat dann seiner weiteren Karriere wahrscheinlich auch genutzt. Er wurde also Landgerichtsdirektor und 1937 Kammergerichtsrat. Er hat dann die Treue-Medaille des Führers zweite Klasse erhalten und er sollte noch mal befördert werden. Aber da kam das Kriegsende irgendwie dazwischen. 1945 ist er dann in die KPD eingetreten. Also man kann sagen, wenn man ihn als Wendehals bezeichnet, ist das noch sehr freundlich formuliert.

Die Geschichtsmacher: Marko Also ein Mann, der immer an der Seite der Macht, egal wer die Macht gerade innehat, seine Karriere befördert.

Die Geschichtsmacher: Thomas Genau.

Die Geschichtsmacher: Marko War er sicher nicht der Einzige...

Die Geschichtsmacher: Thomas Sicherlich nicht. Diese Flexibilität hat ihn dann zum Chefankläger am Obersten Gericht gemacht und es gibt von ihm auch noch einige Aufsätze und Forderungen. Er hat sich also sehr positioniert, um die Trennung von Gericht und Staat, was eigentlich eine Demokratie ausmacht, aufzubrechen. Er wollte diese Trennung aufheben.

Die Geschichtsmacher: Martin Also eine Politisierung, Politisierung des Justizapparates sozusagen hat er das Wort geredet.

Die Geschichtsmacher: Thomas Genau. Er hat die Zeichen der Zeit erkannt, wusste, was gefragt ist. Und genau das hat er dann auch gefordert. Dafür wurde er dann zweimal mit dem Vaterländischen Verdienstorden ausgezeichnet. Und für mich das große Rätsel ist, dass er quasi auf einer Seite mit Hilde Benjamin steht, die eine ganz andere Biografie hat. Aber vielleicht schauen wir uns erst mal Hilde Benjamin an.

Die Geschichtsmacher: Marko Wer ist Hilde Benjamin?

Die Geschichtsmacher: Thomas Das ist die Vorsitzende Richterin in diesem Prozess, die später auch noch eine Karriere machte. Die wurde später zur Justizministerin der DDR. Und Hilde Benjamin wendet sich jetzt, was wir gleich hören, direkt an Johann Burianek, den Angeklagten.

Die Geschichtsmacher: O-Ton Hilde Benjamin Und was Sie hier vorhaben und planen, steht in jedem Strafgesetzbuch als Raubüberfall. Wir wollen gar nicht davon sprechen, welches Verbrechen gegen unseren Staat Sie begangen haben. Aber einfach das, was jeder Mensch als typisches Kriminal-Verbrechen kennt, das begehen Sie.

Die Geschichtsmacher: Martin Das ist etwas, was sie sagt, bevor es zum Urteil kommt?

Die Geschichtsmacher: Thomas Genau das ist während einer Vernehmung des Angeklagten und man merkt also auch akustisch den Unterschied. Sie ist deutlich zurückgenommener als der Generalstaatsanwalt Melsheimer und von der Biografie her ist sie eben auch, hat sie eine ganz andere Biografie. Sie stammt also aus Wedding. Sie war eine der ersten Frauen, die überhaupt Rechtswissenschaft studiert haben.

Die Geschichtsmacher: Marko Also Wedding, muss man sagen, ist ein typischer Berliner Arbeiterbezirk.

Die Geschichtsmacher: Thomas Genau, der sogenannte Rote Wedding. Und dort wurde sie auch Rechtsanwältin. Sie heiratete Georg Benjamin, das ist der Bruder des Philosophen Walter Benjamin. Ihr Mann war Arzt, der trat in die KPD ein. Hilde Benjamin folgte ihm, und ihr Mann wurde gleich nach dem Reichstagsbrand verhaftet, kam ins KZ, wurde später freigelassen, kam dann wieder in ein KZ und ist im KZ Mauthausen umgekommen. Also im Gegensatz zu Melsheimer stand sie ganz klar auf der Seite der Gegner des Naziregimes und deswegen darf man sich, glaub ich, wundern, weshalb sie jetzt plötzlich mit diesem Melsheimer doch so Hand in Hand zusammenarbeitete.

Die Geschichtsmacher: Martin Aber auf der anderen Seite ist es natürlich so, dass sie auch schon in dieser Befragung festsetzt, dass der Angeklagte auch der Täter ist. Also sie sagt das ja so, das, was sie getan haben. Also der Ton ist ein anderer, aber inhaltlich ist sie nicht so wahnsinnig weit vom Chefankläger entfernt.

Die Geschichtsmacher: Thomas Die steht ganz eindeutig auf derselben Seite. Und spielen ja auch quasi dasselbe Drehbuch durch. Denn diese Urteile werden ja nicht einfach so gefällt, das ist ja alles... es ist ein Schauprozess. Das steht ja alles vorher schon fest. Kein Richter verhängt einfach ein Todesurteil in der DDR, ohne dass es da Absprachen mit der Obrigkeit gegeben hat. Das ist also dokumentiert auch. Früher war es Walter Ulbricht. Später haben sich da Erich Mielke, den wir vorhin schon im O-Ton gehört hatten, der Staatssicherheitsminister und Erich Honecker miteinander abgesprochen. Und die haben dann eben festgelegt, wer denn dann verurteilt wird und hingerichtet wird.

Die Geschichtsmacher: Martin Du hast eben auch von einem Drehbuch gesprochen, das heißt, das ist wirklich so vorgegeben gewesen: Der Staatsrat entscheidet - Mielke, Ulbricht, Honecker - und dann wird das vom Gericht im Prinzip nur noch nachgespielt.

Die Geschichtsmacher: Thomas Genau. Die obersten Richter, also die entsprechenden Gerichte, die fragen an, ob es denn genehm wäre, wenn man denn ein Todesurteil ausspricht. Und wenn das dann abgenickt wurde, kam es dann auch so. Man hat ja auch in der DDR überlegt:Todesstrafe? Muss das denn eigentlich sein, weil der Sozialismus - alles geht aufwärts, alles wird besser, die Menschen werden besser und die Todesstrafe ist ja nicht so eine Strafe, die auf Rehabilitierung angelegt ist bzw. auf Verbesserung des Menschen, sondern die hat ja irgendwie etwas halbwegs endgültiges. Da gibt es einen offiziellen Kommentar zur Todesstrafe also einen Lehrkommentar von 1968. Den hab ich jetzt ungefähr 20 Mal gelesen. Beim ersten Mal glaubte ich, ich habe ihn verstanden und je öfter ich ihn gelesen habe, umso weniger verstanden habe ich ihn. Aber ihr arbeitet beim Radio, seid also auch hochintelligent. Vielleicht versteht ihr diesen Text. Darf ich mal kurz vorlesen?

Die Geschichtsmacher: Martin Natürlich.

Die Geschichtsmacher: Gesetzeskommentar Die Beibehaltung der Todesstrafe ist vor allem Ausdruck der nicht zuletzt auch durch die Praxis der sozialistischen Rechtspflege-Organe vielfältig aufgedeckten Tatsache, dass die zum Abtreten Verurteilten imperialistischen, neofaschistischen und militärischen Kräfte - also ihr da im Westen seid damit gemeint - kein noch so schweres Verbrechen scheuen, um zu versuchen, das Rad der Geschichte zurückzudrehen und die sozialistischen Errungenschaften, das friedliche Leben sowie die schöpferische Arbeit der Werktätigen der DDR und des gesamten sozialistischen Lagers zunichte zu machen.

Die Geschichtsmacher: Martin So, das war jetzt, glaube ich, ein Satz.

Die Geschichtsmacher: Thomas Das war ein Satz.

Die Geschichtsmacher: Marko Der aber eigentlich nichts anderes sagt wie irgendwie: Gut, dass die Todesstrafe gibt, damit wir mit solchen miesen Subjekten Schluss machen können.

Die Geschichtsmacher: Thomas Ja, okay, aber eben im Prinzip: Dadurch, dass wir die Todesstrafe verhängen, zeigen wir, dass der Westen schlecht ist. Das ist, glaube ich, auch so eine Art Zirkelschluss, der da drin versteckt ist. Vielleicht kann das ja mal in die schon mit reinschreiben als Zitat, dass man das genussvoll noch mal lesen kann. Diese Sprache! Mir lief es jetzt noch mal so ein bisschen kalt den Rücken runter als ich das las, weil diese ganzen Ausdrücke, die kenne ich von früher tatsächlich noch.

Die Geschichtsmacher: Marko Was ich mich aber frage ist: Gab es in der DDR eigentlich so etwas wie eine Diskussion über die Todesstrafe? Also ich meine, wenn der sich schon öffentlich da äußert und die Aufrechterhaltung der Todesstrafe sozusagen verteidigt, gab es eine Diskussion darüber?

Die Geschichtsmacher: Thomas Das ist ja das Schöne in einer Diktatur: Eine Diskussion, die man nicht haben will, findet nicht statt. Was ich eben vorgelesen hab, war ein Lehrkommentar. Den gibt es in der Fachliteratur - eventuell - hat also bei der Ausbildung von Juristen eine Rolle gespielt, von Jurastudenten - in der Öffentlichkeit aber überhaupt nicht. Die Todesstrafe war kein Thema mehr seit Ende der 60er Jahre.

Die Geschichtsmacher: Martin Du hast am Anfang schon gesagt, dass es dann sehr ruhig geworden ist um die Todesstrafe, dass das nicht mehr öffentlich diskutiert wurde, nachdem das ja in den ersten Jahren ein Instrument der Abschreckung sein sollte. Warum ist das dann so unter den Teppich gekehrt worden? Warum wurde darüber nicht mehr gesprochen?

Die Geschichtsmacher: Thomas Das Problem war wahrscheinlich, dass man auch in der DDR erkannt hat, dass so was wie die Todesstrafe eine sehr brachiale Strafe ist, die irgendwann nicht mehr so richtig in die Zeit passte. In westeuropäischen Ländern gab es damals kaum noch die Todesstrafe und auch international wurde sie immer mehr geächtet. Die Aufnahme der DDR in die UNO, das war 1973, war auch ein Grund, weil da gab es natürlich auch Länder, die noch die Todesstrafe hatten und bis heute ja noch haben. Aber man hat damals schon sehr genau hingeguckt, wer sie noch vollstreckt und wer sie noch ausspricht. Und man wollte, glaube ich, in der DDR nicht so einfach zu den Bösen gehören, die noch Menschen hinrichten.

Die Geschichtsmacher: Martin Aber trotzdem gab es weiterhin Verurteilungen und auch Vollstreckungen der Todesstrafe.

Die Geschichtsmacher: Thomas Gab es weiterhin. Natürlich, ja. Aber es geht ja in der DDR immer darum, wie etwas aussieht und was tatsächlich stattfindet. Ist ja immer ein kleiner Unterschied. Das Schaufenster sollte sauber sein, deswegen hat man über die Todesstrafe einfach nicht mehr geredet. Und worüber man nicht redet, das gibt es nicht.

Die Geschichtsmacher: Marko Wir hatten eben schon angesprochen: Um Abschreckung kann es dem Staat also nicht gegangen sein, sondern dann maximal darum, dass man Leute nicht wegsperren musste und somit Kosten spart?

Die Geschichtsmacher: Martin Das wäre der kapitalistische Ansatz. Ich weiß nicht, ob das eine Rolle gespielt hat.

Die Geschichtsmacher: Marko Ich komme halt nicht aus meiner Haut. Aber ja, so was - wie war es? Man versteht es doch nicht - oder? Wer rächt sich denn an wem? Das ist ja, das ist ja albern - oder?

Die Geschichtsmacher: Thomas Die Frage ist, ob man das überhaupt verstehen muss. Ich glaube, man kann es nicht verstehen. Und man soll sich da jetzt nicht abmühen, das verstehen zu wollen. Es gab einfach Leute, die daran ein Interesse hatten, weil sie glaubten, man verteidigt so die Errungenschaften des Sozialismus oder die schöpferische Arbeit der Werktätigen.

Die Geschichtsmacher: Marko Dafür hätte man ja jemand lebenslänglich wegsperren können und von mir aus in Einzelhaft. Aber man hätte sich diese Hinrichtung sparen können. Aber nö, man macht es dann halt endgültig.

Die Geschichtsmacher: Thomas Man darf ja nicht vergessen, dass Herr Mielke selbst jemand war, der mal zwei Polizisten erschossen hat. Und deswegen hat er sich wahrscheinlich auch dafür eingesetzt, die Todesstrafe beizubehalten, weil er neigte zu Rigorosität und war generell, glaube ich, kaum jemand, dem man besondere Sentimentalitäten nachsagen konnte.

Die Geschichtsmacher: Martin Du hast am Anfang gesagt, der letzte Prozess, die letzte Hinrichtung, die letzte Verurteilung und dann die letzte Hinrichtung fand 1981 statt.

Die Geschichtsmacher: Thomas Richtig. Das war ein Hauptmann des MfS, also des Ministeriums für Staatssicherheit. Das war Werner Teske. Der war eigentlich ein Ökonom, der aber ein bisschen abenteuerlustig war aber auch neugierig. Und der wurde dann vom Ministerium selbst angeworben, hat dann eine Karriere im MfS gemacht und hatte einige Privilegien gehabt. Er durfte in den Westen reisen. Er war auch ein paar Mal dienstlich im Westen, mitunter auch mit Geldkoffern, kam auch immer wieder zurück. Aber er hat offenbar Gefallen gefunden an der westlichen Lebensart. So hat er das später dann auch sogar ausgedrückt. Er hat in seiner Arbeit angefangen, bisschen zu schlampen. Die Ehe lief nicht immer richtig. Er hat auch Geld veruntreut. Er hat eine Flucht geplant, wo man sich natürlich fragen kann, warum ist er nicht gleich drüben geblieben. Aber er hatte Frau und Kind in der DDR und kam deswegen immer wieder zurück. Aber er wurde eines Tages dann doch erwischt, weil es zu viele Unklarheiten in seinem Arbeitsumfeld gegeben hat.

Die Geschichtsmacher: Marko Also erwischt wegen Geldunterschlagung oder oder was war es jetzt?

Die Geschichtsmacher: Thomas Wegen Unzulänglichkeiten in seinem Umfeld, also Geld hat er auch teilweise wieder zurückgezahlt, aber seine Aktenführung war wohl schlampig und er hat gegen allerlei Dienstvorschriften verstoßen. Er wollte ja eigentlich auch aufhören. Nun ist natürlich die Stasi da so ein bisschen wie die Mafia. Das ist eine Firma nannte man das ja in der DDR die Stasi....

Die Geschichtsmacher: Marko Tatsächlich, sagte man das so -die Firma?

Die Geschichtsmacher: Thomas Die Firma - die Firma, das war die Stasi, und die verlässt man nicht so einfach. Da sagt man nicht Tschüss, sondern also entweder man wird rausgeschmissen oder zum Tode verurteilt. Aber man geht dann nicht einfach, es sei denn, man wird irgendwann in Rente verabschiedet. Er musste also dableiben und hat darunter wirklich auch gelitten. Es gibt ein hochspannendes Buch über sein Leben und sein Sterben. Das kann ich vielleicht am Ende noch mal nennen und da kann man das auch wunderbar nachlesen.

Die Geschichtsmacher: Marko Wir packen es sie in die Shownotes.

Die Geschichtsmacher: Thomas Jedenfalls wurde er festgenommen, war in Hohenschönhausen im Stasigefängnis, Berlin Hohenschönhausen, wurde tage- und wochenlang verhört und wurde irgendwann so richtig geständig. Er hat sich also alles von der Seele geredet, was ihm in der DDR nicht gefällt, was ihn an seiner Arbeit störte und was sein Vergehen war, nämlich dass er eine Flucht auch hier wieder geplant hatte. Aber letzten Endes auch nicht ausgeführt hat. Aber das spielt keine Rolle, sondern er wurde angeklagt. Und von diesem Prozess, der nicht öffentlich war, gibt es auch wieder einen recht ausführlichen Ton Mitschnitt und ich hab euch einen Tor mitgebracht des Militärstaatsanwalt, der dann die Strafe für Werner Teske beantragt.

Die Geschichtsmacher: O-Ton Militärstaatsanwalt Ich beantrage aus den von mir dargelegten Gründen den Angeklagten wegen begangener, vollendeter und vorbereiteter Spionage in besonders schwerem Fall in Tateinheit mit Fahnenflucht im schweren Fall zum Tode zu verurteilen und gemäß Paragraph 58, Absatz eins und drei Strafgesetzbuch die staatsbürgerlichen Rechte für dauernd abzuerkennen.

Die Geschichtsmacher: Thomas Und selbst nach DDR Recht ist das eigentlich falsch, denn das Todesurteil gab es nur auf vollendete Spionage. Und hier ist keine einzige Akte, die Herr Teske zur Seite geschafft hat, in die Hände des sogenannten Klassenfeindes gekommen. Man kann nicht von vollendeter Spionage sprechen. Und trotzdem aber hat der Staatsanwalt hier die Todesstrafe beantragt. Und dann gibt es noch - das habe ich auch mitgebracht - die letzten aufgezeichneten Worte von Werner Teske.

Die Geschichtsmacher: O-Ton Werner Teske Ich bitte den Hohen Senat bei seiner Urteilsfindung mir die Chance einzuräumen, noch einmal die Möglichkeit zu geben, ein Leben mir einzurichten, in dem ich voll den gesellschaftlichen und gesetzlichen Normen der DDR entspreche.

Die Geschichtsmacher: Martin Aber offensichtlich hat das Gericht keine Neigung gehabt, diesem Wunsch zu entsprechen und den Herrn Teske nach den gesellschaftlichen und gesetzlichen Normen der DDR noch eine Chance zu geben.

Die Geschichtsmacher: Thomas Kein bisschen. Man war voll auf Todesstrafe eingestellt, und wenn man die Zusammensetzung des Gerichts liest, also der Militärstaatsanwalt, das war Generaloberst Heinz Kadgien und der Vorsitzende Richter war der Generaloberst Fritz Nagel, kann man vielleicht noch mal nachliefern diese Namen, die wurden nach der friedlichen Revolution dann natürlich angeklagt und wurden auch beide verurteilt wegen Rechtsbeugung. Es gab, glaub ich, sogar Haftstrafen, aber im offenen Vollzug, das heißt die waren ab und zu mal im Gefängnis, durften aber sich relativ frei bewegen.

Die Geschichtsmacher: Marko Nun war dieser Prozess, hast du gesagt, eigentlich geheim, aber immerhin: Die Gründlichkeit zwang einen dann doch, Tonaufnahmen zu machen.

Die Geschichtsmacher: Thomas Ob das die Gründlichkeit war, weiß ich nicht. Es war vielleicht auch die Neugierde, damit man Herrn Mielke, den Minister, dann auch noch mal vorspielen konnte, wie das abgelaufen ist. Oder für andere interne Zwecke.

Die Geschichtsmacher: Marko Aber es hat sich erhalten und du bist immerhin dran gekommen.

Die Geschichtsmacher: Thomas Ja.

Die Geschichtsmacher: Martin Aber diese Milde, die dann den Anklägern dann in der Bundesrepublik zuteil wurde, die wurde dem Herrn Teske nicht zuteil. Der ist tatsächlich hingerichtet worden.

Die Geschichtsmacher: Thomas Er wurde tatsächlich hingerichtet, mit einem Barkas von Berlin nach Leipzig gefahren, und dort gab es dann den unerwarteten Nahschuss. Seine Familie wurde erst später informiert. Es gibt einen Totenschein, da steht drin, er ist an Herzversagen gestorben, was wahrscheinlich eine Interpretation ist, die nicht völlig falsch ist, wenn man erschossen wird.

Die Geschichtsmacher: Martin Letztendlich sterben wir alle an Herzversagen. Ja.

Die Geschichtsmacher: Thomas Als Todesort wurde Stendal angegeben. Und er wurde dann auch tatsächlich in Leipzig auf dem Südfriedhof ins Krematorium gebracht. Und zwar bevor das überhaupt geöffnet war. Also extra für die Stasi wurde da mal das Krematorium angeheizt, die Leiche verbrannt und dann irgendwo die Asche beigesetzt, ohne dass das die Angehörigen erfahren haben. Die Frau von Werner Teske, Sabine Teske und das Kind wurden gezwungen, eine neue Identität anzunehmen, wurden in eine andere Stadt gezwungen - ich glaube, es war Greifswald - und sollten sich nicht in Berlin, ihrem Wohnort sehen lassen. Man wollte einfach die Erinnerung an Werner Teske vollkommen auslöschen.

Die Geschichtsmacher: Marko Der letzte Mensch, der in Deutschland hingerichtet wurde.

Die Geschichtsmacher: Thomas 1981 noch. Immer, wenn ich das ausspreche, bin ich nach wie vor erschüttert, dass man hierzulande noch so lange die Todesstrafe angewendet hat.

Die Geschichtsmacher: Marko So, und dann wird sie sechs Jahre später abgeschafft, weil Erich Honecker Helmut Kohl besuchen möchte. Damit ist die Geschichte der Todesstrafe in Deutschland am Ende.

Die Geschichtsmacher: Thomas Es gibt aber mindestens einen Menschen, der das kurzzeitig bedauert hat, und zwar 1989. Das ist Bernhard Quandt. Es gibt einen Mitschnitt der letzten Sitzung des ZK der SED von 1989, und Bernhard Quandt, ein alter Widerstandskämpfer der in Nazi KZs saß, altes Mitglied der KPD, langjähriger SED Funktionär war. Und er war übrigens auch der letzte Ministerpräsident von Mecklenburg, als es in der DDR noch Länder gab. Aber das ist dafür vielleicht gar nicht so wichtig. Aber 1989 hat er auf dieser letzten Sitzung einen richtigen Ausbruch.

Die Geschichtsmacher: O-Ton Bernhard Quandt Das darf. nicht sein, Genossen. Das Zentralkomitee muss so stark sein. Dass aus seiner Mitte ein Politbüro entsteht, das mit der Verbrecherbande des alten Politbüros - Entschuldigung - nichts zu tun hat. Wir haben im Staatsrat die Todesstrafe aufgehoben. Ich bin dafür, dass wir sie wieder einführen. Und dann standrechtlich alle erschießen, die unsere Partei in eine solche Schmach gebracht haben.

Die Geschichtsmacher: Marko Mann, Oh Mann, Oh Mann... Das heißt, der will jetzt abrechnen mit seinen eigenen Parteigenossen.

Die Geschichtsmacher: Thomas Der will jetzt richtig abrechnen. Sagen wir mal so: Wenn sich Herr Mielke für die Todesstrafe ausgesprochen hat, hat er wahrscheinlich eher andere Motive als Bernhard Quandt, der in 1989 relativ spät bemerkt hat, dass in der DDR eine ganze Menge schief gelaufen ist. Und der möchte jetzt die Todesstrafe angewandt sehen für seine Mitgenossen. Also damit sind wahrscheinlich gemeint Erich Honecker und eben auch Erich Mielke, die ja für die Situation der DDR maßgeblich verantwortlich waren.

Die Geschichtsmacher: Marko Das öffentlich in der Tat in der Bundesrepublik seit der Vereinigung noch einmal die Todesstrafe gefordert worden wäre, zumindest auf einer politischen Ebene, ist mir nicht bekannt. Ich glaube, so richtig, selbst der rechteste Rechte sieht wohl nicht die Notwendigkeit einer Todesstrafe heutzutage. Das hat sich Gott sei Dank überlebt.

Die Geschichtsmacher: Thomas Es gab, glaube ich, in den 60er Jahren im Westen noch mal so eine Diskussion über die Todesstrafe, aber auch die ist ganz schnell im Sande verlaufen. Und heute hört man hier in ganz rechten Kreisen manchmal, dass Todesstrafe - insbesondere für Kinderschänder - gefordert wird. Aber du hast völlig recht, ernst zu nehmende Bestrebungen, die Todesstrafe wieder einzuführen, sehe ich im Moment auch nicht.

Die Geschichtsmacher: Marko Aber umso erschreckender und mir eigentlich völlig unbekannt, dass der letzte Mensch in Deutschland 1981 hingerichtet wurde.

Die Geschichtsmacher: Thomas Da kann ich vielleicht noch erwähnen: Es gibt dazu ein Buch von Gunter Lange, das heißt "Der Nahschuss", ist erschienen im sehr berühmten Christoph Links Verlag, wo ja auch andere Bücher erschienen sind, wie man so hört. Und es gibt auch einen Film aus dem Jahr 2021, ein Film von Franziska Stünkel mit Lars Eidinger und Devid Striesow, der angelehnt ist an die Biografie von Werner Teske. Dieser Film heißt Nahschuss, der ist auch sehr empfehlenswert.

Die Geschichtsmacher: Martin Wer sich zu dem Thema Todesstrafe in der DDR und zur letzten Hinrichtung in der DDR weiter informieren will, dem seien dieses Buch und dieser Film empfohlen. Wir packen die entsprechenden Informationen dazu auch noch mal in unsere Shownotes und uns bleibt an der Stelle eigentlich nur noch unserem Kollegen Thomas Klug in Berlin ganz herzlich zu danken, dass er uns dieses doch teilweise verstörende Thema heute nähergebracht hat.

Die Geschichtsmacher: Thomas Ich danke euch, dass ich bei Euch zu Gast sein durfte.

Die Geschichtsmacher: Marko Wenn euch diese Folge der Geschichtsmacher gefallen hat, dann sagt es allen Freunden, Bekannten...

Die Geschichtsmacher: Martin ...und eurer bevorzugten Podcast-Plattform, auf der ihr diesen Podcast hört. Gebt uns Sternchen, gebt uns Herzchen, gebt uns Kommentare, wir freuen uns über alle und beantworten sie auch. Und wenn euch diese Folge nicht so richtig gefallen hat....

Die Geschichtsmacher: Marko ...dann sagt es uns aber bitte nur uns. Unter www.diegeschichtsmacher.de findet ihr alle Möglichkeiten, um mit uns in Kontakt treten zu können.

Die Geschichtsmacher: Martin Und wir sagen: Herzlichen Dank noch einmal an Thomas Klug in Berlin und freuen uns auf die nächsten Geschichtsmacher in 14 Tagen. Bis dahin sagen wir Tschüss!

Die Geschichtsmacher: Marko Tschüs.

Die Geschichtsmacher: Thomas Tschüs.

Kommentare (2)

Jost Auler

Jost Auler (Hrsg.) Richtstättenarchäologie. Archaeotopos-Verlag Dormagen 2008, 2010 und 2012.

Bruni

Hochinteressant. Danke fürs Füllen der Wissenslücken

Neuer Kommentar

Dein Name oder Pseudonym (wird öffentlich angezeigt)
Mindestens 10 Zeichen
Durch das Abschicken des Formulars stimmst du zu, dass der Wert unter "Name oder Pseudonym" gespeichert wird und öffentlich angezeigt werden kann. Wir speichern keine IP-Adressen oder andere personenbezogene Daten. Die Nutzung deines echten Namens ist freiwillig.