Wohin mit Lenins Leiche?

Shownotes

Mitten auf dem Roten Platz in Moskau steht das Lenin-Mausoleum. An diesem Ort liegt seit 1924 der Leichnam des Kommunisten-Führers. Dabei hatte Lenin verfügt, dass er keinerlei Totenkult wünsche. Warum er doch dort landete und wie er bis heute frisch gehalten wird, das erklärt in diesem Podcast über die Geschichte von Lenins Leiche Deutschlands bekanntester Kriminalbiologe.

Auf einer Reise nach Moskau hatte Mark Benecke die Chance, den Körper Lenins näher unter die Lupe zu nehmen Lupe zu nehmen und mit Lenins Leichen-Präparator Ilya Zbaski zu sprechen. Dabei gab es von russischer Seite gewisse Vorbehalte und Widerstände. Denn es ist nicht leicht, einen Körper vor dem Verfall zu bewahren. Wie dies im Fall Lenins mehr oder minder gut gelungen ist. Warum immer wieder in der Geschichte der Menschheit versucht wurde, Tote vor dem Vergehen zu retten. Wie das am besten gelingt und was all das mit der Russischen Mafia zu tun hat, das erfahrt ihr in diesem Geschichts-Podcast über Lenins Leiche.

Wichtige Links zu dieser Folge:

Hier könnt ihr sehen, wie das Mausoleum errichtet wurde. Auf Marks Homepage findet auch einen Artikel aus Zeit Wissen über Lenins Leiche.. Folgt Mark in den Sozialen Medien auf Facebook, Instagramund Youtube

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Transkript anzeigen

00:00:04: Martin Wir stehen auf dem Roten Platz in Moskau, und zwar im Februar 1924. Da haben Soldaten gerade bei -30 Grad Außentemperatur eine 3 Meter tiefe Grabkammer in den Boden gesprengt und errichten jetzt ein provisorisches Mausoleum aus Holz, in dem Lenins Leiche ausgestellt wird. Das soll eigentlich nur für ein paar Wochen stehen. Aber weil Hunderttausende zum Roten Platz strömen, um sich von Lenin zu verabschieden, wird das nicht nur ein paar Wochen her sein das Mausoleum, sondern es wird ein ständiges Mausoleum aus Holz und später dann sogar noch aus Granit geben.

00:00:40: Marko 100 Jahre später liegt Lenin immer noch da und in der Zwischenzeit sind Millionen von Menschen an ihm vorbeidefiliert, haben ihn sich angeguckt und so auch unser heutiger Studiogast Mark Benecke. Was hast du gesehen?

00:00:55: Mark Benecke Hauptsächlich was gerochen. Was sehr interessant war.

00:00:58: Marko Lenin stinkt?

00:00:59: Mark Benecke Nö, er riecht nach Formalien.

00:01:00: Martin Und was das zu bedeuten hat, das klären wir heute bei...

00:01:04: Intro Die Geschichtsmacher. Von Autorinnen und Autoren des Zeitzeichens.

00:01:21: Marko Unser Gast: Deutschlands bekanntester Kriminalbiologe: Mark Benecke. Was hat dich auf den Roten Platz gebracht? Warum bist du zu Lenin gegangen?

00:01:30: Mark Benecke Der US-amerikanische Sender, nennen wir es mal National Geographic Sender International, wollte gerne mal ganz große, interessante, sehr gut recherchierte Geschichten für den weltweiten Markt anbieten. Für alle Länder. Und dann haben sie sich überlegt: Gut, jetzt haben wir gerade in der Sowjetunion, in Russland, haben wir gerade so eine Zeit der politischen Öffnung, vielleicht kann man da ja was machen.

00:01:56: Marko Nun muss man sagen, für alle, die das nicht wissen: Du warst im Jahre 2001 damals in Russland. Mittlerweile wäre so eine Reise ja gar nicht mehr möglich. Aber 2001, da gab es natürlich so ein Klima, wo man sagen kann okay, das geht.

00:02:09: Mark Benecke Und es lebte damals noch der Sohn des Präparators, also das waren Boris und Ilias Barski. Da lebte der Sohn noch, der Lenins Leiche präpariert hat, das von seinem Vater übernommen hatte. Und das ist halt fürs Fernsehen gut, weil du möchtest natürlich gerne mit den Originalmenschen reden, die da selber dabei waren.

00:02:27: Martin Also vielleicht, um das noch mal zusammenzufassen Du bist damals, 2001, im Auftrag von National Geographics, das ist ein amerikanisches Magazin, so ein bisschen wie die GEO hier, bist du mit einem Kamerateam nach Moskau gefahren. Aber eigentlich, um etwas ganz anderes zu machen.

00:02:44: Mark Benecke Ich war dann dorthin gefahren eigentlich, um die Zähne und die Schädelstücke von Adolf Hitler mir anzuschauen, die im FSB und im Archiv der Russischen Föderation lagen, und mit einigen Zeitzeugen zu reden, also der Übersetzerin für Stalins Sekretär und einigen anderen. Aber dann, dann habe ich halt immer gesagt: Also Leichen präparieren und haltbar machen usw. das ist eigentlich, das ist gar nicht so einfach, weil es soll ja auch eindrucksvoll sein, es soll ja keine Grusel oder Zombie-Show sein oder so. Soll ich da nicht auch mal draufgucken vielleicht. Und dann haben die gesagt: Ja, OK. Mark - wenn du jetzt eh schon hier bist, dann kannste gerne noch mitkommen. Was mich in einen sehr guten und angenehmen Kontakt zum Präparator von Lenins Leiche dann gebracht hat. Also wir waren dann sozusagen die beiden Fachleute und fanden natürlich die ganzen Fernsehleute ein bisschen komisch und die uns und das hat uns dann zusammengeschweißt.

00:03:40: Martin Du sagst, der Präparator von Lenins Leiche, das heißt, da wird immer noch präpariert, da wird immer noch gearbeitet an Lenins Leiche. Ich habe, als wir zum Ersten Mal über das Thema gesprochen haben oder drüber nachgedacht haben, habe ich gedacht: Na ja, gut, die haben den damals halt 1924 einbalsamiert und damit war's dann auch gut. Dann liegt er da halt und kann betrachtet werden. Aber so ist es offensichtlich nicht.

00:04:03: Mark Benecke Ja, das ist richtig. Das war vielleicht auch die Ursprungsidee mal, also das ist ja so passiert, dass Stalin gesagt hat: Nee, nee, nee, Lenin, den brauchen wir, um hier so eine Dauerhaftigkeit der, sagen wir es mal kommunistischen Idee auch körperlich zu zeigen. Die Frau von Lenin hatte ja sogar in der Prawda geschrieben, also in der damals größten oder zumindest in der der, der politischsten und am häufigsten zitiert Zeitung. Mein Mann möchte das nicht. Also mein Mann möchte, dass keine Statuen errichtet werden, keine Denkmäler, sondern es sollen Krankenhäuser und Kindergärten und so was gebaut werden.

00:04:37: Martin Da gibt es sogar noch ein Zitat: Die Witwe von ihm, Nadeschda Krupskaja, wenn ich das jetzt richtig ausspreche, hat sogar noch einen Brief ans Politbüro geschrieben. Marko, lies doch mal gerade.

00:04:51: Marko Also, ich bin jetzt die Witwe, ja. Lenins Witwe.

00:04:55: Marko als Lenins Witwe Ich habe eine große Bitte an euch. Lasst Eure Trauer um Iljitsch nicht zur äußeren Verehrung seiner Persönlichkeit werden. Errichtet ihm keine Denkmäler, keine Paläste in seinem Namen, feiert keine großen Feste als Erinnerung an ihn. Er hat dies alles zu Lebzeiten schon so wenig geachtet, dass es ihm viel mehr eine Last war.

00:05:17: Martin So also das ist ja eigentlich relativ deutlich.

00:05:19: Mark Benecke Hat aber dann natürlich keinen interessiert. Und Stalin hat dann einen Wahnsinns Personenkult um Lenin gemacht. Lenin war in Wirklichkeit auch nicht der Gute. Der hat auch sehr, sehr, sehr viele Leute töten lassen. Nicht so viele wie Stalin jetzt, aber der hat auch ganz krasse Säuberungen gemacht usw. und war aber so weggedämmert. Also der war so ein - nicht einsam, das ist der falsche Begriff, aber sehr stark zurückgezogen weggedämmert und gestorben. Das heißt, da gab es jetzt nur noch seine Frau, die sich da so öffentlich für ihn einsetzen konnte und dann hat Stalin das natürlich, hat er gesagt, ja, dann soll sie halt in der Prawda was schreiben. Und danach ist gut.

00:05:52: Martin Jetzt muss man natürlich sagen, dass Stalin und Lenin, also zumindest am Ende von Lenins Leben, sich nicht gerade grün gewesen sind.

00:06:00: Marko Was man, glaube ich, auch so nicht weiß, weil ich kenne die beiden immer nur auf Fotos, bevor die Stalin Statuen gestürzt worden sind. Da stehen die als Statuen nebeneinander in einhelliger Freude.

00:06:10: Martin Ja klar, so will es natürlich die sowjetische Propaganda, ist klar. Aber Lenin hat sich vor seinem Tod noch sehr deutlich zur Person Stalins geäußert. Und zu seinen Führungsqualitäten. Da gibt es einen Brief an den Parteitag der KPdSU, also der Kommunistischen Partei der Sowjetunion vom 25. Dezember 1922, also über ein Jahr vor seinem Tod. Und da schreibt er nämlich Folgendes.

00:06:37: Marko liest Lenin Genosse Stalin hat dadurch, dass er Generalsekretär geworden ist, eine unermeßliche Macht in seinen Händen konzentriert, und ich bin nicht überzeugt, dass er es immer verstehen wird, von dieser Macht vorsichtig genug Gebrauch zu machen.

00:06:54: Martin Und ein paar Wochen später wird er dann noch deutlicher. Da gibt es eine sogenannte Nachschrift, nennt sich das zu diesem Brief. Und da schreibt er dann das:

00:07:03: Marko liest Lenin Stalin ist zu grob. Und dieser Fehler, der in unserer Mitte und im Verkehr zwischen uns Kommunisten erträglich ist, kann in der Funktion des Generalsekretärs nicht geduldet werden. Deshalb schlage ich den Genossen vor, sich zu überlegen, wie man Stalin ablösen könnte, und jemanden anderen an diese Stelle zu setzen, der sich in jeder Hinsicht von dem Genossen Stalin nur durch einen Vorzug unterscheidet, nämlich dadurch, dass er toleranter, loyaler, höflicher und den Genossen gegenüber aufmerksamer, weniger launenhaft usw ist.

00:07:42: Martin Die Authentizität dieser Nachschrift, die wird bisweilen angezweifelt. Also man weiß nicht ganz genau, ob das wirklich aus Lenins Feder stammt. Aber klar ist, dass Lenin zum Schluss auf jeden Fall nicht Stalins Freund war. Die Frage ist dann natürlich: Warum verfügt Stalin, dass Lenin so ausgestellt wird?

00:08:00: Marko Der wollte ihm vielleicht eins auswischen.

00:08:02: Martin Vielleicht im Nachhinein. Vielleicht wusste er, dass er das nicht wollte. Vielleicht wusste er, dass eben seine Witwe das auch nicht wollte. Und er hat quasi posthum ihm einen hinterhergereicht. Aber klar ist, dass Lenin nach seinem Tod.

00:08:16: Marko Wann ist er denn überhaupt gestorben?

00:08:17: Martin Er ist gestorben am 21. Januar 1924, also mitten im Winter. Und dann ist er auf dem Roten Platz eben aufgebahrt worden, weil man den Bürgern Russlands, den Bürgern der Sowjetunion ermöglichen wollte, sich von Lenin zu verabschieden.

00:08:36: Marko Und das war der Moment, wo dann Tausende gekommen sind und an dem vorbei defiliert sind...

00:08:39: Martin Ja nicht nur Tausende, sondern Zehntausende waren es am Ende und die Schlange ist einfach nicht mehr abgerissen.

00:08:45: Marko Und wir haben Januar, Februar, das heißt, wir haben es in Moskau schweinekalt.

00:08:50: Mark Benecke Und dann war das Problem, dass die Leiche schon in so eiskalter Erde lag, wo sie... das war aber eigentlich nicht schlecht, weil dadurch ist sie haltbarer gewesen, wenn man so will, tiefgefroren.

00:08:59: Marko So ne Art Ötzi.

00:09:01: Mark Benecke Ja, ja, ungefähr. Genau.

00:09:02: Marko Also Kälte, Kälte ist ein gutes Mittel. Das ist einfach, das ist so.

00:09:05: Mark Benecke Ja. Kälte ist sehr gut. Klar. Deswegen gibt es eine Tiefkühltruhe.Klar, weil dann keine Bakterien wachsen und so, aber es gab zwei Unterschiede zum Ötzi. Der Ötzi ist vertrocknet. Lenin war nur teilweise vertrocknet. Das heißt, das siehst du dann diese dunklen, bräunlichen Stellen, die man auch von vertrockneten Leichengewebe sonst so kennt, so Salami ist das bekannteste Beispiel oder Schinken. Das ist ja vertrocknetes Leichengewebe von Tieren, und das ist dieses Rotbraun, das hatte Lenin da zu dem Zeitpunkt schon an der Seite der Nase oben an der Nase, also da, wo die Haut, wie man so sagt, dünn ist im Winter, wo man dann sich so manchmal Creme draufschmiert oder so und irgendjemand sollte das wieder herstellen und dann hat man das halt ganz Stalin Style gemacht. Dann wurde dem Anatom, der da am Abendbrottisch saß, der gesagt hat: Ich kann das nicht, ich weiß das nicht. What´s happening, dem haben Sie dann die Knarre gezeigt. Und dann haben sie gesagt: Sind Sie immer noch sicher, dass Sie das nicht hinkriegen? Hat der gesagt Ja, okay. Und hat sich dann was einfallen lassen. Und so ist dann der Vater Sparski und dann Sohn Sparski sind die drangekommen. Das muss deswegen dauernd gemacht werden, weil die Leiche halt, ansehnlich sein soll. Die ist zwar vom Publikum relativ weit abgetrennt, ich weiß nicht, ob sie jetzt noch überhaupt gezeigt wird. Aber früher sind ja Schulklassen weise die Kinder und so weiter durch. Und es ist schon ein gewisser Abstand da. Aber ich meine, man merkt das schon, ob das schlecht oder gut gemacht ist. Das ist so ähnlich wie bei Animationsfilmen. Eine Zeit lang gab es ja Animationsfilme, die sollten so menschenähnlich wie möglich sein. Und das fanden die Leute dann gruselig, weil es halt eben nicht perfekt menschenähnlich war. Deswegen sind die neuen Animationsfilme immer alle nur noch mit süßen, niedlichen, überhaupt nicht menschlich aussehenden Figuren gemacht. Das nennt man das Uncanny Valley. Also je näher es menschenähnlich wird, aber nicht perfekt ist, umso gruseliger wird es. Und das wollte man unbedingt vermeiden. Und deswegen wurde der also immer schön hergerichtet und vor allen Dingen feucht gehalten. Weil Du willst auf keinen Fall, dass diese Eintrocknungs-Stellen, die fallen Menschen auch sehr schnell auf, also du siehst sehr, sehr schnell, wenn was vertrocknet ist. Das wollte man vermeiden und deswegen muss er also... der ist in so einer Art, jetzt mal übertrieben gesagt, so eine Art Taucheranzug und da drüber ist dann sein normaler Anzug und der Rest ist mit so einer Mischung aus eigentlich... so wie eine Feuchtigkeitscreme, die manche Leute benutzen, weil sie glauben, dass dann ihre Haut feuchter und angenehmer aussieht. Also, das heißt, du hast irgendwas, was das Fett-Wasser Gemisch irgendwie ein bisschen aufquellen lässt und was Antibakterielles. Das Rezept habe ich auch. Also wer das mal ausprobieren möchte, kann es. Na ja, das ist halt so.

00:11:32: Martin Das hast du wie bekommen. Also ich meine ...

00:11:36: Mark Benecke Von Sohn-Sparsky - der Präparator hat mir das gegeben.

00:11:38: Martin Okay.

00:11:39: Mark Benecke Ist aber auch ganz einfach. Ist im Grunde nichts anderes als in all diesen Cremes. Das ist ja alles nur Fake. Also diese ganzen Kosmetikprodukte, die angeblich Feuchtigkeit zurückhalten, das ist ja alles Quatsch. Das einzige, was das macht ist, ist dass das eben ein bisschen Feuchtigkeit in der Haut hält, sodass zum Beispiel Falten nicht so tief wirken oder so was. Und du brauchst was Keimhemmendes. Also es unterscheidet sich kaum von der Behandlung von Lebenden, nur dass Lebende halt selber dafür sorgen können, dass sie genug Wasser im Körper haben. Das kann die Leiche halt nicht.

00:12:04: Martin Jetzt hast du eben gesagt, dass die Schulklassen, die da vorbeigeführt werden oder zumindest wurden damals relativ weit entfernt da vorbei defiliert sind. Du bist aber näher rangekommen an Lenins Körper. Wie ist das abgelaufen? Erzähl mal ein bißchen...

00:12:19: Mark Benecke Ja, sagen wir mal so. Da waren doch die, wenn man so will, die Propaganda-Vorkehrungen, würde ich es mal nennen, weil Sicherheit-Probleme entstehen ja gar nicht. Weil Du kommst gar nicht an die Leichen so ran ohne Weiteres. Da läuft man über so eine, kann man sich vorstellen, wie so eine absteigende Wendeltreppe ist es zwar jetzt nicht, aber so ungefähr kann man sich das vorstellen. Und in der Mitte liegt dann, umgeben von an den Außenwänden dann rötlich-braunem Marmor, der wahrscheinlich auch diese Vertrocknungsstellen noch ein bisschen verdeckt, weil das Licht dadurch auch so komisch rötlich ist. Da liegt er dann. Und was ich gemacht habe, ist, während sie dann gedreht haben, habe ich halt ran gezoomt. Hauptsächlich. Also selber ran gehen geht nicht. Das geht aus räumlichen Gründen nicht. Aber ich habe gezoomt. Und da habe ich mir das dann aus der Nähe angucken können, wie wenn jetzt meinetwegen bei einem Fußballspiel die Leute da stehen mit diesen riesigen Objektiven, so so, ne, wo man dann ganz nah ran zoomen kann. Aber da sind die relativ schnell gekommen, und haben gesagt: Nee, Mark, auf, das geht leider nicht. Also das wollten sie auf keinen Fall, dass man sieht, das diese kleinen Flecken und dergleichen, dass die da vorhanden sind. Ich persönlich sehe das anders, weil dadurch könnte man viel stärker zeigen, dass das der echte Lenin ist. Weil es gibt so eine so eine Wander-Sage, dass das eine Wachsfigur sein soll, weil das wurde, weil es wurde manchmal gemacht. Also der Vatikan macht das zum Beispiel sehr häufig, dass die vatikanischen Heiligen oder später heilig zu sprechenden Personen, dass die als Wachsfigur da hingelegt werden. Und so gesehen fände ich es eigentlich gut, wenn man das einfach ehrlich sagen würde. Mein Gott, ja klar, da ist jetzt vielleicht hier ein ganz kleiner Fleck oder so, aber das ist ja nur ein Echtheitsbeweis.

00:13:45: Martin Was sieht man denn von Lenin überhaupt? Du sagst, der liegt da in der Mitte. Man ist relativ weit entfernt. Ich kenn da nur Fotos. Ich glaube, man sieht dann eigentlich ja nur den Kopf und die Hände. Mehr sieht man von ihm gar nicht.

00:13:56: Mark Benecke Ja, ganz genau. Das ist richtig. Und im Grunde genommen, wenn man jetzt auch so Mumien, die hergerichtet sind, sich anguckt, was jetzt bei Lenin nicht der Fall ist, der ist ja nicht richtig vertrocknet, Also ist gleich mumifizieren. Was da häufig noch gemacht wird, man zieht den Kragen total weit hoch oder so eine Bettdecke drüber oder man nimmt eine tiefliegende Frisur oder eine Mütze und dergleichen mehr. Das haben sie da nicht gemacht. Er hat also seine normale Frisur, sein normales Hemd an, aber was da drunter liegt, das müsste man auch immer mal wieder. Mache ich auch. Muss man kritisch hinterfragen bei Mumien usw. Weil ich habe es auch schon erlebt, dass da nur Strohsack war. Also zum Beispiel in Palermo hab ich das schon gesehen und das ist ja aber hier jetzt nicht der Fall, weil man riecht deutlich das Formalien. Das wäre jetzt nicht nötig um den Kopf da irgendwie, wenn der da mit Wachs präpariert wäre oder so da herzurichten. Das heißt, sie versuchen wirklich den ganzen Körper da, wie soll man das nennen, am Leben zu halten ist der falsche Begriff.

00:14:49: Marko Zu erhalten. Es ist ja ein uralter menschlicher Wunsch, dass man die Körper von Verstorbenen lange aufrechterhält und erhält. Also man kennt es natürlich aus Ägypten, du hast eben schon die Mumien genannt. Es gibt es aber ähnliche Phänomene auch in südamerikanischen Kulturen. Wie wäre denn die schlauste Art und Weise, wie man einen Körper auf ewig ja konserviert?

00:15:15: Mark Benecke Also da gibt es zwei Möglichkeiten, die beide mit höchstmöglicher Spannweite voneinander entfernt sind. Das eine wäre natürlich, was immer so auch in Todesanzeigen und dergleichen steht in der Erinnerung der Menschen, solange sich jemand an die Werke oder so was eines Menschen erinnert, so lange ist er ja tatsächlich, also jetzt auch meiner Meinung nach, wenn du so willst, wie soll man das nennen, biologisch und sozial ist er ja noch vorhanden, weil wenn diese Handlungen noch dazu führen, dass echte Lebende andere Handlungen ausführen, ist ja tatsächlich die Wirkung dieser Person noch vorhanden. Und die andere Möglichkeit ist Plastinieren. Das funktioniert sehr gut. Da musst du zwar ein ganz klein bisschen mit Farbe noch ein bisschen arbeiten, die Muskeln und so, das Rot von den Muskeln muss man auch ein bisschen nach färben. Aber Plastiknieren ist eigentlich die einzige Technik, die wirklich funktioniert. Das muss man aber können. Ich habe schon katastrophale Plastinate in meinem Leben gesehen. Oh Gott, oh Gott. Das sieht dann wirklich aus wie... Also, da ist eine Geisterbahn ist noch schön dagegen.

00:16:06: Martin Da wären wir dann - bei Plastinieren wären wir dann bei Gunther von Hagens Körperwelten angelangt. Das sind aber Techniken, die sind deutlich später entwickelt worden.

00:16:14: Mark Benecke Ja, ja, genau das konnten die damals noch nicht im Traum. Also das war im Traum nicht möglich. Also was es damals schon gab, waren Wachs-Nachformungen, teilweise auch Wachs-Ausgießungen von Gefäßen, also Adern und so was. Das gab es alles schon. Aber ansonsten war das, was die gemacht haben, die perfekte Lösung. Anders ging es überhaupt nicht. Ich meine, die einzige Alternative wäre es noch zu sagen: Okay, wir stellen jetzt den ganzen Körper sozusagen nur noch in der Unterhose dar. Aber das wäre ja völlig sinnlos, weil warum sollte man den politischen Geliebten übergottartigen Führer jetzt in der Unterhose da darstellen? Das heißt, sie haben das wirklich sehr, sehr, sehr gut gemacht. Der Anzug, den er anzieht, ist ja auch ein moderner Anzug oder so, also das wirkt jetzt auch nicht. Zum Beispiel: Die Hörerinnen und Hörer können das jetzt nicht sehen, aber ich habe so aus den 20er Jahren Klamotten an, aber bei Lenin ist es wirklich auch. Also sagen wir mal, ich will jetzt nicht sagen super modern oder so, aber die haben wirklich dafür gesorgt, dass das, was sie transportieren wollten, also der Geist des Kommunismus, aber auch der echte Lenin und dann halt in Klammern in der Nachfolge der Stalin usw. - das liegt jetzt hier und das ist was Modernes, das ist nicht muffig, das ist nicht verstaubt, da stehen keine Kerzen drum herum, da ist auch nichts Religiöses, sondern das ist... der ist unter euch, das haben sie super gemacht, wirklich.

00:17:20: Martin Wobei es ja wirklich spannend ist. Du hast es eben schon angedeutet. Die wussten eigentlich gar nicht, was sie genau mit dem machen sollten. Also die haben ja letztendlich anfänglich herumexperimentiert und geschaut, nachdem sie so freundlich gebeten worden sind, mit der Pistole an der Schläfe, doch bitte dafür zu sorgen, dass Genosse Lenin da haltbar gemacht wird. Haben sie dann angefangen zu schauen: Okay, wie machen wir das denn eigentlich? Was ich gelesen habe, ist, dass der erste Obduzent erst mal das Gehirn rausgenommen hat von Lenin und es dann in viele 1000 Scheiben zur Untersuchung geschnitten worden. Das war damals eine Mode, dass man versucht hat, aus der, aus der, aus dem Gehirn und der Art des Gehirns und der Anatomie des Gehirnes zu schließen, welche geistigen Kapazitäten da vielleicht drin gewohnt haben.

00:18:06: Mark Benecke Ja, soweit ich das weiß, stimmt das, ja. Das ist aber übrigens kein Problem. Das Gehirn rauszunehmen ist eigentlich eher vielleicht sogar eine gute Idee, weil die Haut wird dabei hinten - also stell euch vor, ihr zieht so eine Baseballmütze auf, dann entsteht ja so eine Linie, wo die Baseballmütze aufhört unten. Und wenn man da schneidet, an der Linie hinten bis zu den beiden Seiten des Kopfes, bis zu den Schläfen, dann kannst du die Haut nach vorne ziehen, über die, über Augen und Nase und Mund und kannst dann in Ruhe den Schädel aufsägen, das Gehirn rausnehmen, Schädel wieder draufmachen, Haut wieder rüberziehen, zunähen. Also deswegen geht das auch. Also das ist jetzt kein Hindernis, um die Leiche da auszustellen.

00:18:40: Martin Ja, was er dann noch gemacht hat. Er hat Formalien in die Adern der Leichen gefüllt, gemischt mit Alkohol, einem Chlor, Salz und Glycerin. Warum? Warum macht man, würde man so was machen?

00:18:50: Mark Benecke Das ist die Technik, die ich gerade genannt habe. Das ist wie eine Hautcreme. Du brauchst irgendwas, was sozusagen Feuchtigkeitsrückhalt bietet. Und was Keimhemmend ist. Das Formalin hat auch noch die Eigenschaft, dass Gewebe hart wird. Also das heißt, du hast Gewebehärtung. Das willst du jetzt bei Hautcremes nicht für Menschen, für lebende. Also du hast eine Härtung des Gewebes. Das wird stabiler, du kannst es besser transportieren usw. Du hast eine Keimfreiheit und du hast eine Möglichkeit, die Feuchtigkeit drin zu halten, damit die Austrocknung nicht so schnell stattfindet.

00:19:15: Martin Und die haben dann offensichtlich die Organe aus der Leiche herausgenommen, weil die wahrscheinlich auch vom Zerfall bedroht waren und haben dann den ausgestopften und den vernähten Körper in ein Bad aus Glycerin, Kaliumacetat, Alkohol und Chlorid getaucht. Jetzt wieder die Frage: Warum macht man das jetzt?

00:19:33: Mark Benecke Es jetzt wirklich immer dasselbe? Echt? Es ist eigentlich nur eine riesige Feuchtigkeits- und Anti- Bakterien Behandlung. Und da hast du auch schon das Rezept verraten, von dem ich gesagt habe, dass ich es habe. Das ist genau das, das sind die, das sind diese Rezepte. Und die inneren Organe müsste man eigentlich auch nicht unbedingt entnehmen, wenn du das sehr, sehr stark formalinisierst. Das Problem ist aber, wenn du viel Formalin in die Leiche reinlaufen lässt, dadurch, dass das Gewebe hart wird, hab ich auch schon gesehen, dass das passiert, dann kannst du eine scheinbare Gewichtszunahme haben. Das heißt, dann läuft das Ganze Formalin rein, härtet das Gewebe, noch Formalin läuft rein und dann wirst du das nicht mehr so schnell los, dann kriegst du das nicht mehr so schnell aus dem Gewebe rausgedrückt. Deswegen ist das ein bisschen besser, wenn man die Organe entnimmt usw und das Ganze dann ein bisschen vorsichtiger machen kann und dann eben auch von innen nach außen und nicht nur von außen nach innen arbeiten kann kann.

00:20:16: Marko Mark, was ich sehr beeindruckend finde, ist, dass du eigentlich unglaublich sachlich und sehr, sehr nüchtern über all diese Dinge redest. Man denkt sich so: Ja, den meisten Menschen ist so etwas eigentlich ein bisschen gruselig. War das bei dir immer schon so oder hast du dich daran gewöhnt?

00:20:30: Mark Benecke Ne, ne, ich glaube, da kannst du dich nicht dran gewöhnen. Das ist, glaube ich, eine Persönlichkeitseigenschaft. Ich weiß. Ich weiß nicht, was diese Aufregung um irgendwas soll. Also, ich glaube, das ist aber wirklich. Ja, also zum Beispiel mein Bruder ist Programmierer, der regt sich auch nicht immer über alles auf und so sagt dann lieber ja, entweder kann man das jetzt programmieren oder nicht.

00:20:49: Martin Okay, also für dich sind sind tote Körper tote Körper. Das ist Biomasse, oder wie? Wie welche? Welche Einstellung hast du zu Toten?

00:20:56: Mark Benecke Im besseren Fall ist es Biomasse. Dann hast du natürlich eine Rückgabe der Bestandteile deines Körpers in den Kreislauf des Lebens. Das ist ja der bessere Fall. Das ist ja der Grund, warum ich eben solche Einbalsamierungen in dem Sinne, von denen wir hier reden, nicht so gut finde. Weil damit entziehst du der Natur, aus der dein Körper ja stammt, entzieht du ja die ganzen Bestandteile, woraus du bestehst. Eiweiß, Fette, Eisen, Kohlenhydrate, Kalziumsulfat, Kalciumcarbonat usw. Deswegen ist das halt nicht so eine gute Idee. Nur das ist natürlich politisch ohne Bedeutung. Die sagen natürlich, wir wollen jetzt hier den Menschen eine politische Darbietung bieten und nicht über den Kreislauf des Lebens sprechen.

00:21:30: Martin Aber von Lenins Körper ist, wenn ich das richtig gelesen habe, sowieso nicht mehr so wahnsinnig viel übrig. Die Zahl, die ich gelesen habe, ist ja im Prinzip 23 % dessen, was mal Lenin war, ist überhaupt noch vorhanden und alles andere ist ja Chemie.

00:21:45: Mark Benecke Ja gut. Das ja, das würde ich jetzt aber so krämerisch nicht sehen, weil die...Ich meine... jetzt zum Beispiel so gesehen, sagen wir mal in zehn Jahren ist von deinem Körper, mit dem du jetzt die Sendung machst, auch nicht mehr so viel übrig. Du bist aber trotzdem noch Du - ne. Also weil die ganzen Stoffe ausgetauscht werden durch neue Stoffe, die du gegessen und getrunken hast und dergleichen mehr. Also ja, das würde ich so nicht unterschreiben. Also ich denke mal, wenn du so über die Geschichte der Darbietung von Leichen aus den letzten, sagen wir mal von einem, sagen wir mal 5000 Jahren oder so guckst dann, dann ist das, was da sein soll bei Lenin schon da. Also das passt schon.

00:22:24: Martin Und man betreibt einen relativ großen Aufwand, um das auch zu erhalten, haben wir eben schon kurz drüber gesprochen. Also es gibt wohl mehrere Balsamierungen pro Woche, wenn ich das richtig gelesen habe und alle 18 Monate eine komplette Runduminspektion. Also das ist ja ein Riesenaufwand, der da betrieben wird. Ich habe gelesen, dass die Unterhaltung des Mausoleum samt Pflege des Leichnams anderthalb Millionen US Dollar kostet pro Jahr. Also, es ist ja unglaublich eigentlich.

00:22:52: Mark Benecke Ja, gut, Personalkosten sind immer ein Problem. Aber nee, das ist eigentlich so, das hat sich gelöst das Problem eigentlich, weil natürlich ist das für so ein Staatshaushalt mitten am Roten Platz, Weltkulturerbe und so, da sind jetzt anderthalb Millionen ist jetzt kein großer Betrag - für dich und mich schon, aber in so einem Staatsetat spielt das jetzt keine Rolle. Und das zweite ist auch: Die haben dann, als die russischen organisierten Kriminellen nach dieser politischen Veränderung, nach der großen politischen Veränderung, wo wir Europäer so an Gorbatschow und so was denken, da gab es dann sehr, sehr viel organisierte Kriminalität, wo die ganzen Ressourcen ausgebeutet wurden und dann diese Superreichen entstanden sind und dann auch natürlich Verteilung von irgendwie Substanzen, Drogen usw auf einmal stattgefunden haben. Und da sind die Leute sehr sehr früh gestorben. Also die Kriminellen sind dann im Schnitt - der Colleges Sparsky hat mir erzählt, die sind nicht älter als 25 geworden, die Leute - im Schnitt. Und da hat man dann davon gelebt, dass die dann einbalsamiert wurden. Also da hast du dann die ganzen sozusagen heldenhaften organisierten Kriminellen wurden dann da einbalsamiert, die haben auch tolle Grabsteine bekommen, immer mit so einem teuren Jogginganzug und über dem Finger, den sie so gekrümmt vor sich halten, eingraviert in den Grabstein ein Mercedes Benz- oder Audi- oder so was -Schlüssel, um zu sehen, dass die das besessen haben zu Lebzeiten und so, also da haben die dann hauptsächlich von gelebt, dass sie diese.

00:24:16: Martin Das heißt das.

00:24:17: Mark Benecke Mafiosi - waren kein Italiener - aber einbalsamiert.

00:24:21: Martin Also die haben davon gelebt, das heißt, die, die das Mausoleum Lenins betreuen, haben dann quasi als zweite Einkommensquelle Mafiosi balsamiert?

00:24:29: Mark Benecke Das haben die Sparskys jetzt natürlich nicht so genau erzählt, weil die Menschen, die natürlich in dem früher so genannten Ostblock aufgewachsen sind, ich meine, die wussten schon, wann sie an der richtigen Stelle schweigen und was nicht erzählen. Aber jemand hat das dort gemacht, aus diesem Team oder alle. Und ob sie es dort gemacht haben oder nicht, weiß ich auch nicht. Heute würde das natürlich nicht mehr laufen. Das würde der jetzige Staatenlenker... würde das natürlich nicht mehr erlauben. Aber sie haben das entweder dort oder in einer nahe gelegenen Lagerhalle oder irgendwie so haben Sie das als Team gemacht. Man muss dazu verstehen: Es war auch nicht immer en vogue, Lenins Leiche zu präparieren. Es gab auch Zeiten, in denen die dann auch mal wieder versteckt werden musste und in denen das dann überhaupt nicht gut war aus politischen Gründen, die wir heute nicht mehr verstehen. Also die Sparkys, die beiden Präparatoren, hatten auch regelmäßig mit Lebensgefahr zu kämpfen, weil gerade mal wieder irgendwas in der Kommunistischen Partei sich hin und her bewegt hat und dann war das war mal cool oder nicht mehr cool, die Lenin Leiche rausgestellt zu haben. Das ist auch eine wichtige Lehre aus dieser Geschichte. Das Hauptproblem ist tatsächlich, dass selbst wenn du nur was Sachliches machst, also jetzt nur dich da um die Leiche kümmerst und sagst: Ja gut, dann ist das halt jetzt der Job bis ans Ende meines Lebens. Ich habe eine Familie, dann haben wir da ein halbwegs vernünftiges Auskommen. Der Weg zur Arbeit ist nicht so lang. Ich kann das. Was soll das jetzt? Und dann trotzdem bist du auf einmal schon wieder mit dem Leben bedroht, weil das dann politisch nicht passt. Und das sollte man immer nicht vergessen, wenn man in unserem Forschungsbereich arbeitet - Kriminalbiologie, Kriminalistik, Rechtsmedizin usw. - leider kommst du halt oft in Berührung mit grimmigen politischen Dingen, die dann auch oft auch nur wenige Jahrzehnte später schon überhaupt nicht mehr verstanden werden. Also das ist eigentlich die Hauptgeschichte von Lenins Leiche, dass das alles so wankelmütig und schwankend ist, warum diese Leiche überhaupt da sein soll, dass das eigentlich der Hauptgrund wäre, warum man die endlich mal beerdigen sollte. Mal ganz abgesehen von ganz anderen Gründen Menschlichkeit und so weiter. Aber da hängt so viel politisch auch unausgesprochen dran, dass eigentlich Stalin da sein oder wie soll ich sagen... oder der tote Stalin kann im Grab lachen darüber, dass er tatsächlich genau das geschafft hat, was Lenins Witwe nicht wollte. Also genau dieses politische Zeichen zu setzen.

00:26:38: Martin Wobei Stalin ja nach seinem eigenen Tod neben Lenin zeitweise zu liegen kam. Also...

00:26:44: Mark Benecke Ja klar, klar, er wollte ja diese ungebrochene Dauerhaftigkeit des Kommunismus spätestens ab Lenin wollte er ja auf diese Art darstellen, genau. Das, das ist genau dieser, dieser blöde Trick, der dann halt auch einfach funktioniert hat bis zu seinem eigenen Tod.

00:27:00: Martin Aber er - also Stalin ist dann aber nach, ich glaube sechs oder sieben Jahren dann wieder raus geräumt worden, weil er dann wieder nicht in die politische Landschaft passte. Das war dann der Nachfolger Chrustschow, der dann gesagt hat: Nee, also Lenin bleibt, aber Stalin nicht.

00:27:16: Mark Benecke Genau. Und das war aber vorher auch schon so, das vergessen viele. Es sind ja auch unglaublich viele Weggefährten, auch von Lenin und Stalin sind ja auch ermordet worden auf Befehl ihrer angeblichen politischen Freunde. Und so ging es dann Stalin halt nach dem Tod auch. Klar, der ist dann auch in diese Mühle da reingeraten. Ja, als toter Mensch.

00:27:33: Marko Wer nicht in die Mühle hineingeraten will, sollte sich also besser nicht balsamieren lassen. Wer Für dich wahrscheinlich auch keine Option, oder?

00:27:42: Mark Benecke Nein, ich sehe das tatsächlich so, dass wir vorhin gefragt hat Menschen bestehen aus Bestandteilen aus der Natur. Da sollten die auch zurückgehen und auch nicht verbrannt werden, so dass sie dann tausende von Jahren auch nicht mehr verfügbar sind im Lebenskreislauf. Und vor allen Dingen finde ich, wo ich mich immer wundere, viele Menschen wollen irgendwie so ihren Fußabdruck auf der Welt hinterlassen, ihren persönlichen. Und ich verstehe das nicht. Also kann man nicht einfach mal sein Leben gelebt haben und dann verschwinden. Also was ist daran jetzt so schwierig? Also nutze die Zeit, in der du lebst und danach bist du tot. Welche von diesen drei Buchstaben verstehst du nicht? Du bist nicht mehr da. Entweder erinnern sich Leute an dich und machen noch schöne Dinge. Hoffentlich hilfreiche, soziale Dinge, die von dir kommen, aber du bist nicht mehr da. Dann brauchst du dich weder einbalsamieren lassen noch einen riesen Palast drumrum bauen, noch sonst irgendwas. Lass es doch einfach. Konzentrier dich doch darauf, was Gutes in der Zeit, in der du lebst, zu tun. Das ist der Hauptgrund, warum ich diese ganzen Leichen-Erhaltungssachen total merkwürdig finde, außer für medizinische Lehr-Zwecke, wie bei den Körperwelten, das ist was anderes. Aber für alles andere kann ich das. Ich raff es einfach nicht.

00:28:45: Martin Was ja auch interessant ist. Also in den letzten Jahren oder letzten Jahrzehnten ist Einbalsamierung und Ausstellung von Staatsführern so ein bisschen aus der Mode gekommen. Also das macht man heute nicht mehr. Aber es gibt eine ganze Reihe, die sich nach Lenin haben einbalsamieren lassen und die dann teilweise auch auf die Erkenntnisse der Lenin-Einbalsamierer zurückgegriffen haben. Also wir haben da Ho Chi Minh, Kim Il Sung, der Sohnemann - Kim Jong Il, ebenfalls einbalsamiert und zur Schau gestellt. Dann in Bulgarien Staatsführer, Tschechoslowakei, in Angola - alles sozialistische Länder. Und das finde ich ja nun kurios, weil es ja gerade im Sozialismus darum geht, das Kollektiv auch zu feiern und nicht den einzelnen auf ein Podest zu stellen oder in ein Mausoleum zu legen. Also gerade im sozialistischen Regiemen dieser Personenkult und dann eben auch Körperkult mit den Leichen, das ist ja schon eine kuriose Wendung eigentlich.

00:29:42: Mark Benecke Ja, das ist ein echter, wie alte Männer wie ich sagen, ein echter Treppenwitz. Also das ist dann irgendwas, was, was hinterher noch nachträglich sich als super-bizarre oder lustig oder falsch oder zumindest schelmisch anzusehen sich herausstellt. Das ist absolut so, dass die so stark darauf angewiesen sind, diese religiös überhöhten Führerpersönlichkeiten zu erzeugen. Das zeigt natürlich, dass da ein ganz dicker Fehler im System ist. Das heißt nicht, dass die anderen Systeme nicht auch Fehler haben. Aber hier ist natürlich ein super krasses Gefälle zwischen Anspruch und Wirklichkeit gerade an den Leichen sichtbar. Das hast du absolut recht. Das finde ich auch. Und man sieht ja auch, was immer wieder passiert. Da gibt es ja jetzt super viele Bilder, jetzt dadurch, dass jeder ein Handy in der Hand hat, wo halt ständig eine riesige Statue errichtet wird, dann wird sie wieder umgekippt, dann wird eine errichtet, dann wird sie wieder gesprengt und so weiter - und das selbe ist das mit den Leichen. Und Lenins Leiche ist halt die letzte, die aus dieser Zeit noch ihre Geschichte erzählt. Dass man darauf angewiesen war, diese eine Person, die alles schon richtig entscheiden wird. Da kannst du dich drauf verlassen, dass die da für dich sorgt und auch im geistigen Sinne, im körperlichen Sinne, im wirtschaftlichen Sinne, im sozialen Sinne, die trifft die richtigen Entscheidungen für dich. Und wenn der Körper noch erhalten bleibt nach dem Tod, dann, dann hat das magisch dann auch noch gute Auswirkungen oder so. Also das ist total bizarr und und tragikomisch.

00:31:02: Martin Mark Benecke, Kriminalbiologe und Experte für sehr ausgefallene Fälle wie Hitlers Schädel und Gebiss und Lenins Leichnam, über den wir heute gesprochen haben. Ganz, ganz herzlichen Dank.

00:31:13: Mark Benecke Das waren mit Abstand nicht die seltsamsten Fälle, die ich in meinem Leben hatte.

00:31:18: Martin Gut, dann ist das ein Grund, weswegen wir dann demnächst vielleicht mal weitersprechen.

00:31:22: Mark Benecke Sehr gerne.

00:31:23: Marko Du bist dann herzlich wieder eingeladen.

00:31:25: Mark Benecke Danke.

00:31:26: Marko Wenn euch diese Folge der Geschichtsmacher gefallen hat, dann sagt es...

00:31:30: Martin ...allen Moskau-Besuchern, ob sie nun Lenin einen Besuch abstatten oder nicht.

00:31:35: Marko Allen Menschen, die sich gerne einbalsamieren, einfrieren oder für die Ewigkeit konservieren lassen wollen.

00:31:40: Martin Und allen Leuten, die tatsächlich glauben, dass Hautcreme was bewirkt.

00:31:45: Marko Und wenn es euch nicht gefallen hat, dann sagt es uns aber auch wirklich bitte nur uns...

00:31:51: Martin Unter www.diegeschichtsmacher.de findet ihr alle Möglichkeiten, uns zu kontaktieren und natürlich noch viele weitere Folgen dieses Podcasts.

00:32:01: Marko Wenn ihr während dieser Folge auf den Geschmack gekommen seid und, ja, die Leidenschaft für Leichen an euch entdeckt habt. Es gab in der Tat zwei schon sehr grauslige Folgen, wo es also auch darum ging, um den Umgang mit Leichen, auch um den Umgang mit berühmten Leichen. Dann seien euch zwei Folgen von uns ans Herz gelegt: Schillers Schädel und Goethes Gebeine. Da geht es um wunderbare Themen wie Mazeration. Also wenn ihr nicht wisst, was Mazeration ist. Hört da noch mal rein.

00:32:34: Martin Die beiden Folgen sind schon ein bisschen länger her. Wer die finden will. Wir haben einen Link in die Episodenbeschreibung dieser Folge gepackt.

00:32:41: Marko Und es sei versprochen. Beim nächsten Mal machen wir nicht so nekrophil weiter. Ja, also es geht auch mal! Wir müssen ja nicht immer Leichen fleddern.

00:32:50: Martin Ja. Wenn ihr wissen wollt, wie es weitergeht, mit welcher Folge und wenn ihr die nicht verpassen wollt, die nächste Folge, dann ist der beste Weg dafür, unseren Newsletter zu abonnieren. Auch den gibt es auf unserer Seite www.diegeschichtsmacher.de

00:33:05: Marko Und ganz wichtig: Wenn ihr uns unterstützen wollt, dann könnt ihr das dort auch tun. Ihr könnt kleine Geschichtsmacher werden, ihr könnt große Geschichtsmacher werden. So oder so, ihr könnt uns über Steady unterstützen. Wir freuen uns da über jeden, der sozusagen da uns Geld rüberschiebt.

00:33:23: Martin Möglichst viel. Ob mit oder ohne Unterstützung auf Steady. Wir freuen uns auf jeden Fall über jeden Kommentar auf euren Podcatchern und Podcas-Plattformen. Gebt uns Sternchen, gebt uns Herzchen, was auch immer da zur Verfügung steht und am besten einen kleinen Kommentar. Das hilft uns dann auf jeden Fall auch schon ein Stück weiter.

00:33:43: Marko Die nächste Folge gibts in zwei Wochen. Bis dahin.

00:33:46: Mark Benecke Tschüss.

00:33:47: Martin Tschüss.

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